Gerhard Schmeußer
Vampyrus
Du spinnst, hatte ich gesagt. Vampire gibt’s nicht. Okay, Okay. Schau nicht so. Also gut, zeig mir deinen Freund. Nein, Bekannter, hatte mein Kumpel gesagt, nur ein Bekannter. Also dann zeig mir deinen Bekannten. Mal sehen, sagt mein Kumpel, wie siehts nächsten Mittwoch aus? Wenn’s sein muss. Für einen echten Vampir gehe ich auch mittwochs aus. Mittwoch im Flamboyant.
Nun sitzen wir hier im Flamboyant. In dieser Bar ist es eindeutig zu finster. Der Tresen ist schwarz, der Fußboden ist schwarz, die Wände sind schwarz, einfach alles. Das Pils wird in Null-Dreier Flaschen ausgeschenkt. Der Barmann sieht aus wie der kleine Bruder von Robbie Williams. Über dem Regal mit den Whisky- und Cognacflaschen sind Flachbildschirme aufgehängt, auf denen ein namenloser amerikanischer Tanzfilm läuft. Aber der Ton ist ohnehin abgestellt.
Der Typ auf dem Hocker rechts von mir ist angeblich der Vampir. Das behauptet jedenfalls mein Kumpel, der links von mir sitzt. Mein Kumpel sagt heute nicht viel, was vielleicht daran liegt, dass seine rechte Hand in einem dicken Verband steckt. Habe mich sich beim Autoreparieren geschnitten, sagt er. Warum ist er nur so komisch drauf, immerhin ist er die Woche krankgeschrieben.
Es gibt ein paar Typen am Ende des Tresens, die Bier trinken. Eine türkische Tussi, die irgendwie zum Barmann gehört, glotzt blöd durch die Gegend. Ich schaue mir den Vampir an. Er sieht bedauernswert aus. Klapperdürr. Leidend. Grau wie ein Kettenraucher. Ein jämmerlicher Vampir und nicht gerade furchterregend. Sagen tut er auch nichts.
Also, wie soll ich anfangen? Ich könnte sagen, hey, ist das nicht verrückt, mein Kumpel behauptet, du seist ein Vampir. Also, ich wollte schon immer mal einen Vampir kennenlernen. Ich überlege eine Sekunde zu lange. Seine Augen irritieren mich. Irgendwie ist der Typ doch furchterregend. Ich halte den Mund und bestelle noch ein Pils. Der angebliche Vampir spiegelt sich im Spiegel hinter dem Tresen. Wie will der denn damit durchkommen? Lächerlich. Ich hätte wissen müssen, dass der Abend ein Scheiß werden würde.
Der Vampirtyp ist seit einer Viertelstunde auf dem Klo verschwunden. Dann macht sich mein Kumpel auf den gleichen Weg. Ich sitze allein herum und langweile mich mit meinem Bier. Nach weiteren fünf Minuten habe ich die Schnauze voll. Auf dem Gang zur Toilette riecht es nach Pisse und diesen Steinen, die sie immer zur Desinfektion einsetzen. Ich stoße die Tür zu der Herrentoilette auf. Mein Kumpel steht gequält vor mir. Verkrampft hat er seine rechte Hand unter den Arm geklemmt. Von dem Vampir ist nichts zu sehen. Blut tropft auf den gekachelten Boden. Ich frage ihn, was los ist. Er starrt mich verstört an. Die beiden hatten wohl Zoff. Ich frage, ob der Andere noch da ist, und ernte ein Kopfschütteln. Ich fluche und drehe mich um. Der Bursche kann noch nicht weit gekommen sein.
Auf der Straße ist nichts los. In hundert Metern Entfernung steht eine krumme Gestalt und schaut zu mir her. Ich renne los. Die Scheinwerfer eines Wagens blenden mich. Da ich nicht hinfallen will, bleibe ich stehen. Meine Augen brauchen ein paar Sekunden, um sich wieder an das Licht zu gewöhnen. Da vorne ist niemand mehr. Ich blicke mich um. Eben stand er noch da und nun ist er weg. Der Kerl hat sich irgendwie in Luft aufgelöst. In diesem Moment beginnt es zu regnen. Fluchend schlage ich den Kragen meiner Jacke hoch und trete den Rückweg an.
