III
Im Hof stand der alte Packard von Doc Bates. Das war nicht gut. Old Robert kam ihr entgegengesprungen und Katie mußte ausweichen. Der alte Köter sollte lieber an sein Alter denken, andernfalls waren seine Tage gezählt.
Aggie kam hinterrücks aus dem Haus und stieg hinterrücks die Verandastufen herunter, wobei sie wild gestikulierte.
»Ihr zwei Dummköpfe werdet sie noch töten.«
Was war geschehen?
»Katie, deine Mama und ich, wir … und dann dein Pa …«
Die Frau war wütend. Zum ersten Mal im Leben fehlten ihr die Worte.
»Und laß dir ja nicht einfallen, meiner Tochter deine gottverdammten dummen Lügen aufzutischen«, donnerte Papa. Das war auch für ihn eine Premiere. Er hatte noch nie geflucht.
»Und von Umbringen würde ich an Ihrer Stelle nicht reden, Aggie«, ließ Doc Bates verlauten, der inzwischen auch auf die Veranda getreten war, ganz ruhig und freundlich. Seine Hände hatte er autoritativ hinter die altmodischen Hosenträger gesteckt. Selbstverständlich hatte er hinter Papa Aufstellung genommen, sicher abgeschirmt vor Aggie.
»Ich könnte Barney herbeiholen und dich wegen Einmischung in das Arzt-Patient-Verhältnis festnehmen lassen.«
»Arzt!« Aggie spie das Wort verächtlich heraus. Sie ging jetzt zu ihrem Wagen. Katie folgte ihr. Papa kam von der Veranda herunter. Er schüttelte die Faust.
»Aggie, was ist denn?«
»Wehe, wenn du meiner Tochter von deinen …« rief Papa.
»Aggie …?«
Die alte Dame sprang mit erstaunlicher Agilität in den Wagen.
»Komm möglichst rasch zu mir rüber«, flüsterte sie heiser. »Ich weiß, was hier immer noch vorgeht.«
»Pack dich fort«, brüllte Papa. Er kam dahergelaufen und versetzte dem Kotflügel des alten Wagens einen Tritt. »Fort von meinem Grund und Boden!«
Doc Bates lächelte gelassen und befriedigt.
»Dein Grund und Boden!« schoß Aggie zurück. »Du hast nur noch schäbige vierzig Morgen, und die wird Otto dir auch bald wegschnappen!«
Sie startete, und der alte Wagen keuchte und ratterte.
»Das werden wir noch sehen«, rief Papa und trat einen Schritt zurück. Aggie fuhr mit einem Satz los. Mit viel Gekläff versuchte Old Robert nach einem Reifen zu schnappen.
Aggie warf Katie einen verlorenen Blick zu und brauste den Fahrweg entlang.
»Hat sie noch etwas gesagt?« fragte Papa beklommen. Es schien ihm wichtig. »Irgend etwas?«
»Nein«, log Katie, und fragte sich warum. »Ist Mama …?«
»In Ordnung ist sie«, warf Doc Bates ein. »Aber es wäre fast schief gegangen. Wenn diese dumme Gans noch länger mit ihr allein gewesen wäre, hätte Gott weiß was passieren können.«
»Was hat sie denn getan?«
»Was hat sie nicht getan, müßte es eher heißen«, sagte Doc Bates. »Dieses Fischweib mischt sich überall ein. Hat deine Ma beinahe getötet. Diese vielen Fragen …« Er verstummte jäh.
»Katie, es tut mir leid«, sagte ihr Papa jetzt ganz leise. »Ich weiß, das ergibt für dich Mehrarbeit, aber ich kann nicht dulden, daß dieses Weibstück herkommt und …«
»Und was?«
»Möchtest du wissen, was sie getan hat?« klagte Bates, als wäre er von der Untat noch immer erschüttert. »Weißt du was? Sie fütterte deine Mama mit Käsemakkaroni! Man stelle sich das vor!« Er war empört. »Und dabei habe ich ihr genaue Anweisungen gegeben, stimmt’s, Ben?«
»Ja, ich hab’s gehört.«
»Und hat Mama gegessen?« fragte Katie.
Sekundenlang war es um die Selbstsicherheit des Arztes geschehen. »Hm ja … natürlich. Ja. Aber das durfte sie eigentlich nicht.«
»Aber warum nicht?«
»Ach, sieh mal einer an. Wo hast du deine medizinischen Kenntnisse her, kleines Fräulein?«
Aufgebracht wollte Katie ins Haus. »Und woher haben Sie die Ihren?« Sie konnte sich diese Frage nicht verkneifen. »Es sieht so aus, als hätten Sie Ihren Titel mit Hilfe eines Fernstudiums per Post erworben.«
»Katie!« warnte Ben.
