Die Axt im Spukhaus

 

Dai­sy und ich führ­ten wie­der ein­mal eins un­se­rer be­lieb­ten Streit­ge­sprä­che. In die­sem Fall hat­te es we­gen der Le­bens­ver­si­che­rung an­ge­fan­gen; aber als wir mit dem The­ma durch wa­ren, ka­men wir au­to­ma­tisch in un­ser üb­li­ches Fahr­was­ser. Wir spiel­ten al­le bei­de un­se­re Trümp­fe mit der ge­wohn­ten Per­fek­ti­on aus.

»Warum kannst du dir nicht wie je­der an­de­re nor­ma­le Mensch ei­ne an­stän­di­ge Ar­beit ver­schaf­fen, an­statt Tag für Tag zu Hau­se zu sit­zen und auf der Schreib­ma­schi­ne her­um­zu­häm­mern?«

»Als ich dich ge­hei­ra­tet ha­be, mein Schatz, hast du ge­nau ge­wußt, daß ich Schrift­stel­ler bin. Wenn du so ver­ses­sen dar­auf bist, einen Mann mit ei­ner ›an­stän­di­gen Ar­beit‹ zu ha­ben, dann kann ich gar nicht ver­ste­hen, warum du nicht den ver­hin­der­ten As­sis­tenz­arzt, mit dem du dau­ernd her­um­ge­zo­gen bist, ge­hei­ra­tet hast. Dann hät­test du et­was Re­el­les. Und wenn du Lust hät­test, könn­test du ihn, so­oft du willst, an sei­nem Ar­beits­platz se­hen. Du könn­test ihn in der Würst­chen­bu­de beim Se­zie­ren von Bou­let­ten be­wun­dern.«

»Oh, du kannst dir dei­ne Über­heb­lich­keit spa­ren. Ge­or­ge wür­de zu­min­dest sein mög­lichs­tes tun, um für den nö­ti­gen Un­ter­halt zu sor­gen.«

»Das glau­be ich ger­ne. So­lan­ge ich ihn ken­ne, un­ter­hält er selbst mich präch­tig. Ich muß je­des­mal la­chen, wenn ich ihn se­he.«

»Ich weiß wirk­lich nicht, wor­auf du dir so schreck­lich viel ein­bil­dest. Du denkst im­mer, du bist et­was Bes­se­res. Und was steckt da­hin­ter? Nichts. Wir sind prak­tisch am Ver­hun­gern, aber du mußt dir un­be­dingt auf Ra­ten­zah­lun­gen ein neu­es Au­to kau­fen, da­mit du dei­nen Film­frit­zen im­po­nie­ren kannst. Mir kannst du wahr­lich nicht da­mit im­po­nie­ren. Und um dem al­lem die Kro­ne auf­zu­set­zen, muß­test du jetzt auch noch ei­ne Le­bens­ver­si­che­rung ab­schlie­ßen. Soll ich dir sa­gen, warum du das ge­tan hast? Nur um an­zu­ge­ben und dei­nen Freun­den zu be­wei­sen, was du doch für ein fa­bel­haf­ter und für­sorg­li­cher Ehe­mann bist. Ob du’s glaubst oder nicht: Ich wünsch­te, ich hät­te Ge­or­ge ge­hei­ra­tet. Er wür­de mir zu­min­dest nach Dienst­schluß ein paar von den Bou­let­ten mit­brin­gen, über die du dich lus­tig zu ma­chen be­liebst. Wo­von soll­te ich dei­ner Mei­nung nach le­ben? Viel­leicht von al­ten Farb­bän­dern?«

»Schon gut. Schon gut. Aber was soll ich denn, zum Teu­fel, ma­chen, wenn ich mein Zeug nicht ver­kau­fen kann? Ich ha­be fest mit die­ser Ver­trags­an­ge­le­gen­heit ge­rech­net. Soll ich mir jetzt das Le­ben neh­men, weil die Sa­che nicht ge­klappt hat? Geld, Geld – das ist das ein­zi­ge, wo­von du re­den kannst. Im­mer nör­gelst du an mir her­um. Was denkst du denn, wer ich bin? Viel­leicht ei­ne Gans, die gol­de­ne Ei­er legt?«

»Du hast mit die­sen letz­ten Ge­schich­ten, die du weg­ge­schickt hast, vie­le Ei­er ge­legt.«

»Lus­tig! Sehr lus­tig! Mir stinkt lang­sam der Dia­log in dei­nem zwei­ten Akt, Dai­sy.«

»Das ha­be ich schon lan­ge ge­merkt. Viel­leicht möch­test du ger­ne die Part­ner aus­wech­seln, wie? Viel­leicht wür­dest du lie­ber mit die­ser Jean­ne Co­rey ein Du­ett sin­gen, wie? Glaubst du, daß mir neu­lich abends bei Eds Par­ty ent­gan­gen ist, wie du um sie her­um­ge­wie­selt bist? Du hät­test beim Tan­zen nur dann noch dich­ter an sie her­an­kom­men kön­nen, wenn sie kein Kor­sett ge­tra­gen hät­te.«

»Ich ge­be dir den gu­ten Rat, Jean­ne aus dem Spiel zu las­sen.«

»So! Ich soll al­so Jean­ne aus dem Spiel las­sen! Dei­ne Frau darf den Na­men dei­ner Freun­din nicht in den Mund neh­men. Das ist ja groß­ar­tig! Es ist mir nichts Neu­es, daß du dich im­mer schnell an die Da­men her­an­ma­chst, mein Schatz, aber ich ha­be nicht ge­wußt, daß ihr schon so weit seid. Hast du ihr schon ge­sagt, daß sie dei­ne In­spi­ra­ti­on ist?«

»Ver­dammt noch mal, Dai­sy! Warum mußt du mir je­des Wort im Mun­de um­dre­hen?«

»So? Tue ich das? Warum läßt du sie nicht auch ver­si­chern? Bi­ga­mie­ver­si­che­rung – das wä­re mal et­was Neu­es!«

»Hör um Got­tes wil­len mit die­sem Un­sinn auf, Dai­sy! Ich muß sa­gen, das ist ein fei­ner Auf­takt für un­se­ren Hoch­zeits­tag.«

»Hoch­zeits­tag?«

»Heu­te ist doch der acht­zehn­te Mai. Oder nicht?«

»Der acht­zehn­te Mai …«

»Ja. Hier. – Al­te Spitz­maus!«

»Aber – Lieb­ling! Das ist ja ei­ne Hals­ket­te!«

»Hm – sieht fast so aus, nicht wahr? Ei­ne klei­ne Di­vi­den­de der Ehe­ak­ti­en …«

»O Gott, Lieb­ling – du hast das für mich ge­kauft … mit un­se­ren gan­zen Schul­den und …«

»Pst! Denk nicht dran, al­te Spitz­maus!«

»Lieb­ling, sie ist herr­lich.« Dai­sy um­arm­te mich stür­misch.

»Wir wol­len un­se­ren Streit ver­ges­sen, Dai­sy«, mur­mel­te ich ver­söhn­lich. »Dai­sy!« Ich grunz­te zu­frie­den.

»Un­ser Hoch­zeits­tag«, flüs­ter­te sie träu­me­risch. »Wie konn­te ich ihn nur ver­ges­sen!«

»Nun ja, ich ha­be ihn nicht ver­ges­sen, Dai­sy.«

»Nein?«

»Ich ha­be ge­dacht – ich ha­be mich ge­fragt, ob du wohl Lust hät­test, ins Au­to zu stei­gen und mit mir die Pren­tiss Road hin­un­ter­zu­fah­ren …«

»Du meinst wie da­mals … als wir durch­ge­brannt sind?«

»Hm …«

»Na­tür­lich, Lieb­ling, schreck­lich ger­ne. O Schatz, wo­her hast du nur die herr­li­che Ket­te?«

So war un­ser Le­ben. Dai­sy und ich hat­ten un­se­ren täg­li­chen Streit hin­ter uns. Nor­ma­ler­wei­se hielt uns der Streit in Schwung. Wir hat­ten uns schon so dar­an ge­wöhnt, daß wir et­was ver­mis­sen wür­den, wenn ein Tag ein­mal ganz ru­hig ver­lie­fe. Aber heu­te hat­te ich das Ge­fühl, daß wir zu weit ge­gan­gen wa­ren. Im Grun­de un­se­res Her­zens ver­stan­den wir uns recht gut. Der Him­mel moch­te wis­sen, warum wir uns un­ent­wegt strei­ten muß­ten. Aber da es jetzt schon mo­na­te­lang so ging, ver­lor es für mich all­mäh­lich den Reiz.

Als wir im Wa­gen sa­ßen und durch Wils­hi­re fuh­ren, um auf die Pren­tiss Road zu kom­men, at­me­te ich er­leich­tert auf und be­glück­wünsch­te mich zu die­sem Ein­fall. Dai­sy war glück­lich und ein we­nig sen­ti­men­tal. Dai­sy und ich hat­ten uns im­mer noch ei­ne gan­ze Men­ge zu sa­gen, aber es wi­der­strebt mir, un­se­re Un­ter­hal­tung wie­der­zu­ge­ben. Denn wenn Dai­sy zu­frie­den und gu­ter Lau­ne war, ver­fiel sie in ei­ne Art Ba­by­spra­che, die ich ein­fach nicht mehr ver­tra­gen konn­te. Sie merk­te gar nicht, wie sehr sie mir da­mit auf die Ner­ven fiel.

