Rückkehr zum Sabbat

 

Ich ken­ne kei­nen mei­ner Kol­le­gen, der so ei­ne Ge­schich­te ger­ne schrei­ben wür­de. Es ist kei­ne je­ner Schnul­zen, die die Pres­se­agen­tu­ren nur zu ger­ne ver­brei­ten. Wür­de ich doch für das Pu­blic-Re­la­ti­ons-Bü­ro der Film­ge­sell­schaft ar­bei­ten, hät­te ich die­se Ge­schich­te auch gar nicht erst nie­der­ge­schrie­ben, denn ich hät­te doch kei­ne Zei­tung ge­fun­den, die sie ab­druckt.

Wir Män­ner, die wir für Hol­ly­wood die Re­kla­me­trom­mel rüh­ren, müs­sen die­se Film­stadt als einen hei­te­ren, fröh­li­chen Ort prä­sen­tie­ren, als ei­ne Welt vol­ler Ruhm und Herr­lich­keit und ei­tel Son­nen­schein. Wir dür­fen nur die Licht­sei­ten von Hol­ly­wood zei­gen. Aber je­der weiß, daß da, wo Licht ist, auch Schat­ten sein muß. Ich ha­be jah­re­lang da­von ge­lebt, dem Pu­bli­kum die Licht­sei­ten in den glän­zends­ten Far­ben zu schil­dern. Aber die Er­eig­nis­se, über die ich Ih­nen jetzt be­rich­ten möch­te, wa­ren zu ein­schnei­dend, als daß man über sie hin­weg­ge­hen könn­te. Denn der Schat­ten, den die­ser Zwi­schen­fall warf, war nicht mehr mensch­lich.

Die­se gan­ze Af­fä­re las­te­te so sehr auf mei­ner See­le, daß ich da­nach mei­ner ge­wohn­ten Ar­beit nicht mehr nach­ge­hen konn­te. Ich neh­me an, das war auch der Grund, warum ich dann mei­nen Pos­ten bei der Film­ge­sell­schaft auf­ge­ge­ben ha­be. Ich woll­te ver­ges­sen. Der Him­mel mag wis­sen, ob mir das je­mals ge­lingt. Ich ha­be ir­gend­wie das Ge­fühl, daß ich mich woh­ler füh­len wer­de, wenn ich mir die gan­ze Ge­schich­te von der See­le ge­schrie­ben ha­be. Viel­leicht kann ich dann ei­nes Ta­ges Karl Jor­las Au­gen ver­ges­sen …

Die­se Af­fä­re liegt jetzt drei Jah­re zu­rück.

Sie be­gann an ei­nem Abend im Sep­tem­ber …

Les Kin­caid und ich schlen­der­ten über die Haupt­stra­ße in Los An­ge­les. Les ist ein Hilfs­re­gis­seur des Stu­di­os, und wir schlen­der­ten an die­sem spä­ten Abend nicht zum schie­ren Ver­gnü­gen über die Haupt­stra­ße in Los An­ge­les. Er brauch­te für den Gangs­ter­film, den er ge­ra­de dreh­te, noch ein paar Sta­tis­ten, die rea­lis­tisch wir­ken soll­ten, so echt ›aus dem Le­ben ge­grif­fen‹. Les war in die­sem Punkt sehr ei­gen. Er en­ga­gier­te lie­ber ein paar fins­te­re Ge­stal­ten von der Stra­ße weg als die auf echt ge­trimm­ten Imi­ta­tio­nen an der Film­bör­se.

Wenn ich mich recht er­in­ne­re, hat­ten wir schon ei­ne be­acht­li­che Stre­cke zu­rück­ge­legt. Wir wa­ren an den en­gen Gas­sen des Chi­ne­sen­vier­tels vor­bei­ge­kom­men, hat­ten dann die Tou­ris­ten­fal­le – ich mei­ne die Ol­ve­ra Street – ab­ge­grast und lan­de­ten schließ­lich bei den schä­bi­gen Ho­tels und Eta­blis­se­ments am En­de der end­los lan­gen Haupt­stra­ße, wo uns un­schul­dig bli­cken­de Phil­ip­pi­nos wie zu­fäl­lig folg­ten.

Wir hat­ten das Gan­ze lang­sam satt. Ich glau­be, das war auch der Grund, daß uns das klei­ne, schmut­zi­ge, düs­te­re Thea­ter plötz­lich ins Au­ge stach.

»Laß uns hin­ein­ge­hen und ein biß­chen aus­ru­hen«, schlug Les vor. »Ich bin tod­mü­de.«

Nun gibt es selbst bei der übels­ten Show Stüh­le, und ich hat­te eben­falls das drin­gen­de Be­dürf­nis, mei­ne Bei­ne aus­zu­stre­cken und ein klei­nes Nicker­chen zu ma­chen. Die Bil­der im Schau­kas­ten ver­spra­chen nicht ge­ra­de um­wer­fen­de Dar­bie­tun­gen, aber das war mir gleich­gül­tig, und ich stimm­te Les’ Vor­schlag zu.

Nach­dem wir un­se­re Ein­tritts­kar­ten ge­kauft hat­ten, be­tra­ten wir das en­ge, muf­fi­ge Lo­kal und setz­ten uns. Wir lie­ßen zwei Strip­tease-Tän­ze, einen ur­al­ten Sketch und das ›Große Fi­na­le‹ über uns er­ge­hen. Da­nach ist es in sol­chen Lo­ka­len üb­lich, daß sich die Büh­ne ver­dun­kelt und ei­ne Lein­wand her­un­ter­ge­zo­gen wird.

Da­mit war der Au­gen­blick ge­kom­men, wo wir in Ru­he un­ser Nicker­chen ma­chen konn­ten. Bei den Fil­men, die in die­sen Häu­sern ge­zeigt wer­den, han­delt es sich meist um ur­al­te Schin­ken, die als Fül­ler ge­zeigt wer­den; mit de­nen man die Gäs­te, die doch nichts mehr be­stel­len, hin­ausekelt, um für neue Kun­den Platz zu schaf­fen. Bei den ers­ten plär­ren­den Mu­siklau­ten, die den Ti­tel des Meis­ter­werks un­ter­mal­ten, schloß ich die Au­gen, rutsch­te tiefer in mei­nen Stuhl und ver­sank in Mor­pheus Ar­men.

Ein kräf­ti­ger Hieb in die Rip­pen riß mich höchst un­sanft aus mei­nem fried­li­chen Schlum­mer. Es war Les, der mir den Stoß ver­setzt hat­te und sich jetzt flüs­ternd zu mir beug­te.

»Schau dir das an«, mur­mel­te er, »hast du so et­was schon ein­mal ge­se­hen?«

Ich rich­te­te mei­nen mü­den Blick auf die Lein­wand. Ich kann heu­te nicht mehr sa­gen, was ich in die­sem Au­gen­blick er­war­tet hat­te zu se­hen; aber was ich sah – war das nack­te Grau­en. Ich wur­de sehr schnell völ­lig mun­ter.

Ich schau­te auf einen länd­li­chen Fried­hof mit al­ten dunklen Bäu­men, durch die das Mond­licht schim­mer­te. Es war ein sehr al­ter Fried­hof. Ver­wa­sche­ne Grab­stei­ne und ver­mo­der­te Holz­kreu­ze rag­ten gro­tesk wink­lig zum mit­ter­nächt­li­chen Him­mel.

Dann schwenk­te die Ka­me­ra auf ein frisch zu­ge­schau­fel­tes Grab, das zwi­schen ver­fal­le­nen Hü­geln lag. Die un­ter­leg­te Mu­sik schwoll an und wies da­mit auf einen Hö­he­punkt hin. Aber ich ver­gaß die Ka­me­ra und die gan­ze Film­tech­nik, als ich ge­bannt auf die Lein­wand starr­te. Das Grab war ir­gend­wie wirk­lich.

Das Grab be­weg­te sich!

Die Er­de vor dem Grab­stein hob sich in leich­ten, un­re­gel­mä­ßi­gen Be­we­gun­gen; so als ob je­mand gra­ben wür­de. Aber nicht von oben, son­dern von un­ten! Es war schreck­lich, wie lang­sam die Er­de auf­ge­wühlt wur­de. Klei­ne Stei­ne und Erd­klum­pen fie­len zur Sei­te. Das Gras über der Er­de schi­en zu le­ben und zu pul­sie­ren.

