Gabriele Stegmeier
Das perfekte Dinner
Es war zu leicht gewesen, diesen dummen Jungen zu überlisten. Keine Herausforderung. Wie er auf sie angesprungen war am Tresen des Flamboyant. Anastas hatte sich gefragt, was so ein junger Spund in dieser dunklen Kneipe, in der nur abgehalfterte Typen rumhingen, zu suchen hatte. Ihrer Meinung nach hätte er mehr in das Lichtorgelflackern einer Disco gehört.
Hübsch war er, dunkle, gelgestylte Löckchen, ein rundes Gesicht mit frecher Stupsnase. Breite, schön geschwungene Lippen, die sie offen anlachten. Sie hatten sich unterhalten und Aperol Spritz getrunken. Jetzt lag er da, den Mund leicht geöffnet wie eine Muschel. Die Lippen blutleer, die grauen Augen starr und die Glieder verrenkt. Sie rackerte sich ab, ihn in die richtige Stellung zu zerren. Dabei geriet die Lockenpracht über dem pausbäckigen Jungengesicht in Unordnung. Sie strich ihm die Haare zurecht, bevor sie sich über ihn beugte. Noch war Blut in ihm, noch war sie hungrig. Sie beugte sich über ihn und biss zu.
Der Sex mit ihm war fulminant und wild gewesen. Als aufmerksamer Liebhaber ging er willig auf ihre Bedürfnisse ein, und einen Augenblick lang wurde sie schwankend. Doch dann betörte die kräftig schlagende Ader an seinem Hals ihre Sinne. Als sie ihn an dieser Stelle küsste, das Pulsieren unter ihrer Zunge spürte, überkam sie ein leidenschaftliches Verlangen. Sie roch bereits das süße, warme Blut, konnte es schon zu schmecken. Ihr Körper bäumte sich in einem heftigen Orgasmus auf und Sekunden später spürte sie seinen Höhepunkt. In diesem Augenblick biss sie zu.
Immer noch saugte sie Blut aus seinem abkühlenden Leib. Jetzt, da ihr erster Hunger gestillt war, mit Bedacht und Genuss. Mit jedem Schluck fühlte sie neue Kraft durch ihren Körper strömen, während der seine langsam unter ihren Blicken verdorrte. Sie war bereit, den Kampf um Gut und Böse wieder aufzunehmen.
Eine lange Weile lag sie noch wie berauscht neben ihm, saugte die letzte Energie aus seinem jugendlichen Körper. Dann musste sie sich sputen, da der Mond bereits zu verblassen begann. Sorgsam kleidete sie sich an. Am Schluss warf sie den schwarzen Umhang über und bedeckte ihr langes, dunkles Haar mit der Kapuze. Sie drückte dem jungen Mann einen letzten Kuss auf die Muschellippen und dankte ihm.
Auf dem schäbigen Flur des Stundenhotels traf sie Valerius. Auch er hatte seine Kapuze tief ins Gesicht gezogen, aber seine Augen lachten sie an. Sie umarmten sich und schmiegten sich ganz fest aneinander. Dann verließen sie die Absteige.
Der Glatzkopf hinter dem Tresen wirkte im fahlen Licht wie ein Zombie. Der Kopf war ihm auf die Brust gesunken, mit leicht geöffnetem Mund schnarchte er leise, als zwei Schatten vorbeihuschten und das Etablissement lautlos verließen. Ein komisches Gefühl ließ ihn hochschrecken, doch als er die Augen öffnete, war da nichts zu sehen. Er zuckte die Schultern und widmete sich wieder dem Spielfilm Wächter der Nacht.