Mr. Steinway
Als ich Leo zum erstenmal sah, dachte ich, daß er tot wäre.
Seine Haare waren so schwarz und seine Haut war so weiß. In meinem ganzen Leben habe ich noch keine Hände gesehen, die so durchsichtig und dürr waren. Sie lagen auf seiner Brust gefaltet und verbargen den Rhythmus seines Herzschlages.
Irgend etwas stieß mich ab. Irgend etwas, was ich schwer in Worte fassen kann. Ich glaube, es lag an seinem Gesicht. Es drückte eine Leere aus, die mich erschaudern ließ. Sein Gesicht glich einer Totenmaske, die man zu spät gemacht hatte, denn es fehlte jede Spur einer Persönlichkeit. Mich fröstelte, als ich auf ihn hinunterschaute, und ich zog instinktiv den Mantel fester um mich. Nach einem letzten kurzen Blick wandte ich mich ab und wollte gehen.
Aber in diesem Augenblick öffnete er die Augen, und ich verliebte mich unsterblich in ihn.
Er richtete sich auf, schwang seine Beine von dem riesigen Sofa, grinste mich an und erhob sich. Ich glaube wenigstens, daß er das tat. Denn das einzige, was ich mit Bewußtsein in mich aufnahm, war der Blick seiner braunen, warmen Augen, der durch mich hindurchging und sich mit Macht in mein Herz bohrte.
Ich weiß genau, wie das klingt und was Sie denken. Aber ich bin kein Schulmädchen und ich führe kein Tagebuch, und es ist viele, viele Jahre her, seitdem ich mich zum letztenmal Hals über Kopf verliebt habe. Und ich war absolut sicher, daß ich seit einiger Zeit über diesen verrückten Dingen stehe.
Aber – als er die Augen öffnete, spürte ich die Liebe auf den ersten Blick.
Harry stellte mich jetzt vor.
»… Dorothy Endicott. Sie hat Sie in der letzten Woche in Detroit spielen hören und wollte Sie gerne kennenlernen. Dorothy – das ist Leo Winston.«
Er war ziemlich groß. Er machte eine Art Verbeugung; oder besser gesagt, er neigte leicht seinen Kopf, ohne dabei den Blick von mir zu wenden. Ich weiß wirklich nicht, was er sagte. Wahrscheinlich »Angenehm« oder »Ich bin entzückt« oder »Es freut mich, Sie kennenzulernen.« Das war auch unwichtig. Es war sein Blick, der mich faszinierte.
Ich machte alles falsch, was man nur falsch machen kann. Ich lief rot an. Ich kicherte. Ich sagte, wie sehr ich sein Spiel bewundere. Ich wiederholte mich und kam ins Stottern, als ich es bemerkte.
Nur eins machte ich richtig. Ich erwiderte seinen Blick. Während Harry wortreich erklärte, daß wir zufällig vorbeigekommen wären und gar nicht die Absicht gehabt hätten, ihn zu stören, aber doch hereingekommen wären, weil die Tür offenstand, schaute ich ihn unverwandt an. Und Harry redete pausenlos weiter. Daß er Leo daran erinnern wollte, den Flügel morgen rechtzeitig zum Konzertsaal schaffen zu lassen und daß, nach den letzten Berichten, der Kartenvorverkauf sehr erfolgreich wäre. Und jetzt müßte er, Harry, sich darum kümmern, daß die Ankündigungen für das morgige Konzert in den Zeitungen auch richtig placiert würden, also –
»Schön. Aber für Sie, Miss Endicott, besteht doch kein Grund zur Eile, nicht wahr?«
Ich mußte zugeben, daß für mich absolut kein Grund zur Eile bestand.
Als Harry abschwirrte, zwinkerte er mir unmerklich zu. Ich blieb und unterhielt mich mit Leo Winston.
Ich habe keine Ahnung mehr, über was wir uns unterhalten haben. Ich glaube, daß nur Romanfiguren in der Lage sind, auch die längsten Unterhaltungen wörtlich wiederzugeben. Und für meine Begriffe ist es ein Wunder, daß diesen Personen dabei nicht der kleinste grammatikalische Fehler unterläuft.
Aber irgendwie erfuhr ich aus diesem Gespräch, daß er eigentlich Leo Weinstein hieß … daß er einunddreißig Jahre alt war … daß er ledig war … daß er Siamkatzen liebte … daß er sich beim Skilaufen einmal das Bein gebrochen hatte … und daß er einen sehr trockenen Manhattan-Cocktail mochte.
Nachdem ich ihm alles von mir erzählt hatte, oder zumindest fast alles – aber ich bin sicher, daß er den Rest in meinen Augen gelesen hat –, fragte er mich, ob ich Mr. Steinway kennenlernen wolle. Natürlich wollte ich das. Leo Winston öffnete die Schiebetür zu einem anderen Zimmer.
Mr. Steinway beherrschte diesen Raum. Er war schwarz und auf Hochglanz poliert, und er lächelte mir mit seinen achtundachtzig Zähnen entgegen und hieß mich willkommen.
