DREIZEHN
Damen …, ich …« Ich versuche, es ihm zu
sagen, bemühe mich, die Worte über meine Lippen zu zwingen, doch
sie wollen nicht kommen. Meine Kehle ist wieder ganz heiß und eng
geworden und wie zugeschnürt. Als wüsste das Ungeheuer, was ich im
Schilde führe und weigere sich, einzuwilligen.
Damen sieht mich an, und die wachsende Sorge steht
ihm deutlich ins Gesicht geschrieben.
»Lass uns … Lass uns ins Sommerland gehen«, krächze
ich, erstaunt, dass ich es überhaupt aussprechen konnte. »Zurück
nach Versailles.« Ich drehe mich auf meinem Sitz zu ihm herum und
flehe ihn mit den Augen an mitzumachen.
»Jetzt?« Er bremst an einer Ampel und sieht
mich an. Seine Augen sind schmal, die Stirn in Falten gelegt -
verräterische Zeichen, dass ich eingehend geprüft werde.
Achselzuckend presse ich die Lippen zusammen und
gebe mir alle Mühe, entspannt zu wirken, nonchalant, als wäre es
mir gar nicht so wichtig, wie das hier ausgeht. Dabei war ich in
Wahrheit die ganze Zeit total unruhig und hibbelig, von dem
Augenblick an, wo wir bei Miles aufgeschlagen sind, bis zu dem
Moment, als wir gegangen sind. Und das Einzige, was dagegen helfen
wird, das Einzige, was es mir möglich machen wird, mich Damen
anzuvertrauen und um die Hilfe zu bitten, die ich brauche, ist, so
schnell wie möglich
ins Sommerland zu gelangen. Hier auf der Erdebene habe ich mich
nicht mehr in der Gewalt.
»Ich dachte, es hätte dir dort gefallen«, meine ich
und weiche seinem Blick aus. »Ich meine, schließlich bist du doch
derjenige, der es erschaffen hat.«
Er nickt, nickt, wie man es tut, wenn man sich
nicht nur bemüht, Geduld zu haben, sondern außerdem zu verbergen
versucht, was man denkt. Und die Wahrheit ist, ich schaffe das
nicht. Ich kann das nicht ertragen, ganz im Ernst. Ich will einfach
ins Sommerland - sofort. Bevor dieser sonderbare
Eindringling völlig die Herrschaft übernimmt.
»Es gefällt mir ja auch«, sagt er mit bedächtiger
Stimme. »Wie gesagt, ich bin derjenige, der es gemacht hat. Und
obwohl ich mich freue, dass es dir anscheinend auch sehr gut
gefällt, mache ich mir Sorgen.«
Ich puste mir das Haar aus dem Gesicht und
verschränke die Arme vor der Brust, tue mein Bestes, meinen
Verdruss deutlich zu machen. Ich meine, es ist ja nicht so, als
könnte ich hier jede Menge Zeit verschwenden.
»Ever, ich …«
Er streckt die Hand nach mir aus, doch ich rutsche
rasch von ihm fort. Ein weiteres Symptom meiner furchtbaren Sucht,
und vollkommen unfreiwillig. Genau der Grund, warum ich von hier
wegmuss.
Er schüttelt den Kopf und setzt mit tieftraurigen
Augen noch einmal an. »Was ist los mit dir? Du bist schon seit
Tagen nicht mehr du selbst. Und vorhin, bei Miles …« Er wirft einen
raschen Blick über die Schulter, während er schnell die Spur
wechselt. »Also, ich sag’s ja nicht gern, aber sobald du Jude
gesehen hast, na, sagen wir einfach, da hat sich definitiv etwas in
deiner Energie verändert, und dann, als Roman ins Zimmer gekommen
ist …« Er schluckt heftig
und spannt den Unterkiefer an. Braucht einen Moment, um sich zu
fassen, ehe er fragt: »Ever, was ist mit dir passiert?«
Ich senke den Kopf, bin mir des Brennens hinter
meinen Augen bewusst, als ich abermals versuche, es ihm zu sagen.
