Der Zauberlehrling

 

Ich woll­te, Sie wür­den das Licht aus­ma­chen. Es tut mir in den Au­gen weh. Sie brau­chen den Schein­wer­fer auch nicht, denn ich wer­de Ih­nen al­les er­zäh­len, was Sie wis­sen wol­len. Ich wer­de Ih­nen be­stimmt al­les sa­gen – aber schal­ten Sie das Licht aus!

Und noch et­was: Star­ren Sie mich bit­te nicht so an. Wie kann ein Mann den­ken, wenn Sie al­le so dicht um ihn her­um­ste­hen und Fra­gen stel­len. Fra­gen, Fra­gen, Fra­gen …

Schon gut, ich bin ja ru­hig, ganz ru­hig. Ich woll­te auch nicht schrei­en. Es ist nicht mei­ne Art, aus der Rol­le zu fal­len. Ich bin wirk­lich nicht un­be­herrscht. Sie wis­sen, daß ich kei­ner Flie­ge et­was zu­lei­de tun kann.

Was pas­siert ist, war nur ein Un­fall. Es konn­te nur ge­sche­hen, weil ich die Macht ver­lo­ren ha­be.

Sie wis­sen nichts von die­ser Macht, nicht wahr? Sie ha­ben noch nichts von Sa­di­ni und sei­ner Ga­be ge­hört, nicht wahr?

Ich will Ih­nen nichts vor­ma­chen, mei­ne Her­ren; was ich zu sa­gen ha­be, ist die rei­ne Wahr­heit und nichts als die Wahr­heit. Ich kann es be­wei­sen, wenn Sie mir nur zu­hö­ren woll­ten. Am bes­ten wer­de ich das Gan­ze von An­fang an er­zäh­len.

Wenn Sie doch nur das Licht aus­ma­chen wür­den …

 

Mein Na­me ist Hu­go. Nein, nichts wei­ter, nur Hu­go. So ha­ben sie mich in dem Heim im­mer ge­nannt. Seit­dem ich den­ken kann, ha­be ich in die­sem Heim ge­lebt. Die Schwes­tern wa­ren sehr nett zu mir. Die an­de­ren Kin­der ha­ben sich häß­lich und ge­mein ver­hal­ten. Kei­ner woll­te mit mir spie­len.

Weil ich einen Bu­ckel ha­be und schie­le, müs­sen Sie wis­sen. Aber die Schwes­tern wa­ren nett. Sie nann­ten mich nicht ›ver­rück­ter Hu­go‹ und mach­ten sich über mich lus­tig, wenn ich mir nichts mer­ken konn­te. Sie stie­ßen mich nicht in ei­ne Ecke und ver­prü­gel­ten mich. Ih­ret­we­gen ha­be ich nie zu wei­nen brau­chen.

Nein, kei­ne Sor­ge, ich füh­le mich wohl – wirk­lich. Es ist auch nicht so wich­tig, was ich von dem Heim er­zählt hö­be. Denn al­les be­gann erst, nach­dem ich weg­ge­lau­fen war.

Wis­sen Sie, die Schwes­tern sag­ten mir ei­nes Ta­ges, daß ich lang­sam für das Heim zu alt ge­wor­den wä­re. Sie woll­ten, daß ich mit dem Arzt wo­an­ders hin­ge­hen soll­te. Ir­gend­wo aufs Land. Aber Fred – das war ei­ner von den we­ni­gen Jun­gen, die mich nicht ge­schla­gen ha­ben – sag­te mir, daß ich nicht mit dem Dok­tor ge­hen soll­te. Er sag­te, der Platz auf dem Lan­de wä­re schlecht und der Dok­tor wä­re auch schlecht. Er er­zähl­te mir, daß die Fens­ter dort ver­git­tert wä­ren und daß der Dok­tor mich an einen Tisch bin­den und mir das Ge­hirn auf­schnei­den wür­de. Der Dok­tor wür­de mit mei­nem Ge­hirn Ver­su­che ma­chen, und ich müß­te ster­ben. Da ha­be ich ge­merkt, daß mich die Schwes­tern auch für ver­rückt hiel­ten, ob­wohl sie es nie laut ge­sagt ha­ben. Als ich hör­te, daß der Dok­tor am nächs­ten Tag kom­men soll­te, bin ich fort­ge­lau­fen. Ich ha­be mich nachts aus dem Zim­mer ge­schli­chen und bin über die ho­he Mau­er ge­klet­tert.

Ich weiß nicht, ob Sie hö­ren wol­len, was da­nach ge­sch­ah. Ich mei­ne die Zeit, als ich un­ter der Brücke leb­te und Zei­tun­gen ver­kauf­te? Und im Win­ter war es so bit­ter­kalt …

Sa­di­ni? Ja, aber er ge­hört da­zu. Ich mei­ne, zum Win­ter und zur Käl­te. Denn ich wur­de durch die Käl­te ohn­mäch­tig, als ich ge­ra­de in der Stra­ße hin­ter dem Thea­ter war. Und dort fand mich Sa­di­ni.

Ich kann mich noch ge­nau an den Schnee in der Stra­ße er­in­nern. Die­ser ei­si­ge, ei­si­ge Schnee schlug mir ins Ge­sicht. Ich dach­te, ich müß­te in der Käl­te er­sti­cken; und als ich ver­sank, war ich si­cher, daß al­les zu En­de wä­re.

Als ich wie­der auf­wach­te, be­fand ich mich an ei­nem war­men Ort im In­ne­ren des Thea­ters. Es war ei­ne Gar­de­ro­be. Ne­ben mir stand ein En­gel und schau­te mich an.