Trotz­dem: Als wir jetzt durch die Ge­gend fuh­ren, wa­ren wir bei­de ir­gend­wie glück­lich. Ich re­de­te mir ein, daß es wie in al­ten Zei­ten wä­re. Ich bil­de­te mir ein, daß wir wirk­lich noch die­sel­ben ›Kin­der‹ wä­ren, die durch­brann­ten und sich da­bei heim­lich ins Fäust­chen lach­ten … ich hat­te ge­ra­de mei­ne ers­te Se­rie an ei­ne Agen­tur ver­kauft und hol­te Dai­sy von dem Kos­me­tik­sa­lon, in dem sie ar­bei­te­te, ab … kei­ne Men­schen­see­le wuß­te, daß wir auf dem Weg nach Va­los wa­ren, um uns trau­en zu las­sen … es war die­sel­be Stra­ße … das glei­che Früh­lings­wet­ter … und Dai­sy ku­schel­te sich ge­nau wie da­mals an mich … Und doch war es nicht das­sel­be.

Dai­sy war kein Kind mehr. Ihr Ge­sicht war noch ge­nau­so glatt wie da­mals, aber in ih­rer Stim­me war ein un­an­ge­neh­mes Kräch­zen. Ih­re Fi­gur war nicht fül­li­ger ge­wor­den, aber ihr Kopf war vol­ler quen­ge­li­ger Ge­dan­ken. Ich hat­te mich na­tür­lich auch ver­än­dert. Ich hat­te ein paar Sa­chen für das Fern­se­hen und den Film ge­schrie­ben und gut ver­kauft. Wir konn­ten uns sehr hübsch ein­rich­ten. Doch weil ich im Ge­schäft blei­ben woll­te, such­te ich die Par­ties und die Lo­ka­le auf, in de­nen die Großen vom Film und Fern­se­hen ver­kehr­ten. Und das kos­te­te Geld. Es war mir in letz­ter Zeit nicht ge­lun­gen, et­was zu ver­kau­fen, aber die Un­kos­ten stie­gen wei­ter an. Und so­bald ich zu Hau­se war und mich an ei­ne neue Ar­beit ma­chen woll­te, kam Dai­sy da­her und nahm mir mit ih­ren ewi­gen Nör­ge­lei­en je­den Schwung. Warum brauch­ten wir un­be­dingt ein neu­es Au­to? Warum muß­ten wir so viel Mie­te zah­len? Muß­ten wir un­be­dingt jetzt ei­ne Le­bens­ver­si­che­rung ab­schlie­ßen? War es nö­tig, daß ich mir drei An­zü­ge auf ein­mal kauf­te?

Aber als ich ihr ei­ne Hals­ket­te kauf­te, ze­ter­te sie nicht. Wer soll die Lo­gik ei­ner Frau ver­ste­hen?

Ich wisch­te die­se Ge­dan­ken bei­sei­te. Heu­te woll­te ich al­les ver­ges­sen. Ich woll­te we­der an die un­be­zahl­ten Rech­nun­gen noch an Dai­sys Nör­geln noch an Jean­ne den­ken. Ich muß zu­ge­ben, daß mir letz­te­res be­son­ders schwer­fiel. Von Jean­ne strahl­te Ru­he aus, sie hat­te ein ei­ge­nes Ein­kom­men, und sie hielt die Ba­by­spra­che für tö­richt. Nun ja.

Wir ka­men auf die Pren­tiss Road und schlu­gen die al­te Rich­tung ein. Ich ver­such­te das Selbst­mit­leid, das mich be­fal­len hat­te, zu un­ter­drücken und in Stim­mung zu kom­men.

Ich schau­te Dai­sy aus den Au­gen­win­keln an. Sie war glück­lich. Dar­über konn­te über­haupt kein Zwei­fel be­ste­hen. Wir hat­ten einen klei­nen Kof­fer da­bei. Oh­ne daß wir dar­über ge­spro­chen hat­ten, wuß­ten wir bei­de, daß wir in dem Ho­tel in Va­los über­nach­ten wür­den, das wir vor drei Jah­ren nach un­se­rer Hoch­zeit auf­ge­sucht hat­ten.

Drei Jah­re! Drei ein­tö­ni­ge Jah­re vol­ler Nör­ge­lei­en!

Un­sinn. Dar­an woll­te ich nicht den­ken.

Es war ge­schei­ter, Dai­sys hüb­sche blon­de Lo­cken, die in der Nach­mit­tags­son­ne schim­mer­ten, an­zu­schau­en oder aber die hüb­schen grü­nen Hü­gel, die in der­sel­ben Son­ne das­sel­be ta­ten. Es war Früh­ling! Es war der Früh­ling vor drei Jah­ren! Und das gan­ze Le­ben lag noch vor uns!

Wir fuh­ren wei­ter, und ih­re Fröh­lich­keit ver­scheuch­te mei­ne trü­ben Ge­dan­ken. Als sie auf die alt­be­kann­ten Zei­chen deu­te­te, nick­te ich oder grunz­te oder brumm­te ›hm‹.

Als es däm­mer­te, kam mir zum Be­wußt­sein, daß wir schon seit ei­ni­gen Stun­den fuh­ren. Und als die Däm­me­rung lang­sam in die Nacht über­ge­hen woll­te, hat­te ich das drin­gen­de Be­dürf­nis, mei­ne Bei­ne aus­zu­stre­cken und au­ßer­dem –

Da lag es vor uns. Die Ta­fel war nicht zu über­se­hen. Selbst wenn es mir ent­gan­gen wä­re, gab es im­mer noch Dai­sy, die in mein Ohr quäk­te: »Schau doch nur, Lieb­ling.«

Und der Lieb­ling schau­te auf die Ta­fel.

 

HABEN SIE STAR­KE NER­VEN?

DAS HAUS DES GRAU­ENS!

Be­su­chen Sie das ein­ma­li­ge Spuk­haus!

 

Dar­un­ter wa­ren in klei­ne­ren Buch­sta­ben wei­te­re Ver­lo­ckun­gen auf­ge­zählt.

»Fah­ren Sie nicht an Klu­vas Haus vor­bei! Se­hen Sie sich das Spuk­zim­mer an – und die Axt, die der wahn­sin­ni­ge Mör­der be­nutz­te! KEH­REN DIE TOTEN ZU­RÜCK? Ver­säu­men Sie nicht einen Be­such im HAUS DES GRAU­ENS! Sie wer­den es nicht be­reu­en! Ei­ne ein­ma­li­ge At­trak­ti­on! Ein­tritt 25 Cents.«

Ich konn­te das na­tür­lich nicht al­les le­sen, als wir mit hun­dert­fünf­zig Sa­chen an dem Schild vor­bei­braus­ten. Aber ich hat­te auf Dai­sys Bit­te hin ge­wen­det, und wäh­rend sie mir die In­schrift vor­las, schau­te ich auf das al­te, ver­wit­ter­te Holz­haus. Es sah nicht an­ders aus als Dut­zen­de an­de­rer Häu­ser, die an der Stra­ße la­gen und in de­nen an­geb­lich eben­falls Geis­ter, Ko­bol­de und Ge­spens­ter ihr Un­we­sen trie­ben. Die­se Stra­ße war da­für be­kannt, daß sich die Be­woh­ner – weil sie kei­ne Gast­stät­ten bau­en woll­ten – als Geis­ter­be­schwö­rer aus­ga­ben, um da­mit den Tou­ris­ten Geld aus der Ta­sche zu lo­cken. Die­ser Bur­sche hier stell­te es be­son­ders ge­schickt an. Er hat­te sich et­was Be­son­de­res ein­fal­len las­sen.

Das dach­te je­den­falls ich. Wie nicht an­ders zu er­war­ten, dach­te Dai­sy aber et­was an­de­res.

»Lieb­ling, laß uns da hin­ein­ge­hen.«

»Was?«

»Ich bin vom lan­gen Sit­zen schon ganz steif. Viel­leicht gibt es da auch Würst­chen oder so et­was. Ich ha­be Hun­ger.«

Nun ja. Das war Dai­sy. Dai­sy, die Sa­dis­tin. Dai­sy, der Fan von Gru­sel­fil­men. Sie konn­te mich mit ih­rem Ge­re­de über hei­ße Würst­chen nicht einen Au­gen­blick lang zum Nar­ren hal­ten. Ich kann­te doch mei­ne lie­be Frau und ih­ren et­was ei­gen­ar­ti­gen Ge­schmack. Sie war ein­fach sen­sa­ti­ons­hung­rig. Kurz nach der Hoch­zeit ließ sie al­le Schran­ken fal­len und las mir schon zum Früh­stück die Be­rich­te über die gräß­lichs­ten Mor­de vor. Über­all im Haus la­gen ih­re Zeit­schrif­ten mit Schre­ckens­ge­schich­ten her­um. Und bald dar­auf schleif­te sie mich von ei­nem Gru­sel­film zum an­de­ren. Da ich ein gut­mü­ti­ger Mensch bin, nahm ich es schwei­gend hin. Au­ßer­dem merk­te sie gar nicht, wenn ich im Ki­no sanft ent­schlum­mer­te. Aber ih­re Be­geis­te­rung für die­se Din­ge nahm von Wo­che zu Wo­che zu. In­zwi­schen war es so weit, daß ich, wenn ich die Au­gen schloß, ih­re dröh­nen­de Stim­me her­auf­be­schwö­ren konn­te; die­se Stim­me, die vor Auf­re­gung un­ter­drückt vi­brier­te, wenn sie mir et­was von ei­ner zer­stückel­ten Lei­che oder ei­nem an­de­ren nied­li­chen Mord vor­las.