Lang­sam, aber ste­tig brach die Er­de im Mond­licht auf. Ir­gend et­was ar­bei­te­te sich von un­ten durch den Erd­hü­gel durch!

Die­ses Et­was muß­te je­den Au­gen­blick her­vor­kom­men. Ich muß ge­ste­hen, daß ich es mit der Angst zu tun be­kam. Ich woll­te nicht se­hen, was sich da von un­ten her zum Mond­licht durch­kämpf­te. Es konn­te nichts Na­tür­li­ches sein. Und es konn­te nichts Mensch­li­ches im Sinn ha­ben!

Und trotz­dem brach­te ich es nicht fer­tig, mei­nen Blick ab­zu­wen­den. Ich muß­te es – oder ihn – oder sie – auf­tau­chen se­hen! Nach­dem je­nes Et­was einen großen Erd­klum­pen mit Ra­sen bei­sei­te ge­sto­ßen zu ha­ben schi­en, starr­te ich vom Rand des Gra­bes aus in das schwar­ze Loch hin­un­ter, das mir im Mond­licht ent­ge­gen­klaff­te.

Und ir­gend et­was be­weg­te sich.

Ir­gend et­was glitt durch den of­fe­nen Spalt und klam­mer­te sich an der auf­ge­wor­fe­nen Er­de des Hü­gels fest. In dem un­heim­li­chen Schein die­ses dä­mo­ni­schen Mon­des konn­te ich er­ken­nen, daß es ei­ne mensch­li­che Hand war. Oder fast ei­ne mensch­li­che Hand. Es war ei­ne dür­re, blei­che To­ten­hand, an der noch ein paar Fleisch­fet­zen hin­gen; die Klaue ei­nes Ske­letts … Ei­ne zwei­te Kral­le griff in die auf­ge­wor­fe­ne Er­de, und lang­sam, ganz lang­sam ka­men zwei gräß­li­che Ar­me zum Vor­schein. Nack­te, fleisch­lo­se Ar­me. Mir stock­te der Atem, als die­se Ar­me wie zwei aus­sät­zi­ge wei­ße Schlan­gen über das Erd­reich tas­te­ten. Und die­se Ar­me ge­hör­ten zu ei­ner Lei­che, ei­ner Lei­che, die sich lang­sam er­hob.

In die­sem Au­gen­blick schob sich ei­ne Wol­ke vor den Mond. Das Licht ver­blaß­te; und das Grab lag im Schat­ten, als sich jetzt die Schul­tern und ein dür­rer Schä­del er­ho­ben. Aber in we­ni­gen Se­kun­den wür­de das Ge­sicht sicht­bar wer­den. Das Ge­sicht des We­sens aus dem Gra­be, die Vi­sa­ge, die durch den Tod längst ver­fault sein müß­te. Was wür­de ich um Got­tes wil­len zu se­hen be­kom­men?

Der Schat­ten ver­schwand. Die gan­ze Ge­stalt hat­te sich jetzt aus dem Gra­be er­ho­ben und dreh­te mir ihr Ge­sicht zu. Ich er­starr­te und sah –

Nun, Sie wa­ren si­cher auch schon in Gru­sel­fil­men. Sie wis­sen, was man da nor­ma­ler­wei­se zu se­hen be­kommt. Den ›Af­fen­menschen‹ oder den ›Ir­ren‹ oder den ›To­ten­schä­del‹. Sie ken­nen die­se Meis­ter­leis­tun­gen der Pa­pier­ma­che-In­dus­trie.

Ich sah nichts der­glei­chen. Was ich sah, war das nack­te Grau­en. Zu­erst dach­te ich, es wä­re das Ge­sicht ei­nes Kin­des. Aber nein, das stimm­te nicht, nicht das Ge­sicht ei­nes Kin­des, son­dern ei­nes Man­nes mit ei­ner kind­li­chen See­le. Viel­leicht war es das glat­te, ru­hi­ge Ge­sicht ei­nes Poe­ten. Lan­ge Haa­re um­rahm­ten ei­ne ho­he Stirn, halb­mond­för­mi­ge Au­gen­brau­en wölb­ten sich über den ge­schlos­se­nen Li­dern. Die Na­se und der Mund wa­ren schmal und edel ge­schnit­ten. Von dem gan­zen Ge­sicht ging ein über­ir­di­scher Frie­de aus. Man konn­te fast mei­nen, einen Schlaf­wand­ler vor sich zu ha­ben. Aber dann wur­de das Ge­sicht grö­ßer und der Mond­schein hel­ler, und ich sah – mehr.

Die Spu­ren der Ver­gäng­lich­keit zeich­ne­ten sich deut­lich ab. Die dün­nen Lip­pen wa­ren von Wür­mern an­ge­fres­sen, die Na­sen­lö­cher wa­ren aus­ge­franst, und Tei­le der Stirn wa­ren der Fäul­nis zum Op­fer ge­fal­len und durch­lö­chert. Das schwar­ze Haar war stumpf und mit Schlamm ver­krus­tet, und auf den ein­ge­fal­le­nen Wan­gen zeich­ne­ten sich dunkle Schat­ten ab.

Die fleisch­lo­sen Ar­me ho­ben sich jetzt, und die Kno­chen­fin­ger stri­chen über die­se to­ten Nar­ben. Dann flat­ter­ten die ver­mo­der­ten Li­der, und – die Au­gen öff­ne­ten sich.

Sie wa­ren groß, starr und lo­dernd – und in ih­nen war das Grab. Es wa­ren Au­gen, die sich beim Tod ge­schlos­sen und sich im Sarg un­ter der Er­de wie­der ge­öff­net hat­ten. Die­se Au­gen hat­ten ge­se­hen, wie der Kör­per lang­sam ver­faul­te und die See­le ent­schwand. Die­se Au­gen hat­ten ein ei­ge­nes Le­ben wei­ter­ge­führt, das so furcht­bar ge­we­sen sein muß­te, daß sie den halb­ver­faul­ten Kör­per zwan­gen, das Grab wie­der zu ver­las­sen. Es wa­ren hung­ri­ge Au­gen, die jetzt tri­um­phier­ten, als sie auf das Mond­licht über dem Fried­hof starr­ten. Sie hun­ger­ten nach der Welt, wie nur ein To­ter nach dem Le­ben hun­gern kann. Und sie lo­der­ten mit ei­si­ger Freu­de in dem to­ten­blas­sen Ge­sicht.

Dann setz­te sich die Lei­che in Be­we­gung. Sie tau­mel­te zwi­schen den Grä­bern, stol­per­te über al­te Stein­plat­ten und stieß ge­gen mor­sche Holz­kreu­ze. Sie schlurf­te durch den nächt­li­chen Wald, bis sie die Stra­ße er­reicht hat­te. Dann schlich sie un­end­lich lang­sam die­se Stra­ße ent­lang.

Und als die Lich­ter der Stadt un­ten auf­leuch­te­ten, leuch­te­te auch der Hun­ger in die­sen Au­gen wie­der auf. Der Tod war im Be­griff, sich un­ter die Le­ben­den zu mi­schen.

Ich saß die gan­ze Zeit über wie ver­stei­nert da. Ob­wohl das Gan­ze nur ein paar Mi­nu­ten ge­dau­ert hat­te, glaub­te ich, daß un­zäh­li­ge Jah­re ver­stri­chen wä­ren.

Der Film ging wei­ter. Les und ich wech­sel­ten kein Wort, aber wir schau­ten wei­ter zu.

Der nun fol­gen­de Ab­lauf der Hand­lung war nichts wei­ter als ei­ne ein­fa­che Rou­ti­ne­sa­che. Der To­te war ein Na­tur­wis­sen­schaft­ler ge­we­sen, dem ein jun­ger Arzt sei­ne Frau weg­ge­nom­men hat­te. Als der Na­tur­wis­sen­schaft­ler krank wur­de, hat­te ihn der jun­ge Arzt be­han­delt und ihm un­wis­sent­lich ein zu star­kes Be­täu­bungs­mit­tel ge­ge­ben, das den Tod zur Fol­ge hat­te.

Der Dia­log war in ei­ner frem­den Spra­che, die ich nicht ver­stand. Al­le Schau­spie­ler wa­ren mir un­be­kannt. Die Auf­ma­chung und Ka­me­ra­tech­nik war reich­lich un­ge­wöhn­lich und die gan­ze Hand­lung so un­glaub­wür­dig wie in ›Das Ka­bi­nett des Dr. Ca­li­ga­ri‹ und an­de­ren Fil­men die­ser Art.