Ich hielt sie wirk­lich für einen En­gel. Ih­re lan­gen gol­de­nen Haa­re sa­hen wie die Sai­ten ei­ner Har­fe aus. Sie lä­chel­te, als ich mei­ne Hand da­nach aus­streck­te.

»Geht es wie­der bes­ser?« frag­te sie. »Hier, trin­ken Sie …«

Ich lag auf ei­ner Couch, und sie hielt mei­nen Kopf, als sie mir et­was War­mes, Herr­li­ches ein­flö­ßte.

»Wie bin ich hier­her­ge­kom­men?« frag­te ich. »Bin ich tot?«

»Ich ha­be es ge­dacht, als Vic­tor Sie her­ein­ge­schleift hat. Aber ich glau­be, daß es Ih­nen jetzt viel bes­ser geht.«

»Vic­tor?«

»Vic­tor Sa­di­ni. Sa­gen Sie mir nicht, daß Sie noch nie et­was von dem Großen Sa­di­ni ge­hört ha­ben …«

Ich schüt­tel­te den Kopf.

»Er ist Zau­be­rer. Er ist ge­ra­de auf der Büh­ne. Du lie­ber Gott – ich muß mich ja um­zie­hen.« Sie nahm die Tas­se fort und rich­te­te sich auf. »Ru­hen Sie sich schön aus, bis ich zu­rück­kom­me.«

Ich lä­chel­te sie an. Das Re­den fiel mir schwer, weil sich al­les ir­gend­wie dreh­te.

»Wer sind Sie?« flüs­ter­te ich.

»Iso­bel.«

»Iso­bel«, wie­der­hol­te ich. Es war ein hüb­scher Na­me. Ich flüs­ter­te ihn im­mer wie­der, bis ich ein­sch­lief.

Ich weiß nicht, wie lan­ge ich ge­schla­fen hat­te, bis ich wie­der auf­wach­te, ich mei­ne, bis ich wie­der auf­wach­te und mich ge­sund fühl­te. Zwi­schen­durch muß ich wohl manch­mal halb­wach ge­we­sen sein, denn ich sah und hör­te ab und zu et­was.

Ein­mal sah ich, wie sich ein großer Mann mit schwar­zen Haa­ren und ei­nem schwar­zen Schnurr­bart über mich beug­te. Er hat­te schwar­ze Au­gen und war auch ganz in Schwarz ge­klei­det. Ich dach­te, es könn­te viel­leicht der Teu­fel sein, der mich in die Höl­le schaf­fen woll­te. Die Schwes­tern hat­ten uns viel vom Teu­fel er­zählt. Ich fürch­te­te mich so sehr, daß ich gleich wie­der in Ohn­macht fiel.

Ein an­de­res Mal dran­gen Stim­men zu mir. Als ich die Au­gen öff­ne­te, sah ich den Mann in Schwarz und Iso­bel in ei­ner Ecke des Zim­mers sit­zen. Ich neh­me an, daß sie nicht ge­merkt ha­ben, daß ich mun­ter ge­wor­den war, denn sie un­ter­hiel­ten sich über mich.

»Was denkst du, wie lan­ge ich das noch mit­ma­che, Vic?« hör­te ich sie sa­gen. »Ich ha­be es satt, die Kran­ken­schwes­ter für einen her­un­ter­ge­kom­me­nen Strolch zu spie­len. Was willst du ei­gent­lich mit ihm an­fan­gen? Du weißt doch nichts über ihn.«

»Wir kön­nen ihn schließ­lich nicht wie­der in den Schnee wer­fen, da­mit er stirbt, nicht wahr?« Der Mann in Schwarz ging im Zim­mer auf und ab und fuhr sich un­auf­hör­lich mit der Hand über sei­nen Schnurr­bart. »Sei ver­nünf­tig, Lieb­ling. Du siehst doch, daß der ar­me Kerl halb ver­hun­gert ist. Pa­pie­re hat er auch nicht bei sich. Er ist in Not und braucht Hil­fe.«

»Dum­mes Zeug! Ruf einen Kran­ken­wa­gen. Es gibt im­mer­hin Hos­pi­tä­ler, oder? Du kannst wirk­lich nicht von mir ver­lan­gen, daß ich mich zwi­schen den Auf­trit­ten mit die­sem räu­di­gen –«

Ich ha­be nicht ver­stan­den, was sie mein­te, was sie sag­te. Wis­sen Sie, sie war so wun­der­schön. Ich wuß­te, daß sie nett sein muß­te. Das war al­les nur ein Irr­tum. Viel­leicht war ich noch zu krank, um rich­tig zu hö­ren.

Dann bin ich wie­der ein­ge­schla­fen, und als ich auf­wach­te, fühl­te ich mich wohl und wuß­te, daß ich mich ge­täuscht hat­te. Denn sie war da, und sie lä­chel­te mich wie­der an.

»Wie geht’s?« frag­te sie. »Wie wä­re es mit et­was zu es­sen?«

Ich konn­te sie nur an­star­ren und lä­cheln. Sie hat­te einen lan­gen grü­nen Man­tel an, der mit sil­ber­nen Ster­nen über­sät war. Jetzt gab es über­haupt kei­nen Zwei­fel, daß sie wirk­lich ein En­gel war.

Dann kam der Teu­fel ins Zim­mer.

»Er ist bei Be­wußt­sein, Vic«, sag­te Iso­bel.

Der Teu­fel sah mich grin­send an.

»Ser­vus, Ka­me­rad. Herz­lich will­kom­men in un­se­rer Mit­te! Einen Tag lang oder so ha­be ich ge­dacht, daß wir nicht mehr lan­ge Ih­re Ge­sell­schaft ha­ben wer­den.«

Ich konn­te ihn nur wort­los an­star­ren.

