DER SCHLACHTHOF – KRITISCHE AUGEN UNERWÜNSCHT
Der Rinderschlachthof, den wir als Beispiel wählen, ist in Wirklichkeit hermetisch vor Zeugen verschlossen. In ihm ist der Weg des Grauens für die Tiere genau vorgezeichnet. Nach dem Transport, meist ausgehungert und durstend, warten die Tiere in engen Gattern, um durch einen noch engeren Gang in die sogenannte Schussbox getrieben zu werden. Dort hält ihnen ein Schlächter den Bolzenschussapparat zwischen die Augen. Der Stahlbolzen fährt in den Schädel, was das Tier bewusstlos oder tot zusammenbrechen lässt.
Wenn es »gut« läuft, sind sie gleich tot
Soweit das makabre Ideal. Auch wenn alles »gut geht«, was nicht so häufig der Fall ist, bleibt dieses Szenario – milde gesagt – grauenhaft. Aus dem Bericht der damaligen Praktikantin und heutigen Tierärztin Christiane Haupt: »Ich möchte von den Rinderschlachttagen erzählen, von den sanften braunen Augen, die so voller Panik sind. Von den Fluchtversuchen, von all den Schlägen und Flüchen, bis das unselige Tier endlich im eisernen Pferch zum Bolzenschuss bereitsteht, mit Panoramablick auf die Halle, wo die Artgenossen gehäutet und zerstückelt werden, – dann der tödliche Schuss, im nächsten Moment schon die Kette am Hinterfuß, die das ausschlagende, sich windende Tier in die Höhe zieht, während unten bereits der Kopf abgesäbelt wird. Und immer noch, kopflos, Ströme von Blut ausspeiend, bäumt der Leib sich auf, treten die Beine um sich … Erzählen von dem grässlichschmatzenden Geräusch, wenn eine Winde die Haut vom Körper reißt, von der automatisierten Rollbewegung der Finger, mit der die Abdecker die Augäpfel – die verdrehten, rotgeäderten, hervorquellenden – aus den Augenhöhlen klauben und in ein Loch im Boden werfen, in dem der ›Abfall‹ verschwindet. Von der verschmierten Aluminiumrutsche, auf der alle Innereien landen, die aus dem riesigen geköpften Kadaver gerissen werden, und die dann, bis auf Leber, Herz, Lungen und Zunge – zum Verzehr geeignet – in einer Art Müllschlucker verschwinden.87
Die Fälle, wo es nicht so »normal« läuft, sind häufig. Wird der Apparat nicht richtig angesetzt oder ist zu wenig Druck im System, dringt der Bolzen nicht tief genug. Dann verliert das Rind nicht einmal das Bewusstsein, während ihm der Schädel unter extremen Schmerzen eingedrückt wird, oder es wacht wenig später, während man es zerlegt, wieder auf.
In Zeiten von BSE-Angst durften Bolzenschussapparate nicht verwendet werden, weil sie Gehirn- und Nervenmasse ins Blut bringen können. Wir sahen damals lebendig aufgehängte Rinder, die bei Bewusstsein abgehäutet wurden, was in Deutschland immerhin hörbare Proteste auslöste.
