Der Gott ohne Gesicht

 

Das ge­quäl­te Et­was auf der Fol­ter­bank be­gann zu stöh­nen.

»Aha«, nick­te Dr. Car­no­ti, »ha­ben wir ihn end­lich so­weit.«

Er beug­te sich über den ge­fol­ter­ten Mann auf dem ei­ser­nen Grill und blick­te in das schmerz­ver­zerr­te Ge­sicht. Sei­ne Au­gen, in de­nen sich leich­te Be­lus­ti­gung spie­gel­te, nah­men je­de Ein­zel­heit des ge­pei­nig­ten Kör­pers, der vor ihm lag, in sich auf.

Dann wand­te er sei­ne Auf­merk­sam­keit wie­der dem Ge­sicht des Ge­fol­ter­ten zu und sag­te lang­sam: »Nun, Hassan, ich kann mir nicht vor­stel­len, daß Sie sich an­ge­sichts mei­ner – über­zeu­gen­den Über­re­dungs­kunst wei­ter­hin so stör­risch wie bis­her ver­hal­ten.« Er lä­chel­te leicht und fuhr dann mit schnei­den­der Stim­me fort: »Al­so los: Wo fin­de ich das Göt­zen­bild, von dem Sie ge­spro­chen ha­ben?«

Das ge­quäl­te Op­fer be­gann zu schluch­zen. Der Dok­tor sah sich ge­zwun­gen, ne­ben der Fol­ter­bank in die Knie zu ge­hen, um das zu­sam­men­hang­lo­se Ge­stam­mel des Man­nes ver­ste­hen zu kön­nen. Die miß­han­del­te Krea­tur moch­te et­wa zwan­zig Mi­nu­ten lang mit ei­ner kräch­zen­den Stim­me, die kei­nem le­ben­den Men­schen zu ge­hö­ren schi­en, ge­re­det ha­ben, als sie dann völ­lig er­schöpft schwieg.

Als sich Dr. Car­no­ti wie­der er­hob, leuch­te­ten sei­ne freund­li­chen Au­gen höchst zu­frie­den. Er gab ei­nem der Schwar­zen, die das Fol­ter­ge­rät be­dien­ten, ei­ne kur­ze An­wei­sung. Der Bur­sche nick­te und trat zu dem Ge­fes­sel­ten. Dann zog er sein Schwert und ließ es nie­der­sau­sen.

Dr. Car­no­ti ver­ließ den Raum, schloß die Tür hin­ter sich ab und stieg die Kel­ler­trep­pe hin­auf. Als er die Fall­tür hoch­stemm­te, sah er, daß die Son­ne schi­en. Der Dok­tor be­gann zu pfei­fen. Er war im höchs­ten Ma­ße zu­frie­den.

Er hat­te auch al­len Grund da­zu.

Jah­re­lang war der Dok­tor, wie man im Volks­mund sagt, ein ›Aben­teu­rer‹ ge­we­sen.

Er hat­te An­ti­qui­tä­ten ge­schmug­gelt, er hat­te am obe­ren Nil die Ar­beits­kräf­te aus­ge­beu­tet, und er hat­te sich auch nicht ge­scheut, vom Skla­ven­han­del, der sei­ner­zeit am Ro­ten Meer blüh­te, zu pro­fi­tie­ren. Er war vor vie­len Jah­ren als Mit­glied ei­ner ar­chäo­lo­gi­schen Ex­pe­di­ti­on nach Ägyp­ten ge­kom­men. Aber die an­de­ren Teil­neh­mer die­ser Ex­pe­di­ti­on hat­ten sich sehr plötz­lich von ihm di­stan­ziert und leg­ten kei­nen Wert auf sei­ne wei­te­re Mit­ar­beit. Der Grund da­für ist nicht be­kannt, aber es gibt ei­ni­ge Ge­rüch­te, die be­sa­gen, daß er ei­ni­ge Ge­gen­stän­de der Aus­gra­bun­gen als sein pri­va­tes Ei­gen­tum be­trach­tet hat­te. Kein Mensch weiß, wo er nach die­sem Zwi­schen­fall un­ter­ge­taucht war. Ein paar Jah­re dar­auf kehr­te er je­doch nach Kai­ro zu­rück und ließ sich im Ein­ge­bo­re­nen­vier­tel nie­der. Hier ver­fiel er end­gül­tig dem skru­pel­lo­sen Ge­schäfts­ge­ba­ren, das ihm einen schlech­ten Ruf und ein be­acht­li­ches Ver­mö­gen ein­brach­te. Ge­gen bei­des hat­te er an­schei­nend nichts ein­zu­wen­den. Jetzt moch­te er et­wa fünf­und­vier­zig Jah­re alt sein. Er war ein ge­drun­ge­ner klei­ner Mann. Sein mas­si­ger ku­gel­runder Kopf ruh­te auf brei­ten, af­fen­ar­ti­gen Schul­tern. Lä­cher­li­che spin­del­dür­re Bei­ne muß­ten das Ge­wicht des schwe­ren Kör­pers und des fet­ten Wan­s­tes tra­gen. Die­se dün­nen Bei­ne wirk­ten gro­tesk im Zu­sam­men­hang mit dem wuch­ti­gen, fet­ten Kör­per. Ob­wohl er bei flüch­ti­ger Be­trach­tung den Ein­druck ei­nes Fal­staf­fes er­weck­te, blieb kei­nem lan­ge ver­bor­gen, daß er ein har­ter, un­barm­her­zi­ger Mann war. Sei­ne klei­nen Schwein­sau­gen wa­ren von Gier er­füllt, sei­ne flei­schi­gen, auf­ge­wor­fe­nen Lip­pen wirk­ten lüs­tern, und sein Lä­cheln sprach von ei­ner un­er­sätt­li­chen Hab­gier.

Es war auch sei­ne Hab­sucht, die ihn in das ge­gen­wär­ti­ge Aben­teu­er ge­trie­ben hat­te. Nor­ma­ler­wei­se war ihm Leicht­gläu­big­keit fremd. Die üb­li­chen Ge­schich­ten von un­ent­deck­ten Py­ra­mi­den, ver­bor­ge­nen Schät­zen und ent­wen­de­ten Mu­mi­en konn­ten ihn nicht son­der­lich be­ein­dru­cken. Er be­schäf­tig­te sich lie­ber mit hand­fes­te­ren, wirk­li­chen Din­gen. Er konn­te sich zum Bei­spiel für ein Sor­ti­ment ge­schmug­gel­ter Tep­pi­che oder ei­ne Sen­dung Opi­um leb­haft in­ter­es­sie­ren … Er hat­te mit ei­nem Wort Ver­ständ­nis für je­den il­le­ga­len Han­del und schal­te­te sich ger­ne ein, wenn der Wei­ter­ver­kauf die­ser un­er­laub­ten Wa­ren Pro­fit ver­sprach.

Aber die­se Sa­che war et­was an­de­res. Ob­wohl es bei ge­nau­er Be­trach­tung ei­ne je­ner ›üb­li­chen Ge­schich­ten‹ war, wit­ter­te Car­no­ti in die­sem Fall ein dickes Ge­schäft, das förm­lich nach viel Geld roch. Trotz sei­ner Vor­lie­be für hand­fes­te Ge­schäf­te wuß­te Car­no­ti nur zu ge­nau, daß vie­le Ägyp­to­lo­gen ih­re be­rühmt ge­wor­de­nen Fun­de auf Grund ähn­lich wil­der Ge­rüch­te – wie das, was ihm zu Oh­ren ge­kom­men war – ent­deckt hat­ten. Dar­über hin­aus war Car­no­ti in der La­ge, den fei­nen Un­ter­schied zwi­schen ei­ner un­wahr­schein­lich klin­gen­den Wahr­heit und ei­ner phan­tas­tisch aus­ge­schmück­ten Dich­tung zu wit­tern. Und die­se Ge­schich­te schi­en der Wahr­heit zu ent­spre­chen.

Kurz ge­sagt, es war fol­gen­des:

Ei­ne be­stimm­te No­ma­den­grup­pe, die mit ei­ner Fracht ge­schmug­gel­ter Gü­ter un­ter­wegs ge­we­sen war, hat­te aus gu­tem Grund ei­ne ge­hei­me, nur ih­nen be­kann­te Rou­te durch die Wüs­te ge­wählt. Es schi­en die­sen No­ma­den nicht rat­sam, ei­ner der be­kann­ten Ka­ra­wa­nen­stra­ßen zu fol­gen. Auf ih­rem Weg hat­ten sie plötz­lich einen selt­sa­men Fel­sen oder Stein mit­ten im Sand ent­deckt. Sie wi­chen von ih­rem Weg ab, um die­sen Ge­gen­stand nä­her in Au­gen­schein zu neh­men. Der Stein schi­en of­fen­sicht­lich vor Hun­der­ten von Jah­ren ver­gra­ben wor­den zu sein, aber der Wüs­ten­wind hat­te im Lau­fe der Zeit den Sand auf­ge­wir­belt und ihn teil­wei­se da­von­ge­tra­gen. Da­durch war ein ge­wis­ser Teil des Stei­nes frei­ge­legt wor­den. Als die No­ma­den dicht ge­nug her­an­ge­kom­men wa­ren, stie­gen sie ab und un­ter­such­ten das Ob­jekt ge­nau. Da­bei mach­ten sie ei­ne ver­blüf­fen­de Ent­de­ckung. Das Stück, das durch den Sand frei­ge­legt wor­den war, ent­pupp­te sich als der Kopf ei­ner Fi­gur. Es han­del­te sich um ei­ne ur­al­te ägyp­ti­sche Sta­tue, die die drei­fa­che Kro­ne ei­ner Gott­heit trug. Der schwar­ze Kör­per war noch in den Wüs­ten­sand ein­gehüllt, aber der her­aus­ra­gen­de Kopf war groß­ar­tig er­hal­ten. Die­ser Kopf war schon sehr ei­gen­ar­tig. Ob­wohl die Ka­ra­wa­nen­füh­rer die Ein­ge­bo­re­nen mit Fra­gen be­stürm­ten, konn­te oder woll­te kei­ner die­se Gott­heit iden­ti­fi­zie­ren. So blieb das Gan­ze erst ein­mal un­er­gründ­lich und ge­heim­nis­voll. Aber die Tat­sa­che blieb: Es gab al­so die voll­stän­dig er­hal­te­ne Sta­tue ei­ner Gott­heit, die mut­ter­see­len­al­lein im süd­li­chen Teil der Wüs­te ver­gra­ben war; die sich weit ent­fernt von der nächs­ten Oa­se und min­des­tens zwei­hun­dert Mei­len von den ers­ten An­zei­chen der Zi­vi­li­sa­ti­on be­fand!