Für ih­ren Ge­schmack konn­te of­fen­sicht­lich nichts zu grau­sam sein.

Hier hat­ten wir nun einen al­ten Schup­pen vor uns, der auch in sei­ner Blü­te­zeit nicht viel bes­ser als ein Kuh­stall ge­wirkt ha­ben konn­te. Aber sie woll­te un­be­dingt hin­ein. Das Wort ›Spuk­haus‹ zog sie ma­gisch an. Viel­leicht lag da der Wurm in un­se­rer Ehe. Sie wür­de wahr­schein­lich ein zu­frie­de­nes Le­ben füh­ren, wenn ich zu Hau­se mit ei­ner schwar­zen Mas­ke her­um­lie­fe, hin und wie­der ein dump­fes Ge­heul aus­stie­ße und sie mit ei­nem Beil lieb­kos­te.

Ich starr­te mür­risch vor mich hin. »Viel­leicht sind die Würst­chen aus dem Fleisch der Lei­che ge­macht«, mur­mel­te ich sar­kas­tisch. Aber es war ei­ne ver­lo­re­ne Schlacht. Dai­sy drück­te schon die Klin­ke der Wagen­tür hin­un­ter. Das Lä­cheln auf ih­rem Ge­sicht ver­än­der­te ih­re Lip­pen merk­wür­dig. Es war das­sel­be Lä­cheln, das ih­re Lip­pen um­spiel­te, wenn Dai­sy Ein­zel­hei­ten über einen grau­sa­men Mord er­fuhr. Die­sen Aus­druck muß­te ei­ne hung­ri­ge Kat­ze ha­ben, die sich an ein ver­wun­de­tes Rot­kehl­chen her­an­schleicht.

Aber was soll­te es? Es wa­ren un­se­re zwei­ten Flit­ter­wo­chen. Ich hat­te mich ge­ra­de ent­schlos­sen, heu­te al­les an­de­re zu ver­ges­sen. Warum soll­te ich mich auf­re­gen? Auch wenn wir hier jetzt ei­ne hal­be Stun­de ver­trö­del­ten, blieb un­ser Ziel das Ho­tel in Va­los.

»Komm schon!«

Ich schreck­te aus mei­nen Ge­dan­ken hoch und sah, daß Dai­sy schon auf hal­b­em We­ge zu dem ver­wit­ter­ten Haus war. Ich stieg aus, schloß den Wa­gen ab und hol­te sie ein, ehe sie die düs­te­re Tür er­reicht hat­te. Die letz­ten schwa­chen Son­nen­strah­len gin­gen am Ho­ri­zont un­ter. Di­cke, dunkle Wol­ken scho­ben sich über den Him­mel.

Dai­sy be­gehr­te un­ge­dul­dig Ein­laß. Wie es sich für ein ech­tes Spuk­haus ge­hört, öff­ne­te sich die Tür erst nach ei­ner gan­zen Wei­le lang­sam und knar­rend. Auf die­ses Stich­wort hin streck­te sich uns ein un­heim­lich aus­se­hen­der Kopf ent­ge­gen, des­sen Lip­pen ein ir­res Ki­chern aus­stie­ßen. Das war es je­den­falls, was Dai­sy er­war­te­te. Es stand ihr auf dem Ge­sicht ge­schrie­ben.

Statt des­sen stand sie W. C. Fields ge­gen­über.

Na­tür­lich war es nicht der be­kann­te Ko­mi­ker sel­ber. Au­ßer­dem war bei ge­naue­rer Be­trach­tung sein Mund klei­ner und nicht ganz so rot. Das Ge­sicht war auch im gan­zen dün­ner. Aber an­sons­ten war die Ähn­lich­keit ver­blüf­fend. Er sprach auch im glei­chen Ton­fall.

»Ah – her­ein – nur zu. Herz­lich will­kom­men in Klu­vas Haus, mei­ne Freun­de. Herz­lich will­kom­men.«

Er ließ sei­ne Zi­gar­re von ei­nem Mund­win­kel in den an­deren rol­len. »Fünf­und­zwan­zig Cents, bit­te sehr. Vie­len Dank.«

Ehe wir uns ver­sa­hen, be­fan­den wir uns in dem dunklen Flur. Es war wirk­lich dun­kel, und es ließ sich nicht leug­nen, daß es muf­fig und mo­de­rig roch. Aber ich wuß­te trotz­dem so­fort, daß au­ßer Scha­ben in die­sem Haus ge­wiß nichts her­ums­puk­te. Un­ser Ko­mi­ker­freund müß­te sich schon den Mund fus­se­lig re­den, um mich ei­nes an­de­ren zu be­leh­ren. Aber was soll­te es? Das war Dai­sys Spuk­haus.

»Es ist schon reich­lich spät, aber ich den­ke doch, daß die Zeit noch aus­reicht, um Sie her­um­zu­füh­ren. Vor ei­ner Vier­tel­stun­de ha­be ich ge­ra­de mit ei­ner Rei­se­ge­sell­schaft einen Rund­gang ge­macht. Ein Hau­fen Leu­te – aus San Die­go, müs­sen Sie wis­sen. Die ha­ben die wei­te Rei­se nur ge­macht, um Klu­vas Haus zu be­sich­ti­gen. Sie wer­den al­so für Ihr Geld et­was zu se­hen be­kom­men.«

Schon gut, al­ter Kna­be, spar dir dei­ne Ein­lei­tung und mach’s kurz. Laß dei­ne Lei­chen an­tan­zen, ja­ge ein biß­chen elek­tri­schen Strom durch das al­te Ge­mäu­er, da­mit Dai­sy auf ih­re Kos­ten kommt und wir dann wei­ter­fah­ren kön­nen.

»Warum ist das ein Spuk­haus, und wie macht sich das Spu­ken be­merk­bar?« frag­te Dai­sy. Das wa­ren wie­der ein­mal ei­ni­ge ih­rer ori­gi­nel­len Fra­gen. Ich kann­te sie nur so geist­reich. Im­mer voll sprü­hen­der Ein­fäl­le!

»Das will ich Ih­nen ger­ne sa­gen, mei­ne Da­me. Das glei­che ha­ben mich schon vie­le Leu­te ge­fragt, und ich bin über­glück­lich, die Er­klä­rung ge­ben zu kön­nen. Ivan Klu­va ließ sich die­ses Haus bau­en. Ich weiß nicht, ob Sie sich noch an sei­nen Na­men er­in­nern. Er war ein rus­si­scher Film­re­gis­seur und ließ sich hier et­wa 1923, in den al­ten Stumm­film­zei­ten, nie­der. Das war kurz be­vor De­Mil­le mit dem Ton­film von sich re­den mach­te. Klu­va hat­te in Eu­ro­pa einen sehr gu­ten Ruf. Dar­um war man hier auch auf ihn scharf. Er be­kam einen gu­ten Ver­trag, ließ das Haus bau­en und leb­te hier zu­sam­men mit sei­ner Frau. Es gibt in der Film­ko­lo­nie nur noch we­ni­ge, die sich an den al­ten Ivan Klu­va er­in­nern, denn er kam nicht da­zu, auch nur in ei­nem ein­zi­gen Film Re­gie zu füh­ren.

Zu­erst ein­mal schloß er sich ei­ni­gen aus­län­di­schen Ge­heim­sek­ten an und be­trieb einen selt­sa­men Kult. Sie dür­fen nicht ver­ges­sen, daß das al­les sehr lan­ge her ist; aber da­mals gab es in Hol­ly­wood ei­ne Men­ge ko­mi­scher Käu­ze. Es war die Zeit der Pro­hi­bi­ti­on, der wil­den Par­ties, des sü­ßen Le­bens … es gab vie­le Rausch­gift­süch­ti­ge, und die übels­ten Skan­da­le wa­ren an der Ta­ges­ord­nung. Und da­bei ist vie­les nie­mals her­aus­ge­kom­men. Es gab Zau­be­rei und Teu­fel­s­an­be­tung. Das war ein ech­ter Kult – ganz an­ders als der Schwin­del, den die an­de­ren hier an der Stra­ße be­trei­ben … Und Klu­va schloß sich die­sem Kreis an.