Es folg­te dann ei­ne Sze­ne, in der der le­ben­dig-to­te Mann bei ei­ner Schwar­zen Mes­se zum Haupt­pries­ter der Ze­re­mo­nie er­nannt wur­de. Man reich­te ihm ein klei­nes Kind … Sei­ne Au­gen, als er mit dem Mes­ser zu­stach …!

Er blieb wäh­rend des gan­zen Films die halb­ver­faul­te Lei­che … Die An­hän­ger der Schwar­zen Mes­se be­trach­te­ten ihn als einen Send­bo­ten des Sa­tans … Als Op­fer für sei­ne Wie­der­au­fer­ste­hung ent­führ­ten sie sei­ne Frau …

Dann sah man, wie sei­ne Frau einen hys­te­ri­schen An­fall be­kam, als sie ihm ge­gen­über­ge­stellt wur­de und in ihm ih­ren Ehe­mann er­kann­te, und man hör­te sein bö­ses, hei­se­res Flüs­tern, als er ihr sein Ge­heim­nis ent­hüll­te …

Dann kam noch ei­ne Ver­samm­lung der Teu­fel­s­an­be­ter vor ei­nem großen Fel­sal­tar in den Ber­gen … und schließ­lich der zwei­te Tod des Wie­der­au­fer­stan­de­nen.

Der To­te, nun­mehr ein voll­stän­di­ges Ske­lett, krümm­te sich, als er von den Ge­schos­sen des jun­gen Arz­tes und sei­ner Nach­barn durch­lö­chert wur­de, und sack­te auf dem Al­tar zu­sam­men. Und als sei­ne Au­gen im zwei­ten Tod er­starr­ten, be­te­te er mit dröh­nen­der Stim­me zum Teu­fel.

Dann kroch die Lei­che über den Bo­den zu dem ri­tu­el­len Feu­er, rich­te­te sich schmerz­ver­zerrt auf und wank­te dann in die Flam­men. Dort stand sie einen Mo­ment wie er­starrt. Ih­re Lip­pen form­ten Wor­te, die für den Teu­fel be­stimmt wa­ren, und die Au­gen fleh­ten nicht den Him­mel, son­dern die Höl­le an. Dann öff­ne­te sich mit ei­nem ge­wal­ti­gen Flam­men­blitz die Er­de, und die ver­kohl­te Lei­che ver­sank …

Das Gan­ze wirk­te gro­tesk und ab­ge­dro­schen. Als der Film ab­ge­lau­fen war und die Ka­pel­le lär­mend den Be­ginn ei­ner neu­en ›Fleisch-Schau‹ an­kün­dig­te, kehr­ten Les und ich in die Wirk­lich­keit zu­rück und wur­den uns un­se­rer Um­ge­bung be­wußt. Wir rich­te­ten uns auf und schau­ten in die Run­de. Die rest­li­chen Be­su­cher schie­nen ge­nau­so be­täubt zu sein wie wir selbst. Ja­pa­ner starr­ten mit weit auf­ge­ris­se­nen Au­gen in die Dun­kel­heit, Phil­ip­pi­nos tu­schel­ten heim­lich mit­ein­an­der, und so­gar die be­trun­ke­nen Ar­bei­ter ver­ga­ßen, den Be­ginn der Show mit dem sonst üb­li­chen un­flä­ti­gen Ge­joh­le zu be­grü­ßen.

So ab­ge­dro­schen und gro­tesk die Hand­lung des Films auch ge­we­sen sein moch­te, der Haupt­dar­stel­ler hat­te sei­ne Rol­le mit ei­nem ge­spens­ti­schen Rea­lis­mus ge­spielt. Er hat­te sie im ei­gent­li­chen Sin­ne nicht ge­spielt, denn er war tot ge­we­sen und sei­ne Au­gen wuß­ten. Und sei­ne Stim­me war die ei­nes Auf­er­stan­de­nen.

Oh­ne daß wir uns dar­über un­ter­hiel­ten, spür­ten wir bei­de, Les und ich, das glei­che. Ich folg­te ihm schwei­gend, als er die Stu­fen zum Bü­ro des Ma­na­gers hin­auf­ging.

Ed­ward Reich schau­te ver­drieß­lich von sei­nem Tisch auf, als wir hin­ein­tau­mel­ten. Er war über un­se­ren Be­such al­les an­de­re als er­freut. Als Les ihn frag­te, wo­her er den Film für den heu­ti­gen Abend be­kom­men hät­te und wie der Ti­tel lau­te­te, öff­ne­te Ed­ward Reich sei­nen Mund und ließ ei­ne Ti­ra­de von Flü­chen los.

Wir er­fuh­ren, daß er ›Rück­kehr zum Sab­bat‹ von ei­ner bil­li­gen Agen­tur aus In­gle­wood be­kom­men hät­te, daß er einen Wes­tern be­stellt und man ihm aus Ver­se­hen die­sen ›ver­damm­ten aus­län­di­schen Mist‹ ge­schickt hät­te. Ein Drecks­film wä­re das für ei­ne Strip­tease-Show! Statt sich an nack­ten Mäd­chen zu er­freu­en, be­kämen die Be­su­cher nichts wei­ter als ei­ne Gän­se­haut. Und ver­ste­hen wür­den sie auch nichts, weil der Strei­fen noch nicht ein­mal in eng­lisch wä­re. Die­se stin­ki­gen im­por­tier­ten Fil­me!

Es dau­er­te ei­ne ge­rau­me Zeit, bis wir dem to­ben­den Ma­na­ger den Na­men der Agen­tur ent­rei­ßen konn­ten. Als wir ihn end­lich er­fah­ren hat­ten, häng­te sich Les Kin­caid so­fort ans Te­le­fon und sprach mit dem Chef die­ser Agen­tur, und ei­ne Stun­de dar­auf sa­ßen wir schon in des­sen Bü­ro. Am nächs­ten Mor­gen re­de­te Kin­caid auf die ho­hen Tie­re der Film­ge­sell­schaft ein, und am fol­gen­den Tag er­hielt ich den Auf­trag, ei­ne Pres­se­mel­dung zu schrei­ben, daß man Karl Jor­la, den ös­ter­rei­chi­schen Star für Gru­sel­fil­me, per Ka­bel in das Stu­dio be­stellt hät­te und daß sich Karl Jor­la schon auf dem Weg in die Ver­ei­nig­ten Staa­ten be­fän­de.

 

Ich bau­te die­se Mel­dung zu­sam­men und gab ihr so viel Wür­ze, wie ich nur konn­te. Aber nach­dem die­se ers­te An­kün­di­gung er­schie­nen war, hieß es, daß ich vor­erst kei­ne wei­te­ren Mel­dun­gen her­aus­ge­ben soll­te. Das Gan­ze war ein­fach zu über­stürzt in An­griff ge­nom­men wor­den, und bei ge­nau­er Be­trach­tung wuß­ten wir ei­gent­lich über­haupt nichts über die­sen Karl Jor­la. Die Te­le­gram­me, die wir nach Ös­ter­reich und Deutsch­land jag­ten, um et­was über das Pri­vat­le­ben die­ses Bur­schen zu er­fah­ren, ver­hal­fen uns nicht zu den ge­wünsch­ten In­for­ma­tio­nen. Im Ge­gen­teil, die Ant­wor­ten wa­ren für uns ver­nich­tend. Er hat­te of­fen­sicht­lich vor ›Rück­kehr zum Sab­bat‹ in kei­nem ein­zi­gen Film mit­ge­spielt und war völ­lig un­be­kannt. Die­ser Film wä­re auch nie of­fi­zi­ell ex­por­tiert wor­den, und es wä­re le­dig­lich ein Ver­se­hen, daß die In­gle­woo­der Agen­tur ei­ne Ko­pie hät­te, die sie hier in den Ver­ei­nig­ten Staa­ten lau­fen ließ. Dar­über hin­aus wä­re die­ser Strei­fen in kei­nem Film­re­gis­ter ein­ge­tra­gen. Da der Film we­der in Ös­ter­reich noch in Deutsch­land öf­fent­lich zu se­hen ge­we­sen wä­re, gä­be es über ihn auch kei­ne Be­spre­chun­gen und Kri­ti­ken.

