MODERNE SCHWEINEREIEN
Natürlich machen Beschreibungen das damit verbundene Leid noch nicht nachvollziehbar. Deshalb werde ich – schweren Herzens – einige Aspekte der modernen Tierzucht bildhafter darstellen, und zwar an einer Tierart, den Schweinen, die deutschsprachige Menschen am meisten und am liebsten essen. 2009 wurden allein in Deutschland fast 60 Millionen Schweine geschlachtet, was das Land zum drittgrößten Schweinefleischproduzenten der Welt macht.
Schweine sind – dafür gibt es viele Belege – mindestens so intelligent und empfindsam wie Hunde. Wer einmal ein geachtetes Trüffelschwein kennenlernen durfte, kann das nicht bezweifeln. Diese Tiere haben eine von der Wissenschaft entdeckte eigene Sprache, hören auf Zuruf, sind verspielt und haben unter wissenschaftlicher Anleitung sogar Videospiele mittels rüsselfähig gemachter Joysticks erlernt. Sie können problemlos ihre Stalltür öffnen und eilen Kameraden manchmal zu Hilfe. Bei Fluchtversuchen arbeiten sie gekonnt zusammen und stehen selbst Schimpansen in der Auffassungsgabe nicht nach.
Sandra Düpjan, eine deutsche Verhaltensforscherin, berichtet aus ihrer Arbeit, deren Ziel der wissenschaftliche Beleg von Gefühlen bei Tieren ist: »Schweine teilen ihren Stress mit, wir müssen nur lernen, sie zu verstehen.« Demnach deuten die Schreie eines Ferkels, dem ohne Betäubung der Samenstrang durchtrennt wird, auf höchsten Stress hin.«98
Schweine sind Individualisten und sie sind überhaupt Menschen in vielem sehr ähnlich, weshalb Medizinstudenten oft an ihren leicht beschaffbaren Innereien lernen.
Gefoltert und vor Schmerz von Sinnen
Diesen Schweinen also bescheren wir heute ein qualvolles Leben, das in meinen Augen noch deutlich schlimmer ist als ihr entsetzliches Ende. Es beginnt schon ganz am Anfang damit, dass die modernen Hochleistungsschweine wie die meisten Hühner, Puten und Nutztiere so hochgezüchtet sind, dass sie eigentlich als grundsätzlich krank gelten müssen. Foer dazu: »(…) Studien geben an, dass zehn bis 40 Prozent der Schweine wegen schlechter Erbmasse, mangelnder Bewegung und unzureichender Ernährung einen instabilen Körperbau aufwiesen, weil ihnen die Knie einknickten, die Beine verkrümmt, die Zehen nach innen gebogen waren.99 Eine amerikanische Schweinezüchter-Zeitschrift berichtet, dass »normalerweise« 7 Prozent der Zuchtsauen vorzeitig an Stress sterben, ausgelöst durch Käfighaltung und intensive Zucht, in manchen Tierfabriken seien es aber auch 15 Prozent. Aber das ist eingerechnet, und das Geschäft mit dem Leid lohnt sich immer noch für diejenigen, die die Schamlosigkeit haben, sich an solchem Elend zu bereichern.
Gleich von Anfang an werden die Tiere systematisch, das heißt vom System gewollt, gefoltert. Ihnen werden – selbstverständlich ohne Narkose – innerhalb von 48 Stunden nach der Geburt die Schwänze kupiert, also zum größten Teil weggeschnitten, damit sie sich später nicht im Wahnsinnsstress gegenseitig darin verbeißen. Dann werden ihnen, völlig legal und ohne Narkose, die Eckzähne abgefeilt, aus demselben Grund und um Kannibalismus zu verhindern. Diesen findet man häufig in der Massentierhaltung, etwa bei Geflügel, weil die Tiere in ihrem unbeschreiblichen Elend und offensichtlich von Sinnen vor Schmerz und Leid wahnsinnig werden und ihre Aggressionen aneinander auslassen. Menschen würde schon die extrem eintönige Langeweile des Dahinvegetierens in der Tierfabrik in den Wahnsinn treiben. Auch diese Stimmung dürften Fleischesser in sich aufnehmen.
Männlichen Ferkeln werden noch in den ersten zehn Lebenstagen – legal und systematisch, ohne Narkose, geschweige denn Mitgefühl – die Hoden aus dem Leib gerissen, weil das Fleisch von Ebern den Verbrauchern nicht so gut schmeckt.
Ein Leben lang trächtig
Zur Zeit der Absetzung von der Muttersau sind 9 bis 15 Prozent des Nachwuchses bereits verendet, aber das ist einkalkuliert und rechnet sich noch, ähnlich wie die hohe Rate an Missbildungen moderner Ferkel, die von deformierten Gliedmaßen bis zu Gaumenspalten, Muskelzittern und fehlendem Anus reichen. Bei der Hochleistungszucht geht es inzwischen längst darum, kranke Schweine zu züchten – die zu einem natürlichen, normal langen Leben gar nicht mehr fähig sind –, weil sie mehr Rendite bringen.