»Außerdem hat Aggie mit Mama reden wollen«, fuhr Bates fort. »Das darf nicht sein. Wollte ihr Fragen stellen. Das regt deine Ma bloß auf und blockiert die Behandlung. Außerdem kann sie ohnehin nicht antworten.«
Katie lag eine entsprechende Erwiderung auf der Zunge, doch sie beherrschte sich – weil Pa und Doc Bates sich so sonderbar benahmen. »Sie möchten wohl, daß sie friedlich hinüberdämmert?« sagte sie statt dessen.
»Katie!« wollte ihr Vater sie zum Schweigen bringen.
Aber ihr war nicht nach Entschuldigung zumute.
Mama lag mit offenen Augen da, ganz klar und aufmerksam. Auf dem Nachttischchen neben dem Bett standen ein leeres Milchglas und ein fast leerer Teller Makkaroni. Gottlob, sie hatte wenigstens ein wenig essen können.
»Mama, fühlst du dich halbwegs?«
Ein rasches Zwinkern.
Jetzt polterten bereits die Männer durch die Küche herein.
Und dann war Doc Bates zur Stelle und zog die Spritze auf, voller milchiger Flüssigkeit. Mamas Blick tastete die Zimmerdecke ab und wechselte hin und wieder zu Katie. Sie versuchte ihr etwas mitzuteilen, ihr ein geheimes Wissen zu übermitteln, oder eine Vision, die sie Aggie bereits mitgeteilt hatte. Mama hatte Angst, das stand außer Zweifel, aber der lange Schlaf, das Essen und Aggies Gesellschaft hatten ihr Mut und Selbstbeherrschung verliehen. Sie wollte ihrer Tochter etwas sagen, das offenbar mit der Decke im Zusammenhang stand. Aber was? Katies Zimmer lag direkt über dem Krankenzimmer, aber …
Doc Bates kniff die Lippen zusammen und stach zu. Katie hätte sich am liebsten auf ihn geworfen und ihn weggedrängt. Aber was hätte das genutzt, da sie ohnehin nicht wußte, was da vor sich ging! Bates pumpte die milchige Flüssigkeit in Mamas Vene. Ihr Blick wurde träge, trübte sich. Ein letzter Blick zu Katie, ein letztes Abtasten der Zimmerdecke, ein Blick zur Schubladenkommode. Dann fielen die Lider endgültig zu.
»Das wär’s«, sagte der Arzt und richtete sich auf. »Ben, du hast mich im letzten Moment gerufen.«
Ben Jasper nickte.
»Ich glaube, ich erkläre es Katie jetzt gleich«, fuhr Bates fort. Dabei bemühte er sich, besonders freundlich zu klingen. »Katie, ich muß deine Ma mit starken Beruhigungsmitteln behandeln, weil sie geistig verwirrt ist.«
»Geistig verwirrt?«
»Na ja, so könnte man es als Laie nennen. Ich möchte mich nicht in medizinischen Details verlieren. Schließlich möchte ich verstanden werden. Sieh mal, deine Mutter hat einen Schlaganfall erlitten, und etliche der vielen Bereiche ihres Gehirns – Gedächtnis, Überlegung, Erkennungsvermögen – funktionieren nicht mehr. Wenn sie nun erwacht und womöglich zu grübeln anfängt, erleidet sie womöglich aus Angst einen Schock. Und ich möchte nicht, daß man ihr irgendwie zusetzt und sie sich ängstigt, verstehst du? Falls sie über den Berg kommt, möchtest du doch sicher keine Mutter, deren Persönlichkeit angstneurotisch ist, oder?«
Der Arzt lächelte mitfühlend. Katie wünschte, sie hätte mehr über Schlaganfälle und deren Nachwirkungen gewußt. Bates wirkte so aufrichtig. Aber das fiel ihm ja nicht schwer, es gehörte zu seinem Beruf, egal in welcher Situation er sich befand. Und seine Erklärung war eigentlich sinnvoll, wenn auch irgendwie unheimlich.
»Nein, das möchte ich nicht«, hörte Katie sich sagen. Dabei hielt sie es für lächerlich, daß jemand ihre Mutter ängstigen sollte. Ihre Mutter litt ja bereits unter entsetzlicher Angst, als sie nur die Augen aufschlug.