Ich hät­te vor Wut plat­zen kön­nen! Da hat­ten wir nun die ›Ent­de­ckung des Jah­res‹, und ich be­kam kein Ma­te­ri­al zu­sam­men, um es groß her­aus­zu­brin­gen!

Der ein­zi­ge Trost war, daß wir in vier­zehn Ta­gen mit Karl Jor­las An­kunft rech­ne­ten. Ich soll­te ihn dann so­fort be­ar­bei­ten und aus­quet­schen und die Nach­rich­ten­agen­tu­ren mit Ge­schich­ten über­flu­ten. Drei un­se­rer bes­ten Au­to­ren schrie­ben schon eif­rig an ei­nem Dreh­buch für Jor­la; und ›der Al­te‹ küm­mer­te sich höchst­per­sön­lich um die­ses Dreh­buch. Die Hand­lung soll­te so ähn­lich wer­den wie die in dem aus­län­di­schen Film, denn die »Vom-To­de-auf­er­ste­hen« Sze­nen woll­te man sich kei­nes­falls ent­ge­hen las­sen.

Jor­la kam am sie­ben­ten Ok­to­ber an und zog in ein Ho­tel. Das Stu­dio schick­te ihm das üb­li­che Be­grü­ßungs­ko­mi­tee. Man brach­te ihn zu for­mel­len Pro­be­auf­nah­men ins Ate­lier, und dann wur­de er mir ›über­ge­ben‹.

Zum ers­ten Ma­le stand ich die­sem Mann in der klei­nen Gar­de­ro­be, die man ihm zu­ge­wie­sen hat­te, ge­gen­über. Ich wer­de den Nach­mit­tag, an dem ich ihn ken­nen­lern­te, nie ver­ges­sen, die­sen Au­gen­blick, als ich die Tür zu sei­ner Gar­de­ro­be auf­mach­te und ihn zum ers­ten Ma­le sah.

Ich weiß nicht, was ich zu se­hen er­war­tet hat­te; aber was ich dann sah, ver­blüff­te mich doch ei­ni­ger­ma­ßen. Denn Karl Jor­la war auch im Le­ben der le­ben­dig-to­te Mann, den er im Film dar­ge­stellt hat­te.

Na­tür­lich war sein Ge­sicht nicht zer­fres­sen und an­gefault. Aber er war sehr groß und fast so ske­lett­ar­tig dünn wie in sei­ner Rol­le. Sein Ge­sicht war bleich, und sei­ne Au­gen wa­ren von dunklen Rän­dern um­ge­ben. Und die Au­gen wa­ren die to­ten Au­gen aus dem Film, die un­er­gründ­li­chen, wis­sen­den Au­gen!

Er be­grüß­te mich mit sei­ner dröh­nen­den Stim­me in sto­cken­dem Eng­lisch. Sei­ne Lip­pen lä­chel­ten über mei­ne of­fen­sicht­li­che Ver­wir­rung, aber der frem­de, ei­gen­tüm­li­che Aus­druck in sei­nen Au­gen blieb. Ich ha­be auch spä­ter nie er­lebt, daß sich die­ser Blick än­der­te.

Ich kam ein we­nig ins Stot­tern, als ich ihm er­klär­te, wer ich sei und was ich von ihm wol­le.

»Kei­ne Pu­bli­ci­ty«, sag­te er mit stark fremd­län­di­schem Ak­zent. »Ich will nicht, daß die Leu­te et­was da­von er­fah­ren, was nur mei­ne rein per­sön­li­che An­ge­le­gen­heit ist.«

Ich kam ihm mit den üb­li­chen Ge­gen­ar­gu­men­ten. Ich weiß nicht, in­wie­weit er mich ver­stand, aber er blieb fel­sen­fest bei sei­nem Vor­satz. Was ich dann aus ihm her­aus­hol­te, war wahr­lich dürf­tig ge­nug.

Ich er­fuhr, daß er in Prag ge­bo­ren war, bis zu den um­wäl­zen­den Er­eig­nis­sen in Eu­ro­pa im Wohl­stand ge­lebt hat­te und die be­wuß­te Film­rol­le nur über­nom­men hät­te, um sei­nem Freund, ei­nem Film­re­gis­seur, einen Ge­fal­len zu tun. Die­ser Re­gis­seur hät­te den Film, in dem Jor­la spiel­te, nur für Pri­vat­vor­füh­run­gen ge­dreht. Durch ein dum­mes Miß­ge­schick wä­re aber ei­ne Ko­pie zwi­schen an­de­re Film­rol­len ge­rutscht und da­durch in den all­ge­mei­nen, öf­fent­li­chen Um­lauf ge­kom­men. Das wä­re ein schreck­li­cher Feh­ler, der aber nicht rück­gän­gig zu ma­chen sei. Das ame­ri­ka­ni­sche Film­an­ge­bot wä­re ihm, Karl Jor­la, je­doch sehr ge­le­gen ge­kom­men, weil er Ös­ter­reich so­wie­so un­ver­züg­lich ver­las­sen woll­te.

»Als der Film er­schei­nen tat, bin ich ge­kom­men in ein sehr schlech­tes Licht bei mei­nen Freun­den«, er­klär­te er sehr lang­sam und nach Wor­ten su­chend. »Sie woll­ten nicht, daß sie ge­zeigt wird, die Ze­re­mo­nie.«

»Die Ze­re­mo­nie?« frag­te ich ver­blüfft. »Sie mei­nen die Schwar­ze Mes­se?« Ich zö­ger­te. »… das sind Ih­re Freun­de?«

»Ja. Die An­be­tung von Lu­zi­fer … die war echt, müs­sen Sie wis­sen.« Ich starr­te ihn an. Woll­te er sich mit mir einen Scherz er­lau­ben? Doch nein – an der Auf­rich­tig­keit die­ses Man­nes war nicht zu zwei­feln. In die­sen Au­gen war kein Platz für einen Scherz. Und dann be­griff ich, was er mein­te. Ich ver­stand, was er da wie bei­läu­fig ent­hüll­te. Er war sel­ber ein Teu­fel­s­an­be­ter ge­we­sen – er und je­ner Film­re­gis­seur. Sie hat­ten die­sen Film nur ge­dreht, um ihn in ih­ren ei­ge­nen ok­kul­ten Zir­keln vor­zu­füh­ren. Es war kein Wun­der, daß er sich nach dem Miß­ge­schick ins Aus­land zu­rück­zie­hen woll­te!

Mei­ne Ge­dan­ken dreh­ten sich im Krei­se. Ich konn­te es nicht fas­sen. Schwar­ze Mes­sen in Eu­ro­pa! Ich er­in­ner­te mich, ir­gend­wann ir­gend­wo ge­hört zu ha­ben, daß es auch heut­zu­ta­ge noch Teu­fel­s­an­be­tun­gen in Bu­da­pest, Prag und Ber­lin ge­ben soll­te, aber ich hat­te es nicht ge­glaubt. Und er, Karl Jor­la, der Schre­ckens­dar­stel­ler, gab zu, die­sem Krei­se an­zu­ge­hö­ren!

»Das gibt ei­ne präch­ti­ge Ge­schich­te«, dach­te ich höchst zu­frie­den, aber fast im sel­ben Au­gen­blick sah ich mei­ne Fel­le da­v­on­schwim­men; denn die­se Ge­schich­te konn­te na­tür­lich nie­mals ge­druckt wer­den. Ein Dar­stel­ler von Greu­els­ze­nen, der zu­gibt, an die Rol­len, die er spielt, zu glau­ben? Un­mög­lich!

Al­le In­ter­views mit Bo­ris Kar­loff er­ga­ben, daß er ein her­zens­gu­ter Mann war, der sei­nen wah­ren Frie­den dar­in fand, sich mit sei­nem Ra­sen zu be­schäf­ti­gen. Lu­go­sie wur­de im­mer als sen­si­bler Neu­ro­ti­ker ge­schil­dert, der Höl­len­qua­len bei sei­nen Film­rol­len aus­stand. Und über Pe­ter Lor­re schrieb man, daß er im Le­ben so sanft wie ein Lamm sei und kei­nen grö­ße­ren Wunsch hät­te, als ein­mal in ei­nem Lust­spiel mit­zu­wir­ken.