»Möchten Sie, daß Mr. Steinway etwas für Sie spielt?« fragte Leo. Ich nickte. Die Wärme, die mich durchströmte, hatte nichts mit den zwei Manhattan, die ich getrunken hatte, zu tun. Sie war durch die Formulierung seiner Frage in mir entstanden. Nur einmal in meinem Leben hatte ich ein ähnliches Gefühl gehabt. Damals war ich dreizehn, und Bill Prentice – in den ich verschossen war – hatte mich gefragt, ob ich zusehen wolle, wenn er mit einem Kopfsprung vom Fünfmeterturm ins Wasser springt.
Leo nahm Platz und tätschelte Mr. Steinways Pedal so, wie ich manchmal meine Katze Angkor tätschele. Und sie spielten für mich. Sie spielten ›Appassionata‹ aus dem ›Feuervogel‹ und etwas fremdartig Anmutendes von Prokofieff und danach ein paar Sachen von den beiden Schotten Cyril und Raymond. Ich glaube, daß Leo seine Vielseitigkeit demonstrieren wollte; aber vielleicht war es auch Mr. Steinways Idee. Wie dem auch sei, mir gefiel alles. Und ich drückte es voller Begeisterung aus.
»Ich bin sehr glücklich, daß Sie Mr. Steinway schätzen«, sagte Leo. »Er ist, wie jeder in meiner Familie, sehr sensibel. Und er ist ein Mitglied meiner Familie. Er gehört seit fast elf Jahren zu mir. Meine Mutter hat ihn mir geschenkt, als ich meinen ersten Konzertabend in der Carnegie Hall hatte .«
Leo stand auf. Er war mir sehr nahe, denn ich hatte seit der ›Appassionata‹ neben ihm gesessen. Deshalb konnte ich auch so genau seine Augen sehen, als er jetzt den schwarzen Deckel über Mr. Steinways Zähne klappte und sagte: »Ruhe dich ein wenig aus, bis sie kommen und dich holen.«
»Was ist los?« fragte ich. »Ist Mr. Steinway krank?«
»Keine Spur – er war selten so gut in Form.« Leo strahlte. Wie hatte ich ihn auch nur einen Augenblick lang für tot halten können, ihn, dessen Vitalität mich mitriß?
»Mr. Steinway begibt sich heute in die Konzerthalle«, erklärte Leo und schaute mir in die Augen. »Dort hat er morgen eine Verabredung mit mir und wird mit mir spielen. Dabei fällt mir etwas ein: Werden Sie kommen?«
Die einzige Antwort darauf wäre »dumme Frage« gewesen, aber ich hielt sie zurück. Ansonsten fiel mir die Zurückhaltung bei Leo schwer. Besonders, wenn er mich so anschaute wie jetzt. In seinen Augen stand ein unausgesprochenes Verlangen, und seine schmalen, langen Hände, die die Tasten so zart gestreichelt hatten, konnten auch so zart –
Ich denke, daß ich mich klar genug ausgedrückt habe.
Am nächsten Abend hätte mir jeder mein Glück vom Gesicht ablesen können. Nach dem Konzert gingen wir aus. Nur wir vier: Harry und seine Frau, Leo und ich. Und später gab es nur noch Leo und mich – bei Kerzenschein in seinem Appartement. Die Schiebetür zum anderen Raum stand offen. Alles wirkte etwas kahl und öde, weil Mr. Steinway nicht an seinem gewohnten Platz stand.
Wir betrachteten schweigend die Sterne über dem Central Park und schauten uns in die Augen, in denen sich der flackernde Glanz der Kerzen widerspiegelte. Was wir dachten und sagten und taten, ist nicht für andere Ohren oder Augen bestimmt.
Nachdem wir am nächsten Tag die Kritiken gelesen hatten, gingen wir im Park spazieren. Leo mußte warten, bis sie Mr. Steinway zurückbrachten. Mir war das sehr recht, denn es war herrlich, durch den Park zu schlendern. Jedem mußte es so gehen, der im Mai durch den Central Park spazierte. Das frische Grün an den Bäumen, der Sonnenschein, ein Lachen aus der Ferne und die laue Luft mußten die Herzen öffnen.
Nichts konnte diese Stimmung stören.
Nichts?
Leo schaute auf seine Armbanduhr. »Er müßte jetzt schon unterwegs sein«, sagte er und stand von der Bank auf. »Ich sollte wirklich zu Hause sein, wenn er kommt. Mr. Steinway ist zwar groß, aber er ist auch sehr empfindlich.«
Ich griff nach seiner Hand. »Gut, dann wollen wir gehen«, sagte ich.