Der Bolzenschussapparat wird in manchen Schlachthöfen aber auch absichtlich schwach eingestellt, damit das Tier nicht gleich tot ist, weil dann auch das Herz stehen bleibt und so das Ausbluten länger dauert. Zeit ist aber in den modernen Tötungsfabriken knapp. Außerdem ist im Tier verbleibendes Blut eine Quelle bakterieller Probleme. Jonathan Safran Foer schreibt über seine Erfahrungen mit amerikanischen Verhältnissen: »Tiere bluten aus, werden enthäutet und zerteilt – bei vollem Bewusstsein. Das kommt ständig vor, die Industrie und die Behörden wissen es. Mehrere Schlachthöfe, die wegen Ausbluten oder Enthäuten oder Zerlegen lebender Tiere mit Bußgeldern belegt worden waren, verteidigten ihr Handeln als in der Schlachtindustrie völlig üblich und wollten – im Grunde zu Recht – wissen, wieso man ausgerechnet sie herausgegriffen habe.88
Eine Überprüfung ergab in den USA, dass es »der überwältigenden Mehrheit der Schlachthöfe nicht gelang, Rinder mit einem einzigen Bolzenschuss zu betäuben«. Foer erklärt die hohe Fehlerquote mit der »Kombination aus erhöhtem Schlachttempo – es hat sich in den letzten 100 Jahren um 800 Prozent erhöht – und schlecht ausgebildeten Hilfsarbeitern, die unter grauenhaften Umständen schuften«. Sie hätten mit 27 Prozent die höchste Verletzungsrate aller »Berufe« und würden miserabel dafür bezahlt, pro Schicht über 2000 Rinder zu töten.89
Wer kein Sadist ist, wird einer
Dafür, dass unter solchen Bedingungen auch normale Menschen zu Sadisten werden, sprechen verschiedene wissenschaftliche Untersuchungen, bei denen Menschen etwa bei banalen wissenschaftlichen Settings sehr rasch sadistisch reagierten. Sie quälten vermeintliche Versuchspersonen mit erheblichen Stromstößen, wenn ihnen glaubhaft gemacht wurde, es geschähe im Dienste der Wissenschaft. Auch der deutsche Film »Das Experiment« von Oliver Hirschbiegel aus dem Jahr 2001 über einen entsprechenden Versuch verdeutlicht diesen Zusammenhang erschreckend.
Unter den Bedingungen industriellen Schlachtens gelingt es offenbar den meisten Menschen nicht, menschlich zu bleiben. Und das ist noch äußerst vorsichtig ausgedrückt. Mit anderen Worten: Was Fleischesser zu sich nehmen, wurde von Menschen vorbereitet, deren Arbeitsumstände ihren Schatten in Form von Sadismus und Perversion hervorbringen.
Schlachthofarbeiter drehten heimlich in ihrem Betrieb einen Film, den sie der »Washington Post« zuspielten. Dabei sah man nicht betäubte Rinder bei vollem Bewusstsein aufgehängt und mit dem Schlachtband zur Zerlegung fahren oder wie einem Rind ein Elektroschocker ins Maul gerammt wurde. 20 Arbeiter bestätigten mit ihrer Unterschrift diese Zustände nicht nur als wahr, sondern als üblich und ihren Vorgesetzten bekannt.
Hier noch weitere von Foer dokumentierte Aussagen, die das Elend noch deutlicher beschreiben: »Ich habe Tausende und Abertausende von Rindern lebendig in die Zerlegung gehen sehen … Manchmal hängen sie schon sieben Minuten am Förderband und leben immer noch. Ich habe mal am Enthäuter gestanden, und selbst da waren sie noch am Leben. Da wird die ganze Haut vom Hals abwärts abgezogen.90
Eigentlich sollte das Rind da natürlich längst tot sein, bevor es anschließend als sogenannter »Schlachtkörper« zum Kopfschlachter kommt, der die Haut vom Kopf abzieht. Soweit die Theorie. Hier der Originalton eines Arbeiters dazu: »Oft merkt der Kopfschlachter, wenn er die Kopfseite aufschneidet, dass das Tier noch am Leben und bei Bewusstsein ist, es tritt dann wie wild aus.91
Danach kommt das Rind beziehungsweise der Schlachtkörper zu den »Fußschneidern«. Hier berichtet wieder ein Arbeiter: »Wenn da noch welche zum Leben erwachen (…) dann sieht das aus, als ob sie die Wände hochlaufen wollten … wenn sie zu den Fußschneidern kommen, na ja, die wollen natürlich nicht warten, bis irgendwer herkommt und das Rind noch mal schießt. Also schneiden sie mit ihren Zangen einfach die Unterbeine ab. Und wenn sie das tun, dann werden die Rinder richtig wild und treten in alle Richtungen.« Im Anschluss daran wird das Rind gespalten …92
Das Ganze liest sich schon zum Wände-Hochgehen. Stellen Sie sich vielleicht besser nicht vor, so etwas mitansehen zu müssen. Sie müssen nicht und Sie müssen das auch nicht weiter beim Einkaufen und Essen unterstützen.
