KAPITEL DREIZEHN
Am nächsten Morgen begann Cruz seine Einzelgespräche. Der Tag zog sich in einer erwarteten, schmerzhaften Weise dahin. Immer und immer wieder musste er die gleichen Fragen beantworten, die Zweifel abwehren, die viele über die Rechtmäßigkeit des Vorgangs hatten, und Anweisungen geben, wie sie von ihrer aktuellen Position aus vorgehen mussten. Am Ende war er todmüde.
Cruz wollte die Ressourcen für die zwei vielversprechendsten Gebiete bereitstellen – Los Cabos, wo der Gipfel abgehalten werden würde, und Culiacán, die Drogenhauptstadt von Mexiko. Es war möglich, dass El Rey sich irgendwo in einer Hütte an einem See verkroch, aber wenn Cruz El Rey wäre, ginge er irgendwann nach Los Cabos, um die Lage des Terrains zu erkunden und einen Angriffsplan auszuhecken.
Dementsprechend rief er den Außenposten der Federales dort an und alarmierte sie in Bezug auf die Situation. Er fügte hinzu, dass er in den nächsten Wochen Ressourcen einsetzen werde, um eine operative Basis im Gebiet zu etablieren.
Der zuständige Beamte klang nicht allzu begeistert – Cruz wäre auch nicht glücklich, wenn es umgekehrt gewesen wäre. Polizisten hatten ihr Territorium, deshalb wurde ein Eindringen von Außenstehenden nie geschätzt. Und angesichts der Tatsache, dass Hunderte von Federales für die Sicherheit in der Woche vor dem G-20 im Gebiet absteigen und noch eine andere Gruppe dazukommen würde, um das Leben der Einheimischen noch früher als erwartet zu komplizieren, kam das nicht gut an. Er verstand, dass der Empfang seines Teams sich nicht gerade ideal gestalten würde, aber sein Job war nicht, Freunde zu gewinnen; es ging darum, die Kartelle zu bekämpfen.
Los Cabos bestand aus den beiden Städten Cabo San Lucas und San José del Cabo. Es befand sich nicht unter dem Radar der Kartelle, außer als attraktives Ziel für die Geldwäsche. Das Problem war ein geografisches. Drogen wurden nicht vom Festland auf der Fähre verschifft, weil man einen Spießrutenlauf von fast fünfzehnhundert Kilometern militärischer Kontrollpunkte hinter sich bringen musste, auf der einzigen Straße, die nördlich zur Grenze verlief. Die einzige andere Möglichkeit der Anreise war mit dem Flugzeug. Deshalb verwendeten die Kartelle den Standort nur, um Geld zu waschen. Cabo war eine Geisterstadt, voller großer Restaurants und Klubs, die aber keine Kundschaft hatten; dennoch schafften sie es, das ganze Jahr über riesige Gewinne zu erwirtschaften. Bei einigen Hotels war es genauso – höchstens fünf Prozent Belegung, und dennoch waren sie äußerst lukrativ.
Cruz erinnerte sich in Bezug auf die sechs Wochen, die er in Los Barriles verbracht hatte, schwach daran, dass man um drei Uhr früh sturzbesoffen die Straße entlanglaufen konnte, ohne dass es jemanden gestört hätte. Es gab einfach kein nennenswertes Verbrechen. Die Federales in San José del Cabo waren das Äquivalent zur Highway Patrol, die die Autobahnen entlangkreuzten und Aufräumarbeiten nach Unfällen erledigten oder gelegentliche Strafzettel ausstellten, wenn das Geld knapp war oder Weihnachten vor der Tür stand. Ihre Fähigkeit, etwas Sinnvolles zu tun in Bezug auf echte Durchsetzung des Rechts oder vorbeugende Maßnahmen, um einen Profi wie El Rey abzuschrecken, lag effektiv bei null. Deshalb waren sie für Cruz nutzlos.
