»Sitting on the dock of the bay«

Auf der eleganten Terrasse des Grandhotels Excelsior Vittoria, hoch über den Hafenanlagen von Sorrent, beobachtete Nimrod durch ein Hochleistungsfernglas Rashleigh Khans riesige Jacht, die Schadenfreude, während ein weiß livrierter Kellner ihm, Groanin, dem Professor und den Zwillingen den Nachmittagstee servierte.

Die weiße Motorjacht, die immer noch in der Bucht von Neapel vor Anker lag, stellte mit ihrer Größe von zwei Fußballfeldern alle anderen Boote in den Schatten. Auf dem Vorderdeck stand ein schwarzer Helikopter, und von Zeit zu Zeit legte ein kleineres Versorgungsboot von der Jacht ab, um zum Festland hinüberzufahren. Nimrod fiel auf, dass die Jacht unter amerikanischer Flagge segelte, was darauf schließen ließ, dass Rashleigh Khan amerikanischer Staatsbürger war.

»Es kommt mir vor wie ein Déjà-vu, dass wir alle wieder hier sind«, sagte Groanin. »Wenn man an so etwas glaubt.«

»Zumindest an das Gefühl können Sie glauben, Groanin«, stellte Nimrod fest. »Was man infrage stellen kann, ist die Interpretation des Gefühls, für die man sich entscheidet.«

»Es ist so viel passiert, seit wir neulich hier waren«, sagte Philippa und starrte aufs Meer hinaus, »dass man am liebsten die Uhr zurückdrehen würde.«

»Ja, das ist wahr«, stimmte Nimrod ihr zu.

Unterdessen wünschte sich Philippa, dass Axel bei ihnen sein könnte, um diesen Ausblick zu genießen. Sie hatte niemandem erzählt, dass sie in ihn verliebt war, und jetzt schien nicht der richtige Moment zu sein, es zur Sprache zu bringen. Also bewunderte sie einfach die Aussicht und wünschte sich, er hätte sie ebenfalls genießen können. Es war wirklich ein herrliches Panorama! Als Vulkanologe hätte Axel das sicher zu schätzen gewusst. Die große Pyramide des Vesuvs berührte den Gipfel einer weiteren, umgekehrten Pyramide, die allerdings aus Rauch und Asche bestand. Dieser Anblick dominierte die Szenerie wie das riesige steinerne Haupt eines bärtigen römischen Gottes – Jupiter oder Mars –, was Philippa eine Vorstellung davon gab, wie es im Jahr 79 für die armen Bewohner von Pompeji gewesen sein musste.

Sorrent, auf der anderen Seite der Bucht, lag so weit von dem Vulkan entfernt, dass die Aschewolke für das Urlaubsgebiet und die Besucher kein Problem darstellte. Die Bewohner von Neapel hingegen hatte man vorsichtshalber evakuiert und den örtlichen Flughafen, wie andere Flughäfen überall auf der Welt, bis auf Weiteres geschlossen.

Nimrod war der Einzige auf der Terrasse, der die Jacht beobachtete. Alle anderen konzentrierten ihre Aufmerksamkeit auf den Vesuv, viele davon mit einem Teleskop, in der Hoffnung, noch spektakulärere Dinge zu sehen als die, die sich bereits abspielten. Es war schwer, sich vorzustellen, was das überhaupt noch sein könnte: dass der Berg seine Kuppe wegsprengte vielleicht. Oder dass sich geschmolzene Lava über die Flanken des Berges ergoss.

»Schon komisch, sich vorzustellen, dass wir noch vor Kurzem hier gesessen und unsere Ferien genossen haben«, meinte Groanin. »Ohne die kleinste Wolke am Himmel, die uns den Spaß verdorben hätte. Und glücklicherweise ohne jede Ahnung davon, was uns erwartet. Es ist schon komisch: Anscheinend ist Leben das, was sich abspielt, wenn man gerade dabei ist, sich etwas anderes vorzunehmen.«

»Wie immer, Groanin«, murmelte Nimrod, »bringen Sie mich dazu, gedanklich eine Richtung einzuschlagen, die ich vorher nicht bedacht hatte.«

»Was sagen Sie da? Wie meinten Sie gerade?«

Nimrod gab seinem Butler keine Antwort. Er war zu sehr mit Nachdenken beschäftigt.

Also zuckte Groanin die Achseln und sah John an. »Wie lang ist diese blöde Jacht, hast du gesagt?«, fragte er den Jungen.

»Knapp zweihundert Meter«, sagte John.

»Ich würde mich schämen, irgendwo mit so einem Boot aufzukreuzen«, sagte Groanin. »Selbst die Königin Kleopatra hat weniger Aufmerksamkeit erregt als das hier.«

»Schön gesagt, Groanin«, murmelte Nimrod.

