IV

 

 

»Nimm dich zusammen, Ben«, sagte Bates eben. »Verlier jetzt bloß nicht die Nerven. Nicht jetzt, da wir fast … ach, Katie!« Der Geistliche floß über vor Liebenswürdigkeit und wechselte Inhalt und Ton seines Satzes. »Wenn du nur ein paar Minuten früher gekommen wärest!«

Er trat auf sie zu und faßte nach ihren Händen.

»Zu spät.« Diese Äußerung konnte er sich nicht versagen. »Ja, vor einer knappen Minute war es aus.«

Das mochte zutreffen.

Mama saß noch immer auf Kissen gestützt da. Ihre Augen standen weit offen und starrten ins Leere. Und der Mund war leicht geöffnet. In ihrem Gesicht lag ein schwindender Ausdruck von Schmerz, dazu ein leichtes Erstaunen wie so oft im Antlitz eines eben Verstorbenen. Ihr rechter Arm stand fast rechtwinkelig vom Körper ab. Die Hand lag schlaff auf der Bettkante. Merkwürdig. Mama hatte sich doch gar nicht rühren können.

»Es passierte bei einer neuen Gehirnblutung«, erklärte Doc Bates. »Die Blutzufuhr zum Gehirn muß momentan wieder funktioniert haben und das Bewegungszentrum reagierte sofort. Paroxysmus, um genau zu sein.«

Papa weinte leise vor sich hin, das Gesicht in den Händen vergraben.

Katie stand noch zu stark unter der Schockeinwirkung, um sich mit Tränen Erleichterung zu verschaffen.

»Wie? Wie ist das nur passiert?«

Der Geistliche, der um das Bett herum in Bewegung war und die Kerzen ausblies, wechselte einen Blick mit Doc Bates, der die Schultern hochzog und sagte:

»Katrin, ich spreche es nur ungern aus …«

»Katie heiße ich!«

»Ach ja, Katie. Verzeih. Das macht die Aufregung. Schlimm, wenn einem ein Patient wegstirbt. Aber immerhin war es dein Mann, der darauf bestand, daß wir die Spritzen absetzten. Hätten wir bloß …«

»Das ist nicht der Grund!«

Jetzt kamen die Tränen. Es waren Tränen der Wut und des Zornes. Dieser alte Kurpfuscher hatte kein Recht …

»Ich als Arzt hätte deine Mutter mindestens eine Woche lang mit einem Beruhigungsmittel behandelt. Damit ihre Gehirntätigkeit in ruhige Bahnen gelenkt wird. Außerdem sagte mir dein Vater, er wolle einen Arzt aus der Stadt hinzuziehen, falls bis Freitag keine Besserung einträte …«

»Sie hätten Mutter ja nicht mal bis Freitag am Leben gelassen!« hörte Katie sich ausrufen. »Sie hätten nie …«

»Genug jetzt! Wenn du dich weiter so gebärdest, wirst du selbst eine Spritze brauchen.«

»Sie … Sie verrückter alter Narr!«

Das gefiel dem Arzt gar nicht, doch bemühte er sich weiterhin um einen väterlichen Ton. »Das reicht jetzt. Immer mit der Ruhe. Ich verstehe ja, daß du dich wegen deiner Mutter so aufregst …«

»Aufregen?«

»… aber du mußt der Tatsache ins Auge sehen, daß es eigentlich dein Mann war, der …«

»Er hat nichts getan!«

»… ja, das möchte man meinen, aber ich sage ja immer, ihr jungen Leute sollt euch lieber im Bett emsig betätigen und das Denken uns Älteren überlassen, die mehr Erfahrung haben.«

»Sie perverser alter … und Mama liegt da, und Sie reden daher …«

»Hehe«, lachte Doc Bates meckernd, gänzlich ungerührt von der Gegenwart des Todes.

»Doktor«, warnte ihn Reverend Mauslocher, »vielleicht möchte Katie lieber allein sein …«

»Ach ja, ja.«

Papa sah auf. Sein Gesicht war gramverzerrt und tränennaß. Sie konnte sich nicht erinnern, ihn je weinend gesehen zu haben.

»Katie, mein Liebes, es tut mir ja so leid, aber wir mußten … um …«, setzte er an.

»Ruhig, Ben«, unterbrach der Geistliche ihn hastig, »immer schön mit der Ruhe. Doc, Ben soll sich in der Küche ausruhen. Braucht er etwas von Ihnen?«

»Nein, ein Schluck Alkohol wird reichen. Komm, Ben, reiß dich zusammen. Dieser Teil wäre vorbei. Es ist vorbei.«

Ben konnte ohne Hilfe aufstehen, doch der Geistliche faßte nach seinem Ellbogen und geleitete ihn langsam und gesenkten Hauptes hinaus.

»Ich fahre rasch ins Dorf«, sagte der Arzt zu Katie, »und werde Dolph Pelser verständigen. Er soll seinen Wagen schicken. Der Reverend bleibt inzwischen bei deinem Pa. Und jetzt möchte ich deine Ma hinlegen und ihr die Augen schließen …«

»Das werde ich tun!« schrie Katie schrill auf. »Das mache ich! Und Sie machen, daß Sie hier rauskommen!«