Die Ferkelproduktion aber braucht nach wie vor Muttersäue, die ein Opfer ihrer enormen Fruchtbarkeit werden. Die Industrie hat die Zahl ihrer Ferkel mit den ihr eigenen Methoden erheblich gesteigert. Mittels Hormonspritzen wird die arme Sau gezwungen, praktisch ihr ganzes Leben trächtig zu sein und anschließend kurz zu säugen. 80 Prozent der Mutterschweine müssen die ganze Schwangerschaft in einem Kastenstand verbringen, der so eng ist, dass er ein Umdrehen unmöglich macht. Ohne Bewegungsmöglichkeit bekommt sie in der Regel extremen Knochenschwund, ohne Einstreu und Suhlmöglichkeit überziehen vom Reiben am Käfig oft Geschwüre ihre Haut. Aus Kostengründen und um unerwünschte Gewichtszunahmen zu vermeiden, lässt man die Sauen oft hungern. Aber selbst wenn sie in winzigen Buchten gehalten werden, wie es sich auf Druck von Tierschützern allmählich durchsetzt, bleibt das Schweineleben eine entsetzliche Qual.
Reinliche Tiere im Fäkalienregen
Das Elend der Schweine wird noch durch die unbeschreibliche Enge gefördert, in der die Tiere zusammengedrängt sind. Normalerweise würden sich Schweine Schlafnester bauen und niemals an dem Ort ausruhen oder schlafen, wo sie gekotet haben. In den modernen Ställen stehen sie aber buchstäblich in ihrer eigenen »Scheiße«, müssen darauf herumtreten und dann auch liegen, ohne jede Auslauf- und oft auch Bewegungsmöglichkeit. Diese Art von »Zucht« behandelt sie unvergleichlich schlimmer als Mörder in Zuchthäusern, die die Möglichkeit zum Hofgang haben und das Sonnenlicht sehen dürfen. Moderne Schweine erleben nichts von dem, nur bedrückende Enge und Qual.
Auch wenn uns die Umgangssprache etwas anderes glauben macht: In der Natur sind frei laufende Schweine reinliche Tiere, die ihren Kot meiden. In der Tierfabrik werden die abgesetzten Ferkel aber in enge Mastkäfige gesperrt, die aus Platzgründen übereinandergestapelt sind. Wie Zeit ist auch Raum Geld. Dadurch fallen beziehungsweise tropfen die Fäkalien der Oberen ständig auf die Unteren.
Diese reinlichen, intelligenten Tiere werden also von Anfang an gezwungen, in einem Regen aus Kot und Urin zu leben, und nicht wenige verenden, viele werden offensichtlich verrückt. Tatsächlich scheinen eine Menge Schweine unter diesen modernen Bedingungen im psychiatrischen Sinn wahnsinnig zu werden und wie verrückt gegen die Gitterstäbe ihrer engen Käfige zu drücken oder manisch daran zu lecken.
Am fürchterlichsten für mitfühlende Menschen ist es vielleicht, das sogenannte Trauern anzuschauen. Das Schwein sitzt dann auf den Hinterläufen und lässt den Kopf in offensichtlich tiefer Hoffnungslosigkeit hängen, es hat sich anscheinend aufgegeben.
Was der Mast dient …
In dieser Dauerfoltersituation der Käfige verbringen die Schweine den größten Teil ihres kurzen Lebens. An dessen Ende werden sie in extrem engen Buchten gehalten, damit sie sich kaum bewegen, was nur Kalorien verbrauchen und das Mastergebnis verschlechtern würde. Die Temperatur ist jetzt erhöht und das Licht abgedunkelt, damit sie apathisch werden und nicht etwa übereinander herfallen, was in dem inzwischen erreichten Zustand des Wahnsinns sonst leicht vorkäme.
Kümmerlinge, die nicht schnell genug zunehmen, werden an den Hinterläufen aus den Buchten gezogen und mit dem Rüssel auf den Betonboden geschlagen. Das nennt sich »Klopfen« und ist die »normale« Tötungsmethode bei diesen Tieren. Foer zitiert einen Arbeiter: »Wir schwingen sie einfach raus, klopfen sie auf den Boden und schmeißen sie an die Seite. (…) Wenn man dann wieder in den Laderaum kommt, und manche sind noch am Leben, muss man sie noch mal klopfen. Manchmal bin ich reingekommen, und da liefen welche rum, denen ein Augapfel raushing, oder sie bluteten wie verrückt, oder der Kiefer war gebrochen.100 Dieses Schicksal widerfährt pro Tag und Betrieb Dutzenden und ist einkalkuliert und immer noch billiger, als diese »Verweigerer« mitzuschleppen.