Er beabsichtigte, eine Gruppe von sechs Leuten in Los Cabos einfliegen zu lassen, die ihre Fühler in der Gemeinde ausstrecken und mit der vorhandenen Infrastruktur der Polizei arbeiten sollten, während sie nach Anzeichen von El Rey suchten, ohne unnötige Aufmerksamkeit zu erwecken. Technisch gesehen war er außerhalb von Mexico City nicht zuständig, aber sein Mandat vom Präsidenten erlaubte ihm, überall im Land Ressourcen zu übernehmen und seine Reichweite auszudehnen, sollte es erforderlich sein. In diesem Fall berief sich Cruz auf sein Recht, weil es notwendig war – er würde sich um die Dokumentation der Details später kümmern.
Cruz wünschte, er könnte sich direkt an den Präsidenten wenden und seine Bedenken äußern, aber er hatte keine Beziehung dorthin. Verbrechern erzählte er zwar, dass der Präsident ihm die Macht gegeben hätte zu tun, was immer er für richtig hielt, aber in Wirklichkeit hatte der Präsident lediglich die Position geschaffen und sie mit dieser Macht ausgestattet. Cruz wurde dann in diese Position befördert, aber persönlich war er dem Präsidenten in Wahrheit niemals auch nur einen halben Kilometer nahe gekommen.
Nein, er war bei dieser Sache effektiv ganz alleine, und das wusste er. Seine Mitarbeiter gaben ihm weiter ihre Unterstützung, wofür er dankbar war. Darüber hinaus hatte er eine größere Gruppe von Beamten zur Verfügung als irgendeine andere Dienststelle, deshalb war er zuversichtlich, dass es ausreichen würde.
Briones streckte seine Arme und gähnte, drei Viertel des Tages lagen hinter ihm und vier weitere Sitzungen vor ihm. »Haben Sie sich gefragt, was die politischen Konsequenzen wären, wenn der Präsident ermordet werden würde? Ich meine, wir gehen davon aus, dass es hierbei hauptsächlich um Santiagos Eitelkeit ging, aber was, wenn das Ganze viel subtiler ist?«, fragte er Cruz, der Kaffee auf seinem Beistelltisch kochte.
»Nun, wenn der Präsident getötet wird, geht die Führung an den Innenminister – das Äquivalent zum Sprecher des Repräsentantenhauses«, erklärte Cruz.
»Kam der nicht kürzlich bei einem Flugzeugabsturz ums Leben?«
»Hubschrauber. Etwas außerhalb der Stadt. Letzten November, am elften, um genau zu sein«, bestätigte Cruz.
Briones musterte seinen Chef, erstaunt über sein Erinnerungsvermögen. »Wie können Sie das? Sich an das Datum von so etwas Obskurem erinnern?«, fragte er.
»Es ist nicht so schwer, wie Sie denken. Sein Vorgänger, der Mann, der mich für diese Position angeworben hat, starb durch einen Flugzeugabsturz im gleichen Monat vor fünf Jahren. Ein Learjet, der mitten in das Herz von Mexico City stürzte. Sie haben wahrscheinlich davon gehört«, erinnerte Cruz ihn.
»Das ist richtig – mir ist nur nicht eingefallen, wer an Bord war. Wie es scheint, ist der Posten des Innenministers mit einer Geschichte von Flugzeugunglücken verbunden, nicht wahr? Bin ich nur paranoid, oder besteht da auch ein Zusammenhang, an den Sie nicht glauben?«, spekulierte Briones.
»Die Flugschreiber wurden aus dem Jet genommen und in die USA gebracht, aber das ist das Letzte, was ich davon gehört habe. Wie in so vielen Fällen geht jeder einfach zu anderen Dingen über, und die Angelegenheit wird vergessen. Gäbe es dabei ein falsches Spiel, würde die Regierung es unter der Decke halten – so werden wir wahrscheinlich nie die Wahrheit erfahren. Sie würden es nicht an die große Glocke hängen wollen, wenn die Kartelle den zweiten Mann in der Regierung zum Absturz gebracht hätten. Schlechte Presse und all das …«, bemerkte Cruz zynisch.
»Wenn Ihnen ein Flug mit dem Innenminister angeboten würde, dann könnte ein höfliches ›Nein danke, ich nehme den Bus‹ besser für Ihre Gesundheit sein, oder?«, schlug Briones vor.