Die Ka­ra­wa­nen­füh­rer hat­ten aber zwei­fel­los den Wert ih­rer Ent­de­ckung er­kannt, denn sie be­fah­len den Ein­ge­bo­re­nen, zwei Find­lings­stei­ne, die in der Nä­he der Sta­tue la­gen, auf das stei­ner­ne Bild­nis der un­be­kann­ten Gott­heit zu rol­len. Sie woll­ten, für den Fall, daß sie zu­rück­keh­ren wür­den, die­sen Ort mar­kiert wis­sen. Die Ein­ge­bo­re­nen be­folg­ten zwar die­se An­wei­sung, aber sie ta­ten es wi­der­stre­bend und mur­mel­ten da­bei un­auf­hör­lich ein­tö­ni­ge Ge­be­te. Sie schie­nen sich of­fen­sicht­lich vor dem ver­gra­be­nen Bild­nis zu fürch­ten; doch so­bald sie über die­se Gott­heit be­fragt wur­den, ver­schanz­ten sie sich ei­gen­sin­nig hin­ter Un­wis­sen­heit.

So­bald die Find­lings­blö­cke an Ort und Stel­le wa­ren, muß­te die Ka­ra­wa­ne wei­ter­zie­hen. Da die Zeit dräng­te, war es nicht mög­lich, die gan­ze Fi­gur vom San­de zu be­frei­en, ge­schwei­ge denn, sie mit­zu­neh­men.

So­bald die Ka­ra­wa­ne den Nor­den er­reicht hat­te und sich auf­ge­löst hat­te, mach­te die Ge­schich­te die Run­de. Auf Um­we­gen kam sie – wie bis­her je­de Ge­schich­te – auch Dr. Car­no­ti zu Oh­ren. Und Car­no­ti dach­te sehr schnell. Trotz der Mar­kie­rung schie­nen sich die ei­gent­li­chen Ent­de­cker nicht son­der­lich für die ver­gra­be­ne Gott­heit zu in­ter­es­sie­ren. Aus die­sem Grund muß­te Car­no­ti rasch han­deln. Wahr­schein­lich wür­den sich zum ge­gen­wär­ti­gen Zeit­punkt kei­ner­lei Schwie­rig­kei­ten er­ge­ben, wenn er je­nen Ort auf­su­chen und die Sta­tue frei­le­gen wür­de. Nur eins war wich­tig: Er muß­te wis­sen, wo ›je­ner Ort‹ war.

Car­no­ti hat­te das Ge­fühl, daß es sich lohn­te, das her­aus­zu­fin­den.

Wenn er den Ein­druck ge­habt hät­te, daß das Gan­ze nichts wei­ter als ei­ne Schatz­grä­ber­ge­schich­te wä­re, hät­te er spöt­tisch ge­lä­chelt und es, oh­ne zu zö­gern, als ei­ne der üb­li­chen Räu­ber­pis­to­len ab­ge­tan. Aber ei­ne Gott­heit – das war et­was an­de­res!

Er konn­te ver­ste­hen, daß ei­ne Hor­de ara­bi­scher Schmugg­ler mit der Sta­tue nichts an­fan­gen konn­te. Doch gleich­zei­tig kam ihm die Er­kennt­nis, daß für ihn per­sön­lich ein sol­cher Fund wert­vol­ler als sämt­li­che Schät­ze Ägyp­tens sein konn­te. Er dach­te dar­an, auf Grund welch schwa­cher An­halts­punk­te und ir­re­füh­ren­der Fin­ger­zei­ge die ers­ten Aus­gra­bun­gen in Ägyp­ten zu­stan­de ge­kom­men wa­ren. Die da­ma­li­gen Ex­pe­di­tio­nen wa­ren sei­ner­zeit erst vie­len falschen Spu­ren und Fähr­ten nach­ge­gan­gen, ehe sie die Py­ra­mi­den ent­deck­ten und die ver­fal­le­nen Tem­pel aus­beu­te­ten. Die­se For­scher wa­ren im Grun­de ih­res Her­zens nichts wei­ter als Grab­schän­der ge­we­sen. Aber ihr Rau­ben und Plün­dern, das sie ›Zum Wohl der All­ge­mein­heit und un­ter wis­sen­schaft­li­chen Mo­ti­ven‹ be­trie­ben, hat­te sie al­le­samt reich und be­rühmt ge­macht. Was soll­te al­so ihn, Car­no­ti, hin­dern, das glei­che zu tun? Wenn die­se Ge­schich­te stimm­te und die­se Sta­tue nicht nur ver­gra­ben, son­dern auch als Gott­heit gänz­lich un­be­kannt war, sich zu­dem in ei­nem ta­del­lo­sen Zu­stand be­fand und dar­über hin­aus noch an ei­nem un­er­forsch­ten Platz stand, dann müß­ten al­le Ex­per­ten in dem Au­gen­blick aus dem Häus­chen ge­ra­ten, wenn er, Car­no­ti, die Öf­fent­lich­keit von sei­nem Fund in Kennt­nis setz­te. Er wür­de mit ei­nem Schla­ge be­rühmt wer­den! Wer weiß, wel­che bis­her ver­bor­ge­nen Tü­ren der Ar­chäo­lo­gie er mit sei­ner Ent­de­ckung öff­nen könn­te! Die Sa­che lohn­te sich wirk­lich. Und je­des Mit­tel hei­lig­te den Zweck!

Aber er muß­te vor­sich­tig zu Wer­ke ge­hen, um kei­nen Ver­dacht zu er­re­gen. Des­halb wag­te er auch nicht die Ara­ber, die dort ge­we­sen wa­ren, nach nä­he­ren An­ga­ben zu be­fra­gen. Er wä­re da­durch so­fort un­wei­ger­lich ins Ge­re­de ge­kom­men. Nein, er muß­te sei­ne In­for­ma­tio­nen von den Ein­ge­bo­re­nen, die die Ka­ra­wa­ne be­glei­tet hat­ten, be­kom­men. Des­halb hat­ten zwei sei­ner Die­ner Hassan, den al­ten Ka­mel­rei­ter, auf­ge­grif­fen und in Car­no­tis Haus ge­schleppt. Aber Hassan schau­te nur ängst­lich um sich, als er be­fragt wur­de. Er wei­ger­te sich, zu re­den. Dar­auf­hin sah sich Car­no­ti ge­zwun­gen, Hassan in den klei­nen Kel­ler­raum brin­gen zu las­sen, in dem er sich schon frü­her wi­der­spens­ti­ge Gäs­te ge­fü­gig zu ma­chen pfleg­te. Hier un­ten, wo ihm sei­ne ana­to­mi­schen Kennt­nis­se zu Hil­fe ka­men, be­rei­te­te es ihm kei­ne Schwie­rig­kei­ten, sei­ne Be­su­cher auf der Fol­ter­bank zum Spre­chen zu brin­gen.

Als Dr. Car­no­ti da­nach aus dem Kel­ler auf­tauch­te, hat­te er al­so al­len Grund, mit sich und der Welt zu­frie­den zu sein. Er rieb sich die fet­ten Hän­de, als er die Wor­te des Ka­mel­rei­ters auf der Land­kar­te be­stä­tigt sah.

Ein sat­tes Lä­cheln lag auf sei­nem Ge­sicht, als er kurz dar­auf aus­ging, um ein aus­gie­bi­ges Abend­brot zu sich zu neh­men.

Nach zwei Ta­gen hat­te er sei­ne Vor­be­rei­tun­gen be­en­det. Um kein un­nö­ti­ges Auf­se­hen zu er­re­gen, hat­te er nur ei­ni­ge we­ni­ge Ein­ge­bo­re­ne an­ge­wor­ben. Sei­nen Ge­schäfts­freun­den hat­te er ge­sagt, daß er für ein paar Ta­ge ver­rei­sen wür­de. Er hat­te einen Dol­met­scher an­ge­stellt, der erst seit kur­z­em in der Stadt leb­te, aber von dem Car­no­ti wuß­te, daß er ge­gen ent­spre­chen­de Be­loh­nung ab­so­lut dicht­hielt. Dann hat­te er sich ein paar schnel­le Ka­me­le ver­schafft und ei­ni­ge zu­sätz­li­che Esel, die er vor einen lee­ren Kar­ren span­nen ließ. Er nahm nur für sechs Ta­ge Was­ser und Le­bens­mit­tel mit, denn er hat­te die Ab­sicht, per Boot zu­rück­zu­kom­men.

Als al­le Vor­be­rei­tun­gen ge­trof­fen wa­ren, ver­sam­mel­te sich die bunt zu­sam­men­ge­wür­fel­te Ge­sell­schaft ei­nes Mor­gens an ei­nem be­stimm­ten Ort. Der Auf­bruch ging un­auf­fäl­lig vor sich. Kein Mensch be­merk­te et­was.

Die Ex­pe­di­ti­on konn­te in al­ler Stil­le die Stadt ver­las­sen.

Am Mor­gen des vier­ten Ta­ges er­reich­ten sie schließ­lich den be­wuß­ten Ort.