Er runzelte die Stirn. Er kam mir etwas fremd vor, denn ich hatte ihn noch nie die Stirn runzeln sehen. »Es ist vielleicht besser, wenn du nicht mitkommst, Dorothy. Ich meine – weil der Transport über die Treppen so lange dauert. Und außerdem muß ich üben. Vergiß nicht, daß ich nächsten Freitag einen Abend in Boston gebe; und das bedeutet täglich vier Stunden Training. Mr. Steinway und ich müssen für das nächste Programm in Form sein. Wir geben ein Ravel-Konzert, und Mr. Steinway ist von Ravel nicht sehr begeistert. Uns bleibt auch nicht so sehr viel Zeit, denn Mr. Steinway wird sich schon Mittwoch morgen auf den Weg machen.«
»Soll das heißen, daß du mit Mr. Steinway auch auf Reisen gehst?«
»Aber natürlich. Wo ich hingehe, wird er auch hingehen. Seit Mutter ihn mir geschenkt hat, habe ich nie auf einem anderen Instrument gespielt. Wenn ich es täte, würde ich mich dabei nicht wohlfühlen. Außerdem bin ich sicher, daß es Mr. Steinway das Herz brechen würde.«
Mr. Steinways Herz
Es sah ganz so aus, als hätte ich einen Rivalen. Bei diesem Gedanken mußte ich lachen, und Leo stimmte in mein Lachen ein. Dann begab er sich zu seiner Arbeit, und ich ging in meine Wohnung. Ich wollte schlafen. Vielleicht würde ich auch träumen …
Um fünf Uhr nachmittags rief ich bei ihm an, aber er meldete sich nicht. Ich versuchte eine halbe Stunde lang ihn zu erreichen, dann segelte ich auf einer rosaroten Wolke zu seinem Appartement. Leo mußte von seiner Mutter, die ein ›offenes Haus‹ geführt hatte, die Angewohnheit übernommen haben, niemals die Tür zu verschließen. Ich nutzte diesen Umstand natürlich aus und schlich auf Zehenspitzen in die Wohnung, um Leo zu überraschen. Ich sah ihn in Gedanken am Flügel sitzen. Ich stellte mir vor, wie vertieft er in seine Arbeit war.
Aber nichts dergleichen. Mr. Steinway schwieg, und die Verbindungstür war geschlossen. Dafür wurde ich gleich im Vorraum überrascht.
Leo war wieder tot.
Er lag auf der riesigen Couch. Seine Blässe schimmerte durch das Dämmerlicht. Seine Augen waren geschlossen, seine Ohren waren geschlossen, und auch sein Herz schien verschlossen zu sein, bis ich mich über ihn beugte und meine warmen Lippen auf seinen kalten Mund preßte.
»Dorothy!«
»Spielst du wieder Dornröschen?« fragte ich lächelnd und fuhr ihm mit der Hand durch die Haare. »Was ist, Liebling? Hat dich das Üben ermüdet? Ich kann dir keinen Vorwurf machen, besonders, wenn man bedenkt –«
Es war im Zimmer noch nicht so dunkel, daß mir sein Stirnrunzeln entgehen konnte.
»Habe ich dich – erschreckt?« Dieser Satz konnte aus dem Drehbuch zu einem Kitschfilm stammen; aber die ganze Situation hatte mit einer Schnulze Ähnlichkeit. Der berühmte, begabte junge Pianist, der zwischen Liebe und Karriere hin- und hergerissen wurde, der von einem jungen Ding in seinem Streben nach künstlerischer Vollendung abgelenkt wurde … Er runzelte die Stirn, erhob sich und legte seine Hände auf meine Schultern. Die Kamera fuhr dicht heran, und er sagte in Großaufnahme:
»Dorothy, ich muß mit dir reden.« Aha, dachte ich, also hatte ich recht. Jetzt mußte es kommen; die berühmte Ansprache, daß die Kunst an erster Stelle steht, daß sich Arbeit und Liebe nicht vertragen – und daß daran auch die vergangene Nacht nichts geändert hätte. Ich schob die Unterlippe vor. Unter gewissen Umständen kann ich einen recht hübschen Schmollmund machen. Aber ich schwieg und war auf das vorbereitet, was er sagen würde.
Er sagte: »Was weißt du über die Sonnenwissenschaft, Dorothy?«
Ich riß die Augen auf und stotterte verdutzt: »Davon habe ich noch nie etwas gehört.«
»Das ist auch kein Wunder. Denn dieser Zweig der Psychologie hat sich bis heute noch nicht richtig durchgesetzt. Aber man sollte ihn nicht unterschätzen. Denn wenn man sich erst einmal mit dieser Materie beschäftigt, kann man sich den logischen Schlußfolgerungen nicht entziehen. Aber ich glaube, ich sollte dir das Ganze von Anfang an genau erklären, damit du es verstehst.«
Und er erklärte mir es genau. Ich bemühte mich ernsthaft, ihn zu verstehen. Aber nachdem er wohl eine Stunde lang geredet haben mochte, hatte ich im Endeffekt recht wenig begriffen.
Auf alle Fälle schien sich schon seine Mutter lebhaft für die Sonnenwissenschaft interessiert zu haben. Und um mit dieser Wissenschaft vertraut zu werden, mußte man offensichtlich in eine Art Meditation versinken, die mit gewissen Yoga-Übungen Ähnlichkeit hatte. Seine Mutter hatte ein Jahr vor ihrem Tode damit angefangen. Und nun experimentierte Leo seit vier Jahren alleine an dieser Geschichte herum. Man konnte dem Kernpunkt dieser Lehre nur im Trancezustand näherkommen. Der Erfolg hing von der eigenen Konzentration ab. Aber wenn ich Leo recht verstanden habe, müßte es eine mühelose, schwerelose Konzentration sein, die dem Innern entspringt und nach und nach ein ›absolutes Selbstbewußtsein‹ schafft.