Nein, mit der Ge­schich­te von Jor­las Teu­fel­s­an­be­tung war kein Ge­schäft zu ma­chen. Und über sein Pri­vat­le­ben schwieg sich Jor­la gründ­lich aus. Fa­bel­haft!

Als ich mein un­be­frie­di­gen­des In­ter­view be­en­det hat­te, such­te ich Les Kin­caid auf. Ich er­zähl­te ihm von mei­nen Schwie­rig­kei­ten und bat ihn um Rat. Er wuß­te einen Aus­weg.

»Ganz ein­fach«, sag­te er. »Die al­te Ma­sche. Der ge­heim­ni­sum­wit­ter­te Mann. Wir sa­gen gar nichts über ihn und sein Le­ben, bis der Film her­aus­ge­kom­men ist. Ich ha­be das Ge­fühl, daß nach­her al­les von sel­ber läuft. Der Bur­sche ist ein Wun­der. Zer­brich dir al­so nicht den Kopf we­gen ir­gend­wel­cher Ge­schicht­chen, son­dern war­te, bis der Film ab­ge­dreht ist und läuft.« Ich un­ter­ließ al­so mei­ne Be­mü­hun­gen, für Karl Jor­la Pu­bli­ci­ty zu ma­chen. Heu­te bin ich dar­über froh, denn es gibt kei­nen, der sich an sei­nen Na­men er­in­nern könn­te oder ei­ne Ah­nung von dem Grau­en hät­te, das sich bald dar­auf er­eig­ne­te.

Das Dreh­buch war nach ei­ni­gen Än­de­run­gen fer­tig und fest an­ge­nom­men. Der Film soll­te in Hal­le vier ge­dreht wer­den. Die Be­set­zung der Rol­len war fast ab­ge­schlos­sen.

Jor­la er­schi­en je­den Tag im Ate­lier, wo ihm Les Kin­caid ei­ne Art Eng­lisch­un­ter­richt er­teil­te. Das war nicht son­der­lich schwie­rig, denn ers­tens wa­ren bei Jor­las Rol­le nicht vie­le Sät­ze vor­ge­se­hen und zwei­tens er­wies er sich, laut Les, als ein groß­ar­ti­ger Schü­ler.

Aber trotz­dem schi­en Les mit al­lem nicht so zu­frie­den zu sein, wie man es ei­gent­lich an­neh­men soll­te. Un­ge­fähr ei­ne Wo­che vor dem ers­ten Dreh­tag kam er zu mir und schüt­te­te mir sein Herz aus. Er ver­such­te zwar das, was er sag­te, als Ba­ga­tel­le hin­zu­stel­len, aber ich wuß­te, daß er sich ernst­li­che Sor­gen mach­te.

Der Kern­punkt der Ge­schich­te war sehr ein­fach und läßt sich in ei­nem Satz zu­sam­men­fas­sen: Jor­la fing an, sich selt­sam zu be­neh­men.

Zu­erst ein­mal be­kam er Streit mit der Ver­wal­tung. Es hat­te sich her­aus­ge­stellt, daß er ei­ni­ge Ta­ge nach sei­ner An­kunft in Hol­ly­wood aus dem Ho­tel wie­der aus­ge­zo­gen war, aber er wei­ger­te sich, im Stu­dio sei­ne der­zei­ti­ge Adres­se an­zu­ge­ben.

Aber das war nicht al­les.

Er woll­te sich nicht über sei­ne Rol­le un­ter­hal­ten und dach­te nicht dar­an, ir­gend­wel­che Vor­schlä­ge für die In­ter­pre­ta­ti­on zu ma­chen. Der gan­ze Film schi­en ihn nicht zu in­ter­es­sie­ren, und er gab Kin­caid ge­gen­über un­um­wun­den zu, daß er den Ver­trag nur un­ter­zeich­net hät­te, um die Mög­lich­keit zu ha­ben, Eu­ro­pa zu ver­las­sen.

Er er­zähl­te Kin­caid das, was er mir ge­sagt hat­te – die Sa­che mit der Teu­fel­s­an­be­tung. Und er er­ging sich in fins­te­ren An­deu­tun­gen. Er mur­mel­te et­was von ›Ver­fol­gung‹, ›Rä­chern‹ und ›Jä­gern, die auf der Lau­er la­gen‹. Er schi­en das Ge­fühl zu ha­ben, daß die An­be­ter der Schwar­zen Mes­se auf ihn zor­nig wa­ren, weil er ihr Ge­heim­nis ver­letzt hat­te und weil sie ihn of­fen­sicht­lich für die Frei­ga­be von ›Rück­kehr zum Sab­bat‹ ver­ant­wort­lich mach­ten. Aus die­sem Grund, fuhr Jor­la fort, könn­te er we­der sei­ne Adres­se an­ge­ben noch für ei­ne Ver­öf­fent­li­chung et­was aus sei­ner Ver­gan­gen­heit er­zäh­len. Aus dem­sel­ben Grund müß­te er auch in dem Film ein Ma­ke-up be­kom­men, das sein Äu­ße­res völ­lig ver­än­der­te. Er hat­te häu­fig das Ge­fühl, be­ob­ach­tet und ver­folgt zu wer­den. Hier in Hol­ly­wood wä­ren so vie­le Aus­län­der … zu vie­le Aus­län­der.

»Was, zum Teu­fel, soll ich mit so ei­nem Mann ma­chen?« schnaub­te Kin­caid, als er mir das al­les er­zählt hat­te.

»Er ist ent­we­der ein Wahn­sin­ni­ger oder ein Narr!« fuhr er fort. »Und ich muß ge­ste­hen, daß er der Ge­stalt in sei­nem Film zu sehr äh­nelt, als daß ich ihn sym­pa­thisch fin­den könn­te. Und die­se ver­dammt bei­läu­fi­ge Art zu be­ken­nen, daß er in die Teu­fel­s­an­be­tung und den gan­zen Zau­ber­kram hin­ein­ge­schlit­tert wä­re. Er glaubt al­so an die­sen gan­zen Kram und – ja, um die Wahr­heit zu sa­gen, ich bin ei­gent­lich we­gen der letz­ten Sa­che, von der er ge­spro­chen hat, zu dir ge­kom­men …

Karl Jor­la ist heu­te in mein Bü­ro ge­kom­men. Ich ha­be ihn zu­erst gar nicht er­kannt. Und das lag nicht nur an der dunklen Son­nen­bril­le und dem di­cken Schal, den er sich bis über das Kinn hoch­ge­zo­gen hat­te. Er selbst hat sich ver­än­dert. Er zit­ter­te am gan­zen Kör­per und ging ge­beugt. Und als er sprach, klang sei­ne Stim­me wie ein Stöh­nen. Er zeig­te mir – die­ses hier.«

Kin­caid reich­te mir einen Zei­tungs­aus­schnitt. Es han­del­te sich um ei­ne Mel­dung aus der Lon­do­ner ›Ti­mes‹, die über ei­ne eu­ro­päi­sche Pres­se­agen­tur in die hie­si­gen Zei­tun­gen ge­kom­men war und die be­sag­te, daß Fritz Ohm­men, der ös­ter­rei­chi­sche Film­re­gis­seur, ums Le­ben ge­kom­men war. Man hat­te ihn er­würgt in ei­ner Pa­ri­ser Man­sar­de ge­fun­den, und sei­ne Lei­che war grau­en­haft ver­stüm­melt. In der Mel­dung wur­de wei­ter­hin er­wähnt, daß der oder die Tä­ter dem Op­fer ein auf den Kopf ge­stell­tes Kreuz auf die Brust über den auf­ge­schlitz­ten Ein­ge­wei­den ein­ge­brannt hat­ten. Die Mör­der wür­den noch von der Pa­ri­ser Po­li­zei ge­sucht …

Ich reich­te Les den Zei­tungs­aus­schnitt zu­rück. »Na und?« frag­te ich, ob­wohl ich mir sei­ne Ant­wort schon den­ken konn­te.

Kin­caid räus­per­te sich. »Fritz Ohm­men war der Re­gis­seur des Films, in dem Karl Jor­la ge­spielt hat, der Re­gis­seur, der – ge­nau­so wie Jor­la – die Teu­fel­s­an­be­ter kann­te. Jor­la be­haup­tet, daß sein Freund nach Pa­ris ge­flo­hen ist und daß sie ihn aus­fin­dig ge­macht ha­ben.«

Ich schwieg.