»Was ist los? Er­schreckt Sie mei­ne Auf­ma­chung? Das ist auch Ihr gu­tes Recht, denn Sie wis­sen ja nicht, wer ich bin. Ich bin Vic­tor Sa­di­ni. Der Große Sa­di­ni – Zau­ber­künst­ler, wis­sen Sie?«

Da Iso­bel mich auch an­lä­chel­te, muß­te wohl al­les in Ord­nung sein. Ich nick­te. »Mein Na­me ist Hu­go«, flüs­ter­te ich. »Sie ha­ben mir das Le­ben ge­ret­tet, nicht wahr?«

»Ist schon gut. Ver­schie­ben Sie das Re­den auf spä­ter. Jetzt müs­sen Sie erst ein­mal et­was es­sen und sich noch wei­ter aus­ru­hen. Sie lie­gen jetzt hier seit drei Ta­gen auf dem So­fa, Ka­me­rad. Sie müs­sen bald wie­der zu Kräf­ten kom­men, denn das Pro­gramm läuft hier nur noch bis Mitt­woch. Dann müs­sen wir nach To­le­do hüp­fen.«

Am Mitt­woch war der Ver­trag zu En­de, und wir hüpf­ten nach To­le­do. Wir hüpf­ten na­tür­lich nicht wirk­lich, son­dern fuh­ren mit dem Zug. O ja, ich war mit da­bei, denn ich war Sa­di­nis neu­er As­sis­tent.

Da­mals wuß­te ich noch nicht, daß er mit dem Teu­fel im Bun­de war. Ich hielt ihn nur für einen net­ten Mann, der mir das Le­ben ge­ret­tet hat­te. Er saß in der Gar­de­ro­be und er­klär­te mir al­les. Er sag­te mir, warum er sich den Schnurr­bart hat­te wach­sen las­sen und warum er sich die Haa­re so kämm­te, wie er es tat, und warum er sich im­mer schwarz an­zog. Ich konn­te mir gut vor­stel­len, daß das Pu­bli­kum so et­was von ei­nem Zau­be­rer er­war­te­te.

Dann mach­te er mir ein paar Tricks vor. Ich staun­te sehr. Es wa­ren wun­der­vol­le Tricks mit Kar­ten und Mün­zen. Dann zog er so­gar Ta­schen­tü­cher aus mei­nen Oh­ren, und aus mei­nen Ta­schen lief wirk­lich und wahr­haf­tig far­bi­ges Was­ser. Als er Sa­chen ver­schwin­den ließ, fürch­te­te ich mich vor ihm, aber er be­ru­hig­te mich lä­chelnd, daß das auch nur ein Trick wä­re.

Am letz­ten Tag durf­te ich bei sei­nem Auf­tritt auf der Büh­ne hin­ter dem Vor­hang ste­hen. Durch das klei­ne Loch im Vor­hang konn­te ich herr­li­che Din­ge se­hen.

Iso­bel lag aus­ge­streckt auf ei­nem Tisch. Dann hob er sei­nen Zau­ber­stab, und Iso­bel schweb­te in der Luft. Sie schweb­te. Wirk­lich und wahr­haf­tig. Sie fiel auch nicht, als er sie lang­sam wie­der auf den Tisch sin­ken ließ. Sie lä­chel­te, und das Pu­bli­kum klatsch­te be­geis­tert. Dann reich­te ihm Iso­bel nach­ein­an­der ver­schie­de­ne Ge­gen­stän­de. Er hob sei­nen Zau­ber­stab, und die Din­ge ver­schwan­den, ver­wan­del­ten sich oder ex­plo­dier­ten. Vor mei­nen Au­gen ließ er einen großen Baum aus ei­ner klei­nen Pflan­ze wach­sen. Dann wi­ckel­te er einen kräf­ti­gen Strick um Iso­bel und steck­te sie in ei­ne Kis­te. Er hielt ei­ne große elek­tri­sche Stahl­sä­ge mit schar­fen Zäh­nen in die Hö­he und ver­kün­de­te, daß er sie jetzt durch­sä­gen wür­de.

Ich wä­re bei­na­he auf die Büh­ne ge­stürzt, um das zu ver­hin­dern. Aber da mich die Büh­nen­ar­bei­ter fest­hiel­ten und lach­ten, dach­te ich mir, daß auch das ein Trick sein müß­te.

Als er dann aber den elek­tri­schen Strom ein­schal­te­te und an­fing, die Kis­te zu zer­sä­gen, brach mir doch der Schweiß aus sämt­li­chen Po­ren. Ich starr­te auf ih­ren Kopf, der aus der Kis­te her­aus­rag­te. Er säg­te sie mit­ten durch. Aber sie lä­chel­te und war über­haupt nicht tot.

Dann deck­te er ih­ren Kopf zu und nahm statt der Sä­ge wie­der den Zau­ber­stab in die Hand. Und plötz­lich sprang sie aus der Kis­te her­aus und war wie­der in ei­nem Stück. Ich hat­te noch nie so et­was Wun­der­ba­res ge­se­hen. Ich glau­be, dar­um ha­be ich mich auch ent­schlos­sen, mit den bei­den zu zie­hen.