Ich per­sön­lich glau­be, er war ein biß­chen ver­rückt – oder ist es dann all­mäh­lich ge­wor­den. Denn ei­nes Nachts – nach ir­gend­ei­ner Zu­sam­men­kunft hier – er­mor­de­te er sei­ne Frau. Und zwar oben in dem Zim­mer – in das wir gleich ge­hen wer­den –, an ei­ner Art Al­tar, den er selbst zu­sam­men­ge­bas­telt har­te. Er nahm ein­fach ei­ne Axt und hack­te ihr den Kopf ab. Dann ver­schwand er. Ein paar Ta­ge dar­auf kam die Po­li­zei. Sie fand na­tür­lich die Frau – aber ihn ha­ben sie nie er­wi­scht. Viel­leicht stürz­te er sich von ei­nem der Fel­sen, die hin­ter dem Haus sind, in die Tie­fe. Es geht das Ge­rücht um, daß er sei­ne Frau viel­leicht ge­op­fert hat­te, um zu ver­schwin­den. Da­mals wur­den ei­ne gan­ze Men­ge Leu­te um­ge­bracht, denn man sag­te von den Göt­tern oder Teu­feln, daß sie Men­schen­le­ben ver­lang­ten. Als Ge­gen­leis­tung ge­währ­ten sie den Op­fer­brin­gern ir­gend­ei­ne Gna­de – so zum Bei­spiel die Mög­lich­keit, von der Er­de zu ver­schwin­den. Das klingt al­les reich­lich ver­rückt. Aber fest­steht, daß die Po­li­zei hin­ter dem Al­tar ein selt­sa­mes Göt­zen­bild ge­fun­den hat­te, das ihr gar nicht ge­fiel und das sie nie der Öf­fent­lich­keit ge­zeigt hat. Sie ver­brann­te auch ei­ne gan­ze Men­ge Bü­cher und ei­gen­ar­ti­ge Ge­gen­stän­de, die sie hier fand. Und dann schaff­te sie es mit al­len Mit­teln, daß der gan­ze Teu­fels­kult aus Ka­li­for­ni­en ver­schwand.«

Un­ser Ko­mi­ker­freund rat­ter­te die­se ab­ge­dro­sche­ne Ge­schich­te so mo­no­ton her­un­ter, daß ich grin­sen muß­te. Nun bin ich zwar auch nur ein Schrei­ber von Gro­schen­ro­ma­nen, aber ich bil­de mir ein, daß ich, wenn ich mich da­mit be­fas­sen wür­de, ei­ne ein­falls­rei­che­re Ge­schich­te als die­se schlecht er­zähl­te Räu­ber­pis­to­le zu­sam­men­bau­en könn­te. Und ich könn­te sie ge­wiß wir­kungs­vol­ler von mir ge­ben als die­ser ko­mi­sche Zei­sig hier, der sich je­den Tag da­mit be­schäf­tig­te. Es klang so ab­ge­schmackt, so fad, so we­nig über­zeu­gend. Es war das lang­wei­ligs­te ›Schau­er­dra­ma‹, das mir je zu Oh­ren ge­kom­men war.

Oder –

Ich zuck­te un­will­kür­lich zu­sam­men – oder die Ge­schich­te stimm­te. Viel­leicht war das die ein­fachs­te Er­klä­rung. Bei ge­nau­er Be­trach­tung sprach auch bis jetzt noch nichts da­ge­gen. Denn was be­sag­te die Ge­schich­te denn bis jetzt? Nichts wei­ter, als daß ir­gend­ein Rus­se sei­ne Frau mit dem Beil er­schla­gen hat­te. So et­was pas­sier­te hin und wie­der. Und nicht nur bei den Rus­sen. Die Po­li­zei­ak­ten sind voll von sol­chen Din­gen. Un­ser Ko­mi­ker­freund hat­te nach dem Mord le­dig­lich das Haus er­wor­ben, sich die ›Spuk­ge­schich­te‹ aus den Fin­gern ge­so­gen und Ka­pi­tal dar­aus ge­schla­gen.

Ich schi­en mit mei­ner Ver­mu­tung recht zu ha­ben, denn der al­te Zwerg Na­se fuhr ge­ra­de fort:

»So kam es, mei­ne Freun­de, daß das Klu­va-Haus lan­ge Zeit leer und un­be­wohnt war. Das heißt, nicht ganz un­be­wohnt, denn ein Geist leb­te hier wei­ter. Der Geist von Mrs. Klu­va – der Da­me in Weiß.«

Pfui! Im­mer muß­te es ei­ne Da­me in Weiß sein. Warum zur Ab­wechs­lung nicht mal in Ro­sa oder Grün? Die Da­me in Weiß – das klang wie der Ti­tel ei­nes dritt­klas­si­gen Thea­ter­stückes. Aber das war wohl auch so ge­dacht, denn un­ser Ko­mi­ker­freund be­nahm sich dement­spre­chend. Er be­müh­te sich, sei­ne Stim­me zu dämp­fen, um sie wir­kungs­vol­ler klin­gen zu las­sen.

»Sie wan­dert Nacht für Nacht über den obe­ren Gang zum Mord­zim­mer. Ih­re auf­ge­schlitz­te Keh­le schim­mert im Mond­licht. Sie legt ihr Haupt wie­der auf den blut­über­ström­ten Block und emp­fängt er­neut die töd­li­chen Hie­be. Dann kehrt sie mit ei­nem qual­vol­len Stöh­nen in die dün­ne Luft zu­rück.«

Du meinst in die hei­ße Luft, al­ter Bur­sche, in die hei­ße Luft!

»Oh, wirk­lich?« Dai­sy seufz­te zu­frie­den.

»Wenn ich ge­sagt ha­be, daß das Haus die gan­ze Zeit über leer ge­stan­den hat, so stimmt das nicht ganz. Hin und wie­der sind an­fangs Va­ga­bun­den und Land­strei­cher in das Haus ein­ge­bro­chen, um einen Un­ter­schlupf für die Nacht zu fin­den. Sie blie­ben die­se ei­ne Nacht – und län­ger! Denn mor­gens fand man sie auf dem be­wuß­ten Hau­klotz … ih­re Keh­len wa­ren von der Mord­axt durch­schla­gen …«

Mir lag ei­ne bis­si­ge Be­mer­kung auf den Lip­pen. Doch dann sieg­te mein bes­se­res Ich. Warum soll­te ich Dai­sy den Spaß ver­der­ben? Ich sah doch, wel­che Freu­de ihr das Gan­ze mach­te. Ihr hing förm­lich vor Span­nung die Zun­ge aus dem Hals.

»Als sich das her­um­ge­spro­chen hat­te, kam kein Mensch mehr hier­her. Selbst die Va­ga­bun­den mach­ten einen großen Bo­gen um das Haus. Es ge­lang kei­nem Mak­ler, das Haus an den Mann zu brin­gen. Doch dann ha­be ich es ge­mie­tet. Mir war klar, daß die­se Ge­schich­te die Be­su­cher an­zie­hen wür­de, und, nun ja, of­fen­ge­stan­den, ich bin halt ein Ge­schäfts­mann.«

Gut, daß du das sagst, Bru­der. Ich hät­te dich sonst wo­mög­lich für einen Schwind­ler ge­hal­ten.

»Ich kann mir vor­stel­len, daß Sie jetzt ger­ne das Mord­zim­mer se­hen möch­ten. Bit­te fol­gen Sie mir. Hier ge­ra­de­aus – die Trep­pe hin­auf. Ich ha­be al­les so ge­las­sen, wie es war, und ich kann Ih­nen schon jetzt ver­si­chern, daß Sie mehr als in­ter­es­siert …«

Dai­sy zwick­te mich, als wir uns die dunklen Stu­fen hin­auf­tas­te­ten.

»O mein Gold­schatz, geht dir das nicht auch durch und durch?«

Ich kann es nicht aus­ste­hen, wenn man mich ›Gold­schatz‹ nennt. Au­ßer­dem frag­te ich mich ver­bis­sen, was mir wohl ›durch und durch‹ ge­hen soll­te. Es war ein­fach wi­der­lich, zu se­hen, wie Dai­sy von die­sem kom­plet­ten Un­sinn völ­lig hin­ge­ris­sen war. Der Mord hat­te es ihr so sehr an­ge­tan, daß ich sie im Au­gen­blick auch am liebs­ten er­mor­det hät­te. Wer weiß, was die­ser Klu­va erst für ei­ne Frau ge­habt hat­te!

Die Stu­fen knack­ten un­ter un­se­ren Fü­ßen, und als wir dem wat­scheln­den Witz­bold den Gang ent­lang folg­ten, tas­te­ten sich durch die ver­staub­ten Fens­ter ein paar düs­te­re Licht­strah­len. Drau­ßen muß­te sich ein be­acht­li­cher Wind auf­ge­macht ha­ben. Er fuhr durch die Fu­gen die­ses al­ten Schup­pens; die Bal­ken bo­gen sich stöh­nend.

Dai­sy ki­cher­te hys­te­risch. Im Ki­no pfleg­te sie mir im­mer die Är­mel­knöp­fe von mei­nem Jackett ab­zu­dre­hen, wenn das Un­ge­heu­er das Zim­mer be­trat, in dem das Mäd­chen schlief. Jetzt, im Mo­ment, war sie ge­nau­so auf­ge­regt.

Ich sel­ber war so auf­ge­regt wie ein ein­ge­leg­ter He­ring.

Un­ser Ko­mi­ker­freund öff­ne­te am En­de des Gan­ges ei­ne Tür. Er ver­schwand, und man hör­te ihn her­um­ru­mo­ren. Als er wie­der er­schi­en und uns auf­for­der­te, den Raum zu be­tre­ten, hat­te er ei­ne bren­nen­de Ker­ze in der Hand. Nun ja, das war schon ein biß­chen bes­ser. Das deu­te­te we­nigs­tens auf ei­ne ge­wis­se Phan­ta­sie un­se­res Freun­des hin. Ei­ne Ker­ze macht sich in der Dun­kel­heit im­mer recht gut. Ihr Schein wirft zu­cken­de Schat­ten ge­gen die Wän­de und be­wirkt, daß man den Ein­druck hat, als krö­chen in den Ecken ge­heim­nis­vol­le Ge­stal­ten her­um.

»Da wä­ren wir.« Er flüs­ter­te die­se Wor­te fast.

Da wä­ren wir al­so.