Nach dieser Sonnenwissenschaft sollte es möglich sein, daß man sich seines eigenen Körpers so bewußt wird, daß man sich mit den Organen, den Zellen, dem Blut, den Knochen und Sehnen direkt in Verbindung setzen kann. Denn alles, bis hinunter zu den kleinsten Molekülen, besitzt eine eigene Schwingungsfrequenz und ist somit lebendig.
Leo widmete sich vier Stunden am Tag Mr. Steinway und beschäftigte sich mindestens zwei weitere Stunden mit der Sonnenwissenschaft und dem ›absoluten Selbstbewußtsein‹. Dieses System hätte bei ihm schon Wunder gewirkt, was sich auch bei seinem Spielen bemerkbar machen würde. Denn Entspannung, Erneuerung und Ruhe wäre der Weisheit letzter Schluß. Aber darüber würde er mir ein anderes Mal erzählen.
Und wie ich darüber dächte?
Offengestanden hatte ich überhaupt noch nicht darüber nachgedacht. Ich hatte wie jeder andere zwar schon von Telepathie, übernatürlichen Sinneswahrnehmungen und dergleichen gehört, aber mich herzlich wenig dafür interessiert. Ich habe diese Dinge immer mit den Witzblattzeichnungen von gewissen Psychiatern, Scharlatanen und alten Frauen, die in Glaskugeln starren, in Verbindung gebracht.
Es war etwas ganz anderes, Leo darüber sprechen zu hören, die Kraft seiner Überzeugung zu spüren. Er war felsenfest davon überzeugt, daß diese Meditation das einzige war, was ihn seit dem Tode seiner Mutter am Leben erhalten hatte.
Natürlich sagte ich ihm, daß ich alles verstehen und ihm niemals in diese Dinge dreinreden würde und daß ich nichts weiter wolle, als immer dann für ihn da zu sein, wenn er mich brauche. Zu diesem Zeitpunkt war ich von meinen eigenen Worten sehr überzeugt.
Ich war auch dann noch überzeugt, als ich ihn in den Tagen vor dem Bostoner Konzert immer nur etwa eine Stunde täglich sah.
Dann flog ich nach Boston, um das Konzert zu hören. Leo war hinreißend. Wir fuhren zusammen zurück. Und es gab keine Sonnenwissenschaft und keinen Mr. Steinway. Es gab nichts – außer uns beiden.
Bis zum Sonntag. Dann waren wir zu dritt. Mr. Steinway kam zurück.
Ich verzog mich in meine eigene Wohnung, aber nach dem Mittagessen eilte ich zu ihm zurück. Der Central Park schimmerte im Sonnenlicht, und der Glanz fand in meinem Herzen einen Widerhall. Das änderte sich schlagartig, als ich seine Wohnung betrat. Ich hörte, wie Mr. Steinway ächzte und knurrte und grollte und stöhnte. Ich raste zu Leo, und Mr. Steinway verstummte.
Leo runzelte die Stirn. Ich schien ein besonderes Talent zu entwickeln, immer im ungeeignetsten Moment zu erscheinen.
»Ich hatte dich jetzt noch nicht erwartet«, sagte Leo verstimmt, »ich war gerade dabei, etwas Neues zu entwickeln.«
»Das habe ich gehört. Was soll es werden, wenn es fertig ist?«
»Das ist im Augenblick unwichtig. Wolltest du heute nachmittag ausgehen?« Er sagte es in einem Tonfall, als würde er mein neues Kleid und meine neuen Schuhe, die ich mir gekauft hatte, um ihn zu überraschen, gar nicht bemerken. »Nein. Aber glaub mir, ich wollte nicht stören. Spiel nur weiter.«
Leo schüttelte den Kopf. Er starrte auf Mr. Steinway.
»Stört es dich, wenn ich bei deinen Proben dabei bin?«
Leo schaute nicht auf.
»Ich kann ja gehen«, murmelte ich. »Bitte versteh mich recht«, sagte er. »Es liegt nicht an mir – aber ich glaube, daß sich Mr. Steinway noch nicht so richtig an dich gewöhnt hat.«
Ich holte tief Luft. Das hätte nicht kommen dürfen. Das war zuviel. »Moment mal«, sagte ich kühl, soweit eine Explosion kühl sein kann, »was ist nun wieder los? Hat das etwas mit deiner Sonnenwissenschaft zu tun? Soll ich daraus schließen, daß du in Mr. Steinway ein lebendiges Wesen siehst? Ich gebe zu, daß ich nicht übermäßig klug bin und einigen deiner Gefühlsregungen nicht unbedingt folgen kann. Vielleicht ist es mir deshalb bis jetzt entgangen, daß Mr. Steinway eine eigene Persönlichkeit besitzt. Ich habe ihn eigentlich doch immer mehr oder weniger für einen Flügel gehalten. Nach deinen Worten müßte ich anfangen, seine Pedale mit meinen Beinen zu vergleichen.«
»Dorothy, bitte. …«
»Nichts ›Dorothy, bitte‹! Aber keine Bange: Dorothy wird in Gegenwart deines personifizierten Alptraums, oder was immer es sein mag, kein Wort mehr sprechen. Bist du nun zufrieden? Da sich Mr. Steinway noch nicht so recht an mich gewöhnt hat, kannst du ihm sagen, daß er mich …«
Irgendwie brachte es Leo fertig, mich aus der Wohnung in den Sonnenschein des Central Parks und in seine Arme zu bringen. Ich beruhigte mich. Seine Stimme war sanft, und die Vögel zwitscherten. Ich fühlte mich wohl und wollte alles andere vergessen.
