SIEBZEHN
Was ist denn mit dir passiert?« Ich
blinzele und habe keine Ahnung, was er meint, bis ich seinem
ausgestreckten Finger mit dem Blick bis zu meinen
schlammbespritzten Beinen und den Sandalen folge, die einmal eine
hübsche metallic-goldene Farbe hatten, jetzt aber so verdreckt
sind, dass sie mehr wie braun getöntes Blech aussehen.
Mit gefurchter Stirn tausche ich sie augenblicklich
gegen eine neue, saubere Version aus. Ich bin froh zu wissen, dass
ich wieder im magischen Bereich des Sommerlandes bin, der jenem
Niemandsland bei Weitem vorzuziehen ist. Dann nehme ich mir einen
Augenblick Zeit, um die weiche, fliederfarbene Strickjacke
überzustreifen, die ich auch gerade manifestiert habe. Ich ziehe
sie fest um mich, während ich sage: »Ich hatte das Warten satt. Ich
habe nicht gewusst, wie lange du brauchen würdest, also habe ich
einen kleinen … äh … Ausflug gemacht.« Dabei ziehe ich die
Schultern hoch, als wäre gar nichts weiter dabei, als wäre es nur
ein ganz alltäglicher, spätnachmittäglicher
Feld-Wald-und-Wiesen-Ritt gewesen. Dabei war es in Wirklichkeit
alles andere als das, mit diesem merkwürdigen, unablässigen Regen,
diesen kahlen Bäumen und der Entschlossenheit meines Pferdes, so
schnell wie möglich von dort abzuhauen. Aber Jude hat bereits so
genug zu verdauen, und ich will unbedingt erfahren, was er gesehen
hat.
»Aber noch viel wichtiger, als was mir passiert
ist, was war mit dir?« Ich begutachte ihn von den goldenen
Dreadlocks bis zu den Gummisohlen seiner Flipflops und bemerke,
dass er zwar äußerlich noch wie der ist, den ich zurückgelassen
habe, innerlich jedoch hat sich definitiv etwas verändert. Seine
Energie hat sich verschoben, sein Auftreten ist anders. Einerseits
wirkt er leichter, heller, strotzt nur so vor Selbstvertrauen, doch
für jemanden, der gerade eines der größten Wunder im ganzen
Universum besucht hat, scheint er gleichzeitig ausgesprochen nervös
zu sein.
»Na ja …, es war … interessant.« Sein Blick
begegnet dem meinen, aber nur einen Augenblick lang, ehe er sich
rasch abwendet.
Und ich kann es nicht fassen, dass er wirklich
glaubt, er kommt damit durch. Ich meine, ich denke doch, ich habe
ein bisschen mehr verdient, dafür, dass ich ihn den ganzen Weg
hergeschleppt habe.
»Äh, möchtest du das vielleicht ein bisschen weiter
ausführen?« Ich ziehe die Brauen hoch. »Inwiefern war es
interessant? Was hast du gesehen, was hast du in Erfahrung
gebracht? Was hast du gemacht, von dem Moment an, in dem du da
reingegangen bist, bis zu dem, als du wieder rausgekommen bist?
Hast du die Antworten bekommen, die ich brauche?« Mir ist klar,
dass ich ganz kurz davor bin, in seinen Kopf zu spähen, wenn er
nicht bald damit herausrückt.
Er holt tief Luft, dreht sich um und geht ein paar
Schritte weg, bevor er mir endlich in die Augen sieht und sagt:
»Ich weiß nicht genau, ob ich jetzt wirklich schon darüber reden
will. Ist’ne ganze Menge zu verarbeiten, und ich muss das alles
erst noch auf die Reihe kriegen. Es ist alles ein bisschen …
kompliziert.«
Ich blinzele, entschlossen, es selbst
herauszufinden. Im Sommerland gibt es nur sehr wenige Geheimnisse,
besonders für einen Neuling wie ihn, der keinen blassen Dunst hat,
wie das alles funktioniert. Doch in dem Moment, als ich gegen eine
unverrückbare Mauer anrenne, weiß ich, wo er gewesen ist.
Die Akasha-Chronik.
Ich denke daran, wie Romy gesagt hat: Nicht alle
Gedanken kann man lesen, nur die, die zu sehen einem gestattet
werden. Alles, was du in der Akasha-Chronik siehst, gehört ganz
allein dir.
Ich kneife die Augen zusammen. Jetzt muss ich es
dringender wissen denn je; ich gehe auf ihn zu, will ihn gerade
noch ein bisschen mehr drängen, als ich es fühle - dieses Aufwallen
von Wärme, von Kribbeln und Hitze, die seine bloße Gegenwart mit
sich bringt. Ich drehe mich um und sehe Damen diese steile
Marmortreppe herunterkommen, bis er stehen bleibt … Alles bleibt
stehen …, und unsere Blicke sich begegnen.
Und gerade will ich ihn rufen - ihn drängen, zu mir
zu kommen, weil ich weiß, dass ich jetzt die Chance habe, alles zu
erklären -, als ich sehe, was er sieht. Mich und Jude zusammen auf
einem netten Ausflug ins Sommerland - Damens und mein ganz
besonderer Zufluchtsort. Und ehe ich etwas tun, etwas sagen kann -
ist er weg. Ist einfach verschwunden, als wäre er niemals wirklich
hier gewesen.
Nur dass er doch hier war.
Seine Energie verweilt noch. Ich kann ihn immer
noch auf der Haut fühlen.
Und ein Blick auf Jude reicht aus, um es zu
bestätigen. Wie seine Augen groß werden, seine Lippen sich öffnen,
wie er die Hand nach mir ausstreckt, mich trösten will, doch
ich weiche hastig zurück. Es macht mich krank, was Damen jetzt
ganz bestimmt denkt - wie wir für ihn ausgesehen haben
müssen.
»Du solltest gehen«, sage ich und kehre ihm den
Rücken zu. Meine Stimme ist schroff und gepresst. »Mach einfach die
Augen zu, stell dir das Portal vor und geh. Bitte.«
»Ever …« Wieder streckt er die Hand nach mir aus,
doch ich bin schon nicht mehr da, gehe weiter, woandershin.