Auch wenn man es schon nicht fassen kann, gibt es immer noch Steigerungen der Grausamkeit, wie sie diese Aussage eines Arbeiters enthüllt: »Da kam eine dreijährige Färse den Schlachtgang entlang, die bekam gerade ein Kalb, direkt dort, es hing halb heraus. Ich wusste, sie würde sterben, also zog ich das Kalb hinaus. (…) Diese Kälber werden ›slunks’‹ (›Glitscher‹) genannt; ihr Blut wird in der Krebsforschung verwendet. (…) Normalerweise läuft es so, wenn die Innereien der Kuh auf den Untersuchungstisch fallen, gehen Arbeiter hin, reißen die Gebärmutter auf und holen das Kalb raus. Ist ganz normal, so eine Kuh vor sich hängen zu haben und das Kalb drinnen treten zu sehen, weil es raus will (…) Wissen Sie, ich war bei den Marines. Das ganze Blut und so macht mir nichts aus. Aber die unmenschliche Behandlung. Es passiert einfach zu viel.93
Ein weiterer Abschnitt aus dem Bericht der angehenden Veterinär-Medizinerin Christiane Haupt aus dem »ganz normalen« deutschen Schlachthof, der sich praktisch nicht vom österreichischen oder schweizerischen unterscheidet und vor allem nicht im Mittelalter, sondern im 21. Jahrhundert bei uns überall um die Ecke existiert und für die meisten von uns »arbeitet«: »Erzählen möchte ich, dass immer wieder inmitten dieses schleimigen, blutigen Berges ein trächtiger Uterus zu finden ist, dass ich kleine, schon ganz fertig aussehende Kälbchen in allen Größen gesehen habe, zart und nackt und mit geschlossenen Augen in ihren schützenden Fruchtblasen, die sie nicht zu schützen vermochten, – das kleinste so winzig wie ein neugeborenes Kätzchen und doch eine richtige Miniatur-Kuh, das größte weich behaart, braunweiß und mit langen seidigen Wimpern, nur wenige Wochen vor der Geburt. ›Ist es nicht ein Wunder, was die Natur so erschafft?‹ meint der Veterinär, der an diesem Tag Dienst hat, und schiebt Uterus samt Fötus in den gurgelnden Müllschlucker. (…) Auch für die erbärmlich magere Kuh, die, als ich morgens um sieben komme, krampfhaft zuckend im eisigen, zugigen Gang liegt kurz vor der Tötungsbox, gibt es keinen Gott und niemanden, der sich ihrer erbarmt in Form eines schnellen Schusses. Erst müssen die übrigen Schlachttiere abgefertigt werden. Als ich mittags gehe, liegt sie immer noch und zuckt, niemand, trotz mehrfacher Aufforderung, hat sie erlöst. Ich habe das Halfter, das unbarmherzig scharf in ihr Fleisch schnitt, gelockert und ihre Stirn gestreichelt. Sie blickt mich an mit ihren riesiggroßen Augen, und ich erlebe nun selbst, dass Kühe weinen können.94
Was eine angehende Tierärztin unerträglich fand, aber auch einem hartgesottenen Ex-Elite-Soldaten zuviel wurde, der sich bis zu den höchsten Stellen beschwerte, ist offenbar üblich. Der Psychologe Dr. Helmut Kaplan betont, dass die Praktikantin Haupt in einem durchschnittlichen Schlachthof gelandet war. Selbst in einem Vorzeigeschlachthof seien von den 30 innerhalb einer Stunde mittels Bolzenschuss vermeintlich getöteten Tieren 6 während des Zerlegens wieder erwacht.95
Wollen Sie essend daran teilhaben? Haben Sie die Hoffnung, dass Sie diesem Schwingungsfeld entkommen können und es sich nicht in Ihnen breitmacht, wenn Sie ein Steak von dieser Kuh oder einer anderen »genießen«? Unser Mitgefühl ist sicher mit den Tieren, aber auch Menschen, die es so weit kommen lassen, verdienen es ungeteilt.