Car­no­ti führ­te die Ka­ra­wa­ne an. Er saß auf dem schwan­ken­den Rücken sei­nes Ka­mels und sah als ers­ter die bei­den Find­lings­stei­ne. Er seufz­te er­leich­tert auf, und ließ sich vom Rücken des Ka­mels fal­len. Er schi­en die sen­gen­de Hit­ze nicht mehr zu spü­ren, als er auf die bei­den Stei­ne zu­eil­te.

Dann wand­te er sich um und brach­te durch ein Zei­chen die gan­ze Ka­ra­wa­ne zum Hal­ten. Er be­fahl, un­ver­züg­lich die Zel­te auf­zu­bau­en und al­le nö­ti­gen Vor­be­rei­tun­gen zum La­gern zu tref­fen. Er sah zu, wie die schwit­zen­den Ein­ge­bo­re­nen ih­re Ar­beit sorg­fäl­tig ver­rich­te­ten. Als sie da­mit fer­tig wa­ren, gönn­te er ih­nen trotz der un­barm­her­zi­gen Hit­ze kei­nen Au­gen­blick Ru­he, son­dern ver­lang­te, daß sie die schwe­ren Fels­blö­cke von der Sta­tue ent­fern­ten. Nach ei­ni­gen ver­geb­li­chen Be­mü­hun­gen ge­lang es den Ein­ge­bo­re­nen, die Stei­ne weg­zu­rol­len. Da­nach folg­ten sie Car­no­tis Be­fehl und be­gan­nen die Fi­gur frei­zu­schau­feln.

Aber in dem Au­gen­blick, als die Ar­bei­ter einen schwar­zen un­heim­li­chen Kopf frei­ge­legt hat­ten, lie­ßen sie die Spa­ten fal­len und wi­chen schrei­end zu­rück. Denn was sie sa­hen, war ei­ne per­so­ni­fi­zier­te Blas­phe­mie mit ei­ner drei­fa­chen Kro­ne.

Große, glän­zen­de, spit­ze Za­cken krön­ten das Dia­dem aus Eben­holz. Und un­ter die­sen Za­cken wa­ren kaum sicht­bar un­deut­li­che Zei­chen in das Holz ge­schnitzt. Car­no­ti trat dicht an den frei­ge­leg­ten Kopf her­an, um die­se Zei­chen er­ken­nen zu kön­nen. Das, was sie dar­stell­ten, war ge­nau­so gräß­lich wie die gan­ze Aus­füh­rung. Car­no­tis Blick fiel auf ge­krümm­te, wur­m­ähn­li­che Un­ge­heu­er der Vor­zeit und auf kopf­lo­se, schlei­mi­ge Krea­tu­ren, die aus an­de­ren Wel­ten kom­men muß­ten. Er sah auf­ge­dun­se­ne Krea­tu­ren in mensch­li­cher Klei­dung und blick­te auf ei­ne ab­scheu­li­che Kampf­sze­ne zwi­schen den al­ten ägyp­ti­schen Gott­hei­ten und sich win­den­den Dä­mo­nen aus der fins­te­ren Un­ter­welt. Ei­ni­ge der Zeich­nun­gen wa­ren so wi­der­wär­tig, daß sie sich gar nicht be­schrei­ben las­sen, und an­de­re deu­te­ten ab­scheu­li­che Greu­el­ta­ten an, die schon alt wa­ren, als die Welt noch jung war.

Die gan­zen Dar­stel­lun­gen hat­ten ei­nes ge­mein­sam: Sie wa­ren bö­se, wi­der­wär­tig und grau­sam.

Und Car­no­ti moch­te noch so ab­ge­brüht und herz­los sein, beim An­blick die­ser ab­scheu­li­chen Dar­stel­lun­gen lief es ihm kalt den Rücken hin­un­ter.

War es da ein Wun­der, daß die Ein­ge­bo­re­nen ih­re Furcht of­fen zeig­ten? In dem Au­gen­blick, als der Kopf der Sta­tue sicht­bar wur­de, ver­fie­len sie in ein hys­te­ri­sches Ge­mur­mel. Sie wi­chen zu­rück und dräng­ten sich dicht an­ein­an­der. Sie mur­mel­ten un­auf­hör­lich, wo­bei sie ge­le­gent­lich mal auf die Sta­tue, mal auf den Dok­tor deu­te­ten.

Car­no­ti war so sehr in sei­ne Be­trach­tung ver­sun­ken, daß ihn we­der das Ge­mur­mel der Ein­ge­bo­re­nen zum Be­wußt­sein kam noch die be­droh­li­che At­mo­sphä­re, die der ver­stör­te Dol­met­scher um sich ver­brei­te­te. Das ein­zi­ge, was er in sei­nem Un­ter­be­wußt­sein auf­nahm, war der Na­me ›Nyar­la­tho­tep‹ und ein paar An­spie­lun­gen auf ›Den Send­bo­ten des Sa­tans‹.

Als der Dok­tor mit sei­nen Un­ter­su­chun­gen fer­tig war, wand­te er sich wie­der zu den Ar­bei­tern um und be­fahl, die Sta­tue völ­lig aus­zu­gra­ben. Aber kei­ner der Ein­ge­bo­re­nen rühr­te sich von der Stel­le. Car­no­ti wie­der­hol­te un­ge­dul­dig sei­ne An­ord­nung. Doch die Ar­bei­ter igno­rier­ten sei­ne Wor­te und blick­ten mit ge­senk­ten Häup­tern stur in den Wüs­ten­sand. Schließ­lich trat der Dol­met­scher einen Schritt vor und hielt sei­nem Herrn ei­ne län­ge­re An­spra­che.

Er und sei­ne Leu­te hät­ten die­sen Auf­trag nie über­nom­men, wenn sie ge­wußt hät­ten, wel­che Dienst­leis­tung von ih­nen ver­langt wür­de. Nichts auf der Welt könn­te sie da­zu brin­gen, die Sta­tue die­ser Gott­heit zu be­rüh­ren,, und sie könn­ten dem Dok­tor nur den gu­ten Rat ge­ben, eben­falls sei­ne Fin­ger da­von zu las­sen, denn es wä­re nicht rat­sam, sich den Zorn die­ses al­ten Got­tes zu­zu­zie­hen. Die­ser Gott wä­re von Ge­heim­nis­sen um­ge­ben – aber viel­leicht hät­te der Dok­tor doch schon ein­mal et­was von Nyar­la­tho­tep ge­hört. Er war nicht nur die äl­tes­te Gott­heit Ägyp­tens, son­dern der gan­zen Welt. Er war der Gott der Auf­er­ste­hung des Bö­sen. Die Le­gen­de be­sagt, daß er ei­nes Ta­ges al­le ge­stor­be­nen Un­ge­heu­er zum Le­ben er­we­cken wür­de. Und Gna­de de­nen, die er ver­flucht!

Car­no­ti, der sich bis zu die­sem Au­gen­blick den Vor­trag schwei­gend an­ge­hört hat­te, ver­lor lang­sam die Ge­duld. Er un­ter­brach den Spre­cher är­ger­lich und for­der­te sei­ne Leu­te ener­gisch auf, mit dem Ge­schwa­fel auf­zu­hö­ren und statt des­sen so­fort wei­ter­zu­ar­bei­ten. Er ver­lieh sei­nen Wor­ten mit ei­nem ge­zück­ten Re­vol­ver den nö­ti­gen Nach­druck. Er brüll­te, daß er je­de Ver­ant­wor­tung für die so­ge­nann­te Ent­wei­hung über­neh­men wür­de, denn er wür­de sich vor kei­nem ver­fluch­ten Göt­zen­bild die­ser Er­de fürch­ten.

Die Ein­ge­bo­re­nen schie­nen sehr be­ein­druckt zu sein, wo­bei Car­no­ti al­ler­dings nicht fest­stel­len konn­te, ob das an sei­ner furcht­lo­sen Re­de oder an dem Re­vol­ver lag, mit dem er den Leu­ten vor der Na­se her­um­fuch­tel­te. Wie dem auch war: Sie mach­ten sich wie­der an die Ar­beit. Sie ver­mie­den es je­doch ängst­lich, beim Aus­gra­ben einen Blick auf die Sta­tue zu wer­fen.

Nach ei­ni­gen Stun­den war die gan­ze Gott­heit frei­ge­legt. Das Grau­en, das schon von der Kro­ne auf dem Haupt aus­ge­gan­gen war, wur­de durch den An­blick des Kopf­es und des voll­stän­di­gen Kör­pers nur noch ver­stärkt. Die gan­ze Sta­tue mach­te einen ob­szö­nen und er­schre­ckend bos­haf­ten Ein­druck. Sie war un­be­schreib­lich fremd­ar­tig. Sie war zeit­los und wür­de es bis in al­le Ewig­keit blei­ben. Die schwar­ze, grob ge­haue­ne Fi­gur wies nicht ei­ne ein­zi­ge Schram­me auf. Ob­wohl die­ses stei­ner­ne Un­ge­heu­er höchst­wahr­schein­lich seit Jahr­hun­der­ten ein­ge­gra­ben war, hat­ten ihm kei­ne Wit­te­rungs­ein­flüs­se et­was an­ha­ben kön­nen. In dem­sel­ben Zu­stand, in dem Car­no­ti jetzt die­se Gott­heit sah, muß­te sie zum Zeit­punkt des Ein­gra­bens ge­we­sen sein. Und der An­blick, der sich ihm bot, war al­les an­de­re als er­freu­lich.

Die Sta­tue hat­te mit ei­ner Mi­nia­tur­aus­ga­be der Sphinx Ähn­lich­keit – ei­ner le­bens­großen Sphinx mit den Flü­geln ei­nes Gei­ers und dem Kör­per ei­ner Hyä­ne.