Aber ich kann nicht, die Magie lässt es nicht zu. Also drehe ich
mich stattdessen zu ihm um und fange Streit an. Mir ist klar, dass
das Ungeheuer damit überhaupt kein Problem hat, und ich bin gewillt
zu tun, was immer nötig ist, um ihn dazu zu bringen, mir zu folgen,
mit mir fortzugehen.
»Das ist doch lächerlich!«, fauche ich ihn
an und hasse mich augenblicklich dafür, doch mir bleibt nichts
anders übrig. »Ehrlich. Ich glaub’s einfach nicht, dass du das
sagst! Falls du es nicht gemerkt hast, aus meinem Traumsommer, bei
dem ich mit dir am Strand liege, scheint in absehbarer Zeit auch
nichts zu werden. Also entschuldige bitte, wenn ich mir die paar
Momente, die ich mir leisten kann, schnappen will, um ins
Sommerland abzuhauen!« Ich schüttele den Kopf, schaue weg und
verschränkte die Arme noch fester. Allerdings hauptsächlich, um zu
verbergen, dass sie so zittern; ich kann sie kaum noch
kontrollieren. Ich weiß, dass ich unfair bin und völlig unsinniges
Zeug rede, aber wenn er nur mitkommen würde, wenn ich ihn nur
dorthin schaffen könnte, dann kann ich alles erklären.
Ich bin mir der Last seines Blicks bewusst, der auf
meinem Gesicht ruht und die neuen, dunklen Ringe unter meinen Augen
bemerkt, die frisch erblühten Pickel, die mein Kinn bedecken. Wie
meine Kleider mir allmählich schlaff und locker am Körper hängen,
weil ich abgenommen habe. Er fragt sich, was das ausgelöst hat,
warum ich anscheinend nichts mehr auf die Reihe kriege. Macht sich
so aufrichtige Sorgen um mich, dass mir das Herz wehtut.
Und als seine Augen noch schmaler werden, weiß ich,
dass er versucht, mich auf telepathischem Wege zu erreichen, auf
eine Art und Weise zu kommunizieren, die nicht mehr möglich ist -
oder wenigstens nicht mehr hier.
Also drehe ich mich weg, drehe mich zum Fenster,
verzweifelt bestrebt, ihn vor der grauenvollen Wahrheit zu
schützen, dass ich ihn nicht mehr hören kann. Keinen Zugang mehr zu
seinen Gedanken habe, zu seiner Energie oder selbst zu dem Kribbeln
und der Hitze, die seine Berührung früher mit sich gebracht
hat.
All das ist fort. Ausgelöscht. Das Ungeheuer hat es
mir weggenommen.
Aber nur hier. Im Sommerland werde ich ausgeruht
sein, und meine Haut wird makellos sein, genau wie bei meinem alten
Ich.
Und wir beide zusammen werden alles sein, was wir
jemals sein sollte.
»Komm einfach mit«, flehe ich mit heiserer Stimme.
»Ich kann es erklären, aber nur dort, nicht hier.
Bitte!«
Er sieht mich an und seufzt. Ist hin und her
gerissen zwischen dem Wunsch, es mir recht zu machen und dem
Bedürfnis, das zu tun, was er für das Beste hält.
»Nein«, sagt er so unmissverständlich, so
endgültig, dass eindeutig klar ist, was das bedeutet.
Nicht nur ein Nein zum Sommerland, es ist
ein Nein zu mir. Ein Nein zu dem Einzigen, was ich
brauche.