Nach der Vor­stel­lung ha­be ich mich noch ein­mal bei ihm da­für be­dankt, daß er mir das Le­ben ge­ret­tet hat. Dann sag­te ich ihm, wer ich bin und daß ich nicht wüß­te, wo­hin ich ge­hen soll­te, und daß ich ger­ne für ihn um­sonst ar­bei­ten wür­de – egal was –, wenn ich nur mit­fah­ren konn­te. Ich sag­te ihm na­tür­lich nicht, daß ich ei­gent­lich nur aus dem Grun­de bei ih­nen blei­ben woll­te, um im­mer in Iso­bels Nä­he sein zu dür­fen. Das hät­te ihm wahr­schein­lich gar nicht ge­paßt – und ich glau­be, ihr auch nicht. Ich wuß­te in­zwi­schen, daß sie sei­ne Frau war.

Es war al­les reich­lich wirr, was ich ihm ge­sagt hat­te, aber er schi­en mich ver­stan­den zu ha­ben.

»Das wä­re viel­leicht et­was für Sie«, mein­te er sin­nend. »Wir brau­chen je­man­den, der sich um mei­ne gan­zen Büh­nenu­ten­si­li­en küm­mert. Wir wür­den da­durch viel Zeit spa­ren. Sie könn­ten auch im­mer al­les auf- und ab­bau­en.«

»Pap­per­la­papp«, schnauf­te Iso­bel. Ich ver­stand nicht, was sie mein­te, aber Sa­di­ni sehr wohl. Viel­leicht war es ei­ne Art Zau­ber­spra­che.

»Hu­go ist schon in Ord­nung«, mur­mel­te er. »Ich brau­che wirk­lich je­man­den, Iso­bel, je­man­den, auf den ich mich ver­las­sen kann. Du ver­stehst schon, was ich mei­ne.«

Ihr Ge­sicht ver­fins­ter­te sich. »Hör ein­mal zu, du Schmie­ren­ko­mö­di­ant –«

»Sach­te, sach­te, Iso­bel.« Ihr Ge­sicht glät­te­te sich un­ter sei­nen durch­drin­gen­den Bli­cken, und sie ver­such­te ein schwa­ches Lä­cheln. »Schon gut, Vic, wie du willst. Aber ver­giß nie, daß das dei­ne fa­bel­haf­te Idee und nicht mei­ne war.«

»Ab­ge­macht.« Sa­di­ni kam auf mich zu. »Sie kom­men mit uns«, sag­te er. »Ab so­fort sind Sie mein As­sis­tent.«

So kam es.

Und so war es lan­ge, lan­ge Zeit. Wir wa­ren in To­le­do, in De­troit, In­dia­na­po­lis, in Chi­ca­go und Mil­wau­kee und in St. Paul und – was weiß ich, in wel­chen Städ­ten noch. Für mich wa­ren sie al­le gleich. Wenn wir mit dem Zug ir­gend­wo an­ka­men, fuh­ren Sa­di­ni und Iso­bel in ein Ho­tel, wäh­rend ich auf­paß­te, wie die Ge­päck­wa­gen ent­la­den wur­den. Ich küm­mer­te mich dar­um, daß die Büh­nenu­ten­si­li­en (wie Sa­di­ni das Ge­päck nann­te) sorg­fäl­tig auf einen Last­wa­gen ge­la­den wur­den. Der Fah­rer lud die Sa­chen vor dem je­wei­li­gen Thea­ter ab, und ich schlepp­te sie in die Gar­de­ro­be oder hin­ter die Büh­ne. Dann pack­te ich al­les aus. Das war mei­ne Ar­beit.

Ich schlief im Thea­ter, meist in der Gar­de­ro­be, und aß mit Sa­di­ni und Iso­bel. Das heißt, meist nur mit Sa­di­ni, denn sie schlief sehr lan­ge.

Au­ßer­dem glau­be ich, daß sie sich zu An­fang mit mir ge­schämt hat. Ich konn­te es ihr nicht ein­mal übel­neh­men. So, wie ich mit mei­nem al­ten An­zug, dem Bu­ckel und den schie­len­den Au­gen aus­sah!

Sa­di­ni hat mir nach ei­ner Wei­le na­tür­lich einen neu­en An­zug ge­kauft. Er, Sa­di­ni, war gut zu mir. Er er­zähl­te mir viel von sei­ner Num­mer und sei­nen Tricks, und er re­de­te auch viel über Iso­bel. Ich konn­te gar nicht ver­ste­hen, wie ein so net­ter Mann sol­che Sa­chen über sie sa­gen konn­te.

Ob­wohl sie mich of­fen­sicht­lich nicht lei­den konn­te und sich auch von Sa­di­ni fern­hielt, wuß­te ich doch, daß sie ein En­gel war. Sie war ge­nau­so schön wie die En­gel auf den Bil­dern, die uns die Schwes­tern im Heim im­mer ge­zeigt hat­ten. Es war nur na­tür­lich, daß sich Iso­bel nicht für so häß­li­che Leu­te wie mich oder Sa­di­ni, mit sei­nen schwar­zen Au­gen und sei­nem schwar­zen Schnurr­bart, in­ter­es­sie­ren konn­te. Ich konn­te gar nicht ver­ste­hen, warum sie ihn über­haupt je­mals ge­hei­ra­tet hat­te, wo sie doch so hüb­sche Män­ner wie Ge­or­ge Wal­lace fin­den konn­te.

Sie sah Ge­or­ge Wal­lace im­mer, denn er trat auch in der Show auf, mit der wir her­um­reis­ten. Er sang und tanz­te, war sehr groß und hat­te blon­de Haa­re und blaue Au­gen. Wenn er auf­trat, stand Iso­bel an der Sei­te der Büh­ne und schau­te ihm beim Tan­zen und Sin­gen zu. Sie un­ter­hiel­ten sich häu­fig und lach­ten zu­sam­men. Und ei­nes Ta­ges, als Iso­bel sag­te, sie hät­te Kopf­schmer­zen und wür­de ins Ho­tel ge­hen, sah ich sie bei­de in Ge­or­ge Wal­la­ces Gar­de­ro­be ver­schwin­den.

