Kameläon

Groanin musterte den turmhohen Stapel aus schmutzigem Geschirr im Spülbecken und stieß einen abgrundtiefen Seufzer aus.

»Katastrophe«, murmelte er. »Was für eine Katastrophe!« Und das war ausnahmsweise nicht übertrieben.

Allerdings meinte er damit nicht die Fernsehnachrichten, auch wenn das ohne Weiteres der Fall hätte sein können, weil auch auf Bjarnarey, das zu den Westmännerinseln vor Island gehört, neue vulkanische Aktivitäten eingesetzt hatten.

Groanin meinte die Ereignisse, die sich am Vorabend in Decebals Apartment in Guidonia abgespielt hatten, wo er ein üppiges Fünfgängemenü für zehn Personen zubereitet hatte, zu dem Decebal und seine Freundin Bogna eingeladen hatten. Alles war relativ glatt verlaufen, bis der Käse serviert wurde, bei dem sich Groanin für den aus der Gegend stammenden blauen Gorgonzola entschieden hatte. Die ungehobelten und ignoranten Rumänen hatten behauptet, der Käse wäre nur deshalb blau, weil er verdorben wäre, und hatten Groanin vorgeworfen, sie zum Narren halten zu wollen, indem er ihnen einzureden versuchte, der stark riechende und blau geäderte Käse sei essbar.

Als Groanin lautstark einwandte, Gorgonzola müsse blau und von würzigem Geruch sein, hatten ihn die misstrauischen Rumänen mit Gorgonzola und sämtlichen anderen Käsesorten beworfen, die Groanin im Käseladen von Guidonia gekauft hatte: d´Aosta, Grana padano, Parmesan und Pecorino. Außerdem hatten sie ihn mit Brötchen, Weintrauben, Minzbonbons, zwei antiken silbernen Salz- und Pfefferstreuern und einer Fernsehfernbedienung bombardiert. Groanin hatte einen großen Bluterguss am Kopf, wo ihn ein Handy getroffen hatte. Schon jetzt kamen ihm die beiden Tage im Dienste von Decebal vor wie eine Ewigkeit, wie ein ganzer Äon.

»Was man hat, weiß man immer erst, wenn es fort ist«, sagte Groanin. »Und ich Kamel habe mich darüber beklagt, für den alten Nimrod zu arbeiten.« Er wischte sich eine Träne aus den Augen. »Wie irre muss man sein, um seinem Butler ein Handy an den Kopf zu werfen?«

Nicht weniger katastrophal als die Dinnerparty waren Groanins aufrichtige Versuche verlaufen, dem jungen Gangster etwas über Tischmanieren und vornehme Lebensart beizubringen.

Seine einleitenden Instruktionen über den richtigen Gebrauch eines erweiterten Tischgedecks trafen auf offene Feindseligkeit.

»Warum müssen drei verschiedene Sorten Besteck auf dem Tisch liegen, wenn man mit einem genauso gut klarkommt?«, wollte Decebal wissen. »Das ist doch Quatsch. Macht nur mehr Abwasch.«

»Trotzdem gehört es sich so«, beteuerte Groanin. »In Restaurants – vorausgesetzt, Sie besuchen Restaurants, Sir – ist es üblich, das äußerste Besteck zuerst zu verwenden und sich dann mehr oder weniger von außen nach innen vorzuarbeiten.«

»Die Welt ist kurz davor, in die Luft zu fliegen«, sagte Decebal, »und du machst dir Gedanken darüber, dass man den richtigen Löffel benutzt.«

»Ich mache mir keine Gedanken darüber, Sir«, erwiderte Groanin. »Über den Löffel, meine ich. Ich erkläre Ihnen nur, wie es richtig ist; was sich gehört und was man in vornehmen Kreisen erwartet.«

»Vornehme Kreise interessieren mich nicht«, beharrte Decebal. »Und Besteck auch nicht.«

»Offensichtlich, Sir.«

Ebenso wenig Interesse hegte Decebal dafür, ein Bad eingelassen zu bekommen, wenn er stattdessen duschen konnte. Außerdem waren alle seine Hemden aus Nylon und ließen sich nicht bügeln, und dass Groanin sein Silber polierte – die Hauptbeschäftigung von Butlern auf der ganzen Welt –, sah er auch nicht ein, weil er die Angewohnheit hatte, ein neues Silberbesteck zu stehlen, sobald das alte nicht mehr glänzte.