Temple Grandin, eine Kontrolleurin und Kritikerin dieser Zustände, erlebte selbst bei vorher angekündigten Kontrollen in Schlachthöfen noch bei einem Drittel dieser Höfe bewusst grausame Handlungen, die regelmäßig vorkamen. Das war wohlgemerkt in Schlachthöfen, die solchen Kontrollen zugestimmt hatten. Wie es in den anderen zugeht, die diese gar nicht erst erlauben, bleibt der Fantasie überlassen.
Die Qualen, die wir (mit)essen
Die Angst die wir mit dem Fleisch der Tiere aus der Massentierhaltung und -schlachtung zu uns nehmen, wird in den entsprechenden Hormonen und Neurotransmittern konkret. Leid und Qual, die wir den Tieren bei der heutigen industriellen »Zucht« antun, nehmen wir genauso zu uns, auch wenn wir es noch nicht wissenschaftlich benennen und messen können. Die Angst dieser so entsetzlich und bis zum bitteren Ende gequälten Tiere geht auf die über, die diese Pein letztlich verursachen: die Fleischesser. Nachdem ich mich seit mehr als 30 Jahren mit diesem Thema beschäftige, bin ich mir da ganz sicher, denn die Mehrheit meiner Patienten waren Fleischesser, zumindest als sie kamen.
Die Angst der Tiere löst sich nicht in Luft auf, auch wenn die Luft in den Schlachthöfen davon schwanger ist. Sie ist eine sehr reale Energie und kann auch Menschen, die um diese Zusammenhänge bisher nicht wussten und auch lieber nichts davon wissen wollen, schrecklich zusetzen.
Angst ist nicht nur ein scheußliches Phänomen. Sie verstärkt auch viele andere Symptome, auf Dauer führt sie etwa zu Depressionen. Das ist bei einem Gewohnheits-Allesesser zusätzlich zu bedenken. Nun ist Angst aber immer auch etwas Sinnvolles, und wir können – im Gegensatz zu Schlachttieren, die nicht die geringste Chance haben, ihrem Leid zu entkommen – meiden, was uns Angst macht, oder uns ihm bewusst stellen.
Fleischesser haben aus meiner Sicht ihre einverleibte Angst letztlich zu Recht. Der erste Schritt einer Behandlung muss – wie immer – die Ursache beheben, also den Fleischkonsum sofort und unwiderruflich beenden.
Jenseits von aller zutiefst abstoßenden Scheußlichkeit obiger Schilderungen finden wir hier also eine weitere Erklärungsebene für die beschriebenen, wissenschaftlich erhärteten Krankheitssymptome durch Fleischkonsum. Insgesamt kann ich mich hier nur den Worten des Schweizer Arztes Dr. Ernst Walter Henrich anschließen: »(…) ich möchte und kann nicht wegschauen (…). Ich verabscheue das verbrecherische Treiben, das dazu führt, dass täglich etwa 40 000 Kinder an den Folgen von Hunger und Unterernährung sterben, weil man mit der pflanzlichen Nahrung lieber die gequälten Tiere füttert, um Fleisch, Milch und Eier zu gewinnen. Mit diesen tierischen Produkten (fr)essen sich die Wohlstandsbürger ihre Wohlstandskrankheiten an, die dann als Gipfel der moralischen Verwahrlosung in der Gesundheitsindustrie zu fast immer nutzlosen Tierversuchen führen.96
Fleischskandale
Bei so viel Unerfreulichem für Fleischesser muss es auch Entlastendes geben. Der Fleischkonsum ist an sich ein Dauerskandal. Da sind die Fleischskandale der Vergangenheit mit altem Gammelfleisch auf jeden Fall keine schlimmere Bedrohung, denn Menschen vertragen offensichtlich vor allem altes Fleisch. Sie können als Aasfresser (über)leben. Ganz frisches Fleisch von Säugetieren wäre dagegen gar nicht essbar wegen der Leichenstarre, die, wie jedem Krimi-Fan bekannt, rasch nach dem Tod einsetzt. Deshalb fragt die erfahrene Hausfrau den Metzger: »Ist das Fleisch auch gut abgehangen?« Damit erkundigt sie sich, wissenschaftlich gesprochen, ob die autolytische Zersetzung schon so weit fortgeschritten ist, dass die Aktin-Myosin-Filamente des Muskelgewebes sich mittels Zersetzung schon wieder aus der Leichenstarre gelöst haben. In ihrer Sprache möchte sie wissen, ob das Fleisch schön mürbe ist, in der bayrisch-österreichischen Umgangssprache, ob es schon »saftelt«.