Car­no­tis Blick fiel auf die Klau­en und Kral­len. Dann be­trach­te­te er sehr ein­ge­hend je­de Ein­zel­heit des plum­pen, bes­tia­li­schen Kör­pers, auf dem ein un­för­mi­ger, mas­si­ver Schä­del ruh­te, der die un­heil­vol­le drei­fa­che Kro­ne trug, in die die gräß­li­chen Dar­stel­lun­gen ge­schnitzt wa­ren, durch die die Ein­ge­bo­re­nen in ei­ne Pa­nik­stim­mung ver­setzt wor­den wa­ren. Aber das weitaus gräß­lichs­te an die­ser Stein­fi­gur war, daß sie kein Ge­sicht hat­te. Es war ei­ne Gott­heit oh­ne Ant­litz. Es war Nyar­la­tho­tep, der Gott oh­ne Ge­sicht aus der frü­hen ägyp­ti­schen Ge­schich­te. Nyar­la­tho­tep war der ›all­mäch­ti­ge Send­bo­te des Sa­tans‹ und der ›Herr­scher der Wüs­te.‹

Als Car­no­ti mit sei­ner ein­ge­hen­den Be­trach­tung fer­tig war, er­füll­te ihn ei­ne fast hys­te­ri­sche Freu­de. Er grins­te tri­um­phie­rend den ekel­haf­ten Kopf an; er grins­te frohlo­ckend in die ge­sichts­lo­se Lee­re.

In sei­ner Be­geis­te­rung ach­te­te er nicht auf das Ge­flüs­ter der Ein­ge­bo­re­nen und auf die furcht­sa­men Bli­cke, die sie ver­stoh­len auf die Gott­heit war­fen. Es wä­re je­doch für ihn ge­schei­ter ge­we­sen, die­sen Din­gen Be­ach­tung zu schen­ken. Denn die­se Män­ner wuß­ten – wie al­le Ägyp­ter –, daß Nyar­la­tho­tep der un­ein­ge­schränk­te Herr­scher über das Bö­se war.

Man hat­te vor vie­len Jah­ren nicht um­sonst sei­ne Tem­pel dem Erd­bo­den gleich­ge­macht, sei­ne Stand­bil­der zer­stört und die Ver­kün­der sei­ner Leh­re ge­kreu­zigt. Man hat­te aus gu­ten Grün­den die An­be­tung die­ser Gott­heit ver­bo­ten und selbst die Er­wäh­nung sei­nes Na­mens un­ter­sagt. Man hat­te ganz be­wußt ver­sucht, sei­ne gött­li­chen Ei­gen­schaf­ten zu igno­rie­ren oder sie bes­ten­falls ei­ner mil­der ge­stimm­ten Gott­heit zu­zu­schrei­ben. Heut­zu­ta­ge kann man nur noch in Thoth, Set, Bu­ba­stic und Se­bek ei­ni­ge Auf­zeich­nun­gen über die­sen Gott fin­den. Dort kann man in ur­al­ten Chro­ni­ken nach­le­sen, daß Nyar­la­tho­tep der Herr­scher der Un­ter­welt und der Schutz­pa­tron der Zau­be­rer und der Schwar­zen Kunst war. Einst hat­te er die Welt al­lein re­giert und war den Men­schen al­ler Län­der un­ter den ver­schie­dens­ten Na­men be­kannt ge­we­sen. Doch dann hat­ten sich die Zei­ten ge­än­dert. Die Men­schen hat­ten auf­ge­hört, das Bö­se an­zu­be­ten. Sie hat­ten fort­an das Gu­te ver­ehrt. Und sie dach­ten nicht mehr dar­an, dem schwar­zen Gott die grau­sa­men Op­fer dar­zu­brin­gen, die er ver­lang­te. Die­ser Kult war für die All­ge­mein­heit vor­bei, und al­les, was an den fins­te­ren Gott er­in­ner­te, wur­de ver­nich­tet. Doch die Le­gen­de be­rich­tet, daß Nyar­la­tho­tep einst aus der Wüs­te ge­kom­men war und sich nach sei­ner Herr­schaft wie­der in die Wüs­te zu­rück­ge­zo­gen hät­te. Ei­ni­ge Fa­na­ti­ker, die im­mer noch an ihn glaub­ten, hat­ten dann ihm zu Eh­ren an ver­bor­ge­nen Plät­zen in der Wüs­te Göt­zen­bil­der er­rich­tet. Sie hat­ten die­se Sta­tu­en wei­ter­hin an­ge­be­tet und in wil­der Ek­sta­se um­tanzt. Die gel­len­den Angst­schreie der Op­fer ver­hall­ten in der Dun­kel­heit der Nacht …

Die Le­gen­de von Nyar­la­tho­tep exis­tier­te al­so im­mer noch und wur­de flüs­ternd von Ge­ne­ra­ti­on zu Ge­ne­ra­ti­on wei­ter­er­zählt. Die Zeit ver­ging. Im Nor­den ver­schwan­den all­mäh­lich die Eis­mas­sen, und At­lan­tis ver­sank. Frem­de Stäm­me über­rann­ten das Land, doch die Be­woh­ner der Wüs­te ver­än­der­ten sich nicht. Sie be­ob­ach­te­ten den Bau der Py­ra­mi­den mit spöt­ti­schen Au­gen. War­tet nur ab, schi­en ihr über­heb­li­ches Lä­cheln aus­zu­drücken. Wenn der Tag kommt, wird Nyar­la­tho­tep aus der Wüs­te zu­rück­keh­ren. Und dann we­he den Un­gläu­bi­gen in Ägyp­ten und in al­ler Welt! Dann wer­den sich die Py­ra­mi­den zu Staub ver­wan­deln, und von den Tem­peln wer­den nichts wei­ter als ein paar Rui­nen üb­rig­blei­ben. Städ­te, die im Meer ver­sun­ken sind, wer­den wie­der auf­tau­chen. Ei­ne Hun­gers­not wird über das Land kom­men, und vie­le Men­schen wer­den den Seu­chen zum Op­fer fal­len. Die Stern­bil­der wer­den sich än­dern. Die Er­de wird sich auf­tun, und die Un­ge­heu­er aus der Tie­fe wer­den die Herr­schaft über­neh­men. Der größ­te Teil der Mensch­heit wird da­bei zu­grun­de ge­hen. Dann weiß die Welt, daß Nyar­la­tho­tep zu­rück­ge­kom­men ist! Bald dar­auf wird er selbst sicht­bar sein. Ein dunk­ler, ge­sichts­lo­ser Gott in Schwarz wird durch die Wüs­te wan­dern. Die ein­zi­gen Spu­ren, die er auf sei­nem Weg hin­ter­läßt, wer­den die To­ten sein. Denn je­der, der sei­nen Pfad kreuzt, wird ster­ben. Es wer­den nur die wahr­haft Gläu­bi­gen üb­rig­blei­ben, und die wer­den ihn und die an­de­ren Mäch­ti­gen der Un­ter­welt will­kom­men hei­ßen.

Das ist in et­wa die Le­gen­de, die man sich von Nyar­la­tho­tep er­zählt. Sie ist äl­ter als sämt­li­che Ge­heim­nis­se Ägyp­tens, äl­ter als die Ge­schich­te vom Ver­sin­ken At­lan­tis – aber sie ist nie­mals in Ver­ges­sen­heit ge­ra­ten. Im Mit­tel­al­ter hat­ten die Rit­ter, die von ih­ren Kreuz­zü­gen zu­rück­kehr­ten, die Le­gen­de und die Pro­phe­zei­un­gen in Eu­ro­pa ver­brei­tet. Da­durch wur­de Nyar­la­tho­tep in al­ler Her­ren Län­der für die He­xen, für die Send­bo­ten As­mo­dai­os und für die An­be­ter noch fins­te­re­rer Göt­ter zum Idol, zum Ver­tre­ter Sa­tans auf Er­den.

Doch dann wur­de es all­mäh­lich stil­ler um Nyar­la­tho­tep, und schließ­lich schi­en sei­ne An­be­tung völ­lig in Ver­ges­sen­heit ge­ra­ten zu sein. Vie­le der nam­haf­ten Eth­no­lo­gen und An­thro­po­lo­gen wis­sen über­haupt nichts von dem Gott oh­ne Ge­sicht. Den­noch gibt es ei­ni­ge ver­bor­ge­ne Göt­zen­bil­der, die ihn dar­stel­len, und man mun­kelt von ge­wis­sen Höh­len un­ter dem Nil und von Ge­heim­gän­gen un­ter der neun­ten Py­ra­mi­de. Ob­wohl die ge­hei­men Zei­chen und Sym­bo­le sei­ner An­be­tung ver­schwun­den sind, ha­ben die Men­schen ihn nie ver­ges­sen. Die Ge­schich­te war durch die Jahr­hun­der­te hin­durch von Mund zu Mund wei­ter­er­zählt wor­den, und auch heut­zu­ta­ge le­ben noch Men­schen, die auf den Tag war­ten.

Es gibt ge­wis­se Punk­te in der Wüs­te, die die Ka­ra­wa­nen ge­flis­sent­lich mei­den. Denn Nyar­la­tho­tep war der Gott der Wüs­te, und man tut gut dar­an, sei­ne frü­he­ren Fähr­ten nicht zu kreu­zen.

Es war das Wis­sen um all die­se Din­ge, wes­halb die Ein­ge­bo­re­nen so ver­stört wur­den, als sie ge­ra­de die­se spe­zi­el­le Gott­heit aus dem Sand frei­schau­fel­ten. Als sie zu­erst nur die Kro­ne sa­hen, hat­ten sie es mit der Angst zu tun be­kom­men, die sich beim An­blick des Kopf­es oh­ne Ge­sichts­zü­ge ins Un­er­meß­li­che stei­ger­te. Was mit Dr. Car­no­ti pas­sie­ren wür­de, in­ter­es­sier­te sie nicht im min­des­ten. Sie dach­ten nur an sich selbst. In die­sem Zu­sam­men­hang war ih­re Ab­sicht son­nen­klar. Sie muß­ten flie­hen! Und zwar so­fort!