Bedauern liegt schwer auf seinen Zügen, als er
hinzusetzt: »Ever, es tut mir leid, wirklich, aber nein. Wir
gehen nicht ins Sommerland. Ich glaube, es ist besser, wenn wir
nachhause fahren, zu mir, wo wir uns hinsetzen und uns lange
unterhalten können, herausfinden können, was genau mit dir los
ist.«
Ich sitze neben ihm, hohläugig, verpickelt, gereizt
und
hibbelig und kann kaum an mich halten, habe mich nur gerade eben
noch im Griff, während er eine lange Verballiste von Dingen
zusammenstellt, die ihm Sorgen machen. Dass ich gar nicht mehr
aussehe wie ich selbst, wie sehr ich mich in jeder Hinsicht
verändert habe - und nicht eine dieser Veränderungen ist
gut.
Aber die Wahrheit ist, die Worte rauschen glatt
über mich hinweg, wie ein fernes Summen. Ich gehe ins Sommerland,
mit ihm oder ohne ihn, da gibt es wirklich nichts zu
entscheiden.
»Trinkst du dein Elixier? Brauchst du neues? Ever,
bitte, sag doch was. Was ist los?«
Ich schließe die Augen, schüttele den Kopf und
blinzele die drohenden Tränen weg; unfähig, ihm zu erklären, dass
ich diesen führerlos dahinrasenden Zug nicht anhalten kann. Ich bin
nicht mehr der Lokführer.
Er kneift die Augen zusammen und macht einen
letzten Versuch, mich telepathisch zu erreichen, doch es nützt
nichts. Mein Betriebssystem ist zusammengebrochen.
»Du kannst mich nicht mal mehr hören, nicht
wahr?«
An einer Fußgängerampel hält er an und streckt die
Hand nach mir aus, doch wenn sonst nichts mehr geht, flink auf den
Füßen bin ich immer noch und springe rasch aus dem Wagen. Die Arme
habe ich so fest um meinen Körper geschlungen, dass sie im Begriff
sind, taub zu werden. Meine Finger zucken, mein Körper vibriert,
und ich weiß, wenn ich hier nicht ganz schnell verschwinde, dann
bleibt mir nichts anderes übrig, als mich auf die Suche nach
ihm zu machen. Nach Roman. Überhaupt nichts.
»Hör zu«, stoße ich hervor, und meine Stimme
zittert, ist völlig wackelig, doch ich weiß, ich muss das hier
klären, so oder so. Die letzten Sekunden ticken, ich habe keine
Zeit zu
verlieren. »Ich erklär’s dir, wenn wir im Sommerland sind. Ich
schwör es. Nur …, es muss dort sein …, nicht hier. Also kommst du
nun mit oder nicht?«
Er schluckt heftig. Das Wort kostet ihn große
Anstrengung, als er mit traurigen Augen und gefurchter Stirn
antwortet: »Nein.« So leise, dass ich es fast nicht gehört
hätte. Dann wiederholt er es noch einmal und sagt: »Ich würde sehr
viel lieber hierbleiben und dafür sorgen, dass dir irgendwie
geholfen wird.«
Ich sehe ihn an, sehe ihn so lange an, wie ich es
ertrage. Was, um die Wahrheit zu sagen, überhaupt nicht lange ist.
Ich möchte so gern wieder in sein schönes Auto steigen und ihn
umarmen, so wie früher, seine Arme um mich fühlen, mich von Hitze
und Kribbeln trösten lassen und all meine Sünden gestehen, bis sie
fortgewaschen werden. Doch unglücklicherweise geht dieses Bedürfnis
von dem kleinsten Teil von mir aus - von dem kleinen Schimmer
geistiger Klarheit, der von jenem Teil erdrückt wird, der seine
Früchte lieber schmutzig mag, bitter und je verbotener, desto
besser.
Also nicke ich stattdessen nur und sehe seine
erstaunte Miene, als ich die Augen schließe und das Portal
heraufbeschwöre - das prächtige, leuchtende Portal. Und geradewegs
hindurchtrete, während ich antworte: »Oh, na schön, dann gehe ich
eben allein.«