»Hab so eine Einladung noch nicht bekommen, aber danke für den Tipp«, witzelte Cruz trocken. »So, was haben wir sonst noch für heute?«
»Ein paar weitere Treffen, aber den Löwenanteil der Anweisungen haben wir bereits ausgehändigt. Wir schaffen eine Basis in Los Cabos und beginnen die Überwachung vor Ort. Außerdem erhalten wir ein paar verdeckte Ermittler, die in den Striplokalen herumwühlen und sich in den Barrio-Drogenhandelbereichen nach Geschwätz umhören.«
»Aber nicht von Julios oder Ignacios Gruppen. Ich will sie aus dem Informationskreislauf draußen haben. Sie sollen ihr übliches Geschäft erledigen«, betonte Cruz.
»Ich weiß, ich weiß. Wir haben vier Jungs von Paolo Arriatas Kader, die reingehen. So ist es aufgeteilt«, versicherte Briones ihm. Arriata war ein anderer Veteran der verdeckten Straßenermittlungen, die Cruz eingeleitet hatte.
»Gut. Alles klar, holen wir den Nächsten hier rein und gehen die Prozedur durch.«
Briones erhob sich und ging, um den zu holen, der für drei Uhr einbestellt war.
Die Temperatur begann in Culiacán zu steigen, und in ein paar Monaten würde es noch viel heißer werden. Doch jetzt schon war es unangenehm genug in den schlecht belüfteten Mauern des Gefängnisses, wo die Häftlinge, die im Regelvollzug dicht gedrängt tagein, tagaus auf spärlichen Matratzen dahinschmachteten, auf ihren Prozess oder die Verurteilung warteten.
Moreno bekam seine eigene Zelle, sobald er aus Mexico City zurückgekehrt war, und die Qualität und Quantität der Behandlung hatte sich deutlich verbessert. Anstatt in einem Raum mit zwanzig anderen Männern schlafen zu müssen, wovon viele abgebrühte, wegen Mord und Entführung lebenslänglich inhaftierte Verbrecher waren, bekam er jetzt sein eigenes, komfortables Bett und eine private Toilette, einschließlich eines Waschbeckens. Das war für Moreno wie eine Suite im Ritz Carlton, da er üblicherweise in einem düsteren Schuppen am Rande der Stadt von der Hand in den Mund lebte, von allem, was er stehlen und verkaufen konnte.
Als er älter wurde, wurde es immer schwieriger, eine legale Beschäftigung zu finden; die einzigen Gelegenheiten, die er in den letzten zwei Jahren bekommen hatte, waren strapaziöse Jobs im Baugewerbe gewesen, wo er zehn Stunden am Tag in der Sonne Betonblöcke schleppen musste und Mörtel mit einer Schaufel auf einer Sperrholzplatte anmischte. Mit seinem starken Hinken und den damit verbundenen Komplikationen, was ein bleibendes Ergebnis von unglücklichen zwei Sekunden auf einer hohen Leiter beim Trimmen von Pflanzen war, konnte er diese Arbeiten einfach nicht mehr verrichten.
Mexiko hatte kein Sicherheitsnetz für die Armen oder Glücklosen, außer einer medizinischen Versorgung in den notorisch schäbigen und unfähigen Krankenhäusern der Sozialversicherung – wo man leicht sterben konnte, während man auf eine Behandlung wartete. Es gab keine sozialen Programme, keine Lebensmittelmarken, keine Arbeitslosenunterstützung, keine Lobbyisten, die Wohlstand aus der Wirtschaft für die Umverteilung an die dicht gedrängten Armen saugten. Wenn man nicht funktionierte, verhungerte man. Der einzige Puffer war die Struktur der Familie, wo die Fürsorge für die Alten oder Kranken als obligatorisch galt, aber Morenos vier Kinder waren keine Hilfe. Eine Tochter lebte in den Vereinigten Staaten, wo sie als Illegale in Südkalifornien von Hausarbeit für wohlhabende Hausfrauen lebte, die zu beschäftigt mit ihrem vollen Terminkalender waren, um sich um lästige Aufgaben wie Putzarbeiten im eigenen Hause zu kümmern; ein Sohn war Fischer in Veracruz und konnte sich selbst kaum über Wasser halten; und die beiden anderen Kinder waren tot, eines ein Opfer eines Verkehrsunfalls, und das andere starb am Dengue-Fieber, das von Zeit zu Zeit ausbrach und wofür es keine Heilung gab.