Car­no­ti be­merk­te nicht, was um ihn her­um vor­ging. Er sah we­der die pa­ni­sche Angst noch den fes­ten Ent­schluß in den Bli­cken der Ein­ge­bo­re­nen. Er war zu sehr da­mit be­schäf­tigt, Plä­ne für den nächs­ten Tag zu ma­chen. Man wür­de das Göt­zen­bild auf einen Kar­ren la­den. So­bald man dann den Fluß er­reicht hät­te, könn­te man die Sta­tue auf ein Boot ver­frach­ten.

Was für ein Fund! Er sah schon im Geist den Ruhm und Reich­tum vor sich, der auf ihn zu­kom­men wür­de. War er viel­leicht ein wi­der­wär­ti­ger Aben­teu­rer? Der Ab­schaum der Mensch­heit, wie? Die, die ihn einen Schar­la­tan und Be­trü­ger ge­nannt hat­ten, wür­den ganz schön zu Kreu­ze krie­chen müs­sen. Den über­heb­li­chen Wis­sen­schaft­lern, die ihn mit Miß­ach­tung straf­ten, wür­den die Au­gen aus dem Kopf fal­len, wenn sie sei­nen Fund sa­hen. Er rieb sich zu­frie­den die Hän­de. Der Him­mel moch­te wis­sen, wel­che wei­te­ren Ent­de­ckun­gen er nach die­sem Fund ma­chen wür­de. Viel­leicht gab es noch an­de­re ver­bor­ge­ne Al­tä­re und an­de­re un­be­kann­te Göt­ter. Viel­leicht stieß er so­gar auf ge­hei­me Grä­ber und Tem­pel! Er er­in­ner­te sich dun­kel, daß es ir­gend­ei­ne Le­gen­de über die Ver­eh­rung und An­be­tung die­ser Gott­heit gab. Gleich nach der Rück­kehr wür­de er sich ein paar wei­te­re Ein­ge­bo­re­ne schnap­pen, die er auf sei­ne be­währ­te Art da­zu brin­gen wür­de, ihm die ge­wünsch­ten In­for­ma­tio­nen zu ge­ben …

Er lä­chel­te amü­siert und über­heb­lich. Wie konn­ten die Ein­ge­bo­re­nen nur so aber­gläu­bisch sein! Die Bur­schen fürch­te­ten sich doch ganz of­fen­sicht­lich vor der Stein­fi­gur. Und der Dol­met­scher hör­te nicht mit sei­nem Ge­mur­mel auf. »Nyar­la­tho­tep ist der Schwar­ze Send­bo­te des Sa­tans. Er kommt durch den bren­nen­den Wüs­ten­sand und wird die Welt be­herr­schen. Au­ßer ihm wird kein an­de­rer an­ge­be­tet wer­den …« Lä­cher­lich! Wie ein­fäl­tig doch al­le ägyp­ti­schen My­then wa­ren! Sta­tu­en mit ani­ma­li­schen Köp­fen soll­ten plötz­lich zum Le­ben er­wa­chen! Men­schen und Göt­ter soll­ten wie­der­au­fer­ste­hen! Über­haupt die­se gan­zen idio­ti­schen Py­ra­mi­den für die Mu­mi­en der Kö­ni­ge! Zu­ge­ge­ben, ei­ne gan­ze Men­ge Men­schen glaub­te hier an dies al­les. Und nicht nur Ein­ge­bo­re­ne. Selbst ei­ni­ge sei­ner Ge­schäfts­freun­de hat­ten ver­schro­be­ne An­sich­ten und glaub­ten an die Ge­schich­ten über Pha­ra­os Fluch und an die Zau­ber­kraft al­ter Pries­ter.

Car­no­ti kann­te ei­ne gan­ze Rei­he wil­der Ge­schich­ten von den al­ten Grä­bern und den Män­nern, die in dem Au­gen­blick ge­stor­ben sein soll­ten, als sie die­se Grä­ber auf­bra­chen … Kein Wun­der al­so, daß die pri­mi­ti­ven Ein­ge­bo­re­nen erst recht sol­chen Un­sinn glaub­ten. Aber ob sie nun dar­an glaub­ten oder nicht, sie wür­den ver­dammt noch mal sei­ne Gott­heit trans­por­tie­ren müs­sen. Und wenn er ei­ni­ge über den Hau­fen schie­ßen müß­te, da­mit ihm die rest­li­chen ge­horch­ten …

Als er sich in sein Zelt zu­rück­zog, war er mit sich und der Welt zu­frie­den. Er ge­noß in vol­len Zü­gen das Abend­brot, das ihm der Boy brach­te. Im Hin­blick auf die An­stren­gun­gen des mor­gi­gen Ta­ges be­gab er sich bald nach dem Es­sen zur Ru­he. Die Ein­ge­bo­re­nen soll­ten ge­fäl­ligst das Zelt­la­ger be­wa­chen. Er leg­te sich in sei­ne Hän­ge­mat­te und war kurz dar­auf tief und fest ein­ge­schla­fen.

Als Car­no­ti die Au­gen wie­der auf­schlug, muß­ten ei­ni­ge Stun­den ver­gan­gen sein. Es war noch stock­fins­ter, und die Nacht war un­heim­lich still. Aus der Fer­ne hör­te er das lang­ge­zo­ge­ne Ge­heul ei­nes Scha­kals. Da­nach um­gab ihn wie­der das Schwei­gen.

Car­no­ti wun­der­te sich un­be­wußt über sein plötz­li­ches Er­wa­chen. Er er­hob sich und ging auf den Zelt­ein­gang zu. Er schob den Vor­hang bei­sei­te, um einen Blick hin­aus­zu­wer­fen. Zu­erst glaub­te er, sei­nen Au­gen nicht zu trau­en, aber dann fluch­te er in ra­sen­der Wut. Der Zelt­platz war leer. Das Feu­er war aus­ge­gan­gen. Die Män­ner und die Ka­me­le wa­ren ver­schwun­den. Die vie­len Spu­ren, die der Sand schon fast völ­lig be­deckt hat­te, deu­te­ten auf einen has­ti­gen Auf­bruch hin. Die­se Schwei­ne hat­ten ihn hier al­lein­ge­las­sen!

Er war ver­lo­ren! Die­se Er­kennt­nis traf ihn wie ein Peit­schen­hieb. Ver­lo­ren! Die Män­ner wa­ren ver­schwun­den. Und mit ih­nen die ge­sam­ten Le­bens­mit­tel, die Ka­me­le und die Esel. Er hat­te we­der Waf­fen noch Was­ser; und er war al­lein. Er stand vor dem Zelt­ein­gang und starr­te mit vor Schre­cken ge­wei­te­ten Au­gen in die öde, ein­sa­me Wüs­te. Der Mond hing wie ein großer sil­ber­ner Ball am eben­holz­schwar­zen Him­mel. Ein plötz­li­cher hei­ßer Wind­stoß feg­te über das end­lo­se Sand­meer. Die Ober­flä­che be­weg­te sich wie die Wo­gen des Ozeans. Klei­ne Sand­wel­len um­spül­ten sei­ne Fü­ße. Da­nach herrsch­te wie­der Schwei­gen. Die­ses Schwei­gen glich ei­ner Gra­bes­s­til­le. Es glich dem ewi­gen Schwei­gen der Py­ra­mi­den, wo die Mu­mi­en in brö­ckeln­den Sar­ko­pha­gen la­gen und mit ih­ren to­ten Au­gen in die ewi­ge Fins­ter­nis starr­ten.

Car­no­ti kam sich un­be­schreib­lich klein und ver­las­sen in der Nacht vor; und in sei­ner Angst glaub­te er die ge­hei­men, un­heil­vol­len Mäch­te zu spü­ren, die dro­hend und höh­nisch grin­send sein Schick­sal an sich ris­sen. Nyar­la­tho­tep! Er wuß­te von Car­no­tis Vor­ha­ben, und er woll­te sich auf sei­ne Art an ihm rä­chen.

Aber das war blan­ker Un­sinn. Car­no­ti riß sich ge­walt­sam zu­sam­men. Er durf­te sich nicht ge­hen­las­sen! Er durf­te sol­che ab­sur­den Phan­tasi­en nicht auf­kom­men las­sen! Denn die­se Ge­dan­ken wa­ren nichts wei­ter als die Va­ria­ti­on ei­ner Fa­ta Mor­ga­na, die un­ter den ge­ge­be­nen Um­stän­den nur all­zu ver­ständ­lich war. Aber er durf­te die Ner­ven jetzt nicht ver­lie­ren! Er muß­te den nack­ten Tat­sa­chen ge­faßt ins Au­ge bli­cken. Sei­ne an­ge­heu­er­ten Leu­te hat­ten sich mit den Le­bens­mit­teln und den Tie­ren heim­lich aus dem Stau­be ge­macht, weil der Aber­glau­be, der in ih­ren pri­mi­ti­ven Ge­mü­tern nis­te­te, die Über­hand ge­won­nen hat­te. Das war, weiß Gott, ei­ne nack­te Tat­sa­che, mit der er sich ab­fin­den muß­te. Aber der Aber­glau­be als sol­cher durf­te ihn nicht be­rüh­ren. Wahr­schein­lich wür­den ihm die­se krank­haf­ten Vor­stel­lun­gen so­wie­so bei Son­nen­auf­gang ver­ge­hen.