Leos Stimme war auch dann noch sanft, als er sagte: »… du bist der Wahrheit sehr nahegekommen, Liebling. Ich weiß, daß es für jeden, der sich nicht mit dieser Materie beschäftigt hat, sehr schwer ist, es zu verstehen. Aber Mr. Steinway ist in gewisser Weise wirklich lebendig. Ich kann mich mit ihm verständigen, und er kann es mit mir.«
»Soll das heißen, daß du dich mit ihm unterhältst und daß er sich mit dir unterhält?«
Ich glaubte langsam, den Verstand zu verlieren, und hatte das dringende Bedürfnis, in die Wirklichkeit zurückzukehren. Ich atmete erleichtert auf, denn sein Lachen brachte mich in die Wirklichkeit zurück. Seine Worte hinwiederum waren nicht so sehr beruhigend.
»Ich kann mich natürlich nicht im üblichen Sinne mit ihm unterhalten. Die Verständigung geschieht über eine bestimmte Schwingungsfrequenz. Ich habe dir das System schon im Prinzip zu erklären versucht, Liebling. Ich möchte nicht, daß du mich für einen Schulmeister hältst, aber das Ganze ist wirklich eine Wissenschaft und keine versponnene Idee.
Hast du dir je überlegt, aus wieviel verschiedenen Materialien ein Flügel zusammengesetzt ist? Nein? Zum Bau eines solch empfindlichen Instrumentes sind Hunderte von Einzelteilen erforderlich. Wenn man sich diese Tatsache einmal vergegenwärtigt, könnte man einen Flügel auch als einen ›Musikroboter‹ bezeichnen. Zuerst einmal braucht man Dutzende von verschiedenen Hölzern, die im Alter sehr unterschiedlich sein müssen. Diese werden mit Filz, Häuten, Lack, Metall, Elfenbein und vielen anderen Dingen verarbeitet, wobei jeder einzelne Gegenstand eine bestimmte Schwingungsfrequenz besitzt. Das Ganze bildet dann eine zusammengefaßte eigene Schwingungsfrequenz, die man erfühlen muß, um sich mit ihm vertraut machen zu können.«
Mir schwirrte allmählich der Kopf. Aber ich bemühte mich krampfhaft, Leos Ausführungen zu folgen, um vielleicht doch irgendwo einen Sinn in dem Ganzen zu entdecken. Ich wollte zu gerne glauben, ganz einfach, weil Leo daran glaubte.
»Es ist ein Jammer«, fuhr Leo fort, »daß sich so wenig Menschen mit dieser Wissenschaft beschäftigen. Sie werden nie erfahren, wie lebendig unsere Umgebung ist. Sie sind so borniert, daß sie bei den sogenannten ›leblosen Dingen‹ eine Intelligenz für unmöglich halten.
Ich aber habe im Zusammenhang mit der Sonnenwissenschaft viel gelernt. Ich bin in der glücklichen Lage, mich mit diesen ›leblosen Dingen‹ in Verbindung setzen zu können. Wundert es dich, daß ich mich ganz besonders auf Mr. Steinway, der mit meinem Leben so eng verbunden ist, konzentriert habe? Es war nicht leicht, aber es ist mir gelungen, mit Mr. Steinway in Verbindung zu treten. Und ich kann dir versichern, daß diese Verständigung nicht einseitig ist.« Leo redete natürlich viel mehr, und er gebrauchte andere Formulierungen. Aber ich begriff den Sinn seiner Worte. Und im selben Augenblick wurde mir klar, daß mit Leo irgend etwas nicht stimmte.
»Es läßt sich nicht leugnen«, hörte ich ihn sagen, »aber Mr. Steinway hat wirklich eine eigene Persönlichkeit. Und diese Persönlichkeit steigert sich, je mehr ich in der Lage bin, mich mit ihm in Verbindung zu setzen. Wenn ich übe, übt Mr. Steinway. Wenn ich spiele, spielt Mr. Steinway. Im gewissen Sinne ist es Mr. Steinway, der eigentlich spielt. Ich bringe nur den Mechanismus in Gang. Ich weiß, Dorothy, daß es dir unglaubwürdig erscheint, wenn ich dir sage, daß sich Mr. Steinway weigert, gewisse Stücke zu spielen. Aber ich mache keinen Spaß. Es gibt auch einige Konzertsäle, die er nicht leiden kann. Er ist ein sensibler Künstler, aber glaube mir, er ist ein großer Künstler! Ich erkenne sein Talent genauso an, wie ich mich seinen Aversionen beuge.