Ich hät­te das viel­leicht Sa­di­ni nicht er­zäh­len sol­len, aber es war mir so raus­ge­rutscht. Er wur­de sehr wü­tend und frag­te mir die See­le aus dem Leib. Dann for­der­te er mich auf, den Mund zu hal­ten und die Au­gen auf­zu­sper­ren.

Ich weiß jetzt, daß es falsch war, mich dar­auf ein­zu­las­sen, aber da­mals dach­te ich nur dar­an, daß Sa­di­ni im­mer so nett zu mir war, und daß ich ihm auch ein­mal einen Ge­fal­len tun müß­te. Ich ließ al­so Iso­bel und Ge­or­ge Wal­lace nicht aus den Au­gen. Und ei­nes Ta­ges, als Sa­di­ni zwi­schen den Vor­stel­lun­gen in die Stadt ge­fah­ren war, sah ich, wie sie wie­der in Ge­or­ges Gar­de­ro­be ver­schwan­den.

Ich schlich mich auf Ze­hen­spit­zen zu der Tür und guck­te durch das Schlüs­sel­loch. Auf dem Gang war nie­mand, und dar­um konn­te auch nie­mand se­hen, wie ich rot wur­de.

Denn Iso­bel lag in Ge­or­ge Wal­la­ces Ar­men und küß­te ihn.

Dann schob er sie von sich. »Sei ge­scheit, Schatz, und laß uns hier nicht die Zeit ver­trö­deln. Wenn der Ver­trag ab­ge­lau­fen ist, gibt es nur noch dich und mich. Wir ver­duf­ten und las­sen uns an der Küs­te nie­der und …«

»Du hast ein son­ni­ges Ge­müt«, sag­te Iso­bel ver­drieß­lich. »Ver­gli­chen mit dir bin ich ei­ne Null, Ge­or­gie-Boy, aber ich kann im­mer­hin be­ur­tei­len, was ei­ne gu­te Num­mer ist und was nicht. Vic ist ein Star. Sein Auf­tritt ist ei­ne Sen­sa­ti­on. Du tin­gelst un­ter ›fer­ner lie­fen‹. Dar­an wird sich auch nichts än­dern. Spaß ist Spaß, aber ich ha­be kei­ne Lust, bei die­sem Ge­schäft den kür­ze­ren zu zie­hen.«

»Vic!« Ge­or­ge Wal­lace schnitt ei­ne Gri­mas­se. »Was ist an sei­ner Num­mer schon dran? Ein Schnurr­bart und ein paar Kis­ten mit fau­lem Zau­ber. Das kann je­der nach­ma­chen. Ich auch. Gib mir sei­nen Zau­ber­stab und –« Er zog sie wie­der an sich. »Du kennst doch weiß Gott sei­ne gan­zen Tricks. Wir – du und ich – könn­ten doch un­se­re ei­ge­ne Num­mer auf­zie­hen, Ba­by. Der Große Wal­lace und Kom­pa­gnon …«

»Ge­or­gie!«

Sie be­weg­te sich so schnell, daß ich kei­ne Zeit mehr zum Ver­schwin­den hat­te. Sie eil­te zur Tür, riß sie auf – und da stand ich.

»Was, zum Teu­fel –«

Ge­or­ge Wal­lace kam hin­ter ihr her. Als er mich sah, hol­te er aus, aber Iso­bel hielt sei­ne Hand zu­rück.

»Laß das«, sag­te sie scharf. »Das ist mei­ne An­ge­le­gen­heit.« Dann lä­chel­te sie mich an, und ich wuß­te, daß sie mir nicht bö­se war. »Kom­men Sie mit mir, Hu­go«, sag­te sie, »wir wol­len uns ein we­nig un­ter­hal­ten.«

Ich wer­de die­se kur­ze Un­ter­hal­tung nie ver­ges­sen.

Wir sa­ßen ganz al­lein in der Gar­de­ro­be. Nur Iso­bel und ich. Sie hielt mei­ne Hand – ih­re Hän­de wa­ren so zart und weich – und schau­te mir in die Au­gen. Ih­re tie­fe Stim­me klang wie der Son­nen­schein oder wie sin­gen­de Ster­ne.

»Sie wis­sen jetzt al­so Be­scheid«, sag­te sie lei­se. »Und dar­um muß ich Ih­nen ein­fach al­les er­zäh­len. Ich – ich woll­te nicht, daß Sie es je­mals er­fah­ren, Hu­go – aber jetzt bleibt mir kei­ne an­de­re Wahl.«

Ich nick­te. Ich starr­te auf den Tisch, weil ich nicht wag­te, ihr in die Au­gen zu se­hen. Mein Blick fiel auf Sa­di­nis Zau­ber­stab, den lan­gen schwar­zen Stab mit der gol­de­nen Kup­pe, die glit­zer­te und fun­kel­te und mei­ne Au­gen blen­de­te.