»Ver­damm­ter Mist«, grunz­te Kin­caid. »Ich ha­be Jor­la po­li­zei­li­chen Schutz an­ge­bo­ten, aber er hat ihn ab­ge­lehnt. Was soll ich da ma­chen? So­lan­ge er sich hier im Stu­dio auf­hält, ist er si­cher, aber sonst … Er hat ei­ne Hei­den­angst. Und ich krie­ge sie lang­sam auch.« Les er­hob sich und ging. Ich konn­te ihm auch nicht hel­fen. Ich saß da und dach­te über Karl Jor­la nach, der an Teu­fels­mäch­te glaub­te; sie erst an­be­te­te und dann ver­riet. Ich könn­te über die­se gan­ze al­ber­ne Ge­schich­te über­heb­lich lä­cheln, wenn ich den Mann nicht auf der Lein­wand ge­se­hen und sei­ne un­heim­li­chen, wis­sen­den Au­gen be­ob­ach­tet hät­te. Ich war in die­sem Au­gen­blick sehr froh, daß wir kei­nen Rum­mel um Karl Jor­la ge­macht hat­ten.

In den nächs­ten Ta­gen be­kam ich Jor­la kaum zu Ge­sicht. Da­für dran­gen aber die ver­schie­dens­ten Ge­rüch­te zu mir. Vor den To­ren des Film­ge­län­des hat­ten sich vie­le neu­gie­ri­ge Aus­län­der ver­sam­melt. Ein paar hat­ten in ei­nem Renn­wa­gen ver­sucht die Bar­rie­ren zu durch­bre­chen. Bei ei­nem Sta­tis­ten ei­ner Mas­sen­sze­ne, die in Hal­le sechs ge­dreht wur­de, hat­te man un­ter der Wes­te einen ge­la­de­nen Re­vol­ver ge­fun­den. Man hat­te den Sta­tis­ten fest­ge­nom­men. Er hat­te sich da­durch ver­däch­tig ge­macht, daß er vor den Fens­tern von Stu­dio vier her­um­lun­ger­te und auf ir­gend et­was zu lau­ern schi­en. Bis zum jet­zi­gen Zeit­punkt wei­ger­te sich der Mann im­mer noch, zu spre­chen. Es war ein Deut­scher … Jor­la ließ sich jetzt im­mer in ei­nem ge­schlos­se­nen Wa­gen ins Ate­lier fah­ren. Er war bis zu den Au­gen ver­mummt. Er zit­ter­te un­auf­hör­lich. Sei­ne Fort­schrit­te in der eng­li­schen Spra­che wa­ren er­bärm­lich. Er sprach mit kei­nem Men­schen. Er hat­te zwei Män­ner an­ge­stellt, die ihn auf Schritt und Tritt be­glei­te­ten. Sie wa­ren be­waff­net.

Nach ein paar Ta­gen drang die Nach­richt zu mir, daß der deut­sche Sta­tist sein Schwei­gen ge­bro­chen hat­te. Er war of­fen­sicht­lich ein pa­tho­lo­gi­scher Fall … nach­dem man ihn zum Re­den ge­bracht hat­te, plap­per­te er wild drauf los und fa­sel­te ir­gend et­was von ei­nem ›Schwar­zen Lu­zi­fer-Kult‹, der hier in der Stadt vie­le aus­län­di­sche An­hän­ger hat­te. Es han­del­te sich um ei­ne ge­hei­me Sek­te, die an­geb­lich den Teu­fel an­be­te­te und mit gleich­ar­ti­gen Sek­ten in den be­tref­fen­den Hei­mat­län­dern in Ver­bin­dung stand. Man hat­te ihn, den Deut­schen, da­zu ›aus­er­wählt‹, den Ab­trün­ni­gen und Ver­rä­ter zu ver­nich­ten. Wei­te­re Ein­zel­hei­ten wag­te der Deut­sche nicht zu sa­gen. Aber man brach­te ihn noch da­zu, ei­ne Adres­se zu nen­nen, wo die Po­li­zei viel­leicht die Zen­tra­le der Sek­te fin­den könn­te. Wie je­doch nicht an­ders zu er­war­ten, fand die Po­li­zei das Nest, ein ver­kom­me­nes al­tes Ge­bäu­de in Glen­dale, ver­las­sen vor. Sie ent­deck­te un­ter die­sem son­der­ba­ren Haus le­dig­lich einen Ge­heim­gang, der zu ei­nem Kel­ler führ­te, aus dem of­fen­sicht­lich in großer Ei­le al­les Ver­däch­ti­ge ent­fernt wor­den war. Der Deut­sche wur­de wei­ter­hin fest­ge­hal­ten. Man woll­te nun­mehr einen Psych­ia­ter zu ihm schi­cken.

Mich über­ka­men bö­se Vor­ah­nun­gen, als ich die­sen Be­richt hör­te. Mir war ei­ni­ges von der fremd­ar­ti­gen aus­län­di­schen Be­völ­ke­rung von Los An­ge­les und Hol­ly­wood be­kannt. Der Him­mel moch­te wis­sen, warum, aber Süd­ka­li­for­ni­en hat­te schon im­mer auf Ok­kul­tis­ten und Mys­ti­ker ei­ne un­er­klär­li­che An­zie­hungs­kraft aus­ge­übt. Mir wa­ren so­gar Ge­rüch­te zu Oh­ren ge­kom­men, de­nen zu­fol­ge ei­ni­ge un­se­rer be­kann­tes­ten Stars Be­zie­hun­gen zu die­sen wi­der­wär­ti­gen Ge­heim­sek­ten ha­ben soll­ten; ei­ne Tat­sa­che, die je­doch nie­mand zu ver­öf­fent­li­chen wa­gen wür­de. Und Jor­la hat­te Angst!

Ich hat­te das Ge­fühl, daß ich nicht ta­ten­los her­um­sit­zen dürf­te. Dar­um klemm­te ich mich ei­nes Nach­mit­tags hin­ter Jor­las schwar­zen Wa­gen und woll­te ihm bis zu sei­nem mys­te­ri­ösen Haus fol­gen. Aber Jor­las Fahr­zeug war schnel­ler als meins, und ich ver­lor es in den win­di­gen Ser­pen­ti­nen des To­pan­ga Ca­ny­ons aus den Au­gen. Sein Wa­gen war auf ein­mal in der Däm­me­rung, die über den pur­pur­ro­ten Hü­geln lag, ver­schwun­den. Pech. Da konn­te ich nichts ma­chen. Soll­ten die Män­ner, die Jor­la zu sei­nem Schutz an­ge­heu­ert hat­te, ver­sa­gen, wür­den wir vom Stu­dio kei­ne Mög­lich­keit ha­ben, ihm zu hel­fen.

Das war der Abend, an dem Jor­la ver­schwand.

Zu­min­dest er­schi­en er am nächs­ten Mor­gen ent­ge­gen sei­ner Ge­wohn­heit nicht im Ate­lier. Und die Dreh­ar­bei­ten für sei­nen Film soll­ten in zwei Ta­gen an­fan­gen! Der ›Al­te‹ und Les Kin­caid be­ka­men einen Tob­suchts­an­fall. Die Po­li­zei wur­de alar­miert. Ich tat mein mög­lichs­tes, um die gan­ze Ge­schich­te nach au­ßen hin zu ver­tu­schen.

Als Jor­la auch am dar­auf­fol­gen­den Mor­gen nicht er­schi­en, ging ich zu Kin­caid und sag­te ihm, daß ich Jor­las Wa­gen bis zum To­pan­ga Ca­ny­on ver­folgt hat­te.

Die Po­li­zei ar­bei­te­te fie­ber­haft!

Für den nächs­ten Tag war der Dreh­be­ginn an­ge­setzt!