Mein Kumpel ist nicht mehr im Flamboyant. Der Barmann hat ihn rausgehen sehen. Hatte schon Angst um die Zeche. Die Gäste schauen mich etwas seltsam an. Ich will ja auch nicht bleiben. Ich zahle alles. Auch für den Vampir, was mich ärgert. In einer Schale liegen Werbe-Streichholzschachteln. Ich stecke eine ein. Als ich die Bar endgültig verlasse, verstehe ich nicht, warum ich meinen Kumpel nicht gesehen habe, als er das Gleiche tat.
Das Telefon rastet in die Halterung ein und geht dann in Stand-by. Meinem Kumpel geht es nicht gut. Was gestern passiert ist, will er nicht sagen. Wirkt völlig daneben. Behauptet, eine Stimme in seinem Kopf zu hören. Er will mich nicht sehen. Keinen Menschen. Was hat er mit Vampyrus gemeint?
Wenn ich eine Internetsuchmaschine benutze, denke ich immer, dass dies der einzige Aspekt der Science-Fiction ist, der Realität geworden ist. Und Horror? Ist da auch etwas Realität geworden?
1) Pteropus Vampyrus. Die Vampirfledermaus, verdeutlichend auch Kalong-Flughund genannt, ist eine Säugetierart aus der Familie der Flughunde (Pteropodidae). Er gilt als eines der größten lebenden Fledertiere. Die Flügelspannweite beträgt bis zu 1,7 Meter und das Gewicht bis zu 1 Kilogramm.
2) Vampyrus. Eine Art Pergament, das aus der Haut eines Vampirs hergestellt wird. Nach der Legende kann man damit Seelen von Menschen fangen, indem man ihre Namen mit Blut darauf schreibt. Ursprung und Verbreitung sind nicht erforscht.
Ich will nur mal nachsehen, wie es ihm geht. Mein Kumpel sieht schlecht aus, unrasiert, die Wangen eingefallen, blass. Er liegt im Bett und ist nicht ansprechbar. Auf dem Nachttisch liegen blutige Spritzen. Der Anblick macht mir Angst. Ich spreche ihn darauf an, aber er gibt keine Antwort. Ich frage ihn noch, ob ich etwas für ihn tun kann. Er antwortet nur, dass ich gehen soll, da er nun schlafen will. Ich zögere. Er springt plötzlich auf und geht mit einer der Spritzen auf mich los. Schreit dabei ein Wort, das ich noch gehört habe und sich wie „Vampyrus“ anhört. Die Nadel bohrt sich brennend in meine Schulter. Ich schenke ihm eine ein, dass er zurück auf sein Bett fliegt. Dort bleibt er zusammengekrümmt liegen. Fluchend verlasse ich die Wohnung.
Im Treppenhaus ziehe ich mein Sweatshirt hoch, begutachte meine Wunde. Ein paar Blutstropfen quellen heraus, ansonsten harmlos. Ich bin mir sicher, dass Drogen im Spiel sind. Soll ich ihm helfen? Kann ich ihm helfen?
Der Weg vom Kino zum Parkplatz ist immer etwas seltsam. Die Nacht ist kühl. Ich bin froh, dass ich die neue Jacke angezogen habe. Unter den Brücken durch mit den schwachen Straßenlampen. Gelbes Licht. Holzgeländer. Geruch von Kanalisation. Stinkt der Fluss dermaßen oder ist hier ein Rohr undicht? Da vorne geht eine dürre Gestalt. Hier unten treiben sich oft Punks rum. Betteln einen um einen Euro an, den ich ihnen meistens gebe. Aber irgendwas stimmt mit dem Typ da vorne nicht. Der bewegt sich irgendwie komisch. Als würde ihn der Wind vorantreiben.
Ich bin mir sicher, dass es der Pseudo-Vampir von letzthin ist. Mit dem habe ich noch eine Rechnung offen. Ich beschleunige meine Schritte. Er verschwindet im Schatten des Brückenkopfes. Mir ist nicht ganz wohl, da ich das Gefühl habe, dass er mir auflauert. Auf alles gefasst biege ich um die Ecke.