Seine Tochter schickte gelegentlich hundert Dollar, aber es war bei Weitem nicht genug zum Leben, und es gab keine bezahlte Gartenarbeit für einen über fünfzigjährigen Krüppel mit einem schlecht verheilten Becken. Moreno machte also hier und da Gelegenheitsjobs, wenn er konnte, und nahm zur Linderung der Schmerzen seiner Verletzung das leicht verfügbare mexikanische braune Heroin – eine Sucht, die rasch sein Erspartes aufbrauchte, das er angesammelt hatte. Deshalb begann er eine Karriere als Einbrecher und stahl, wenn sich eine Gelegenheit ergab – obwohl er nicht sehr gut darin war, was seine jüngste Verhaftung bewies. Er konnte nicht einmal vor den beiden Polizisten wegrennen, die von einem Nachbarn alarmiert worden waren, auf dem Bürgersteig standen und warteten, als er ungeschickt aus dem Fenster kletterte.
Er wusste, dass er unglaubliches Glück hatte, dass der Polizeicaptain Cruz seine Geschichte wertvoll fand, und er entschied sich, einen produktiveren Weg einzuschlagen, sobald er freigelassen wurde. Es gab eine Organisation der katholischen Kirche, die ihn mit Essen versorgen würde, wenn er für sie an den Ampeln um Spenden bettelte, und obwohl das wenig aussichtsreich war, war es doch besser, als für den Rest seines Lebens im Gefängnis zu verrotten. Nein, er hatte noch eine Chance bekommen, und dieses Mal würde er sie nicht vermasseln.
Eine Wache kam an seiner Zelle vorbei, um ihn zu informieren, dass es Zeit für körperliche Bewegung war, danach gab es Mittagessen im Gemeinschaftsbereich. Er zog seine Gefängnisbekleidung an und folgte dem Mann hinaus in den Hof, wo die sengende Sonne auf die versammelten Verbrecher herunterbrannte, was eine zusätzliche Strafe für ihre Sünden darstellte. Er nahm eine Stellung an der Peripherie des Hofes ein, in einem der Bereiche, wo der Dachüberstand einen etwas dürftigen Schatten bot. Eine Brise hätte für etwas Erleichterung gesorgt, aber die acht Meter hohe Ummauerung, gekrönt mit Stacheldraht und Glasscherben, blockierte alles effektiv und verwandelte das Gefängnis in einen Ofen. Die Betonbauweise machte den unerträglichen Zustand noch schlimmer, weil Mauern und Dach den ganzen Tag die Sonnenglut absorbierten und dann während der Nacht die gespeicherte drückende Hitze abstrahlten.
Moreno zog eine der drei verbliebenen Zigaretten aus einer Packung, die er von der Wache nach seiner Rückkehr bekommen hatte, beugte sich vor, holte ein Streichholz aus seinem Schuh hervor und schlug es gegen den Boden. Ein Schatten schob sich über ihn, und als er wieder aufrecht stand, wurde er von einem Anstieg brennender Schmerzen ergriffen. Ein stämmiger Gefangener mit einer verzerrten Narbe über seinem Gesicht stieß einen Schaft in seinen Unterleib, mit der Geschwindigkeit eines Maschinengewehrs, immer wieder und wieder. Er durchstach mehrere Organe, bevor Moreno in einer Pfütze von Blut auf den Boden fiel. Der Täter entfernte sich hastig von der zuckenden Gestalt und verschwand zwischen den Gefangenen, die aus Selbsterhaltungstrieb alle ihre Augen abgewandt hatten.
Morenos Blick verschleierte sich, während die Welt um ihn herum immer mehr verschwamm. Sein Herzblut wurde in einem elenden Höllenloch vergossen, gerade als die Dinge eine Wendung für ihn nahmen.
Bis ihn die desinteressierten Wachen erreichten und einen Sanitäter riefen, rutschte Moreno bereits in die Vergessenheit, niedergestreckt von einem unbekannten Angreifer aus Gründen, die niemand je nachvollziehen konnte. Als er aus der Welt glitt, waren seine letzten Gedanken, dass die ganze Erfahrung des Sterbens erheblich überschätzt wurde.