Laß mir Zeit, Liebling – bis ich ihm deine Existenz und deine Rolle in meinem Leben vermittelt habe. Ich werde mich über seine Eifersucht hinwegsetzen; aber kannst du letzten Endes seine Eifersucht nicht verstehen? Warte, bis ich ihm über die Schwingungsfrequenz alles genau erklärt habe. Und halte mich bitte nicht für verrückt, Liebling. Glaube mir, ich leide nicht an Halluzinationen.«
Ich stand ruckartig auf. »Also gut, Leo, ich will dir glauben. Aber alles weitere liegt bei dir. Ich will dich nicht eher wiedersehen bis – bis du einiges geklärt hast.«
Meine hohen Absätze klapperten eilig über den mit Steinplatten belegten Weg. Er machte keine Anstalten, mir zu folgen. Eine dunkle Wolke verdeckte die Sonne. Ich zog die Schultern hoch und fröstelte plötzlich.
Ich ging schnurstracks zu Harry. Er war immerhin Leos Manager und sollte eigentlich Bescheid wissen. Aber ich merkte sehr rasch, daß Harry überhaupt nichts wußte. Deshalb verstummte ich auch abrupt, um nicht zuviel zu sagen. Nach Harrys Ansicht war Leo absolut normal.
»Es sei denn, du denkst an die Geschichte mit seiner Mutter«, meinte Harry nach einigem Nachdenken. »Der Tod der alten Dame hat ihn ganz schön mitgenommen. Du weißt, wie die Mütter von Stars sind. Sie hat jahrelang die Reklametrommel für ihren Sohn gerührt und alle unangenehmen Dinge von ihm ferngehalten – nebenbei gesagt, die angenehmen auch, denn Leo gehörte nur ihr allein. Und als sie dann plötzlich starb, war Leo eine Zeitlang völlig am Boden zerstört. Aber er hat sich längst wieder gefangen. Leo ist ein großartiger Künstler, und er ist immer mehr im Kommen.«
Soviel erfuhr ich von Harry. Es war weiß Gott nicht viel. Oder doch?
Es war immerhin so viel, daß ich auf meinem Nachhauseweg darüber nachdachte. Da gab es also den kleinen Leo Weinstein, das Wunderkind, und seine Mutter, die in anbetete. Sie hatte ihn gehegt und gepflegt, sie hatte ihn von allen Ablenkungen ferngehalten und darauf geachtet, daß er übte und sich weiterbildete. Sie hatte sich um alles gekümmert und alle Wege so für ihn geebnet, daß er völlig abhängig von ihr wurde. Und als dann der brave Knabe seinen ersten Konzertabend gab, hatte sie ihm Mr. Steinway geschenkt.
Natürlich war für Leo die Welt zusammengestürzt, als seine Mutter starb. Es gehörte nicht viel dazu, um sich das vorzustellen. Aber er begann in dem Augenblick wieder aufzuleben, als er sich an das Geschenk seiner Mutter klammerte. Mr. Steinway war in der Tat mehr als nur ein Flügel. Aber auf andere Art, als Leo es mir weiszumachen versuchte. Mr. Steinway nahm den Platz seiner Mutter ein. Und seine Persönlichkeit hatte weniger mit Schwingungsfrequenzen als mit einem Ödipuskomplex zu tun.
Ich sah jetzt alles in einem anderen Licht. Wenn Leo auf der Couch lag und den Eindruck eines Toten erweckte, dann kehrte er in seiner Phantasie in den Schoß seiner Mutter zurück. Und seine ›Verständigungsmöglichkeiten‹ mit leblosen Dingen war nichts weiter als der Versuch, mit seiner Mutter auch über das Grab hinaus in Verbindung zu bleiben.
So war es. So mußte es ganz einfach sein. Aber wie sollte ich gegen diesen Zustand ankämpfen? Ob die unsichtbaren Stränge nun von seiner Mutter oder von Mr. Steinway ausgingen – sie bildeten auf alle Fälle einen gordischen Knoten, den ich kaum zu lösen vermochte.
Als ich meine Wohnung erreichte, hatte ich mich auch zu einem Entschluß durchgerungen. Ich mußte Leo aus meinem Leben streichen. Es sei denn …
Er erwartete mich vor der Wohnungstür.
Es ist so einfach, logisch zu denken und nüchtern die Konsequenzen zu ziehen – wenn man allein ist. Aber dann nimmt einen jemand in seine Arme, und man fühlt, daß man dorthin gehört; und dann verspricht einem dieser Jemand, daß alles ganz anders werden wird, daß er sich ab sofort ändern wird, weil er einen liebt und nicht ohne einen leben kann. Wo bleibt die Logik und Nüchternheit, wenn die Dämmerung hereinbricht und später die Sterne funkelnd am nächtlichen Himmel stehen?