Wer Fleisch wie Wild, das wenigstens meist auf schonendere Art – ohne vorherige Erwartungspanik – geschossen wurde, in Beize einlegt, will damit die Zersetzung fördern, um es weich oder eben mürbe zu machen.
An diesem Punkt können die Fleischesser also entspannen. Da sie immer nur Fleisch in Zersetzung und folglich Aas essen, ist es gar nicht so entscheidend, wie verdorben es ist. Tatsächlich ist auch niemand durch das Gammelfleisch zu Schaden gekommen beziehungsweise nur in dem Ausmaß, wie Fleisch immer schädigt. Auf afrikanischen Märkten konnte ich Fleisch im Angebot sehen, das vor lauter Maden und Fliegen schon wieder lebte und doch noch gekauft und offensichtlich verzehrt wurde. Hier ist auch noch die desinfizierende Wirkung des Feuerelementes hilfreich.
Künstliches Fleisch als Alternative?
Passionierte Fleischesser bekommen vielleicht bald eine Alternative aus der Forschung. Zellbiologen der Universität Eindhoven versuchen aktuell, künstliches Fleisch zu züchten. Farblose Mäuse-Muskel-Zellen wachsen dabei zwischen zwei Stücken Klettverschluss. Eine große holländische Wurstfirma finanziert das, um angeblich irgendwann ganz auf Massentierhaltung verzichten und Treibhausgase reduzieren zu können. Die Forscher, deren Ziel künstliches Schweinefleisch ist, haben ihr bisheriges Ergebnis selbst noch nicht gekostet, was wohl bedeutet, dass sie ihm nicht trauen.
Eine Frage der Wertung: Andere Länder, andere Sitten
Lange Zeit galt Fleisch als sehr wertvolles Essen und sein Verzehr war ein Zeichen von Reichtum, wie der sprichwörtliche Sonntagsbraten, den sich nicht jeder leisten konnte. Unseren Vorfahren gelang das oft nur an Feiertagen. Wer reich wurde, leistete es sich immer öfter, und viele moderne Menschen schaffen das täglich. Aber schon in der Vorzeit zeigte sich an fürstlichen und königlichen Höfen, dass die Herrschaften, die sich viel Fleisch leisten konnten, es mit Gicht und Rheuma bezahlten, während das Gesinde davon verschont blieb. In Preußen sprach man vom »Gichtkabinett« des Königs und an anderen Höfen wusste das Personal, dass ihm mit dem Fleisch wenigstens auch das Rheuma erspart blieb.
Wir finden heute nichts dabei, ein Kälbchen zu verspeisen, und denken einfach nicht an seine samtweichen seelenvollen Augen. Wir gießen Gelatine, eine Mischung aus Rinderhufen, -augen und anderen gekochten Metzgerabfällen, über Torten und überziehen sie so mit einer Art durchsichtigem Leichentuch. Wenn andere Hunde und Delphine verspeisen, dreht es uns dagegen den Magen um, und die Empörung ist groß. Japanern graut vor unserem alten Fleisch und ebensolchen Eiern, wir finden es unerträglich, dass sie gerade erst – womöglich sogar vor ihren Augen – geschlachteten, noch zuckenden rohen Fisch essen.
Hierzu hat sich mir eine denkwürdige Szene eingeprägt. Auf einer philippinischen Insel als Dank für medizinische Hilfe zum Essen eingeladen, saßen wir gemütlich am Boden um den traditionellen Eintopf versammelt. Die darin identifizierbaren Schweinsstücke wie etwa ein Ringelschwanz stifteten zwar keine Begeisterung, ließen aber die Fleischesser unserer Gruppe durchaus weiter mithalten. Als dann aber die Klanchefin zugeben musste, dass auch eine der Gruppe gut bekannte Ziege dafür hatte dran glauben müssen, verringerte das den Appetit beträchtlich.