Wir ver­brach­ten ei­ne schlaflo­se Nacht, die uns je­doch kei­nen Schritt wei­ter­brach­te. Wir hör­ten kein Wort, we­der von Jor­la selbst noch über sei­nen Ver­bleib. Als der Mor­gen grau­te, hob Kin­caid den Kopf und schau­te mich schwei­gend an. Aber in sei­nen Au­gen stand ei­ne un­aus­ge­spro­che­ne Be­fürch­tung. Acht Uhr. Wir stan­den auf und gin­gen wort­los ne­ben­ein­an­der über das Film­ge­län­de zur Kan­ti­ne. Wir hat­ten das drin­gen­de Be­dürf­nis nach star­kem Kaf­fee. Die Po­li­zei hat­te uns seit Stun­den kei­nen Be­richt durch­ge­ge­ben. Auf un­se­rem Weg ka­men wir an Hal­le vier vor­bei, wo die Ku­lis­sen­ar­bei­ter schon eif­rig am Werk wa­ren. Das em­si­ge Häm­mern kam uns wie der reins­te Hohn vor. Wir hat­ten das si­che­re Ge­fühl, daß Jor­la heu­te be­stimmt nicht vor der Ka­me­ra ste­hen wür­de, wenn über­haupt je­mals …

Bles­kind, der Re­gis­seur des Gru­sel-Meis­ter­wer­kes, das bis jetzt noch kei­nen Ti­tel hat­te, kam aus der Hal­le ge­schos­sen, als er uns vor­bei­ge­hen sah.

Sein fet­ter Wanst wab­bel­te vor Auf­re­gung, als er Kin­cai­ds Arm um­klam­mer­te, und er krächz­te: »Was Neu­es?«

Kin­caid schüt­tel­te lang­sam den Kopf.

Bles­kinds Zi­gar­re rutsch­te von ei­nem Mund­win­kel in den an­de­ren. »Wir müs­sen an­fan­gen«, ächz­te er. »Wir wer­den al­les um Jor­la her­um in den Kas­ten brin­gen. Wenn die Sze­nen, in de­nen er nicht auf­tritt, ab­ge­dreht sind und er ist dann im­mer noch nicht auf­ge­kreuzt, müs­sen wir eben einen an­de­ren Schau­spie­ler neh­men. Aber wir kön­nen un­mög­lich län­ger war­ten.« Der klei­ne, di­cke Re­gis­seur wat­schel­te mit ei­ner Schnel­lig­keit, die man ihm bei sei­ner Kör­per­fül­le nicht zu­ge­traut hät­te, in die Hal­le zu­rück.

Kin­caid folg­te ei­ner plötz­li­chen Ein­ge­bung, als er mich beim Arm pack­te und mit mir hin­ter dem wat­scheln­den Di­cken in die Hal­le stürz­te.

»Wir wol­len zu­se­hen, wenn die ers­te Klap­pe fällt«, sag­te er rasch. »Ich möch­te doch mal wis­sen, wie sie die Ge­schich­te für Jor­la auf­zie­hen.«

Hal­le vier hat­te sich in ein go­ti­sches Schloß ver­wan­delt, in den Stamm­sitz von Ba­ron Ul­mo. Wir schau­ten in ei­ne dunkle, un­heim­li­che Gruft, die schon zehn Mei­len ge­gen den Wind nach Greu­el­ta­ten roch. Der Staub brei­te­te sich wie ein rie­si­ges Lei­chen­tuch aus, und die vie­len Spinn­ge­we­be deu­te­ten dar­auf hin, daß seit ewi­gen Zei­ten kein mensch­li­ches Le­be­we­sen die­se Gruft be­tre­ten hat­te. Tags­über war sie den Rat­ten über­las­sen, und nachts kroch das Grau­en über die kal­ten Stei­ne. In der Mit­te der Gruft war ein Al­tar er­rich­tet, ein Al­tar des Sa­tans. Es war ein großer schwar­zer Stein, an dem sich einst Ba­ron Ul­mo mit Gleich­ge­sinn­ten dem Teu­fels­kult er­ge­ben hat­te, vor dem sie Lu­zi­fer an­be­te­ten und ihm Op­fer dar­brach­ten. Jetzt lag der Ba­ron un­ter dem Al­tar be­gra­ben. Das war in et­wa die Le­gen­de.

Laut Dreh­buch hat­te jetzt Syl­via Chan­ning, die Hel­din der Ge­schich­te, zu er­schei­nen. Sie hat­te das al­te Schloß ge­erbt, war mit ih­rem jun­gen Ehe­mann ein­ge­zo­gen und durch­stö­ber­te nun je­den Win­kel des al­ten Ge­mäu­ers.

In die­ser Sze­ne soll­te sie den Al­tar zum ers­ten­mal se­hen und die ver­wa­sche­ne In­schrift le­sen. Sie konn­te na­tür­lich nicht ah­nen, daß die­se In­schrift un­ter ge­wis­sen Be­din­gun­gen zu ei­ner Art An­ruf wer­den konn­te, der zur Fol­ge hat­te, daß sich das Grab öff­ne­te und Ba­ron Ul­mo von den To­ten er­weckt wur­de. Die Lei­che hat­te sich aus dem Grab zu er­he­ben und zu wan­deln. An die­sem Punkt soll­ten die Dreh­ar­bei­ten – we­gen Jor­las Ab­we­sen­heit – erst ein­mal un­ter­bro­chen wer­den.

Ich muß­te an­er­ken­nend fest­stel­len, daß die Ku­lis­sen und die gan­ze Auf­ma­chung groß­ar­tig ge­lun­gen wa­ren.

Auf ein Zei­chen Re­gis­seurs Bles­kinds setz­ten sich Les Kin­caid und ich ne­ben ihn. Die Schein­wer­fer flamm­ten auf, Syl­via Chan­ning trat in die Ku­lis­sen, und die Ka­me­ra lief.

Das Gan­ze war zu An­fang ei­ne Pan­to­mi­me. Syl­via ging über den mit Spinn­ge­we­ben be­deck­ten Stein­bo­den. Sie ent­deck­te den Al­tar und un­ter­such­te ihn neu­gie­rig. Vor der In­schrift blieb sie ste­hen und las sie auf­merk­sam. Dann wie­der­hol­te sie flüs­ternd die Wor­te.

Ein Dröh­nen und Pfei­fen er­füll­te die Gruft, als sich der Me­cha­nis­mus au­to­ma­tisch in Be­we­gung setz­te. Der Stein­al­tar schob sich äch­zend zur Sei­te, und ei­ne große schwar­ze klaf­fen­de Gru­be wur­de sicht­bar.

Die Ka­me­ra schwenk­te auf Syl­vi­as Ge­sicht. Sie hat­te vol­ler Ent­set­zen in die Gru­be zu star­ren, und ich muß sa­gen, es ge­lang ihr vor­treff­lich. Im fer­ti­gen Film wür­de sie dann auf Jor­las Ge­stalt star­ren.

Bles­kind war im Be­griff, das Zei­chen zum Ab­bre­chen zu ge­ben. Aber da –

Ir­gend et­was er­hob sich aus dem Grab!

Es war tot, die­ses Et­was, die­ses Grau­en mit der Mas­ke ge­sichts­lo­sen Flei­sches. Um sei­nen Kör­per hin­gen ver­mo­der­te Lum­pen, und auf sei­ner Brust leuch­te­te ein blu­ti­ges, auf den Kopf ge­stell­tes Kru­zi­fix, das aus dem to­ten Fleisch her­aus­ge­schnit­ten wor­den war. Sei­ne Au­gen lo­der­ten ekel­haft. Es war Ba­ron Ul­mo, der von den To­ten auf­er­stand. Und es war Karl Jor­la!

Das Ma­ke-up war ein­ma­lig. Sei­ne Au­gen wa­ren so tot wie in dem an­de­ren Film. Sei­ne Lip­pen schie­nen wie­der an­ge­fres­sen zu sein. Aber sein Mund wirk­te fast noch ab­scheu­li­cher als da­mals, denn er war ge­öff­net und leg­te ein pech­schwar­zes Loch frei. Die Wir­kung, die von dem blu­ten­den Kru­zi­fix aus­ging, war so ein­drucks­voll, daß sie sich nicht be­schrei­ben läßt.

Bles­kind ver­schluck­te bei­na­he sei­ne Zi­gar­re, als Jor­la er­schi­en. Aber er war geis­tes­ge­gen­wär­tig ge­nug, den er­starr­ten Ka­me­ra­leu­ten das Zei­chen zum Wei­ter­dre­hen zu ge­ben.

Wir sa­ßen weit vor­ge­beugt und ver­folg­ten an­ge­strengt je­de Be­we­gung. Aber ich sah in Les Kin­cai­ds Au­gen das­sel­be un­gläu­bi­ge Stau­nen, das mich er­füll­te.

Jor­la spiel­te wie nie zu­vor.