Ich muß jetzt sehr genau werden. Es ist wichtig, daß ich mich genau an die Tatsachen halte. Ich will Ihnen berichten, was am nächsten Nachmittag geschah, als ich zu ihm in seine Wohnung ging.
Die Tür war, wie immer, unverschlossen, und ich hatte irgendwie das Gefühl, nach Hause zu kommen. Ich hatte dieses Gefühl, bis ich sah, daß die Schiebetür zu dem anderen Raum geschlossen war, bis ich auf die Tür zuging, bis ich die Musik hörte … Leo und Mr. Steinway spielten wieder.
Wenn ich sage, daß ich die Musik hörte, so stimmt das nicht ganz. Genausowenig wie man den schrillen Angstschrei eines Menschen als Sprache bezeichnen würde. Wie soll ich mich ausdrücken? Die Töne, die vom Flügel her kamen, mußten mit den Lauten Ähnlichkeit haben, die Leo als Schwingungen bezeichnete. Mit einemmal glaubte ich Leo zu verstehen.
Ich hörte das Trompeten der Elefanten, ich hörte das Ächzen der Zweige im Nachtwind, das Splittern gefällter Bäume, das Zischen glühenden Metalls und wieder das Trompeten der Elefanten. Es waren keine Geräusche im eigentlichen Sinne. Es waren – Schwingungen. Die tote Materie war nicht mehr tot. Mr. Steinway lebte.
Als ich die Tür aufstieß, verebbten plötzlich die Geräusche. Mr. Steinway schwieg. Und er war allein.
Jawohl, er war allein. Ich täuschte mich nicht.
Und Leo saß in der äußersten Ecke des Zimmers. Er hockte zusammengesunken auf einem Stuhl und hatte wieder seine Totenmaske aufgesetzt.
Er konnte unmöglich in diesem Augenblick aufgehört haben zu spielen und durch das Zimmer gerast sein, um auf dem Stuhl zusammenzusinken. Und noch viel weniger konnte er das Allegro komponiert haben, das Mr. Steinway gespielt hatte.
Ich rüttelte Leo wach und sank in seine Arme. Ich erzählte ihm schluchzend, was ich gerade gehört hatte. Aber er zuckte nur die Achseln und murmelte: »So etwas kann vorkommen. Jetzt hast du es wenigstens einmal selbst erlebt. Glaubst du nun, daß Mr. Steinway existiert, daß er sich bemerkbar machen kann, daß er kein lebloses Ding, sondern eine eigene Persönlichkeit ist? Ich habe dir doch gesagt, daß es eine Verständigung auf Gegenseitigkeit ist. Er kann meine Kräfte anzapfen, um sich selber stark zu machen. Wenn ich mich gehenlasse, übernimmt er meine Funktion. Hast du es eben nicht selbst erlebt?«
Das hatte ich. Ich versuchte, meine Furcht zu unterdrücken und meiner Stimme Festigkeit zu verleihen. »Komm mit mir in das andere Zimmer«, sagte ich. »Jetzt. Sofort. Beeile dich und stelle keine Fragen.«
Ich wollte keine Fragen hören, weil ich ihm nicht eingestehen wollte, daß ich mich fürchtete, in Mr. Steinways Gegenwart zu sprechen. Denn Mr. Steinway konnte hören; und er war eifersüchtig.
Mr. Steinway sollte nicht hören, wie ich zu Leo sagte: »Du mußt ihn loswerden. Es ist mir völlig gleichgültig, ob er lebendig ist oder ob wir beide verrückt sind. Wichtig ist nur, daß du ihn loswirst. Und zwar sofort. Geh von ihm fort. Laßt uns zusammen davonlaufen.«
Er nickte. Aber damit gab ich mich nicht zufrieden.
»Hör mir genau zu, Leo«, sagte ich eindringlich. »Ich frage dich nur einmal, und du mußt dich gleich entscheiden. Willst du Mr. Steinway jetzt, heute noch, verlassen und mit mir gehen? Ich meine es ernst. Packe das Nötigste in einen Koffer und sei in einer halben Stunde in meiner Wohnung. Ich werde Harry anrufen und ihm irgend etwas erzählen. Das ist alles nicht so wichtig. Wichtig ist, daß wir von hier fortkommen. Ich fühle genau, daß wir keine Zeit zu verlieren haben.«
Als mich Leo anschaute, nahm sein Gesicht wieder den toten Ausdruck an. Ich holte tief Luft und wartete darauf, daß hinter mir wieder das schreckliche Tönen einsetzen würde. Aber nichts dergleichen geschah, und als ich Leo zwang, mir in die Augen zu blicken, kehrte in sein Gesicht die Farbe zurück, und er lächelte mich an. Als ich erleichtert aufatmete, sagte er:
»Ich bin in zwanzig Minuten bei dir. Mit meinem Gepäck.«
Alles würde in Ordnung kommen! Ich ging eilig die Treppen hinunter. Und alles war in Ordnung. Es war auch noch in Ordnung, als ich auf die Straße kam. Aber dann hörte ich auf einmal die Schwingungen meiner hohen Absätze. Mir wurde das Geräusch, das die Räder auf dem Pflaster machten, bewußt und das Singen der Telefondrähte im Wind. Das Klicken der Verkehrsampeln dröhnte in meinen Ohren. Ich erfaßte die Geräusche unter den Geräuschen. Die Stimme der Stadt hämmerte auf mich ein. Ich spürte die Qual des Asphalts, die Melancholie des Betons und die Pein des zersplitterten Holzes. Die einzelnen Materialien, aus denen meine Kleidungsstücke hergestellt waren, stöhnten und jammerten und erfüllten mich mit Entsetzen. Alles um mich herum wogte und war voller Schwingungen.