Die alte Frau ahnte ihren Fehler und wollte die Situation retten, indem sie beschwichtigend mitteilte, das meiste Fleisch sei nicht Ziege, sondern Hund. Darauf musste sich eine mitessende Hundebesitzerin unserer Gruppe spontan übergeben und die anderen beendeten entsetzt das Essen.
Wer einmal gesehen hat, wie man etwa auf den Philippinen Hunden die Läufe bricht, auf den Rücken bindet und ihnen dann mit Prügeln die Rippen bricht, womit sie noch mehr Angst- und Stresshormone ausschütten, könnte an den Menschen verzweifeln.
Doch nicht nur auf den Philippinen, in vielen Staaten dieser Erde ist es völlig legal, Hunde zu essen. Der Name Chow-Chow bedeutet auf chinesisch »gut gebraten«. Diese Hunde, wie übrigens auch mexikanische Nackthunde, wurden vor allem für den Verzehr gezüchtet. Selbst in der Schweiz wurden schon Berner Sennenhunde für asiatische Küchen gemästet. Auch in einigen europäischen Ländern gibt es noch Bestimmungen für die amtliche Beschau von Hundefleisch.
Rindfleisch ja – Pferdefleisch nein?
Wir schauen auf die Hundeesser herab wie viele Muslime auf uns als Schweineesser. Im Übrigen landen auch die fast 10 000 in Deutschland pro Jahr geschlachteten Pferde in der Wurst. Entsetzte Pferdefreunde finden wiederum meist wenig dabei, Schweine und Rinder mit Appetit zu verspeisen.
Alles ist eine Frage der Wertung. Ich habe – als besonderer Pferdeliebhaber – schon Lokale verlassen, weil sie Fohlenfleisch auf der Karte hatten, aber ich ertrage ständig Lokale, die Schwein, Kalb und Lamm anbieten, allerdings voller Mitgefühl für die Tiere und jene, die sie verspeisen und sich damit Bauch und Leben voll Angst und Leid schlagen. So sind auch sie im wahrsten Sinne des Wortes geschlagen.
Was wirklich zählt, sind Mitgefühl und Barmherzigkeit
Wer eine moderne Tierfabrik oder einen Großschlachthof von innen sieht, kann sich Brechreiz und tiefer Verzweiflung kaum erwehren, wie sie meine Bekannte beim philippinischen Eintopf überkamen. Aus diesem Grund lassen solche Betriebe auch keine Zuschauer zu. Man kann sie sowenig besichtigen wie andere Zuchthäuser oder Gefängnisse. In der Woche nach einer Schlachthof-Exkursion aßen selbst hartgesottene Medizinstudenten lieber vegetarisch; zu ähnlich ist das Fleisch von Menschen- und Tierleichen.
Die industrielle Tötungsmaschinerie in Großschlachthöfen, wie sie Jonathan Safran Foer noch viel ausführlicher schildert, macht auch Menschen Angst, nicht nur Tieren. Wenn wir auf einen Sieg christlicher oder überhaupt menschlicher Barmherzigkeit über die Bilanzen warten, wird das Elend bleiben. Wir können uns aber jederzeit entscheiden, persönlich auszusteigen und das Umfeld unseres Lebens in diesem Sinne zu befreien und zu reinigen, indem wir andere mitfühlende Mitmenschen in dieses Feld aufnehmen. Modernes Industrie-Fleisch ist eine eindeutige und klare Absage an Barmherzigkeit und Mitgefühl und damit im tiefsten Sinn unchristlich beziehungsweise unreligiös.
Massentierhaltung – und was das Grundgesetz sagt
Die Massentierhaltung liefert in Deutschland – laut einer Studie des statistischen Bundesamtes von 2008 – über 98 Prozent allen Fleisches. Von den über 55 Millionen Schweinen, die Deutsche jährlich verspeisen, stammen 99,3 Prozent aus Tierfabriken, von den 3,8 Millionen Rindern und Kälbern 95,7 Prozent. Beim Geflügel sind es 97,9 Prozent. Der minimale Rest stammt noch von Bauernhöfen, die heute kaum mehr als Alibi- und Vorzeige-Funktion haben. Sie sollten uns in keiner Weise über die wirkliche Herkunft des Fleisches täuschen. Es stammt fast alles aus Tier-Zucht-Häusern, kurz Tierfabriken.