»Es stimmt, Hu­go, daß Ge­or­ge Wal­lace und ich uns lie­ben. Er will, daß ich mit ihm fort­ge­he.«

»Aber Sa­di­ni ist doch so ein net­ter Mann«, stot­ter­te ich, »auch, wenn er so aus­sieht –«

»Wie aus­sieht?«

»Nun ja – als ich ihn zum ers­ten­mal sah, dach­te ich, er ist der Teu­fel, aber jetzt …«

Es war, als wür­de sie tief Luft ho­len. »Sie ha­ben ihn für den Teu­fel ge­hal­ten, Hu­go?«

Ich lach­te ver­le­gen. »Ja. Wis­sen Sie, die Schwes­tern ha­ben mir schon ge­sagt, daß ich kei­ne be­son­de­re Leuch­te bin. Und weil ich oft nichts ver­stand, woll­ten sie an mei­nem Ge­hirn her­u­mo­pe­rie­ren. Na­tür­lich nicht die Schwes­tern. Aber das ist al­les Un­sinn.

Ich ha­be al­le Sin­ne bei­sam­men. Sie wis­sen es. Ich ha­be Sa­di­ni nur so lan­ge für den Teu­fel ge­hal­ten, bis er mir er­klärt hat, daß al­les nur Tricks sind und daß das gar kein ech­ter Zau­ber­stab wä­re und daß er Sie auch nicht rich­tig durch­sägt –«

»Und das ha­ben Sie ihm ge­glaubt!«

Da ha­be ich sie an­ge­blickt. Sie saß sehr auf­recht, und ih­re Au­gen schim­mer­ten.

»Mein Gott, Hu­go, wenn Sie nur wüß­ten! – Wis­sen Sie, ich war frü­her ein­mal ge­nau wie Sie. Als ich ihn zum ers­ten­mal sah, ver­trau­te ich ihm auch. Und heu­te bin ich sei­ne Skla­vin! Und weil ich sei­ne Skla­vin bin, kann ich auch nicht fort­lau­fen. Ich bin sei­ne Skla­vin, ge­nau­so wie er ein Skla­ve des – Teu­fels ist!«

Mir fie­len vor Schreck fast die Au­gen aus dem Kopf. Ich be­müh­te mich krampf­haft, ih­ren so schwie­ri­gen Wor­ten fol­gen zu kön­nen.

»Das ha­ben Sie nicht ge­wußt, nicht wahr? Sie ha­ben ihm ge­glaubt, als er Ih­nen er­klärt hat, daß al­les nur Tricks wä­ren und daß er Spie­gel be­nutzt und daß das nur ei­ne Il­lu­si­on wä­re, wenn er mich durch­sägt, nicht wahr?«

»Aber er be­nutzt doch Spie­gel«, stam­mel­te ich. »Pa­cke ich sie nicht im­mer sel­ber aus und baue sie für ihn auf?«

»Da­mit will er nur die Büh­nen­ar­bei­ter ir­re­füh­ren«, flüs­ter­te sie. »Wenn es her­aus­käme, daß er ein ech­ter Zau­be­rer ist, wür­de er ein­ge­sperrt wer­den. Ha­ben die Schwes­tern Ih­nen nicht al­les vom Teu­fel er­zählt? Und daß ihm vie­le ih­re See­le ver­kau­fen?«

»Ja, schon, aber ich dach­te ei­gent­lich im­mer …«

»Sie glau­ben mir doch, Hu­go, nicht wahr?« Sie er­griff wie­der mei­ne Hand und schau­te mir tief in die Au­gen. »Wenn ich auf dem Tisch lie­ge und er mich lang­sam in die Hö­he ge­hen läßt, dann ist das kei­ne Zau­be­rei. Und wenn er mich in der Mit­te durch­sägt, dann sägt er mich wirk­lich durch. Dar­um kann ich ihm auch nicht ent­rin­nen. Dar­um bin ich für im­mer sei­ne Skla­vin.«

»Dann muß es der Teu­fel sel­ber ge­we­sen sein, der ihm den Zau­ber­stab ge­ge­ben hat, mit dem er al­le Tricks aus­füh­ren kann.«

Sie nick­te und ließ mich nicht aus den Au­gen.

Ich warf wie­der einen Blick auf den Zau­ber­stab. Er glit­zer­te im­mer noch. Ge­nau­so wie ih­re Haa­re und ih­re Au­gen.

»Warum kann ich den Zau­ber­stab nicht ein­fach steh­len?«

Sie schüt­tel­te hef­tig den Kopf. »Das wür­de nichts nut­zen, zu­min­dest nichts, so­lan­ge er am Le­ben ist.«

»So­lan­ge er am Le­ben ist«, wie­der­hol­te ich.

»Wenn er al­ler­dings – oh, Hu­go, Sie müs­sen mir hel­fen! Es gibt nur einen Aus­weg – und es wä­re kei­ne Sün­de – nicht, wenn je­mand sei­ne See­le dem Teu­fel ver­schrie­ben hat. Oh, Hu­go, Sie müs­sen mir hel­fen! – Sie wer­den mir hel­fen, nicht wahr?«

Sie küß­te mich.

Sie küß­te mich. Wirk­lich und wahr­haf­tig! Sie leg­te ih­re Ar­me um mei­nen Rücken, und ihr gol­de­nes Haar um­hüll­te mich. Ih­re Lip­pen wa­ren weich und ih­re Au­gen glänz­ten. Sie er­klär­te mir ge­nau, was ich zu tun hat­te, und sag­te im­mer wie­der, daß es kei­ne Sün­de wä­re, weil er doch sei­ne See­le dem Teu­fel ver­kauft hät­te. Au­ßer­dem wür­de es nie­mand er­fah­ren.

Ich sag­te al­so: Ja, ich wür­de es tun.

Sie er­klär­te mir noch ein­mal ge­nau, wie ich es an­zu­stel­len hät­te. Und ich muß­te es schwö­ren, die Ge­schich­te nie­mals und nie­man­dem zu ver­ra­ten. Egal, was pas­sier­te. Selbst dann soll­te ich schwei­gen, wenn et­was schief­ge­hen soll­te und je­mand Fra­gen an mich stel­len wür­de.