Nun kann man mir wahr­lich nicht nach­sa­gen, daß ich sehr sen­si­bel bin. Ich bin nicht ein­mal be­son­ders phan­ta­sie­be­gabt. Wenn Or­son Wel­les sei­ne ›Gru­sel­re­por­ta­gen‹ mit hei­se­rer Stim­me aus dem Ra­dio krächzt, es­se ich in al­ler See­len­ru­he mein Steak. Aber als ich jetzt die­sen Raum be­trat, wuß­te ich, daß nicht al­les an der Ge­schich­te Schwin­del sein konn­te. Die Luft roch förm­lich nach Mord. Die Schat­ten herrsch­ten über ei­nem To­ten­reich. Ei­ne Ei­ses­käl­te, die Käl­te ei­nes Lei­chen­hau­ses, um­gab mich. Die Ker­ze be­leuch­te­te zu­erst ein großes Bett in ei­ner Ecke und be­weg­te sich dann auf die Mit­te des Raum­es zu. Der fla­ckern­de Schein fiel auf einen rie­si­gen Hau­klotz. Der Mör­der­block.

Die­ser Hau­klotz wirk­te in ge­wis­ser Wei­se wie ein Al­tar. Im Hin­ter­grund wölb­te sich ei­ne Ni­sche um ihn, in der ich bei­na­he ei­ne Sta­tue zu se­hen glaub­te. Wie moch­te sie aus­ge­se­hen ha­ben? Wahr­schein­lich ei­ne ge­kreu­zig­te, an den Fü­ßen hän­gen­de Fle­der­maus. War das nicht das Sym­bol der Teu­fel­s­an­be­ter? Oder war es ein an­de­res und noch grau­en­haf­te­res Göt­zen­bild ge­we­sen? Ich wür­de es nie er­fah­ren. Die Po­li­zei moch­te gu­te Grün­de da­für ge­habt ha­ben, es so­fort zu ver­nich­ten. Aber der Hau­klotz war ge­blie­ben. Trotz des schwa­chen Ker­zen­lich­tes konn­te ich deut­lich er­ken­nen, wie ab­ge­nutzt die Ober­flä­che war. Tie­fe Ker­ben ver­lie­fen kreuz und quer über das gro­be Holz.

Dai­sy trat dicht an mich her­an, ich konn­te ihr Zit­tern füh­len.

Das war al­so Klu­vas Ge­mach. Klu­va, der Mann, der mit der einen Hand fest die Axt um­faß­te und mit der an­de­ren die angst­er­füll­te Frau auf den Hau­klotz preß­te. Ich konn­te mir vor­stel­len, wie in sei­nen Au­gen der Wahn­sinn leuch­te­te, als er die Axt hob …

»Hier hat Ivan Klu­va in der Nacht des zwölf­ten Ja­nu­ar neun­zehn­hun­dert­vier­und­zwan­zig sei­ne Frau mit ei­ner Axt …«

Der fet­te Mann stand bei der Tür, als er mit gleich­gül­ti­ger Stim­me sei­nen Re­frain sang. Ob­wohl ich das nun lang­sam auch schon wuß­te, er­tapp­te ich mich da­bei, in­ter­es­siert sei­nem Sings­ang zu lau­schen. Hier, in die­sem Zim­mer, wur­den sei­ne Wor­te zur Wirk­lich­keit. Es wa­ren nicht mehr die Phra­sen ei­nes Re­kla­me­schilds. Hier, in der Dun­kel­heit, hat­ten sie ei­ne Be­deu­tung. Es hat­te einen Mann und sei­ne Frau ge­ge­ben. Und einen Mord. ›Tod‹ ist ein Wort, über das man meis­tens in der Zei­tung hin­weg­liest. Aber es kommt der Tag, an dem sich ei­nem der Tod ge­gen­über­stellt, an dem er zur gräß­li­chen Wirk­lich­keit wird. Ähn­lich ist es mit Mord. Auch nichts wei­ter als ein Wort. Aber es be­deu­tet die Macht zu tö­ten. Aber manch­mal üben die Men­schen die­se Macht zu tö­ten, die nur den Göt­tern vor­be­hal­ten ist, aus. Sie ver­su­chen sich auf die­sel­be Stu­fe mit den Göt­tern zu stel­len. Sie neh­men je­man­dem das Le­ben. Von die­ser Vor­stel­lung geht et­was Un­ge­heu­er­li­ches aus.

Et­was an­de­res ist es mit ei­nem Schuß, der in plötz­li­cher geis­ti­ger Um­nach­tung ab­ge­feu­ert wird, ei­nem Mes­ser­stich aus Ra­se­rei, ei­nem Zwei­kampf im Irr­sinn des Krie­ges, ei­nem Un­fall, ei­nem Zu­sam­men­stoß – das al­les sind Din­ge, die das Le­ben lei­der mit sich bringt. Aber ein Mensch, ir­gend­ein Mensch, für den der Ge­dan­ke an den Tod nichts wei­ter als ein Re­chenexem­pel ist; der vor­sätz­lich und sorg­fäl­tig einen kalt­blü­ti­gen Mord plant …

Was moch­te da­mals in Klu­va vor­ge­gan­gen sein? Viel­leicht hat­te er ei­nes Ta­ges sei­ner Frau beim Mit­tages­sen ge­gen­über­ge­ses­sen und ge­dacht: Zwölf Uhr. Du hast noch fünf Stun­den zu le­ben, mei­ne Lie­be. Dir blei­ben nur noch fünf Stun­den! Kei­ne Men­schen­see­le weiß et­was da­von. Dei­ne Freun­de wis­sen es nicht. Selbst du weißt es nicht. Kei­ner weiß es – nur ich! Ich und der Tod. Und ich bin der Tod. Ja, ich bin für dich der Tod. Ich wer­de dei­nen Kör­per ver­nich­ten und dei­nen Geist aus­lö­schen. Ich bin dein Herr und Gott. Du bist nur für die­sen einen Au­gen­blick ge­bo­ren wor­den; du hast da­für ge­lebt, daß ich jetzt dein Schick­sal be­stim­men wer­de. Du hast nur exis­tiert, da­mit ich dich tö­ten kann.

Mei­ne Ge­dan­ken ge­rie­ten auf sehr ei­gen­ar­ti­ge We­ge. Aber dar­an wa­ren nur der Hau­klotz und die Axt schuld.

Ich glaub­te Klu­va deut­lich vor mir zu se­hen. »Komm mit nach oben, mei­ne Lie­be.« Er muß­te bei sei­nen Wor­ten in­ner­lich ge­grinst ha­ben. Und dann ging es hin­auf in das dunkle Zim­mer, in dem die Axt und der Klotz war­te­ten.

Ob er sei­ne Frau wohl ge­haßt hat­te? Wahr­schein­lich nicht. Wenn die Ge­schich­te stimm­te, hat­te er sie für einen be­stimm­ten Zweck ge­op­fert. Er muß­te ein Men­schen­le­ben op­fern. Es war ein­fach das Be­quems­te, gleich sei­ne ei­ge­ne Frau zu neh­men; sie war je­der­zeit griff­be­reit. Er muß­te statt Blut in sei­nen Adern Eis­was­ser ge­habt ha­ben.

Es war gar nicht so sehr die Ge­schich­te, die mich be­ein­druck­te, son­dern der Raum. Ich konn­te Klu­va in dem Raum spü­ren, und ich konn­te sie spü­ren …

Das war ko­misch, aber ich konn­te sie wirk­lich spü­ren. Nicht als ein We­sen aus Fleisch und Blut, son­dern als ei­ne zwin­gen­de Macht. Ei­ne ru­he­lo­se, zwin­gen­de Macht.

Ob­wohl ich mich nicht um­wand­te, wuß­te ich, daß hin­ter mei­nem Rücken ir­gend et­was vor sich ging. Et­was ver­barg sich in den tie­fen Schat­ten. Und et­was ver­barg sich un­ter den ein­ge­trock­ne­ten Blut­rinn­sa­len auf dem Hau­klotz. Ein ge­fes­sel­ter Geist.

Re­de­te der Al­te wei­ter oder hör­te ich sie?

»Hier bin ich ge­stor­ben. Hier hat­te al­les ein En­de. Ei­ne Mi­nu­te lang leb­te ich hier noch ah­nungs­los; die nächs­te er­füll­te mich mit töd­li­chem Grau­en. Es gab kein Ent­rin­nen. Die Axt saus­te auf ei­ne Keh­le nie­der, in der jun­ges Blut pul­sier­te. Jetzt war­te ich. Das ist mei­ne ein­zi­ge Re­van­che. Ich war­te auf an­de­re. Ich bin we­der ein men­schen­ähn­li­ches We­sen noch ein Geist – ich bin nur ei­ne Kraft, ei­ne Kraft, die in dem Au­gen­blick ent­stand, als mit dem Blut auch das Le­ben aus mei­ner Keh­le floß. Im Ster­ben fühl­te ich nur eins: Haß! Einen Haß, der mich über­lebt hat. Der Haß wur­de in dem Au­gen­blick ge­bo­ren, als ich mit vol­lem Be­wußt­sein die Un­ge­rech­tig­keit, die mir wi­der­fuhr, er­kann­te. Jetzt war­te ich. Hin und wie­der ha­be ich die Mög­lich­keit, mei­nem Haß freie Bahn zu las­sen.