Am meisten jedoch wurden Groanins Versuche, dem Jungen Manieren beizubringen, von Decebals Leidenschaft für Süßigkeiten torpediert. Zum hellen Entsetzen des Butlers pflegte sich Decebal vor, während und nach jeder Mahlzeit aus einer großen Schokoladenschachtel zu bedienen; er trank seinen Kaffee mit Honig, aß seine Sandwiches mit Aprikosenmarmelade und stellte – nach mehreren Versuchen, Groanins perfekt zubereiteten Tee zu trinken – fest, dass ihm Instantkaffee mit einem Haufen Zucker viel lieber war.

Allerdings war das alles noch gar nichts im Vergleich zu Decebals Reaktion, als Groanin ihn aufweckte, indem er ihm das Frühstück auf einem Silbertablett ans Bett brachte. Der Junge hatte die Angewohnheit, bis zum frühen Nachmittag zu schlafen – was in Groanins Augen schlicht und einfach dekadent war.

Nimrod liebte es, morgens um Punkt sieben Uhr von Groanin mit einem Frühstückstablett und der Zeitung geweckt zu werden. Decebal hingegen wollte ebenso wenig geweckt werden, wie er ein Frühstück oder eine Zeitung wollte, und schon gar nicht, wenn es sich um eine italienische Zeitung wie Il Giornale handelte.

Wahrscheinlich war das der Grund dafür, dass er eine Pistole unter seinem Kopfkissen hervorzog und anfing zu schießen. Nicht unbedingt auf Groanin – Decebal war zwar rüpelhaft, aber nicht verrückt –, doch ansonsten ließ er nicht viel aus. Am Ende glich sein Schlafzimmer einem Saloon in Dodge City: Es war voller zerbrochener Spiegel und Bilder mit Einschusslöchern.

Später am Nachmittag, als Decebal schließlich aus dem Bett stieg, ging er mit Costica, seiner Nummer zwei, die kriminellen Aktivitäten durch, die sie auf ihrer Agenda hatten. Jedenfalls versuchte er es.

»Was ist das für ein Höllenlärm?«, fragte er Costica.

»Das ist der Butler, Boss. Er saugt im Esszimmer die Teppiche und die Vorhänge«, erklärte Costica, der aufstand und die Tür des Wohnzimmers schloss.

»Der Mann ist verrückt! Warum saugt er die Vorhänge?«

»Keine Ahnung, Boss.«

Decebal mochte ignorant sein, aber er war nicht dumm. Er begriff, dass seine Idee, sich einen Butler zuzulegen, ganz und gar nicht funktionierte.

»Schaff ihn mir vom Hals«, sagte er.

Costica zog seine Pistole.

»Nein, nicht so, du Idiot«, sagte Decebal. »Verkauf ihn.«

Costica runzelte die Stirn. »Aber an wen? Die Leute hier in der Gegend haben nicht genug Geld für Butler. Wir sollten Lösegeld für ihn fordern, wie es die Italiener vorgeschlagen haben. Von diesem Kerl, für den er arbeitet. Nimrod.«

»Das könnten wir machen, aber sein Handy funktioniert nicht.« Decebal zuckte die Achseln. »Also können wir diesen Nimrod schlecht anrufen und Lösegeld für seinen Butler verlangen. Oder?« Er schüttelte den Kopf. »Kidnapping ist keine gute Branche, wenn sämtliche Handynetzwerke die Grätsche machen.«

»Und wem sollen wir ihn dann verkaufen?«, fragte Costica.

Decebal überlegte einen Moment. »Im Hafen von Civitavecchia liegt ein Schiff, die Shebelle. Es gehört Piraten aus Somalia. Denen verkaufen wir den Butler. Wenn es um Entführungen geht, macht ihnen keiner was vor. Außerdem sind sie viel brutaler als wir.«

»Und wann machen wir das?«

Das Geräusch von Groanins Staubsauger näherte sich der Wohnzimmertür.

»Was du heute kannst besorgen, das verschiebe nicht auf morgen«, sagte Decebal. »Bevor er mir mit seiner Putzerei und seinen Bestecken den letzten Nerv raubt.«