Der Son­nen­auf­gang! Ein schreck­li­cher Ge­dan­ke be­fiel ihn – die un­barm­her­zi­ge Hit­ze, die sich tags­über sen­gend über die Wüs­te brei­te­te. Um die nächs­te Oa­se zu er­rei­chen, wür­de er un­un­ter­bro­chen Tag und Nacht lau­fen müs­sen. Und zwar müß­te er so­fort auf­bre­chen, ehe er durch Hun­ger und Durst so ge­schwächt wä­re, daß er sich über­haupt nicht mehr vor­wärts be­we­gen könn­te. Aber er mach­te sich nicht die ge­rings­ten Il­lu­sio­nen. So­bald er erst ein­mal das Zelt ver­las­sen hat­te, gab es kei­nen Un­ter­schlupf mehr für ihn. Er war dann der un­barm­her­zi­gen Son­ne schutz­los aus­ge­setzt. Er wuß­te nur zu ge­nau, daß die ste­chen­den, gna­den­lo­sen Son­nen­strah­len schon so man­chen zum Wahn­sinn ge­trie­ben hat­ten. Es war ei­ne schreck­li­che Vor­stel­lung, in der sen­gen­den Hit­ze der Wüs­te viel­leicht ums Le­ben zu kom­men. Aber was blieb ihm wei­ter üb­rig? Sei­ne Ar­beit war noch nicht vollen­det. Au­ßer­dem muß­te er auf je­den Fall zu­rück. Er wür­de dann so­fort ei­ne neue Ex­pe­di­ti­on zu­sam­men­stel­len, um die Gott­heit zu ber­gen. Er muß­te ein­fach zu­rück. Au­ßer­dem woll­te Car­no­ti nicht ster­ben. Als er aber an den be­schwer­li­chen Marsch dach­te, den er vor sich hat­te, be­gan­nen sei­ne wuls­ti­gen Lip­pen vor Angst zu zit­tern. Er hat­te kein Ver­lan­gen da­nach, ähn­li­che Qua­len wie Hassan, der Bur­sche, den er auf die Fol­ter­bank ge­schnallt hat­te, zu er­lei­den. Der ar­me Teu­fel hat­te wahr­lich al­les an­de­re als einen er­freu­li­chen Ein­druck ge­macht. O nein, Ster­ben war nichts für den Dok­tor. Er muß­te so­fort auf­bre­chen.

Aber in wel­che Rich­tung?

Er dreh­te sich wie ein Wahn­sin­ni­ger um sei­ne ei­ge­ne Ach­se und ver­such­te sich zu er­in­nern, aus wel­cher Rich­tung die klei­ne Ka­ra­wa­ne ge­kom­men war. Die Wüs­te mach­te sich je­doch lus­tig über ihn. Sie zeig­te ihm nach al­len Sei­ten den glei­chen ein­tö­ni­gen, un­end­lich wei­ten Ho­ri­zont.

Aber in dem Mo­ment, als sich ei­ne gren­zen­lo­se Ver­zweif­lung in Car­no­tis Hirn ein­schlei­chen woll­te, hat­te er ei­ne plötz­li­che Ein­ge­bung. Er muß­te selbst­ver­ständ­lich den Weg nach Nor­den ein­schla­gen. Und er er­in­ner­te sich jetzt an einen Satz des end­lo­sen Vor­tra­ges, den ihm der Dol­met­scher heu­te nach­mit­tag ge­hal­ten hat­te. Der Dol­met­scher hat­te er­wähnt, daß der Kopf der Sta­tue des Got­tes Nyar­la­tho­tep nach Nor­den ge­rich­tet war.

Die­se Er­kennt­nis ver­setz­te Car­no­ti in Hoch­stim­mung.

Er durch­such­te das Zelt nach viel­leicht noch vor­han­de­nem Pro­vi­ant. Aber er nahm es ei­ni­ger­ma­ßen ge­las­sen hin, als er au­ßer Ta­bak und Streich­höl­zern nichts fand. Nach­dem er zu sei­ner Freu­de in sei­nem Tor­nis­ter ein Busch­mes­ser ent­deckt hat­te, kehr­te er dem Zelt fast zu­frie­den den Rücken.

Der Marsch, den er vor sich hat­te, kam ihm jetzt fast wie ein Kin­der­spiel vor. Er wür­de wäh­rend der rest­li­chen Nacht un­un­ter­bro­chen lau­fen und wür­de ver­su­chen, ei­ne mög­lichst große Stre­cke zu­rück­zu­le­gen. Die leich­te Woll­de­cke, die er sich un­ter den Arm ge­klemmt hat­te, wür­de ihn vor der Mit­tags­glut et­was schüt­zen. Am spä­ten Nach­mit­tag, so­bald die Tem­pe­ra­tur ei­ni­ger­ma­ßen er­träg­lich war, wür­de er dann sei­nen Marsch fort­set­zen. Wenn er dann die gan­ze nächs­te Nacht hin­durch lief, müß­te er am dar­auf­fol­gen­den Mor­gen die Wa­di-Has­sur-Oa­se er­rei­chen. Dann wä­re er au­ßer Ge­fahr.

Aber jetzt muß­te er erst ein­mal zu dem Göt­zen­bild ge­hen, um die Nor­d­rich­tung fest­zu­stel­len.

Vol­ler Elan mar­schier­te er um sein Zelt her­um, wo die Sta­tue stand. Doch schon nach we­ni­gen Schrit­ten er­litt er sei­nen größ­ten Schock und blieb er­starrt ste­hen.

Das Göt­zen­bild war wie­der im Sand ver­gra­ben!

Die Ein­ge­bo­re­nen hat­ten die Sta­tue in dem Zu­stand ver­las­sen, in dem sie sie vor­ge­fun­den hat­ten. Es hat­te ih­nen nicht ge­reicht, sie wie­der zu­zu­schau­feln; sie hat­ten aus Vor­sicht und Angst vor Ver­gel­tung auch noch die bei­den Find­lings­stei­ne an Ort und Stel­le ge­rollt. Die­se wuch­ti­gen Stei­ne wa­ren so schwer, daß sie sich auch durch Car­no­tis über­mensch­li­che Kraft­an­stren­gung nicht einen Mil­li­me­ter von der Stel­le rühr­ten.

Als Car­no­ti sei­ne Be­mü­hun­gen er­schöpft auf­gab, sank er jam­mernd in den Sand. Das Grau­en über­mann­te ihn, als ihm die­se Ka­ta­stro­phe im vol­len Aus­maß zum Be­wußt­sein kam. Er war hilf­los sei­nem Schick­sal über­las­sen.

Das Flu­chen konn­te ihm kei­ne Er­leich­te­rung ver­schaf­fen; und es konn­te ihm schon gar nicht wei­ter­hel­fen. Das Stoß­ge­bet, das er aus­sto­ßen woll­te, erstarb ihm auf den Lip­pen. Wen woll­te er auch im Ge­bet um Hil­fe an­fle­hen? Et­wa Nyar­la­tho­tep – den Herr­scher der Wüs­te?

Schließ­lich er­hob sich Car­no­ti tau­melnd und mach­te sich mit ei­ner neu­en und töd­li­chen Furcht im Her­zen auf den Weg. Er wähl­te die Rich­tung aufs Ge­ra­te­wohl und klam­mer­te sich an die va­ge Hoff­nung, daß sich die Wol­ken ver­zie­hen wür­den, da­mit ihm die Ster­ne die Rich­tung wei­sen könn­ten. Aber die Wol­ken blie­ben. Nur der Mond grins­te höh­nisch auf die ein­sa­me Ge­stalt in der Wüs­te, die durch den Sand stol­per­te. In der gren­zen­lo­sen Ein­sam­keit, die Car­no­ti um­gab, schli­chen sich teuf­li­sche Ge­dan­ken in sein Hirn.

Ob­wohl er sich mit al­len Kräf­ten da­ge­gen wehr­te, kam ihm die Le­gen­de von Nyar­la­tho­tep nicht aus dem Sinn. Er konn­te die Angst nicht un­ter­drücken, daß ihn die Ra­che die­ses Got­tes tref­fen wür­de. Ver­geb­lich ver­such­te er sich ein­zu­häm­mern, daß das al­les nur Aber­glau­be wä­re, der ihm nichts an­ha­ben könn­te. Er schaff­te es ein­fach nicht. Er zit­ter­te vor Angst, wenn er an den gött­li­chen Zorn dach­te, der sein Schick­sal be­sie­geln wür­de. Er hat­te einen hei­li­gen Ort ent­weiht. Der Gott des Bö­sen wür­de das nicht un­ge­straft hin­neh­men … »Man tut gut dar­an, sei­ne frü­he­ren Fähr­ten nicht zu kreu­zen« … »Gott der Wüs­te« … »Der Gott oh­ne Ge­sicht« …

Car­no­ti stieß einen fürch­ter­li­chen, ver­zwei­fel­ten Fluch aus.

Er wirk­te zwi­schen den sich fort­be­we­gen­den Sand­dü­nen wie ei­ne win­zi­ge Amei­se.

 

Die Nacht ging oh­ne Über­gang in den Mor­gen über. Von ei­ner Se­kun­de zur an­de­ren war es hell. Der Sand, der kurz pur­pur­rot auf­ge­leuch­tet hat­te, schim­mer­te jetzt matt vio­lett, um gleich dar­auf wie ei­ne Or­chi­dee zu glü­hen.

Aber Car­no­ti sah das nicht, denn er schlief. Sein auf­ge­dun­se­ner Kör­per hat­te durch die un­ge­wohn­te An­stren­gung viel eher ge­streikt, als Car­no­ti es für mög­lich ge­hal­ten hät­te. Schon vor Stun­den hat­ten sei­ne dün­nen Bei­ne ih­ren Dienst ver­sagt, und er war völ­lig er­schöpft im Sand zu­sam­men­ge­bro­chen. Er war kaum noch in der La­ge ge­we­sen, die Woll­de­cke über sei­nen Kör­per aus­zu­brei­ten, ehe er ein­sch­lief.

Die Son­ne kroch wie ein feu­er­ro­ter Ball aus La­va über einen Him­mel, der aus Me­tall zu sein schi­en, und bohr­te ih­re sen­gen­den Strah­len in den flam­men­den Sand.

Car­no­ti war so er­schöpft, daß er trotz der un­barm­her­zi­gen Hit­ze weiter­schlief. Aber sein Schlaf war al­les an­de­re als er­qui­ckend, denn er wur­de durch die teuf­li­sche Glut von ent­setz­li­chen Träu­men ge­pei­nigt.