Im Flugzeug von Mexico City nach Los Cabos befand sich eine überraschend große Zahl von ernsten, muskulösen Polizisten, die sich unter den Passagieren verteilten. Die Männer reisten in ziviler Kleidung, ihre Waffen wurden sicher in einem speziell verschlossenen Container im Rumpf des Flugzeugs transportiert, um dann am Bestimmungsort übernommen zu werden. Sie waren nicht sehr gesprächig und auf sich konzentriert, vermieden Kontakt zu ihren Sitznachbarn, studierten lieber das Bordmagazin oder schlossen die Augen während des kurzen Fluges.
Als das Flugzeug in die trockene Wüste der südlichen Halbinsel Baja hinabstieg, wurde das Flugzeug von der aus dem dürren Gestrüpp aufsteigenden heißen Luft durchgerüttelt. Auf der linken Seite ihres Anfluges erstreckte sich in der Ferne das tiefe Azurblau des Sees von Cortez, mehr als hundertfünfzig Kilometer Gewässer lagen zwischen Los Cabos und dem nächstgelegenen Punkt auf dem Festland.
Die Räder bissen sich mit einem Streifen aus Rauch in das Rollfeld, bevor sich das Flugzeug auf der langen Start- und Landebahn verlangsamte, die kürzlich sowohl für den G-20 als auch hinsichtlich Boeing-777-Flügen vom Festland verlängert worden war: Es war der letzte Zwischenstopp zwischen Mexico City und China. Als das Flugzeug eine Schleife in Richtung des Terminals zog, bemerkten die Männer eine Phalanx von Privatjets aller möglichen Fabrikate am hinteren Ende des Feldes, ein Beweis für das Geld, das sich in der Region konzentrierte. Alles, vom zweimotorigen King-Air-Prop-Flugzeug bis zur Gulfstream G-5, reihte sich Flügel an Flügel, und selbst als die Hochsaison sich zum Ende neigte und die Stadt auf die Hundstage des Sommers zuging, wetteiferten Dutzende von Jets in allen Formen und Größen um einen Platz.
Die Männer gingen von Bord, und im Bereich der Gepäcksausgabe trafen sie ihre örtlichen Amtskollegen, das Baja-Kontingent der Bundespolizei, die ihren Waffenkoffer abholten. Sie warteten, um die Neuankömmlinge zu ihrem Hauptquartier zu bringen, das einige Kilometer vom Flughafen entfernt lag.
Nach einer flüchtigen Orientierung in ihrem vorübergehend neuen Zuhause brach das Team zum Mittagessen ins nahe gelegene Terrassen-Fischrestaurant auf, das unter einer riesigen Strohhütte, einer Palapa, lag. Als sie gegessen hatten, fuhren sie zum neu errichteten Kongresszentrum, wo der G-20-Gipfel stattfinden würde. Es schien, als ob die Arbeiter ziellos umherliefen, mitten im unablässigen Strom von Fahrzeugen, die kamen und gingen, während Lieferungen gemacht und Vorräte verteilt wurden.
Das Terrain schien relativ leicht zu sichern zu sein, zumal es keine Bauwerke in unmittelbarer Nähe des Komplexes gab. Die einzigen Orte, die Sorge bereiteten, waren die Schule am Fuß des steilen Hanges und die umliegenden Berge. Ein Scharfschütze könnte möglicherweise einen Schuss vom Kamm des nächstgelegenen Steilhanges abfeuern, aber der Erfolg wäre aus solch einer Entfernung äußerst fraglich.
Am Ende war die Sicherung des Geländes nicht ihr Problem. Die Armee und eine Sondersicherheitseinheit würden die größte Last übernehmen, um die Würdenträger während des Gipfels abzusichern, da es an erfahrenen Polizisten mangelte. Es gab keine bewaffneten Konflikte mit Kartellmitgliedern im südlichen Baja, deshalb hatte die Polizei vor Ort niemals mit etwas Gefährlicherem zu tun als einer Schießerei mit lokalen Drogenhändlerbanden, gelegentlich mit einem betrunkenen Messerstecher oder einer wütenden Frau, die darauf aus war, ihren missratenen Ehemann mit einer Gartenmachete zu enthaupten.