Wenn ich an­de­re tö­te, schwillt mein Haß an und wird so stark, daß ich selbst für einen kur­z­en Mo­ment das Ge­fühl ha­be, wie­der zu le­ben. Nur wenn ich mich mei­nem star­ken Haß hin­ge­be, kann ich im To­de wei­ter­le­ben. Des­halb lie­ge ich stän­dig auf der Lau­er; hier, in die­sem Raum. Der­je­ni­ge, der sich hier zu lan­ge auf­hält, ist ver­lo­ren. Denn so­bald die Dun­kel­heit her­ein­bricht, pa­cke ich die Keh­len und schla­ge mit der Axt zu. Dann kann ich mich wie­der für kur­ze Zeit dem Rausch hin­ge­ben, wirk­lich zu le­ben.«

Mei­ne Ge­dan­ken ris­sen ab, und der Al­te schwieg eben­falls. Dann leuch­te­te er mit sei­ner Ker­ze plötz­lich et­was an, was ge­nau in mei­ner Blick­rich­tung war, et­was, das sich hin­ter der Ker­ze wie ein schwar­zer Schat­ten ab­hob.

Es war die Axt.

Ich fühl­te mehr als daß ich hör­te, wie Dai­sy ein lang­ge­zo­ge­nes »Oooh« aus­stieß. Ih­re blau­en Au­gen wur­den dun­kel vor Ent­set­zen. Ich hat­te wäh­rend der letz­ten Mi­nu­ten schon ei­ne gan­ze Men­ge ge­dacht und konn­te mir in et­wa vor­stel­len, wo­hin sie sich erst mit ih­rer blü­hen­den Phan­ta­sie ver­stie­gen hat­te.

Die­sen al­ten Zei­sig ließ das al­les kalt. Er war so gleich­gül­tig wie eh und je. Wahr­schein­lich ge­hör­te es zu sei­ner Rou­ti­ne, in die­sem Au­gen­blick die Axt mit der ros­ti­gen Klin­ge zu schwin­gen, aber mich hat­te es ge­packt: Ich konn­te mei­nen Blick nicht von der Schnei­de wen­den. Ich sah und hör­te nicht, was um mich her­um vor­ging. Für mich exis­tier­te nichts wei­ter als die­se Axt, das Sym­bol des To­des. Sie war der Kern­punkt der Ge­schich­te. Nicht der Mann oder die Frau. Nein, die Klin­ge die­ser teuf­li­schen Axt! Nichts auf der Welt war stär­ker als die­se Klin­ge. Kein Ver­stand, kei­ne Macht, kei­ne Lie­be und kein Haß könn­te ihr wi­der­ste­hen.

Als der Al­te jetzt die Axt her­ab­sau­sen ließ, schau­te ich auf Dai­sy, auf den Al­ten und wie­der auf Dai­sy, nur um meine fins­te­ren Ge­dan­ken zu ver­ban­nen. Dai­sy ver­dreh­te die Au­gen und mach­te den Ein­druck ei­nes an­ge­sto­che­nen Kal­bes.

Dann sack­te sie zu­sam­men.

Ich konn­te sie ge­ra­de noch auf­fan­gen.

Un­ser Zwerg Na­se schau­te ehr­lich über­rascht drein.

»Mei­ne Frau ist ohn­mäch­tig ge­wor­den«, mur­mel­te ich über­flüs­si­ger­wei­se.

Er blin­zel­te ver­blüfft. Er konn­te sich zu­erst kei­nen Grund für die Ohn­macht vor­stel­len. Aber dann leuch­te­te es ver­ständ­nis­voll in sei­nen Au­gen auf, und ich hät­te schwö­ren kön­nen, daß er sich ir­gend­wie ge­schmei­chelt fühl­te. Ich glau­be, er dach­te, daß es an sei­ner Ge­schich­te lag.

Ich fluch­te in­ner­lich. Das wür­de un­se­re gan­zen Plä­ne um­sto­ßen. Bis zum Abend­brot wür­den wir auf kei­nen Fall in Va­los sein.

»Kann sie sich ir­gend­wo ein biß­chen hin­le­gen?« frag­te ich. Als er sich su­chend um­schau­te, sag­te ich hef­tig: »O nein! Nicht in die­sem Raum!«

»Sie könn­te sich in das Schlaf­zim­mer mei­ner Frau le­gen«, schlug Zwerg Na­se vor. »Es ist am En­de des Gan­ges.«

Das Schlaf­zim­mer sei­ner Frau! Wie ha­ben wir’s denn? Hat­te er nicht ge­sagt, daß es kein Mensch wag­te, nach An­bruch der Dun­kel­heit hier zu blei­ben? Ver­damm­ter al­ter Schwind­ler!

Aber jetzt war kei­ne Zeit für Spitz­fin­dig­kei­ten. Ich rieb Dai­sys Hand­ge­len­ke und trug sie in das Zim­mer.

»Soll ich mei­ne Frau her­auf schi­cken, da­mit sie sich um sie küm­mert?« frag­te der nun­mehr be­sorg­te Ko­mi­ker.

»Ma­chen Sie sich kei­ne Um­stän­de. Ich krie­ge das schon hin. Ich weiß, wie ich sie in die­ser Ver­fas­sung be­han­deln muß. Sie wird öf­ter ohn­mäch­tig – sie ist ein biß­chen hys­te­risch, müs­sen Sie wis­sen. Aber sie wird sich ei­ne Wei­le aus­ru­hen müs­sen.«

Er ent­fern­te sich schlur­fend.

Ich saß flu­chend an Dai­sys Bett­rand. Ver­dammt! Das war ty­pisch für sie. Aber mein Flu­chen nütz­te jetzt herz­lich we­nig. Ich be­schloß, sie die Ohn­macht aus­schla­fen zu las­sen.

Ich tas­te­te mich über die dunkle Trep­pe nach un­ten. Schon auf hal­b­em We­ge hör­te ich ein ver­trau­tes Plad­dern auf dem Ve­ran­dad­ach. Aha, da kam al­so ei­ner der be­kann­ten Re­gen­güs­se der West­küs­te her­un­ter. Um mich zu ver­ge­wis­sern, schau­te ich aus der Tür. Und ich hat­te mich nicht ge­täuscht. Es goß in Strö­men und war zu­dem dun­kel wie bei ei­nem Welt­un­ter­gang. Fa­bel­haft!

Das paß­te al­les aus­ge­zeich­net zu­sam­men. Die Ku­lis­se war wie ge­schaf­fen für ein Me­lo­dra­ma: Da ich jah­re­lang in Gru­sel­fil­me ge­schleppt wor­den war, kann­te ich mich bes­tens aus. In die­sen Fil­men war es im­mer so wie jetzt hier:

Das jun­ge Paar wird durch ein Ge­wit­ter in ei­nem Spuk­haus auf­ge­hal­ten. Das Haus wird von ei­nem ge­heim­nis­vol­len Bö­se­wicht ver­wal­tet. (Viel­leicht war die­ser hier nicht so bö­se, aber das wür­de sich noch her­aus­stel­len.) Dann gibt es das be­rühm­te Spuk­zim­mer, in dem das Mäd­chen prompt in Ohn­macht fällt. Sie schläft dann in ei­nem Zim­mer ein, ist hilf­los und al­lei­ne. Dann beugt sich Bo­ris Kar­loff, der mit drei Pfund Pa­pier­ma­che ver­klei­det ist, über das ar­me Mäd­chen und macht ›Buh‹, wor­auf­hin das Mäd­chen mit ei­nem spit­zen Schrei auf­wacht. Die­sen Schrei hört im un­te­ren Ge­schoß ein zu­fäl­lig an­we­sen­der Kri­mi­nal­kom­missar und fragt ver­blüfft: »Was war denn das?« Es setzt ei­ne wil­de Jagd ein. Peng, Peng! Und Bo­ris Kar­loff fällt in ei­ne fins­te­re Gru­be. Das Mäd­chen be­kommt einen Schreck. Der jun­ge Mann be­kommt das Mäd­chen. Aus. Frie­de, Freu­de, Ei­er­ku­chen.

Ich hielt mich für sehr ge­scheit, als ich mich mit die­sem alt­be­kann­ten Film­sche­ma be­schäf­tig­te; doch als ich mich um­dreh­te und wie­der den dunklen Gang vor Au­gen hat­te, wuß­te ich, daß ich mit mei­nen Ge­dan­ken nur ein Ver­steck­spiel trieb. Aber ich woll­te mich dem Fins­te­ren und Kal­ten, das sich in mei­nem Ge­hirn breit­mach­te, nicht hin­ge­ben. Trotz­dem kreis­ten mei­ne Ge­dan­ken un­ent­wegt um Ivan Klu­va und sei­ne Frau, um das Spuk­zim­mer und die Axt. An­ge­nom­men, es gab wirk­lich einen Geist … Dai­sy lag oben al­lei­ne … Der Geist schlich in das Zim­mer, beug­te sich über Dai­sy und mur­mel­te –

»Ei­er und Schin­ken?«

»Was, zum –« Ich fuhr wie von der Ta­ran­tel ge­sto­chen her­um. Zwerg Na­se stand vor mir.

»Ich ha­be ge­fragt, ob Sie mit Ei­er und Schin­ken vor­lieb­neh­men wol­len. Es sieht drau­ßen reich­lich un­ge­müt­lich aus. Und ich dach­te, daß Sie, wäh­rend sich Ih­re Frau oben aus­ruht, viel­leicht Lust hät­ten, mei­ner Frau und mir beim Abend­brot Ge­sell­schaft zu leis­ten.«

Ich hät­te ihn um­ar­men und küs­sen kön­nen.