Ich schwor. Dann war­te­te ich.

Ich war­te­te auf Sa­di­nis Rück­kehr. Und ich war­te­te, bis die Vor­stel­lung zu En­de war und al­le nach Hau­se ge­gan­gen wa­ren. Als Iso­bel ins Ho­tel ging, bat sie Sa­di­ni, mir beim Zu­sam­men­räu­men zu hel­fen, weil ich mich nicht wohl­fühl­te. Er war so­fort da­zu be­reit. Es ver­lief al­les so haar­ge­nau am Schnür­chen, wie sie es mir ver­spro­chen hat­te.

Als wir mit dem Ab­bau be­gan­nen, war au­ßer dem Nacht­por­tier kein Mensch mehr im Haus. Und der saß in sei­nem klei­nen Zim­mer, das weit ent­fernt von der Büh­ne, di­rekt an der Stra­ße lag. Wäh­rend Sa­di­ni pack­te, ging ich auf den Gang hin­aus, um mich da­von zu über­zeu­gen, daß er dun­kel und aus­ge­stor­ben war. Dann ging ich in die Gar­de­ro­be, wo Sa­di­ni ge­ra­de da­bei war, die letz­ten Uten­si­li­en zu­sam­men­zu­le­gen.

Der Zau­ber­stab lag noch un­be­rührt da. Er glit­zer­te und glit­zer­te, und ich hät­te ihn für mein Le­ben gern ein­mal in die Hand ge­nom­men, um die Macht zu spü­ren, die der Teu­fel ihm ein­ge­haucht hat­te. Aber da­für war jetzt kei­ne Zeit. Denn ich muß­te mich hin­ter Sa­di­ni stel­len, der sich ge­ra­de über ei­ne Kis­te beug­te. Und dann muß­te ich das Stück Blei­rohr aus der Ta­sche zie­hen und es ein­mal, zwei­mal, drei­mal auf sei­nen Kopf nie­der­sau­sen las­sen.

Es gab ein ab­scheu­lich knir­schen­des Ge­räusch und dann einen dump­fen Fall, als Sa­di­ni auf dem Bo­den zu­sam­men­sack­te.

Ich brauch­te ihn jetzt nur noch in die Kis­te zu wuch­ten und –

Aber da hör­te ich ein an­de­res Ge­räusch!

Je­mand klopf­te an die Tür!

Als ich er­starrt ste­hen­blieb, rüt­tel­te die­ser Je­mand an der Klin­ke. Ich muß­te den leb­lo­sen Kör­per schnell in ei­ne Ecke schlei­fen, da­mit er nicht gleich zu se­hen war. Aber viel Zweck hat­te das nicht. Das Klop­fen an der Tür wur­de hef­ti­ger. Dann hör­te ich ei­ne Stim­me.

»Ma­chen Sie auf, Hu­go! Ich weiß, daß Sie da sind!«

Was blieb mir an­de­res üb­rig, als die Tür zu öff­nen? Ich hat­te nicht ein­mal Zeit, das Blei­rohr aus der Hand zu le­gen. Dar­um ver­steck­te ich es hin­ter mei­nem Rücken. Ge­or­ge Wal­lace schoß her­ein.

Ich glau­be, er war be­trun­ken. Wie dem auch sei, er sah je­den­falls nicht so­fort den am Bo­den lie­gen­den Sa­di­ni, son­dern starr­te nur mich an und fuch­tel­te auf­ge­regt mit den Ar­men.

»Hu­go – iich mm­muß mit ddir re­den.« Na schön, er war al­so wirk­lich be­trun­ken. Die Fah­ne, die mir ent­ge­gen­weh­te, war be­acht­lich. Sei­ne Stim­me wur­de hei­ser, als er lal­lend fort­fuhr: »Ssie hat es mir ge­sagt. Das, wwas sie vor­hat. Ssie woll­te mich be­trun­ken ma­chen – aber ich ha­be sie überll­lis­tet. Ich bin ihr ent­wischt. Ich muß­te mit ddir re­den, ehe ddu Quatsch machst.

Ssie woll­te dich an den Gal­gen brin­gen. Haar­ge­nau. Ddu soll­test Sa­di­ni um die Ecke brin­gen. Sie wä­re zur Po­liz­zei ge­gan­gen und hät­te al­les ge­leug­net. Je­der kann be­stä­ti­gen, daß ddu et­was geis­tig min­der­bem­mit­telt bist. Und wenn du auf der Po­li­zei den Quatsch mit ddem Teu­fel ge­fa­selt hät­test, hät­ten sie ddich gleich da­be­hal­ten. Da­nach woll­te ssie die Num­mer an ssich rei­ßen und mit mir tür­men. Jun­ge, ich mm­muß­te dich ein­fach war­nen …«

Dann sah er Sa­di­ni. Als er auf den zu­sam­men­ge­krümm­ten Kör­per glotz­te, schwank­te er leicht, und ihm fiel der Un­ter­kie­fer her­un­ter. Dar­um war es ein Kin­der­spiel für mich, hin­ter ihn zu tre­ten und mit dem Blei­rohr auf ihn ein­zu­schla­gen. Ein­mal, zwei­mal, zehn­mal.

Denn ich wuß­te, daß er ge­lo­gen hat­te. Er hat­te mei­nen En­gel schlecht­ma­chen wol­len. Er soll­te sie nicht ha­ben und mit ihr weg­lau­fen. Ich hat­te das ver­hin­dern müs­sen. Denn ich wuß­te, daß er gar nicht sie ha­ben woll­te, son­dern den Zau­ber­stab, den Stab des Teu­fels, der Macht ver­lieh. Er ge­hör­te mir!