Dabei steht im deutschen Grundgesetz seit 2002: »Aus der Verantwortung des Menschen für das Tier als Mitgeschöpf ist dessen Leben und Wohlbefinden zu schützen.« Weiter heißt es, das Tier müsse angemessen ernährt, gepflegt und untergebracht werden und ihm sollten keine vermeidbaren Schmerzen und Leid zugefügt werden.
Weshalb schauen wir weg?
Die in den Tierfabriken herrschende Art von Grausamkeit kann sich die Mehrheit der Menschen nicht in ihren schlimmsten Träumen vorstellen. In weit über der Hälfte der deutschsprachigen Haushalte werden Tiere gehalten, gepflegt und geliebt, US-Bürger geben fast 40 Milliarden Dollar im Jahr für sie aus. Auf den Bauernhöfen war das Klima notgedrungen immer rauer als im Bürgerhaus(halt). Schon der Hofhund auf dem Land traf es nicht mehr so gut wie der Schoßhund in der Stadt. Doch das waren graduelle Unterschiede. Was aber in den letzten 50 Jahren beim Wandel des Bauernhofs zur Tierfabrik geschehen ist, hat unvorstellbar grausame Formen angenommen. Das ganze Elend ist ein Auswuchs unseres Systems und als solcher auch von uns zu verantworten. Es geht in diesem Bereich nur noch um Geld. Schmerz, Leid und Qual haben hier keinen Stellenwert mehr. Aber sie haben Bedeutung für die Esser des Leides. Unsere Seele nimmt das Leid auf mit dem Fleisch der gequälten Kreatur.
Wir wollen nur nicht hinschauen, wollen das nicht sehen, es einfach nicht wahr- und nicht wichtig nehmen. Stattdessen schließen wir kollektiv die Augen, so wie Menschen das fast immer tun, wenn etwa politische Umstände unerträglich werden und das Unrecht seine Gewaltherrschaft antritt. Wir müssen aber hinschauen und sollten uns klarmachen, dass Worte diesem Schrecken nie auch nur annähernd so gerecht werden können wie Bilder beziehungsweise Filme. Solche Dokumentationen gibt es inzwischen vereinzelt – heimlich und verstohlen gedreht. Im Internet sind sie über Tierschutzorganisationen zu finden. Ein Beispiel ist der US-Film »Meet your meat« – zu deutsch »Begegne deinem Fleisch«.
Was mit Worten zu leisten ist, hat Jonathan Safran Foer in »Tiere essen« vollbracht, das ich jedem empfehle, der dem ganzen Ausmaß der Verrohung ins Auge schauen will. Er schreibt: »Die Massentierhaltung ist, ähnlich wie Pornographie, schwer zu erklären, aber leicht zu erkennen. Im engeren Sinn handelt es sich dabei um ein System der intensiven und industriellen Landwirtschaft, in dem Tiere – oft zu Zehn- oder Hunderttausenden –, genetisch optimiert, in ihren Bewegungsmöglichkeiten eingeschränkt werden und unnatürliches Futter erhalten (dem fast immer irgendwelche Medikamente wie Antibiotika zugesetzt sind).« Und weiter: »Massentierhaltung ist weniger von einem Maßnahmenkatalog als von einer Geisteshaltung bestimmt: Die Produktionskosten werden auf das absolute Minimum gedrückt, und Kosten wie Umweltzerstörung, Krankheiten beim Menschen und das Leiden der Tiere werden systematisch ignoriert oder nach außen verlagert. Jahrtausendelang orientierten Landwirte sich an den Zyklen der Natur. In der Massentierhaltung gilt die Natur als etwas zu Überwindendes.97
Fazit: Über den Umgang anderer Kulturen mit Tieren rümpfen wir gern die Nase und machen uns nicht klar, was tagtäglich in unseren Schlachthöfen geschieht: unbeschreibliche Grausamkeit, über die trotz strengster Abschirmung mehr und mehr nach draußen dringt. Die Fakten sind erschütternd und zeigen, an welchen Maßstäben unsere Gesellschaft gemessen werden muss.