»Danke, Sir.«

»Rashleigh Khan hat die Schadenfreude nur gebaut, um Victor Pelorus, einen anderen Milliardär, zu ärgern, dessen Jacht bis dahin die größte der Welt war«, erklärte John. »Sie hat vierhundert Millionen Dollar gekostet und besitzt ein eigenes Raketenabwehrsystem. Und sogar ein U-Boot und einen Tennisplatz.« John hob seine Digitalkamera und schoss ein weiteres Foto. »Das muss stimmen«, fügte er hinzu. »Ich habe es in Ihrer Zeitung gelesen, Groanin.«

»Mit einem U-Boot könnte bei mir niemand landen«, meinte Philippa.

»An Land taugen sie auch nicht viel«, erwiderte John.

»Mit einem Tennisplatz auch nicht«, sagte Groanin. »Wer braucht schon einen Tennisplatz? Wer einen Tennisplatz braucht, möchte ich mal wissen. So ein stinklangweiliges Spiel.«

»Der Zeitung zufolge kostet ihn eine Tankfüllung allein hunderttausend Dollar«, berichtete John weiter.

»Wie kann man sich nur so eine Benzinrechnung leisten?«, sagte Groanin.

»Sie haben doch sicher schon von Hedgefonds gehört«, sagte John. »Er ist nämlich das, was die Zeitungen eine Finanzheuschrecke nennen. Das ist so eine Art hochspekulativer Hedgefond. Rashleigh Khan formt ganze Wirtschaften so, wie es ihm passt. Zu Tigern, Schweinen, was auch immer.«

»Mit diesem Finanzkram habe ich mich noch nie ausgekannt«, gab der Professor zu.

»Ich auch nicht«, sagte Groanin. »Wenn Sie mich fragen, mischen da bloß Gauner und Wildwesthelden mit.«

Nimrod beobachtete durch sein Fernglas immer noch die Jacht. »Das ist wirklich ein interessantes Boot«, sagte er. »In sämtlichen Kabinen sind die Vorhänge zugezogen. Und an Deck rührt sich kaum etwas.«

»Also ich finde sie schrecklich«, meinte Philippa. »Und sie hat einen schrecklichen Namen. Stellt euch nur mal vor, eine Jacht so zu nennen.«

»Das Interessanteste an der Jacht«, sagte Nimrod, »ist, dass sie sich nicht zu bewegen scheint. Ich habe sie sehr genau beobachtet, und ich schwöre, sie hat sich keinen Fußbreit bewegt.«

»Sie liegt doch auch vor Anker«, sagte Groanin. »Sie soll sich nicht bewegen.«

»Das stimmt nicht«, sagte Nimrod. »Alle vor Anker liegenden Schiffe bewegen sich ein wenig. Das macht das Wasser. Aber dieses hier hat sich nicht einen Zentimeter von der Stelle gerührt, seit ich es beobachte, was jetzt schon«– Nimrod sah auf die Uhr –»fast eine Stunde dauert. Und es wirkt noch merkwürdiger, wenn man bedenkt, dass die Motoren laufen.« Nimrod schüttelte den Kopf. »Die Schiffsmotoren laufen die ganze Zeit.«

»Das ist merkwürdig«, stimmte ihm der Professor zu. »Der ökologische Fußabdruck dieses Mannes muss gewaltig sein.«

»Er ist noch viel größer, als wir glauben, das garantiere ich Ihnen«, sagte Nimrod.

John knipste das nächste Foto, was Nimrod auf eine weitere Idee brachte.

»Hast du die Schadenfreude bei unserem ersten Aufenthalt hier auch schon fotografiert, John?«

»Ja, Sir«, sagte John. »Willst du die Bilder sehen?«

»Ja, bitte.«

John fand einige Bilder, die er am Tag vor dem Erdbeben aufgenommen hatte. »Da ist eins«, sagte er und zeigte es seinem Onkel auf dem Display seiner Kamera. »Ich habe es auch von der Terrasse aus aufgenommen.« John sah zur Schadenfreude hinunter und dann wieder auf die Kameraaufnahme. »Boah, Onkel, ich glaube, du hast recht. Sie lag exakt so da wie jetzt auch.«

»Das dachte ich mir«, sagte Nimrod.