Ich ging zum Tisch, nahm ihn in die Hand und spür­te, wie mich die Macht durch­rie­sel­te. Als sie her­ein­kam, starr­te ich im­mer noch ge­bannt auf die gol­de­ne Spit­ze.

Sie muß­te ihm ge­folgt sein, aber sie war zu spät ge­kom­men. Sie er­kann­te es, als sie auf sei­nen ge­spal­te­nen Hin­ter­kopf starr­te, der wie ein großer ro­ter Mund grins­te.

Sie er­starr­te zur Salz­säu­le. Aber ehe ich ein Wort sa­gen konn­te, sank sie ohn­mäch­tig zu Bo­den.

Ich stand mit dem Zau­ber­stab in der Hand vor ihr und sah auf sie hin­un­ter. Ich fühl­te Mit­leid in mir auf­stei­gen. Mit­leid mit Sa­di­ni, der in der Höl­le schmor­te, Mit­leid mit Ge­or­ge Wal­lace, der sich dum­mer­wei­se in die An­ge­le­gen­heit ein­ge­mischt hat­te, und Mit­leid mit ihr, weil ih­re gan­zen Plä­ne ge­schei­tert wa­ren.

Als ich wie­der den Zau­ber­stab be­trach­te­te, kam mir ein groß­ar­ti­ger Ge­dan­ke. Sa­di­ni war tot und Ge­or­ge war tot – aber sie hat­te ja im­mer noch mich. Sie fürch­te­te sich nicht vor mir – sie hat­te mich so­gar ge­küßt!

Und ich be­saß den Zau­ber­stab. Mir ge­hör­te das Ge­heim­nis der Macht! Jetzt, wo sie schlief, konn­te ich mich leicht von der Wahr­heit über­zeu­gen. Wie sehr wür­de sie stau­nen, wenn sie wie­der zu sich kom­men wür­de!

Ich könn­te ihr dann sa­gen: »Du hast recht ge­habt, Iso­bel, der Stab hat wirk­lich die­se ge­heim­nis­vol­le Kraft. Von jetzt an wer­den wir bei­de zu­sam­men auf­tre­ten. Ich ha­be den Zau­ber­stab – und du brauchst dich nie wie­der zu furchten. Du kannst dich dar­auf ver­las­sen, daß ich es kann, denn ich ha­be es schon ein­mal ge­tan, als du ohn­mäch­tig warst.«

Ich hat­te kei­ne Zeit zu ver­lie­ren, und nichts durch­kreuz­te mei­nen Plan. Ich trug sie auf die Büh­ne hin­aus. Ich bau­te das Zu­be­hör auf. Ich schal­te­te so­gar die Schein­wer­fer an. Es war ein ei­gen­ar­ti­ges Ge­fühl, al­lei­ne im Thea­ter zu sein und sich in die Dun­kel­heit hin­ein zu ver­beu­gen.

Ich hat­te Sa­di­nis Man­tel über­ge­wor­fen und schau­te auf Iso­bel, die vor mir lag. Mit dem Zau­ber­stab in der Hand war ich ein neu­er Mensch: Hu­go der Große!

Ich war heu­te nacht, hier in die­sem lee­ren Thea­ter, Hu­go der Große. Ich wuß­te, was zu tun war und wie es zu tun war. Da kei­ne Büh­nen­ar­bei­ter da wa­ren, hat­te ich es auch nicht nö­tig, die al­ber­nen Spie­gel auf­zu­stel­len. Ich fes­sel­te sie, leg­te sie in die Kis­te, ach­te­te dar­auf, daß ihr Kopf her­aus­schau­te, und schal­te­te den Strom an. Die Sä­ge durch­schnitt sum­mend das Holz.

Plötz­lich öff­ne­te sie die Au­gen und fing laut zu schrei­en an. Aber ich hat­te sie gut ver­schnürt. Und au­ßer­dem brauch­te sie wirk­lich kei­ne Furcht zu ha­ben. Ich zeig­te ihr lä­chelnd den Zau­ber­stab, aber sie hör­te nicht auf zu schrei­en. Als ich durch das Holz durch war, ver­stumm­te sie nach ei­nem letz­ten gel­len­den Auf­schrei.

Die Sä­ge färb­te sich dun­kel­rot und tropf­te von Blut.

Der An­blick ver­ur­sach­te mir sol­che Übel­keit, daß ich ganz schnell den Zau­ber­stab hob.

Als ich wie­der hin­un­ter­sah, war al­les un­ver­än­dert.

Ich hob den Stab noch ein­mal.

Und es pas­sier­te wie­der nichts.

Ir­gend et­was war schief­ge­gan­gen. In die­sem Au­gen­blick wuß­te ich, daß ir­gend et­was nicht funk­tio­niert hat­te.

Jetzt fing ich an zu schrei­en. Ich schrie so lan­ge, bis mich der Nacht­por­tier hör­te und her­bei­eil­te; und dann ka­men Sie und nah­men mich mit.

Sie se­hen al­so, es war nichts wei­ter als ein Un­fall. Der Zau­ber­stab funk­tio­nier­te nicht. Viel­leicht hat der Teu­fel in dem Au­gen­blick, als Sa­di­ni starb, die Macht wie­der von ihm ge­nom­men. Ich weiß es nicht. Ich weiß über­haupt nichts – nur das ei­ne, daß ich mü­de bin. Wür­den Sie bit­te die grel­le Lam­pe aus­schal­ten? Ich möch­te schla­fen …