Alles wird nur nach Kosten berechnet, wie übrigens auch schon mittels darauf abgestimmten Computerprogrammen auf Intensivstationen unserer Krankenhäuser. Diese Kosten-Nutzen-Rechnungen haben angeblich gar keine Konsequenzen für das ärztliche Handeln, ergibt die Nachfrage. Man fragt sich nur, warum sie dann gemacht werden? Verrohung ist ein grundsätzlicher Prozess, der sich in der Regel nicht auf Einzelbereiche beschränkt, sondern sich in eine Gesellschaft hineinfrisst wie ein Krebsgeschwür.
Tiergesundheit? Eine Farce!
Die Frage, wieso überhaupt noch so viele Tiere diese Folter bis zum Schlachthof überstehen, beantwortet Foer: »Eine ganze Flut Antibiotika, Hormone und anderer Medikamente, die dem Futter beigemischt wird, hält die meisten Tiere trotz der schaurigen Bedingungen am Leben.101
Nicht selten bekommen sie schon beim Warten aufs Schlachten einen Herzinfarkt – in einem Herzen, das dem menschlichen anatomisch zum Verwechseln ähnlich ist. Deshalb bekommen heute Herzkranke oft statt künstlicher Herzklappen solche vom Schwein eingesetzt.
Und nicht selten versagen den armen, armen Schweinen vor dem Schlachten die Beine, und sie fallen hilflos zur Seite, um dann in der Regel liegengelassen zu werden, bis sie sterben. Oder man entsorgt sie gleich lebendig als Abfall.
Eine entsprechende Momentaufnahme aus dem deutschen Schweineschlachthof von der Praktikantin Christiane Haupt: »Ich möchte, ich muss sprechen, es mir von der Seele reden. Ich ersticke daran. Von dem Schwein möchte ich erzählen, das nicht mehr laufen konnte, mit gegrätschen Hinterbeinen dasaß. Das sie solange traten und schlugen, bis sie es in die Tötungsbox hineingeprügelt hatten. Das ich mir hinterher ansah, als es zerteilt an mir vorüberpendelte: beidseitiger Muskelabriss an den Innenschenkeln. Schlachtnummer 530 an jenem Tag, nie vergesse ich diese Zahl.« Und an anderer Stelle: »Als ich zum ersten Mal bewusst erfasse – am zweiten oder dritten Tag –, dass ausgeblutete, abgeflammte und zersägte Schweine noch zucken und mit dem Schwänzchen wackeln, bin ich nicht in der Lage, mich zu bewegen. ›Sie – sie zucken noch …‹, sage ich, obwohl ich ja weiß, dass es nur die Nerven sind, zu einem vorübergehenden Veterinär. Der grinst: ›Verflixt, da hat einer ’nen Fehler gemacht – das ist noch nicht richtig tot!‹ Gespenstischer Puls durchzittert die Tierhälften, überall. Ein Horrorkabinett. Mich friert bis ins Mark.102
Dieser Sachverhalt hört sich in einer Untersuchung des wissenschaftlichen Ausschusses der EU für Tiergesundheit und Tierschutz von 1997 folgendermaßen an: In Käfigen gehaltene Schweine – wie also alle in der modernen Tierfabrik – wiesen weichere Knochen auf, hätten ein gesteigertes Risiko von Beinverletzungen, Herz-Kreislauf-Problemen und Harnwegsentzündungen, und ihre Muskelmasse schwinde oft so weit, dass die Tiere kaum noch zu größeren Bewegungen imstande seien.103
Wollen Sie diesen Wahnsinn essend unterstützen? Oder anders gefragt: Wollen Sie es riskieren, diese Energie des Wahnsinns zu sich hereinzuholen? Oder noch direkter gefragt: Trauen Sie sich zu, mit solchen Energien fertig zu werden, ohne selbst Schaden zu nehmen?
Solche modernen Schweine bringen uns heute gewiss kein Glück, wie es die Symbolik eigentlich nahelegt. Im Gegenteil: Wenn wir sie essen, bringen sie uns Elend und Unglück, genau wie es ihnen selbst durch uns widerfahren ist. Menschen, die Mitgeschöpfen so etwas antun, sind wirklich keine Schweine, denn kein Schwein würde das einem anderen oder einem Menschen antun. Diese Leute und natürlich auch die Verantwortlichen, die eigentlichen Drahtzieher, die sich selbst die Hände nicht schmutzig machen, aber am Leid verdienen, stehen demnach moralisch noch weit unter dem, was der Volksmund ein Schwein nennt.
Keineswegs sind die Zustände bei den anderen Tierarten besser. Beim Geflügel sind sie sogar noch schlimmer, bei den Rindern zwar in der Haltung besser, dafür bei der Schlachtung oft mindestens so grausam.
Fazit: Das Leben von Schweinen ist noch qualvoller als ihr Tod. Was man ihnen ohne Narkose antut, ist nur mit dem Begriff Folter zu fassen und treibt sie in den Wahnsinn. Alles wird dem Ziel der schnellen, kostengünstigen Mast untergeordnet, wirklich alles.