In sei­nen Alp­träu­men ver­folg­te ihn die Fi­gur Nyar­la­tho­teps durch ei­ne Wüs­te, die in Flam­men stand. Er rann­te über ei­ne bren­nen­de Flä­che. Ob­wohl sei­ne Fü­ße lang­sam ver­kohl­ten und er vor Schmer­zen auf­heul­te, muß­te er wei­ter­lau­fen, denn der Gott oh­ne Ge­sicht, der von Schlan­gen um­ge­ben war, war ihm dicht auf den Fer­sen. Er lief und lief, aber der Ab­stand zwi­schen ihm und der ab­scheu­li­chen Krea­tur ver­grö­ßer­te sich nicht; im Ge­gen­teil, die­ses Un­ge­heu­er kam lang­sam nä­her und nä­her. Sei­ne Fü­ße wur­den in dem glü­hend hei­ßen Wüs­ten­sand im­mer ge­fühl­lo­ser. Die ver­kohl­ten Stücke bra­chen weg. Zum Schluß hum­pel­te er nur noch auf grau­sam zer­fetz­ten Bein­stümp­fen. Aber die To­des­angst trieb ihn trotz der wahn­sin­ni­gen Schmer­zen vor­an. Das Un­ge­heu­er hin­ter ihm ki­cher­te dia­bo­lisch; und ein paar Se­kun­den dar­auf er­füll­te sein dröh­nen­des La­chen die bren­nen­de Luft und stieg zum lo­dern­den Him­mel auf.

Car­no­ti konn­te sich in sei­nem Traum jetzt nur noch auf den Kni­en fort­be­we­gen. Er be­merk­te vol­ler Ent­set­zen, daß sei­ne Bein­stümp­fe im­mer wei­ter ver­kohl­ten. Dann wur­de die gan­ze Wüs­te plötz­lich zu ei­nem Flam­men­meer, in dem er ver­sank. Er schrie gel­lend, als das Feu­er auf sei­nen gan­zen Kör­per über­griff. Er merk­te, wie er lang­sam in dem glü­hen­den Sand un­ter­tauch­te. Zu­erst be­deck­te der Sand sei­ne Ar­me, dann reich­te er ihm bis zur Hüf­te. Und er ver­sank wei­ter. Und noch in dem Au­gen­blick, als der hei­ße Sand sei­ne Keh­le um­schloß und für ihn das En­de ge­kom­men war, fürch­te­te er im Ster­ben die Ge­stalt des Got­tes oh­ne Ge­sicht hin­ter sich. Und die Furcht war qual­vol­ler als al­le Schmer­zen. Und selbst als er in der wei­ßen, bren­nen­den Höl­le völ­lig ver­sank, wehr­te er sich noch schwach ge­gen die­se Furcht. Die Ra­che des Got­tes durf­te ihn nie tref­fen! Dann er­griff die Glut von ihm Be­sitz. Sei­ne blu­ten­den, zer­platz­ten Lip­pen wur­den ge­rös­tet. Und nach den letz­ten Zu­ckun­gen ver­wan­del­te sich sein gan­zer Kör­per in ei­ne lo­dern­de Flam­me.

Ehe ihn die Sin­ne ver­lie­ßen, hob er mit ei­ner letz­ten Kraft­an­stren­gung noch ein­mal den Kopf. Der schwar­ze Gott stand jetzt di­rekt vor ihm. Car­no­ti nahm noch wahr, wie sich die dür­ren Kral­len auf sein glü­hen­des Ge­sicht zu be­weg­ten. Er sah, wie sich der ab­scheu­li­che Kopf mit der drei­fa­chen Kro­ne zu ihm neig­te. Einen schreck­li­chen Au­gen­blick lang war das lee­re Ant­litz dicht vor sei­nem Ge­sicht. Er er­kann­te das Grau­en, das von der schwar­zen glat­ten Flä­che aus­ging. Ir­gend et­was aus un­er­meß­li­chen Ab­grün­den starr­te ihn an. Ir­gend et­was schi­en sei­nen flam­men­den Blick in ihn zu boh­ren; und die­ses Feu­er schmerz­te mehr als die Glut, die ihn jetzt ver­zehr­te. Er fühl­te, daß es der Gott­heit ge­lun­gen war, sich an ihm zu rä­chen. Das Blut koch­te in sei­nen Adern, als er völ­lig im glü­hen­den Sand ver­sank. Doch das letz­te, an das er sich er­in­ner­te, war der gräß­li­che ge­sichts­lo­se Kopf des Got­tes und die na­men­lo­se Angst, die er ver­brei­te­te.

Dann wach­te Car­no­ti auf.

Er war so er­leich­tert, daß das al­les nur ein Traum ge­we­sen war, daß er zu­erst die ste­chen­de Son­ne und die sen­gen­de Glut gar nicht wahr­nahm. Aber als er sich dann schweiß­ge­ba­det und tau­melnd er­ho­ben hat­te, glaub­te er, daß die glü­hen­den Son­nen­strah­len sei­nen Rücken durch­bohr­ten. Er schirm­te sei­ne Au­gen mit den Hän­den ab und starr­te nach oben, um die Him­mels­rich­tun­gen fest­zu­stel­len. Aber er gab es sehr schnell ver­zwei­felt auf, denn der Him­mel glich ei­nem ein­zi­gen Feu­er­ball, und er konn­te über­haupt nichts er­ken­nen.

Er rann­te al­so aufs Ge­ra­te­wohl wei­ter. Aber er kam nicht so rasch vor­wärts, denn der hei­ße Sand blieb an sei­nen Fü­ßen haf­ten. Er strau­chel­te hin und wie­der. Der Sand schi­en sei­ne Fuß­soh­len durch die Schu­he hin­durch zu ver­bren­nen. Sein Durst wur­de im­mer un­er­träg­li­cher. Die ers­ten An­zei­chen ei­nes be­gin­nen­den De­li­ri­ums mach­ten sich be­merk­bar.

Doch er rann­te un­auf­hör­lich wei­ter.

Er dach­te flüch­tig an sei­nen wahn­sin­ni­gen Traum. Soll­te er zur Wirk­lich­keit wer­den?

Denn sei­ne Fü­ße wur­den lang­sam ver­sengt. Und sein Kör­per wur­de aus­ge­trock­net. Gott sei Dank ver­folg­te ihn we­nigs­tens kei­ner. Je­den­falls bis jetzt noch nicht! Er muß­te sich zu­sam­men­rei­ßen. Dann schaff­te er es viel­leicht doch noch – trotz der Zeit, die er ver­lo­ren hat­te. Er stol­per­te wei­ter. Viel­leicht wür­de er auf ei­ne vor­bei­zie­hen­de Ka­ra­wa­ne sto­ßen. Doch nein, er be­fand sich weit von den üb­li­chen Ka­ra­wa­nen­stra­ßen ent­fernt. Aber heu­te abend wür­de er beim Son­nen­un­ter­gang die Him­mels­rich­tung aus­ma­chen kön­nen. Heu­te abend.

Die­se ver­damm­te Hit­ze! Und Sand, so­weit das Au­ge reich­te! Sand­hü­gel – ach was Sand­hü­gel: Sand­ge­bir­ge! Und eins glich dem nächs­ten wie ein Ei dem an­de­ren.

Und al­le schwel­ten in der sen­gen­den Glut!

Der Tag woll­te über­haupt kein En­de neh­men. Car­no­ti hat­te jeg­li­chen Zeit­be­griff ver­lo­ren. Er war so schwach, daß er sich nur noch müh­sam weiter­schlep­pen konn­te, und mit je­der Mi­nu­te schwan­den sein Mut und sei­ne Zu­ver­sicht mehr da­hin.

Der Ho­ri­zont ver­än­der­te sich nicht. Kei­ne Luft­spie­ge­lung un­ter­brach die end­lo­se Wei­te. Nicht der win­zigs­te Schat­ten schütz­te Car­no­ti vor der sen­gen­den Glut.

Doch halt! War da nicht ein Schat­ten hin­ter ihm? Ir­gend et­was Dunkles, Form­lo­ses mach­te sich hin­ter sei­nem Rücken über ihn lus­tig. Car­no­ti über­fiel ein schreck­li­cher Ge­dan­ke.

Nyar­la­tho­tep, der Gott der Wüs­te! Hin­ter ihm war ein Schat­ten, der ihn ver­nich­ten woll­te. Die­se Le­gen­de – soll­te doch et­was Wah­res dar­an sein? Die Ein­ge­bo­re­nen hat­ten ihn ge­warnt, sei­ne Träu­me hat­ten ihn ge­warnt, und selbst die ster­ben­de Krea­tur auf der Fol­ter­bank hat­te ihn ge­warnt. Der all­mäch­ti­ge Send­bo­te des Sa­tans‹, der schwar­ze Mann, der von wi­der­li­chen Schlan­gen um­ge­ben war, for­der­te auch heu­te noch sei­ne Op­fer! »Er kommt durch den bren­nen­den Wüs­ten­sand und wird die Welt be­herr­schen …«

Litt er schon an Hal­lu­zi­na­tio­nen? Soll­te er es wa­gen, zu­rück­zu­schau­en? Er dreh­te sei­nen glü­hen­den, fie­bri­gen Kopf nach hin­ten und glaub­te den Ver­stand zu ver­lie­ren. Aber er täusch­te sich nicht. Ir­gend et­was war hin­ter ihm. Die­ses Et­was war noch weit ent­fernt. Es war in ei­ner Mul­de, die un­ter ihm lag. Aber die­ses dunkle, ver­schwom­me­ne We­sen schi­en ihm auf lei­sen Soh­len zu fol­gen.

Car­no­ti stieß einen Fluch zwi­schen den Zäh­nen her­vor und be­gann zu ren­nen. Wenn er das Göt­zen­bild nur nicht an­ge­tas­tet hät­te! Wenn er aus die­ser Höl­le le­bend her­aus­käme, wür­de er nie wie­der an die­sen ver­fluch­ten Ort zu­rück­keh­ren. Die Le­gen­de stimm­te al­so. Es gab ihn, den Gott der Wüs­te!