Er führ­te mich zum hin­te­ren Teil des Hau­ses. Sei­ne Frau sah ge­nau­so aus, wie ich sie mir vor­ge­stellt hat­te: Mit­te Vier­zig und ha­ger. Ihr Ge­sicht trug ei­ne Dul­der­mie­ne. Die Pri­vat­räu­me wa­ren so nett und ge­müt­lich ein­ge­rich­tet, daß ich et­was wie Re­spekt vor un­se­rem Ko­mi­ker be­kam. Die Show, die er vor den Be­su­chern ab­zog, moch­te noch so schlecht sein, aber er ver­stand zu le­ben Und sei­ne Frau war ei­ne aus­ge­zeich­ne­te Kö­chin.

Der Re­gen pras­sel­te ge­gen die Schei­ben. Der Sturm feg­te um das Haus. Was kann man sich Bes­se­res vor­stel­len als einen mol­li­gen, ge­müt­li­chen Raum? Man fühlt sich so ge­bor­gen.

Mrs. Keen­an – Zwerg Na­se stell­te sich selbst als Ho­mer Keen­an vor – frag­te, ob ich Dai­sy nicht et­was Ko­gnak hin­auf­brin­gen wol­le. Ich mur­mel­te, daß das doch nicht nö­tig sei, aber Keen­an spitz­te bei der Er­wäh­nung von Ko­gnak die Oh­ren und mein­te, wir könn­ten doch selbst einen zu uns neh­men. Er wür­de ge­schwind das Fläsch­chen ho­len. Das ›Fläsch­chen‹ er­wies sich als ein Drei­li­ter­krug und der ›Ko­gnak‹ als ein selbst­ge­brann­tes Teu­fels­zeug. Wir füll­ten un­se­re Glä­ser. Im Ver­lauf des Es­sens füll­ten wir sie wie­der. Und wie­der. Der Al­ko­hol ver­scheuch­te mei­ne fins­te­ren Ge­dan­ken – oder we­nigs­tens fast. Da es mir nicht ge­lang, mich ganz da­von frei­zu­ma­chen, ver­wi­ckel­te ich Ho­mer Keen­an in ein Ge­spräch. Bes­ser ei­ne lang­wei­li­ge Un­ter­hal­tung als boh­ren­de Ge­dan­ken!

»Als ich merk­te, daß das Jahr­markt­ge­schäft ein sin­ken­des Schiff ist, bin ich ab­ge­sprun­gen. Ich ha­be dann mal da und mal dort ein paar Dol­lar ver­dient; aber das war al­les nicht das Rich­ti­ge. Au­ßer­dem war mei­ne Frau von dem ewi­gen Her­um­zie­hen nicht so be­geis­tert. Dann ha­be ich zu­fäl­lig von die­sem Haus hier ge­hört. Die Sa­che ge­fiel mir, ich mie­te­te den Schup­pen und ver­schaff­te mir ei­ne Art Ge­wer­be­ge­neh­mi­gung, da­mit ich die Leu­te hier her­um­füh­ren kann. Es stimmt, daß es einen Ivan Klu­va ge­ge­ben hat, der in die­sem Haus sei­ne Frau um­ge­bracht hat. Die Axt und der Haublock sind auch echt. Die Geis­ter­ge­schich­te ist na­tür­lich ein Schwin­del. Aber die Leu­te wol­len so et­was hö­ren. An man­chem Wo­chen­en­de ha­be ich zehn Stun­den hin­ter­ein­an­der zu tun. Wir le­ben hier – noch et­was Ko­gnak? – äh, was woll­te ich sa­gen – zie­ren Sie sich nicht. Der Al­ko­hol ist ei­ne fei­ne Sa­che.« Das Teu­fels­zeug rann wie Feu­er durch mei­ne Keh­le. Was mein­te er da­mit, daß die Ge­schich­te ein Schwin­del war? Als ich den Raum be­tre­ten hat­te, hat­te ich den Mord ge­ro­chen. Ich hat­te sei­ne Ge­dan­ken ge­dacht. Und dann ih­re. Das Zim­mer war von ih­rem Haß er­füllt. Und wenn sie kein Geist war, was soll­te sie dann sein?

Aus dem al­len wa­ren doch mei­ne fins­te­ren Ge­dan­ken zu­sam­men­ge­setzt, die mir im Hirn kreis­ten; die Axt, der Haß und die ar­me Dai­sy, die oben hilf­los und al­lein lag. Mir schwirr­te der Kopf. Der Al­ko­hol lull­te mei­nen Geist ein. Aber doch wohl noch nicht ge­nug, denn ich dach­te im­mer­fort an Dai­sy. Mit ei­nem­mal pack­te mich die Angst so sehr, daß ich zu zit­tern an­fing. Wie konn­te ich hier un­ten nur so ru­hig sit­zen, wäh­rend Dai­sy oben al­lei­ne lag – ganz dicht ne­ben dem Mord­zim­mer, in dem der Hau­klotz und die Axt war­te­ten.

Ein schreck­li­cher Ver­dacht über­fiel mich. Ich muß­te so­fort zu ihr ge­hen.

Ich er­hob mich tau­melnd und mur­mel­te, daß ich nach ihr se­hen wol­le. Dann ras­te ich die dunkle Trep­pe hin­auf. Ich zit­ter­te am gan­zen Kör­per und be­ru­hig­te mich erst, als ich vor ih­rem Bett stand und sie fried­lich schlum­mernd da­lie­gen sah. Ihr Schlaf wirk­te völ­lig ge­löst. Sie lä­chel­te so­gar. Sie wuß­te nichts. Sie fürch­te­te sich nicht im min­des­ten vor Geis­tern und Äx­ten. Bei ih­rem An­blick über­kam mich ein son­der­ba­res Ge­fühl. Ich starr­te sie an. Ich starr­te sie so lan­ge an, bis ich wie­der die Kon­trol­le über mich ge­wann …

Als ich hin­un­ter­ging, muß­te ich das Ge­län­der um­klam­mern. Ich fühl­te, daß ich sturz­be­trun­ken war. Mit ei­ner ge­wis­sen Er­leich­te­rung stell­te ich fest, daß mein Geist so um­ne­belt war, daß für fins­te­re Ge­dan­ken kein Platz da war.

Keen­an hat­te un­se­re Glä­ser in der Zwi­schen­zeit wie­der ge­füllt. Als ich meins in ei­nem Zug leer­te, folg­te er mei­nem Bei­spiel und schenk­te dann er­neut ein.

Der Al­ko­hol lös­te mei­ne Zun­ge, und ich be­gann zu re­den. Die Wor­te spru­del­ten aus mei­nem Mund her­vor. Ich kam mir wie ei­ne Spu­le vor, die sich rasch ab­wi­ckel­te. Ich er­zähl­te von mei­nem Le­ben, von mei­ner Kar­rie­re und so­gar von mei­nem Le­ben mit Dai­sy. Ich re­de­te un­un­ter­bro­chen. Das war der ver­damm­te Al­ko­hol.

Ehe ich wuß­te, wie mir ge­sch­ah, leg­te ich so et­was wie ein ›Ge­ständ­nis‹ mit al­lem Drum und Dran ab. Ich er­zähl­te, wie die Din­ge zwi­schen Dai­sy und mir stan­den. Ich be­rich­te­te von un­se­ren un­sin­ni­gen Strei­te­rei­en, von ih­ren Nör­ge­lei­en, von all den Din­gen, die ihr nicht paß­ten, wie zum Bei­spiel un­ser neu­es Au­to, die Le­bens­ver­si­che­rung und Jean­ne Co­rey. Der Al­ko­hol hat­te mich so red­se­lig und rühr­se­lig ge­macht, daß ich nicht da­vor zu­rück­schreck­te, mich in Ein­zel­hei­ten zu er­ge­hen. Ich hack­te auf Dai­sy und ih­ren An­ge­wohn­hei­ten, die mich zur Ra­se­rei brach­ten, her­um. Dann fing ich an, von un­se­rer heu­ti­gen Fahrt zu re­den und von mei­nen Ge­dan­ken an die zwei­ten Flit­ter­wo­chen. Es muß dann mein In­stinkt ge­we­sen sein, der mich da­von ab­hielt, ab­so­lut wi­der­wär­tig und ekel­haft zu wer­den.

Keen­an ge­fiel sich zu­erst in der Rol­le des Beicht­va­ters und nahm die Hal­tung des ge­reif­ten, wei­sen äl­te­ren Man­nes an, doch schon kurz dar­auf fiel er in mein Kla­ge­lied ein und be­rich­te­te sei­ner­seits von ei­ni­gen nicht zu über­se­hen­den Un­zu­läng­lich­kei­ten sei­ner Frau. Als ich ihm von Dai­sys Vor­lie­be für Schau­er­ge­schich­ten er­zähl­te, zog er sei­ne Frau prompt mit ih­rer ei­ge­nen Schüch­tern­heit auf. Ob­wohl sie wüß­te, daß die gan­ze Ge­schich­te ein aus­ge­mach­ter Schwin­del wä­re, wür­de sie im­mer ängst­li­cher. Nichts könn­te sie da­zu brin­gen, nach An­bruch der Nacht in das be­wuß­te Zim­mer zu ge­hen – sie tat so, als gä­be es den Geist wirk­lich.

Mrs. Keen­an warf den Kopf in den Nacken und zisch­te är­ger­lich. Sie stritt das al­les ab. Sie wür­de selbst­ver­ständ­lich je­der­zeit nach oben ge­hen. Und mit je­der­zeit mein­te sie na­tür­lich auch nach An­bruch der Nacht!