Nachdem sich das Team mit den geografischen Gegebenheiten vertraut gemacht hatte, zog man zu den umliegenden Randgebieten, die weitgehend Wohngebiet waren. Zwei- und dreistöckige Wohnblöcke säumten die Autobahn, gelegentlich unterbrochen durch Fußballfelder, kleine Einkaufszentren und Läden oder Restaurants. Der große Supermarkt und die angeschlossene Einkaufspassage hinter der Kreuzung an der Straße, die zum G-20-Gipfel führte, waren fast anderthalb Kilometer entfernt, und zwischen dem Supermarkt und dem Convention Center lag noch ein Hügel; also ging von hier keine offensichtliche Bedrohung aus.
Nach Abschluss ihres Orientierungstages checkten die Männer in einem nahe gelegenen Hotel ein. Die Undercover-Polizisten machten Siesta, weil ihre Schicht bei Anbruch der Nacht begann, wenn die Erwachsenenunterhaltung in den Striplokalen mit ihren Neon-Versprechen über den Straßen von San José und der Innenstadt von Cabo San Lucas auflebte. Sie würden die meisten Nächte bis vier Uhr morgens auf sein, mit den Mädchen reden und versuchen herauszufinden, ob jemand Zeit mit einem Festlandbewohner verbracht hatte, der verdächtig schien. Es war ziemlich aussichtslos, aber eine überraschend große Zahl von Kriminellen verbrachte ihre Freizeit mit Professionellen beim Trinken, und vielleicht teilte El Rey diese Gewohnheit. Alle Geheimdienstler hatten verkleinerte Skizzen im Portemonnaie, zusammen mit ein paar Geldscheinen, für den Fall, dass eine der jungen Damen etwas zu erzählen hatte.
Sie wollten vermeiden, das Foto wahllos herumzureichen, weil es den Attentäter warnen könnte, dass er in Los Cabos aktiv gesucht wurde. Sobald er alarmiert war, würde er verschwinden. Dann müssten sie die Luft anhalten, bis er aus dem Nirgendwo zuschlug. Sie würden bis einen oder zwei Tage vor Beginn des Gipfels warten, um diesen letzten Verzweiflungsschritt zu machen, und die Skizze bei allen Gesetzeshütern und Streitkräften in der Umgebung herumreichen.
Ein großes Hindernis bestand darin, dass die örtliche Polizei in der Regel korrupt war. Das Durchschnittsgehalt lag bei dreihundertfünfzig Dollar pro Monat, deshalb ergänzten die meisten ihr Einkommen mit der Annahme von Bestechungsgeldern für allerlei Gefälligkeiten – ließen Verkehrssünder laufen, setzten Geschäftskonkurrenten unter Druck, verlangten Schutzgeld, um Geschäfte und Restaurants zu schützen, und verkauften Informationen an die Unterweltverbindungen. Gerade das war das Problem – El Rey war zweifellos an die Gerüchteküche im Untergrund angeschlossen und würde innerhalb von Stunden über eine Fahndung Bescheid wissen, sollten sie damit hausieren gehen.
Jeder in Gewahrsam genommene Häftling würde befragt werden, und man würde ihm die Skizze zeigen, nur für den Fall, dass jemand ihm begegnet war. Darüber hinaus würden die Undercover-Polizisten die Nachricht über die ortsansässigen Drogendealer verbreiten, für den Fall, dass El Rey wie viele Kriminelle eine Sucht zu befriedigen hatte. Sobald die Undercover-Beamten ein paar Mal etwas gekauft hätten, würden sie den Händlern die Skizze mit der fabrizierten Geschichte zeigen, dass der Mann von einem Kartellchef etwas gestohlen hatte und dass der bereit war, jeden zu belohnen, der helfen könnte, den Dieb zu finden.
Das war keine umfassende Strategie, aber es war ein guter Anfang. Als die Sonne hinter den Bergen der Sierra La Laguna wegtauchte, bereitete sich das Undercover-Team auf die erste von vielen langen Nächten im Sündenpfuhl des südlichen Baja vor, auf der Suche nach einem flüchtigen Mann ohne Namen, dessen Visitenkarte eine Tarotkarte war.