Ob­wohl die sen­gen­den Son­nen­strah­len durch sei­ne Stirn zu drin­gen schie­nen, has­te­te er wei­ter. Das glei­ßen­de Licht blen­de­te ihn so, daß er kaum noch et­was se­hen konn­te. Al­les be­gann sich vor sei­nen Au­gen zu dre­hen, und sein Herz häm­mer­te so hef­tig, daß er glaub­te, es müß­te je­den Au­gen­blick zer­sprin­gen. Aber er war nur von ei­nem Ge­dan­ken be­seelt: zu flie­hen!

Sei­ne Ein­bil­dung spiel­te ihm üb­le Strei­che. Er glaub­te vor sich im Sand Sta­tu­en zu se­hen, die der gli­chen, die er ent­weiht hat­te. Sie er­ho­ben sich plötz­lich vor ihm. Sie schie­nen aus dem Bo­den zu wach­sen. Sie stell­ten sich ihm un­heim­lich dro­hend in den Weg. Man­che grins­ten ihm mit aus­ge­brei­te­ten Flü­geln ent­ge­gen, an­de­re gli­chen eher Schlan­gen oder Po­ly­pen. Aber eins hat­ten sie al­le ge­mein­sam: Sie hat­ten kei­ne Ge­sich­ter und tru­gen ei­ne drei­fa­che Kro­ne.

Car­no­ti merk­te, daß er lang­sam den Ver­stand ver­lor.

Als er einen Bück zu­rück­warf, stell­te er vol­ler Ent­set­zen fest, daß die schlei­chen­de Ge­stalt höchs­tens noch ei­ne hal­be Mei­le von ihm ent­fernt war. Er schrie gel­lend und stol­per­te wei­ter. Er fuch­tel­te wild mit den Ar­men her­um, um die gro­tes­ken Trug­bil­der, die ihm den Weg ver­sperr­ten, bei­sei­te zu schie­ben. Die gan­ze Wüs­te nahm ei­ne dro­hen­de Hal­tung ein. Es schi­en, als hät­te sich die Na­tur ge­gen ihn ver­schwo­ren, um ihn zu ver­nich­ten. Car­no­ti stöhn­te und lach­te schrill auf. Wür­de es nie­mals Abend wer­den?

Als es schließ­lich Abend wur­de, nütz­te es Car­no­ti nichts, denn zu die­sem Zeit­punkt be­merk­te er es gar nicht mehr. Er war völ­lig im De­li­ri­um. Er war nur noch ein vor sich hin­plap­pern­des We­sen, das sich durch den wo­gen­den Sand schlepp­te. Und als der Mond am Him­mel stand, schau­te er auf ei­ne tor­keln­de Ge­stalt hin­un­ter, die ab­wech­selnd auf­heul­te und grell lach­te und schließ­lich zu Bo­den sank.

Jetzt kämpf­te sich die Ge­stalt wie­der auf die Fü­ße und schau­te ver­stoh­len über die Schul­ter. Der Schat­ten kroch un­auf­halt­sam nä­her. Car­no­tis Le­bens­wil­le schi­en im Un­ter­be­wußt­sein noch ein­mal auf­zu­fla­ckern, denn er stol­per­te wei­ter, wo­bei er im­mer und im­mer wie­der ein ein­zi­ges Wort in die Nacht schrie: »Nyar­la­tho­tep!« Und der dunkle Schat­ten hin­ter ihm lag auf der Lau­er.

Die schat­ten­haf­ten, form­lo­sen Um­ris­se muß­ten mit ei­ner teuf­li­schen In­tel­li­genz aus­ge­stat­tet sein, denn sie zwan­gen ihr Op­fer, in ei­ne ganz be­stimm­te Rich­tung zu lau­fen, als woll­ten sie es zu ei­nem be­ab­sich­tig­ten Ziel trei­ben.

Die Ster­ne, die in­zwi­schen am Him­mel er­schie­nen wa­ren, schau­ten auf einen Wahn­sin­ni­gen her­ab, der von ei­nem Schat­ten durch die end­lo­sen Sand­mas­sen ge­hetzt wur­de. Jetzt hat­te der Ver­folg­te ge­ra­de die Kup­pe ei­nes Sand­hü­gels er­reicht und blieb mit ei­nem marker­schüt­tern­den Schrei ste­hen. Der Schat­ten blieb eben­falls ste­hen und ver­hielt sich ab­war­tend.

Car­no­ti schau­te auf die Über­res­te sei­nes ei­ge­nen La­ger­plat­zes hin­un­ter. Es sah al­les noch ge­nau­so aus, wie er es ges­tern nacht ver­las­sen hat­te. Sein Geist klär­te sich noch ein­mal, und Car­no­ti er­kann­te mit töd­li­chem Er­schre­cken, daß er die gan­ze Zeit im Kreis ›ge­flo­hen‹ war. Doch das Schick­sal mein­te es gnä­dig mit ihm, denn gleich­zei­tig mit die­ser furcht­ba­ren Er­kennt­nis ver­fins­ter­te sich sein Geist wie­der. Er warf sich mit ei­ner letz­ten kör­per­li­chen An­stren­gung vor, um dem Schat­ten aus­zu­wei­chen. Er merk­te gar nicht, daß er di­rekt auf die bei­den Find­lings­stei­ne, un­ter de­nen die Sta­tue be­gra­ben war, zu­eil­te.

Dann wur­de sein Traum zur grau­sa­men Wirk­lich­keit.

Als er rann­te, be­gann der Sand vor ihm zu be­ben. Er wog­te und schi­en un­ter Ge­burts­we­hen et­was her­vor­brin­gen zu wol­len. Dann glitt der Sand wie ein rei­ßen­der Sturz­bach von der Hö­he der Sta­tue. Die bei­den Find­lings­stei­ne ge­rie­ten ins Wan­ken. Sie wirk­ten fast schwe­re­los, als sie von der Fi­gur glit­ten.

Es war der Sand, der wei­ter­rie­sel­te, aber es sah so aus, als wür­de sich die schwar­ze Gott­heit aus der Er­de er­he­ben und bö­se im Mond­licht fun­keln.

Als Car­no­ti auf das Göt­zen­bild zu­stürz­te, wur­de er von dem rie­seln­den Sand ein­ge­fan­gen. Car­no­tis Fü­ße ver­san­ken wie im Moor. Er stram­pel­te und schlug hef­tig um sich. Aber je mehr er sich be­weg­te, de­sto tiefer ver­sank er. Der fei­ne wei­ße Sand um­klam­mer­te ihn und zog ihn mit un­sicht­ba­ren Ar­men un­barm­her­zig in die Tie­fe. Jetzt reich­te er ihm schon bis zur Hüf­te.

Im sel­ben Au­gen­blick er­hob sich der selt­sa­me Schat­ten und sprang vor. Er schi­en in der Luft mit der Sta­tue zu ei­nem be­seel­ten form­lo­sen Ne­bel zu ver­schmel­zen. Als das Car­no­ti, der sich im­mer noch ver­zwei­felt ge­gen den Griff des gie­ri­gen San­des wehr­te, sah, wur­de er vor Angst und Grau­en voll­stän­dig und end­gül­tig wahn­sin­nig. Die Nacht schi­en dem un­för­mi­gen Göt­zen­bild Le­ben ein­ge­haucht zu ha­ben. Der tod­ge­weih­te, ir­re Car­no­ti starr­te mit auf­ge­ris­se­nen Au­gen in das un­ir­di­sche Ant­litz. Es war ge­nau wie in sei­nem Traum. Sei­ne Au­gen, die im Wahn­sinn roll­ten, er­blick­ten hin­ter der stei­ner­nen Mas­ke ei­ne teuf­li­sche Frat­ze. In den Au­gen, die Car­no­ti höh­nisch an­grins­ten, stand der Tod. Die schwe­ben­de schwar­ze Fi­gur brei­te­te ih­re Schwin­gen aus und sank mit ei­nem don­nern­den Knall in den Sand.

Durch den Auf­prall ver­sank Car­no­ti noch tiefer. Von ihm blieb nichts wei­ter üb­rig – als ein le­ben­der Kopf, der sich zu­ckend im Wüs­ten­sand dreh­te und wand und sich in ohn­mäch­ti­ger Ver­zweif­lung be­müh­te, den Kör­per aus dem ei­ser­nen Griff des wei­chen San­des zu be­frei­en.

Die Ver­wün­schun­gen, die die sprö­den, blu­ten­den Lip­pen aus­stie­ßen, ver­wan­del­ten sich in wahn­sin­ni­ge Schreie, die um Gna­de win­sel­ten. Dann sank die Stim­me zu ei­nem Schluch­zen hin­ab, aus dem nur ein ein­zi­ges Wort her­aus­zu­hö­ren war: »Nyar­la­tho­tep.«

Car­no­ti starb lang­sam.

Als der Mor­gen kam, war er im­mer noch am Le­ben. Die Son­ne stieg wie­der wie ein Feu­er­ball am Him­mel auf.

Die sen­gen­de Glut koch­te Car­no­tis Blut und schmor­te sein Ge­hirn. Aber die Qua­len der bren­nen­den Höl­le dau­er­ten nicht lan­ge. Es schi­en, als hät­te er mit über­na­tür­li­chen Kräf­ten die Gei­er zu die­ser ein­sa­men Stel­le her­bei­ge­ru­fen. Sie kreis­ten ei­ni­ge Zeit über ihm.

Dann stie­ßen sie hin­ab.

 

Und ir­gend­wo lag ei­ne al­te Gott­heit un­ter dem Sand be­gra­ben. Ob­wohl der Gott kein Ge­sicht hat­te, drück­te er den An­flug ei­nes ver­stoh­le­nen, bö­sen und zy­ni­schen Lä­chelns aus. Denn als Car­no­ti, der Un­gläu­bi­ge, starb, hul­dig­ten sei­ne ver­stüm­mel­ten Lip­pen flüs­ternd Nyar­la­tho­tep, dem Herr­scher der Wüs­te.