»Ich wüsste nicht, was uns das verraten soll«, murmelte Groanin. »Außer dass manche Leute so reich und stinkfaul sind, dass sie sich nicht mal die Mühe machen, ihre Boote zu bewegen, und nichts Besseres zu tun haben, als den ganzen Tag herumzudümpeln und uns armen Idioten dabei zuzuschauen, wie wir unseren Lebensunterhalt zusammenkratzen.«

»Es verrät uns, dass sich die Schadenfreude nicht wie eine normale Jacht verhält«, sagte Nimrod. »Auch nicht wie eine, die knapp zweihundert Meter lang ist.« Er ließ das Fernglas sinken. »Nein, ich glaube, wir müssen an Bord und nach ein paar Antworten suchen.«

»Ja!«, sagte John. »Jetzt kommt endlich ein bisschen Action in die Sache.«

»Allerdings vermute ich, dass die Antworten stark mit dem Vesuv zusammenhängen werden. Sie waren es, Groanin, der mich daran erinnert hat, dass der Vesuv als Erster ausgebrochen ist. Und zwar, als wir neulich hier waren und unsere Ferien genossen haben. Hier hat alles angefangen.« Er schüttelte den Kopf. »Was würde ich nur ohne Sie anfangen, Groanin?«

»Ist doch nicht der Rede wert, Sir«, sagte Groanin.

»Richtig«, pflichtete der Professor bei. »Das ist absolut richtig. Das Erdbeben in dieser Region war der Auslöser dafür, dass sämtliche Vulkane der Welt gleichzeitig ausgebrochen sind. Was noch nie da gewesen ist. Jedenfalls bisher.«

»Rashleigh Khan war damals hier, und jetzt ist er auch hier«, sagte Nimrod. »Er führt nichts Gutes im Schilde. Darauf verwette ich mein Leben.« Er runzelte die Stirn. »Hast du gesagt, dass die Jacht ein eigenes U-Boot besitzt?«

»Ja, Sir, ein Luxus-U-Boot

»Und wofür braucht jemand ein Luxus-U-Boot

»Um bequem unter Wasser zu reisen«, schlug Groanin hilfsbereit vor. Es gefiel ihm, für Nimrods Sherlock Holmes den Watson zu geben. »Ohne nass zu werden? Um auf Schleichfahrt zu gehen und tief zu schlafen?«

Doch diesmal ignorierte Nimrod seinen Butler.

»Und wie sollen wir an Bord kommen?«, fragte John eifrig. »Sollen wir mit dem Teppich rüberfliegen, oder wollen wir uns vielleicht ein Boot klauen? Oder uns vom Marinestützpunkt in Neapel selbst ein U-Boot leihen? Tauchausrüstung! Wir könnten uns Taucheranzüge besorgen, unter Wasser rüberschwimmen und vielleicht im Schutz der Dunkelheit an Bord klettern.« Er grinste. »Mann, das wird ein Spaß!«

»Wir haben keine Zeit für solchen Actionklamauk«, sagte Nimrod. »Klauen. Taucheranzüge. Schwimmen. Puh! Selbst der fliegende Teppich ist womöglich keine gute Idee, wenn das Schiff über ein eigenes Raketenabwehrsystem verfügt.«

»Und wie sollen wir dann an Bord kommen?«, fragte John. »Wollen wir auf eine Einladung zum Abendessen warten?«

»Hast du vergessen, was wir sind?« Mit einem Lächeln legte Nimrod die Hand auf die seines Neffen. »Wir werden natürlich unsichtbar an Bord der Schadenfreude gehen. Wie der süße Atem des Zephyr werden wir über die veilchenblaue Bucht schweben. Wie drei Geister werden wir sehen, was es zu sehen gibt, ohne gesehen zu werden. Also«, Nimrod klatschte laut in die Hände, »lasst uns gleich in die Suite hinaufgehen und unsere Körper zurücklassen.«

»Hm. Vielleicht hast du recht«, gab John zu. »An Unsichtbarkeit habe ich gar nicht gedacht.«

»Gut«, sagte Groanin. »Das heißt, ich bin nicht dabei.«

»Ich auch nicht«, sagte der Professor.

»Und ich auch nicht«, sagte Philippa.

»Du, Philippa?«, wunderte sich Nimrod. »Was soll das heißen? Du kommst doch sicher mit uns.«

»Ich hoffe, es macht dir nichts aus, Onkel Nimrod«, sagte Philippa. »Aber es kommt mir viel zu früh vor, schon wieder meinen Körper zu verlassen, vor allem nach dem, was in Australien mit Charlie passiert ist. Es macht mir Angst. Ohne ihn wäre ich jetzt tot.«

»Aber natürlich, mein Liebes«, sagte Nimrod. »Das hatte ich vergessen. Wie gefühllos von mir, es auch nur vorzuschlagen. Ich werde mit John gehen, nur wir beide. Nicht wahr, John?«

»Ja, Sir.«

»Ihr drei bleibt hier und wartet auf unsere Rückkehr.«

»Und ich werde wie der Westwind zur Hotelbar schweben«, sagte Groanin und eilte über die Marmorterrasse. »Ich spüre, wie mir der süße, kalte Atem eines Cocktails entgegenweht«, sagte er.

John kicherte. »Du hast völlig recht, Onkel Nimrod. Nichts macht so viel Spaß, wie unsichtbar zu sein.«