Der Typ ist verschwunden. Ich stehe vor einem mit dichtem Gestrüpp bewachsenen Hang. Kein Mensch kann da so schnell hochkommen. Da liegt ein Zettel auf dem Kopfsteinpflaster. Auf dem Zettel stehen zwei Namen. Der meines Kumpels und meiner. Ich weiß nicht, was es ist, aber das ist kein Papier. Und die rotbraune Tinte sieht auch nicht wie Tinte aus. Vampirhaut, wo soll man denn so was herkriegen! Soll man einen Vampir fangen und ihm die Haut abziehen? Ich verbiete mir solche Gedanken. Doch der Zettel ist nun einmal da. Fühle mich schwindelig. Meine Gedanken rasen im Kreis. Ich muss mich hinlegen und schlafen. Vielleicht geht es mir dann besser.
Ich denke Dinge, die ich nicht will. Tagsüber bin ich müde und schlafe. Sobald die Sonne untergegangen ist, wache ich auf. Meine Gedanken drehen sich um Blut. Ich tue Dinge, die ich nicht will. Ich esse Dinge, die ich nie gemocht hatte. Der Zettel! Ich trage ihn immer noch bei mir. Warum sollte ich nicht machen, was ich will?
Ich erzähle meiner Bekannten im Spaß, dass im Flamboyant angeblich Vampire zu Gast sind. Sie findet das äußerst originell. Wir verabreden uns am gleichen Abend um zehn. Klar, vorher ist da nichts los. Sie wartet auf mich vor dem Eingang. Wir gehen rein und setzen uns an die Bar. Ich bin etwas unsicher. Ich schaue mich um. Nur normale Gesichter. Er ist nicht da. Ich schlage vor, Sekt zu trinken. Sie sieht mich schief an. Falscher Eindruck. Der Barmann stellt die zwei Sektgläser vor uns hin. Ich reiche ihr eines davon. Es ist einfach, das dünne Sektglas in ihrer Hand aus Versehen zu zerbrechen. So ein Missgeschick aber auch. Der Inhalt läuft zum Glück nur auf den Boden. Natürlich hat sie sich geschnitten. Ich spiele den Ersthelfer. Nicht schlimm. Nur ein Schnitt. Keine Splitter in der Hand. Ein blutiges Taschentuch in einem verschließbaren Glas reicht für meine Zwecke. Der Barkeeper ist betroffen. Ich winke ab und bestelle ein neues Glas. Innerlich grinse ich. Nicht optimal, aber immer noch besser, als mit einer Spritze auf sie loszugehen.
Beim Hinausgehen lacht meine Bekannte. Sie findet, es war alles gar nicht so schlimm. Ich drehe mich noch einmal um und fange einen Blick auf. Er gehört zu einer grauen Gestalt, die in der hintersten Ecke lehnt und die mir bisher nicht aufgefallen war. Der Blick ist teilnahmslos und doch durchbohrend. Da fällt bereits die Tür hinter mir zu. Ich bin mir sicher, dass es der angebliche Vampir ist. Ich höre nicht, was meine Bekannte zu mir sagt. Warum habe ich ihn nicht vorher bemerkt? Hat er uns die ganze Zeit beobachtet?
Ich liege in meinem Bett und mir ist schlecht und ich habe Angst. Habe wohl den ganzen Tag in den Kleidern geschlafen. Draußen wird es schon wieder dunkel. Wirre Erinnerungen. Ich laufe nachts durch die mondhellen Straßen der Stadt. Ich suche finstere Orte auf. Keller, Gänge, Treppenhäuser. Und irgendwas mit Gewalt und Blut. Ich halte den Zettel vor meine Augen. Drei Namen. Ein Schauder läuft mir den Rücken hinunter. Ich muss mich aufraffen, aufstehen, zum Fenster gehen und hinaussehen. Gegenüber, am Rande des Lichtkreises einer Straßenlaterne, die gerade angegangen ist, wartet eine krumme Gestalt auf mich. Wie war das noch: Es gibt keine Vampire und ich habe auch nie daran geglaubt.