Nichts sah anders als vorher aus, aber alles hatte sich verändert. Denn die Welt war lebendig geworden. Gleichzeitig mit dieser Erkenntnis wurde mir auch der ungeheure Lebenskampf bewußt, den die einzelnen Materien ausfochten.
Meine Schritte waren lebendig geworden. Das Treppengeländer war eine endlos lange braune Schlange. Es tat dem Schlüssel weh, im Schloß umgedreht zu werden. Als ich den Koffer auf das Bett warf, schrien die Sprungfedern entrüstet auf, und die Kleider stöhnten, als ich sie in den protestierenden Koffer warf. Der Spiegel schimmerte silbern vor Qual, und der Lippenstift schrie, als er von meinen Lippen zerquetscht wurde. Ich würde nie, nie wieder etwas essen können. Denn was würde erst dann passieren!
Aber ich zwang mich, alles zu tun, was nötig war. Als ich auf meine Uhr blickte, versuchte ich nur das Ticken zu hören und nicht das Quietschen der Schrauben und das Murren des Metalls.
Die zwanzig Minuten mußten vergehen!
Aber ich stellte fest, daß bereits vierzig Minuten vergangen waren. Und ich hatte noch nicht einmal Harry angerufen. Der schwarze Hörer und die festgenagelten Telefondrähte am Boden verursachten mir Übelkeit.
Leo müßte längst hier sein!
Der Gedanke, wieder über die Straße zu gehen, war kaum zu ertragen. Aber die Angst um Leo war stärker als die Furcht vor der Straße.
Ich begab mich also wieder in die schäumende Symphonie, wo alle Geräusche Schwingungen waren und alle Schwingungen lebten. Als ich in Leos Wohnung trat, war alles dunkel.
Alles war dunkel bis auf Mr. Steinways Zähne, die wie Stoßzähne eines Elefanten aus einem Wald von Ebenholz und Teak schimmerten. Es war unmöglich, daß Leo Mr. Steinway von dem hinteren Zimmer in den vorderen Raum geschoben hatte. Außerdem haßte Leo Chopin. Er würde nicht im Dunkeln sitzen und den Trauermarsch spielen …
Auf Mr. Steinways Zähnen hatten sich kleine Tropfen gebildet, die ebenfalls glitzerten. Und Mr. Steinways schwere Füße waren feucht. Ich konnte diese Füße immer deutlicher sehen, denn Mr. Steinway rollte und rumpelte langsam, aber unaufhörlich durch den Raum auf mich zu. Er spielte und spielte dabei und wollte mir sagen: ›Mach die Augen auf und schau, schau, schau.‹ Und ich sah Leo auf dem Boden. Er war tot. Wirklich tot. Alle Macht war jetzt in Mr. Steinway vereint. Die Macht zu spielen, die Macht zu leben, die Macht zu töten …
Ja, es ist wahr. Ich habe nach den Streichhölzern gegriffen und den Schwefel befreit. Ich habe das Feuer angezündet, damit das Knistern alle Schwingungen auslöschen sollte. Es war eine Erleichterung und Wohltat zu sehen, wie Mr. Steinway seine achtundachtzig Zähne fletschte, und zu hören, wie er nach einem letzten brüllenden Aufschrei verstummte. Ich gestehe, daß ich das Feuer angezündet habe. Ich gestehe, daß ich Mr. Steinway getötet habe.
Aber Leo habe ich nicht getötet! Warum fragen Sie nicht sie? Sie sind zwar verbrannt, aber sie wissen es. Fragen Sie die Couch. Fragen Sie den Teppich. Fragen Sie die Bilder an den Wänden. Sie haben gesehen, was passiert ist. Sie wissen, daß mich keine Schuld trifft.
Sie können sie befragen. Sie brauchen nichts weiter als in der Lage zu sein, sich mit Schwingungen in Verbindung zu setzen, mit ihnen Kontakt aufzunehmen. Nehmen Sie mich nur als Beispiel. Ich kann alles hören, was sie hier in diesem Raum sagen. Ich verstehe die Fenster und die Wände und die Türen und die Riegel.
Mehr habe ich nicht zu sagen. Wenn Sie mir nicht glauben, wenn Sie mir nicht helfen wollen, dann lassen Sie mich besser allein. Dann lassen Sie mich hier in Ruhe sitzen und lauschen.
Auf die Fenster, auf die Wände, auf die Türen, auf die Riegel …