Er be­weg­te sich so lang­sam, wie man es von ei­ner Lei­che er­war­te­te. Als er sich müh­sam aus dem Grab auf­rich­te­te, schi­en ihm je­de kleins­te An­stren­gung Pein zu be­rei­ten. Die gan­ze Sze­ne ver­lief laut­los. Syl­via war in Ohn­macht ge­fal­len. Als sich dann aber Jor­las Lip­pen be­weg­ten, hör­ten wir ein schwa­ches ge­flüs­ter­tes Ge­mur­mel, das das Grau­en nur noch un­ter­strich. In­zwi­schen hat­te sich sein schreck­li­cher Kör­per fast zur Hälf­te aus dem Grab er­ho­ben. Er schi­en sich un­ter gräß­li­chen Qua­len wei­ter auf­zu­rich­ten, wo­bei er mit sei­nem Ge­mur­mel fort­fuhr. Das blu­ten­de, ins Fleisch ein­ge­schnit­te­ne Kru­zi­fix glüh­te dun­kel­rot auf sei­ner Brust. Da­bei fiel mir das Kreuz ein, das man bei sei­nem er­mor­de­ten Freund, dem ös­ter­rei­chi­schen Re­gis­seur Fritz Ohm­men, vor­ge­fun­den hat­te. Jetzt war mir klar, wie Karl Jor­la auf die­se Idee ge­kom­men war.

Die Lei­che rich­te­te sich auf … sie war im Be­griff, sich zu er­he­ben … aber dann wur­de sie mit ei­nem plötz­li­chen Ruck steif und sank in das Grab zu­rück.

Ich weiß nicht, wer den ers­ten Schrei aus­stieß. Aber nach­dem die Büh­nen­ar­bei­ter zu dem Grab ge­stürzt wa­ren um nach­zu­se­hen, was dar­in lag, hör­te das Schrei­en über­haupt nicht mehr auf.

Ich ras­te nach vorn. Und ich schrie eben­falls, als ich am Rand des Gra­bes stand.

Denn das Grab war leer.

 

Ich wünsch­te, daß ich da­mit die Ge­schich­te be­en­den könn­te. Die Zei­tun­gen ha­ben nie et­was da­von er­fah­ren. Die Po­li­zei gab kei­nen Be­richt her­aus. Die Leu­te, die bei den Dreh­ar­bei­ten an­we­send wa­ren, sag­ten so­wie­so kein Wort. Die Her­stel­lung des Fil­mes wur­de un­ver­züg­lich ein­ge­stellt. Aber die Ge­schich­te hör­te da­mit lei­der noch nicht auf. Das Un­ge­heu­er­li­che, das sich auf der Büh­ne zu­ge­tra­gen hat­te, hat­te noch ein Nach­spiel.

Kin­caid und ich starr­ten Bles­kind an, des­sen Mund auf- und zu­klapp­te, oh­ne daß er einen Ton her­vor­brach­te. Was soll­te er auch sa­gen? Wie soll­te es für das, was wir eben ge­se­hen hat­ten, ei­ne ver­nünf­ti­ge Er­klä­rung ge­ben?

Jor­la war seit Ta­gen ver­schwun­den ge­we­sen. Kei­ner hat­te ihn in das Ate­lier ge­las­sen, und nie­mand hat­te ihm das Ma­ke-up ge­macht. Kein Mensch hat­te ge­se­hen, daß er sich in das Grab ge­legt hat­te. Tat­sa­che war aber: Er war in der Sze­ne er­schie­nen und dann wie­der ver­schwun­den. Und das Grab war leer.

Als im Stu­dio noch all­ge­mei­nes Ent­set­zen und Rat­lo­sig­keit herrsch­ten, raff­te sich Kin­caid als ers­ter zu­sam­men und sag­te Bles­kind, was zu tun wä­re.

Der Film wur­de so­fort ent­wi­ckelt, ob­wohl zwei der Tech­ni­ker da­bei ohn­mäch­tig wur­den. Dann sa­ßen wir drei in ei­nem der klei­nen Vor­führ­räu­me und sa­hen uns das roh­ge­faß­te Mus­ter an. Auf un­se­ren Wunsch hat­te man auch in Ei­le den Ton un­ter­legt.

Die Sze­ne lief noch ein­mal vor un­se­ren Au­gen ab. Syl­via ging um­her und las die In­schrift, das Grab öff­ne­te sich und – o Gott! – nichts er­schi­en!

Nichts – au­ßer ei­ner großen ro­ten Wun­de, die mit­ten im Raum zu schwe­ben schi­en. Es war das auf den Kopf ge­stell­te Kru­zi­fix, das in das blu­ten­de Fleisch ein­ge­schnit­ten wor­den war. Von Jor­la selbst war nicht das ge­rings­te zu se­hen! Es gab nur das blut­trie­fen­de Kreuz in der Luft und dann das lei­se Ge­mur­mel …

Jor­la – das Et­was oder was im­mer es ge­we­sen sein moch­te – hat­te ein paar Wor­te ge­stam­melt, als er – oder es – sich aus dem Grab er­ho­ben hat­te. Ich hat­te gar nicht ge­wußt, daß beim Dre­hen der Sze­ne der Ton mit­ge­lau­fen war. Wir sa­hen nichts von Jor­la. Wir sa­hen nur das Kru­zi­fix. Aber wir hör­ten jetzt Jor­las Stim­me, die aus dem Nichts kam. Wir ver­stan­den, was er im­mer wie­der­hol­te, bis er in das Grab zu­rück­fiel.

Es war ei­ne Adres­se im To­pan­ga Ca­ny­on.

Wir emp­fan­den es al­le als ei­ne Wohl­tat, als das Licht wie­der an­ging.

Kin­caid rief so­fort bei der Po­li­zei an und schick­te sie zu der Adres­se, die wir eben ge­hört hat­ten.

Dann sa­ßen wir drei in Kin­cai­ds Bü­ro und war­te­ten auf den An­ruf von der Po­li­zei. Wir tran­ken, aber wir re­de­ten kein Wort. Je­der von uns hing sei­nen ei­ge­nen Ge­dan­ken nach, aber wir dach­ten wahr­schein­lich al­le das­sel­be. Wir dach­ten an Karl Jor­la, den Teu­fel­s­an­be­ter, der uns sein Schick­sal ver­ra­ten hat­te, und an sei­ne Angst vor der Ver­gel­tung. Wir er­in­ner­ten uns an den er­mor­de­ten Re­gis­seur in Pa­ris, dem man ein Kru­zi­fix auf die Brust ge­brannt hat­te, und an Jor­las Ver­schwin­den. Und schließ­lich wa­ren wir mit un­se­ren Ge­dan­ken wie­der bei dem scheuß­li­chen Geis­ter­we­sen in der heu­ti­gen Sze­ne an­ge­langt. Die­ses We­sen, das sich nicht auf den Film ban­nen ließ. Nur die flam­men­de Wun­de war auf dem Film ge­kom­men, als Jor­las stöh­nen­de Stim­me die Adres­se preis­gab …

Das Te­le­fon schrill­te.

Ich hob den Hö­rer ab. Es war wirk­lich die Po­li­zei. Als sie Be­richt er­stat­tet hat­ten, fiel ich in Ohn­macht.

Es dau­er­te ei­ni­ge Mi­nu­ten, bis ich wie­der zu mir kam, und es ver­gin­gen wei­te­re Mi­nu­ten, be­vor ich spre­chen konn­te.

»Die Adres­se, die uns Karl Jor­la von der Lein­wand her ge­ge­ben hat, stimmt. Sie ha­ben dort sei­ne Lei­che ge­fun­den«, flüs­ter­te ich hei­ser. »Er haus­te oben in den Ber­gen in ei­ner al­ten Hüt­te und war tot, als die Po­li­zei kam. Er ist – er­mor­det wor­den. Und in sei­ne Brust ist wirk­lich ein um­ge­dreh­tes Kreuz ein­ge­schnit­ten wor­den. Sie glau­ben, daß das das Werk von ei­ni­gen Fa­na­ti­kern ist, denn in der Hüt­te la­gen über­all Bü­cher über Schwar­ze Ma­gie ver­streut. Sie sa­gen –«

Ich stock­te.

Kin­caid sah mich durch­drin­gend an.

»Was sa­gen sie?« frag­te er und beug­te sich an­ge­spannt vor.

Ich schluck­te hef­tig. »Sie sa­gen, daß Jor­la schon seit min­des­tens drei Ta­gen tot ist.«