»So? Und wie wä­re es zum Bei­spiel jetzt? Es ist fast Mit­ter­nacht. Warum bringst du der ar­men, kran­ken Frau nicht ei­ne Tas­se Kaf­fee hin­auf?« Keen­an sag­te das in ei­nem Ton­fall, als wol­le er Rot­käpp­chen zu der ar­men al­ten Groß­mut­ter schi­cken.

»Bit­te ma­chen Sie sich kei­ne Um­stän­de«, be­eil­te ich mich zu sa­gen. »Der Re­gen hat et­was nach­ge­las­sen. Ich wer­de nach oben ge­hen und mei­ne Frau ho­len. Wir kön­nen jetzt ge­trost wei­ter­fah­ren. Sie wis­sen doch, daß wir noch nach Va­los wol­len.«

»Den­ken Sie ja nicht, daß ich Angst ha­be«, mein­te Mrs. Keen­an stör­risch. Sie han­tier­te schon klap­pernd mit dem Kaf­fee­topf her­um. Ih­re Be­we­gun­gen wa­ren al­ler­dings ein biß­chen fah­rig, als sie ei­ne Tas­se füll­te.

»Daß ihr Män­ner nichts wei­ter könnt, als über eu­re Frau­en zu me­ckern. Ich wer­de es euch be­wei­sen!« Sie nahm die Tas­se und ging sehr auf­recht an ih­rem Mann vor­bei.

Mir wur­de auf ein­mal him­mel­angst.

Ich wur­de stock­nüch­tern.

»Keen­an«, flüs­ter­te ich.

»Was denn?«

»Wir müs­sen sie auf­hal­ten, Keen­an.«

»Aber warum denn?«

»Sind Sie nachts schon ein­mal nach oben ge­gan­gen?«

»’tür­lich nich«, lall­te er. »Wo­zu auch? Is­so stau­big. Muß aber den Dreck lie­gen­las­sen für die lie­ben Be-Be­su­cher. Was soll ich oben? Geh’ nachts nie rauf.«

»Wo­her wol­len Sie dann wis­sen, daß die Ge­schich­te nicht stimmt?« frag­te ich und beug­te mich vor.

»Was?«

»Ich mei­ne – viel­leicht gibt es einen Geist.«

»Quatsch!«

»Keen­an, ich ha­be oben et­was Un­heim­li­ches ge­spürt«, sag­te ich ein­dring­lich. »Sie ha­ben sich schon so sehr an den Raum ge­wöhnt, daß Sie nichts mer­ken. Aber ich ha­be es ge­fühlt

»Quatsch!«

Ich pack­te sei­nen Arm. »Kein Quatsch! Ich ha­be den Haß ei­ner Frau ge­fühlt, Keen­an. Den Haß ei­ner Frau!« Ich schrie fast.

Ich zerr­te den Wi­der­stre­ben­den vom Stuhl hoch und ver­such­te ihn auf den Gang hin­aus­zu­schie­ben. Ich muß­te ir­gend­wie sei­ne Frau auf­hal­ten. Mich über­kam ei­ne pa­ni­sche Angst.

»Der Raum ist von ei­ner un­aus­ge­spro­che­nen Dro­hung er­füllt.« Mei­ne Stim­me über­schlug sich fast, als ich ihm has­tig von mei­nen Ge­dan­ken, die ich mir nach­mit­tags über die to­te Frau ge­macht hat­te, be­rich­te­te. Die Frau, die ih­rem Mann ah­nungs­los in das Mord­zim­mer ge­folgt war und in der, in dem Au­gen­blick, als sie er­schla­gen wur­de, ein Haß ge­bo­ren wur­de, der ih­ren Kör­per über­lebt hat. Ein Haß, der sich im­mer wie­der Ge­nug­tu­ung ver­schaf­fen muß, ein Haß, der die Axt hoch­he­ben und nie­der­sau­sen läßt.

»Quatsch!«

»Las­sen Sie Ih­re Frau nicht hin­auf«, schrie ich wie von Sin­nen. »Hal­ten Sie sie auf!«

»Und was ist mit Ih­rer Frau?« ki­cher­te Keen­an. Er schiel­te mich von der Sei­te an und schi­en et­was zu über­le­gen. Dann ki­cher­te er wie­der und lall­te in sei­nem Suff: »Jetzt will ich Ih­nen mal was sa­sa­gen, was ich gar nich sa­gen woll­te. Iss näm­lich al­les Schwin­del.« Er zwin­ker­te mir ver­trau­ens­se­lig zu.

Ich ach­te­te nicht dar­auf, son­dern schob ihn wei­ter ener­gisch auf die Trep­pe zu.

Er wur­de lang­sam et­was nüch­ter­ner und schnauf­te. »Nun mal lang­sam! Ha­ben Sie nicht ge­hört, was ich ge­sagt ha­be? Es ist al­les Schwin­del! Nicht nur die Sa­che mit dem Geist! Nichts stimmt! Es hat nie­mals we­der einen Ivan Klu­va noch sei­ne Frau ge­ge­ben. Und es hat nie ein Mord statt­ge­fun­den. Den al­ten Hau­klotz hat­te ein Metz­ger aus­ran­giert. Und die Axt ge­hört mir. Kein Mord – kein Geist – nichts, wo­vor man sich fürch­ten müß­te. Nur ein üb­ler Scherz – der mir ’nen Hau­fen Dol­ler ein­bringt. Al­les ist Schwin­del!«

»Kom­men Sie!« schrie ich. Mei­ne ent­setz­li­chen Ge­dan­ken kehr­ten zu­rück und häm­mer­ten in mei­nem Hirn. Ich ver­such­te ihn die Trep­pe hin­auf­zu­zie­hen und hat­te doch die schreck­li­che Er­kennt­nis, daß es zu spät war. Aber ich muß­te ein­fach ir­gend et­was un­ter­neh­men …

Dann schrie sie.

Ich hör­te es.

Ich hör­te, wie sie aus dem Zim­mer stürz­te und den Gang ent­langrann­te. Als sie den Trep­pen­ab­satz er­reicht hat­te, schrie sie wie­der. Dann ver­wan­del­te sich ihr Schrei­en in ein Gur­geln und Rö­cheln. Wir konn­ten nichts se­hen, denn oben war es dun­kel. Doch dann wank­te ih­re Sil­hou­et­te aus der Dun­kel­heit. Sie schi­en einen Mo­ment zu er­star­ren, dann sack­te ihr Kör­per zu­sam­men, und sie roll­te und pol­ter­te die Trep­pe her­un­ter. Es klang, als hüp­fe ein schwe­rer großer Gum­mi­ball von Stu­fe zu Stu­fe. Aber es war kein Gum­mi­ball! Es war Keen­ans Frau, die vor un­se­ren Fü­ßen lie­gen­blieb. Die Axt steck­te im­mer noch in ih­rer Keh­le.

In die­sem Au­gen­blick hät­te ich mich um­dre­hen und da­von­lau­fen sol­len, aber ir­gend et­was in mei­nem In­nern zwang mich zu blei­ben. Ich stand wie zur Salz­säu­le er­starrt ne­ben Keen­an, der auf den Kör­per sei­ner Frau hin­abblick­te.

Dann brach es wirr und un­zu­sam­men­hän­gend aus mir her­vor.

»Ich ha­be sie ge­haßt – Sie kön­nen sich nicht vor­stel­len, wie einen die vie­len Klei­nig­kei­ten zum Wahn­sinn trei­ben kön­nen – und Jean­ne war­tet – und die Le­bens­ver­si­che­rung – wahr­schein­lich hät­te ich es in Va­los ge­tan – hier war es fast ein Un­fall. Noch bes­ser – viel bes­ser –«

Doch Keen­an hör­te nichts von al­le­dem. »Es gibt hier kei­nen Geist«, mur­mel­te er. »Es gibt hier kei­nen Geist.« Er starr­te fas­sungs­los auf die ge­spal­te­ne Keh­le.

»Als ich die Axt sah und sie dann ohn­mäch­tig wur­de, über­kam es mich mit al­ler Macht … Ich hät­te so lan­ge ge­war­tet, bis Sie völ­lig be­trun­ken ge­we­sen wä­ren … dann hät­te ich sie hin­aus­ge­schafft … Sie hät­ten nie er­fah­ren …«

»Was hat mei­ne Frau ge­tö­tet?« flüs­ter­te er hei­ser. »Es gibt hier kei­nen Geist.«

Ich muß­te wie­der an mei­ne Theo­rie den­ken, nach der der Haß ei­ner Frau den Tod über­le­ben kann und durch stän­di­ge Aus­übung ei­ner Art Ver­gel­tung und Ra­che wei­ter­e­xis­tiert. Ich sah in Ge­dan­ken, wie der kör­per­lo­se Haß die Axt er­grif­fen und zu­ge­schla­gen hat­te. Ich sah, wie Mrs. Keen­an dann zu Bo­den ge­sun­ken war …

Als ich den Blick hob und in die grin­sen­de Dun­kel­heit starr­te, fol­ter­te mich mein Ge­hirn. Es quäl­te mich, bis ich dem Zwang, zu spre­chen, nicht wi­der­ste­hen konn­te.

»Es gibt fort­an einen Geist hier«, krächz­te ich. »Als ich hin­auf­ging, um nach Dai­sy zu se­hen, ha­be ich die Axt ge­nom­men und sie er­schla­gen, müs­sen Sie wis­sen …«