Samstagnachmittag

 

 

I

 

Otto Ronsky begutachtete den roten Mustang, schätzte Preis und Leistung ab, ließ einen braunen Tabaksaftstrahl aus einer Zahnlücke schießen und zog die Schultern hoch.

»Toller Wagen«, sagte er schließlich.

Sie standen auf Otto Ronskys Hof. David lehnte am Kotflügel. Katie sah aus dem Wagen heraus zu. Ein paar Nachbarinnen waren zu den Jaspers gekommen, um bei Mama zu sitzen und dabei zu stricken und zu klatschen. Papa hatte die Reparatur am Getreidespeicher beendet und war nun dabei, die losen Brückenbohlen auszubessern.

»Er läuft ganz gut«, meinte David. »Was ist mit Butch?«

»Aber ein Traktor ist er nicht«, äußerte Otto gedehnt und vermied es, über seinen Sohn zu sprechen. »Nehmen Sie meinen Traktor, einen John Deere. Jede Wette, daß er mich weniger kostet und …«

»Butch braucht einen Verteidiger, gleichgültig, wie sich die Sache entwickelt. So will es das Gesetz.«

Otto ließ den Traktor fallen und neigte listig den Kopf. Hinter dem hufeisenförmigen Scheunendach ragten drei große weiße Silos auf. Die größten in der ganzen Umgebung. Wieder spuckte er aus. Er beugte sich ein wenig vor und rührte mit der Stiefelspitze in dem staubigen Tabaksaftfleck.

»Nun ja, Otto, vielleicht …«, setzte seine Frau neben ihm schüchtern an. Die kräftige Frau mit dem blassen Mausgesicht steckte in Overalls, einer sehr praktischen Kluft in einer Gegend, wo Frauen oft bei der Stallarbeit zupacken mußten.

»Halt die Klappe«, wies Otto sie zurecht. Ganz ruhig. Er sagte es im Gesprächston. Und sie hielt die Klappe. Otto hätte ihr andernfalls einen Tritt in den Hintern versetzt, das wußte sie aus Erfahrung.

»Sie wollen also … wie heißt es so schön in der Juristensprache – ›seinen Fall übernehmen‹?«

»Ich möchte ihm helfen. Und ich möchte herausbekommen, was, zum Henker, hier vorgeht.«

»Ach?« Otto kniff die Augen zusammen und spähte über sein langes Riechorgan hinaus. »Und warum?«

»Butch braucht Hilfe. Und ich habe Interesse an dem Fall.«

»Ach? Butch braucht Hilfe?«

»Butch hat niemanden getötet.«

»Aber deine Frau hat er angesprungen, stimmt’s?« Otto deutete mit dem Daumen auf Katie. Männergespräche. »Wie ich höre, hätten Sie das besser selbst häufiger machen sollen. Noch keine Kinder, wie. Hehe.«

David warf ihm einen Blick voller Abscheu zu. Otto kümmerte das keinen Pfifferling.

»Jaja, Butch lief rüber und brachte sie um. Hatte einen Baseballschläger dabei und gab ihr damit eins drüber. Das wissen Sie sicher?«

»Hab’s gehört. Aber da wäre noch etwas anderes, und es beweist, daß Ihr Sohn Hilfe braucht.«

»Mein Sohn!« Otto spuckte wieder aus. »Den tausche ich am besten gegen ein neues Modell um.«

»Dafür ist es zu spät«, wagte Mrs. Ronsky einen traurigen kleinen Scherz. »Ich bin schon neunundvierzig …«

»Halt die Klappe«, sagte Otto.

»Man wird Ihren Sohn für den Rest seines Lebens in eine Anstalt bringen. Vielleicht sogar in eine Besserungsanstalt, falls er keinen guten Verteidiger hat. Butch hätte keine Chance, Sie wissen ja, wie es in diesen Anstalten zugeht?«

Otto zuckte die Schultern. Langsam wandte er den Blick, ließ ihn über die Gebäude gleiten, liebevoll über die Felder schweifen. Das war sein Besitz. Abrupt wandte er sich wieder David zu und überraschte ihn mit der Frage: »Wieviel wollen Sie?«

»Wie bitte?«

»Ich lasse mich doch von Ihnen nicht verarschen. Euch Advokaten kenne ich. Ihr seid doch nur hinterm Geld her, das weiß ich.«

»Nein, bin ich nicht«, protestierte David, den die Unverfrorenheit des Mannes fast aus der Fassung brachte. Man hätte eigentlich erwarten dürfen, daß Otto das Wohl seines Sohnes mehr am Herzen lag. »Es ist nur so, daß die ganze Geschichte nicht recht zusammenpaßt …«

Jetzt war es am alten Otto, verwirrt zu sein.

»Soll das heißen, daß Sie nicht aufs Geld aus sind?« Das war unfaßbar.

»Ich möchte mit Ihrem Sohn sprechen, sonst nichts.«

»Mit ihm reden? Der kann doch nicht mal …«

»Dann möchte ich ihn wenigstens sehen.«

Otto stieß mit der Stiefelspitze auf den Boden und überdachte diesen neuen Aspekt. »Nun ja«, meinte er dann, »wenn es Barney recht ist, dann soll es mir auch recht sein.«

»Großartig. Könnten Sie dann Barney anrufen und ihm sagen …«

»Ach, wir haben leider kein Telefon«, erklärte Ottos Frau entschuldigend. »Otto ließ den Anschluß sperren …«

»Wirst du wohl deine verdammte Klappe halten«, wies er sie wütend zurecht und versetzte ihr einen Stoß. Sie geriet ins Taumeln, fing sich aber wieder. »Ja, ich hab’s rausmachen lassen«, knurrte er.

»Dann schreiben Sie Barney doch …!«

»Kann kaum schreiben. Sagen Sie ihm einfach, es wäre okay. Er wird Sie reinlassen. Aber ich begreife nicht, was Sie mit Butch wollen. Jetzt ist er total übergeschnappt. Scheiße, mir wäre lieber, die Gabel hätte ihn damals getötet.«

»Vielleicht lag es am Mond, daß er gestern durchdrehte?«

»Mond?« wiederholte Otto erstaunt. Er blinzelte mißtrauisch. Wollte David ihn irgendwie reinlegen?

»Oder der Alkohol, egal welche Sorte«, erklärte David.

Katie steckte den Kopf aus dem Fenster und berichtete vom Alkoholgestank in Aggies Haus.

»Papa sagte, Butch wäre betrunken gewesen, als er und Barney ihn abholten.«

»Ach, das. Nein, er war nicht betrunken. Den Alkohol gaben wir ihm zur Beruhigung. Das war, nachdem Ben und Barney rüberkamen. Ich dachte mir, Butch würde sich zu Tode fürchten, so allein in einer Zelle eingesperrt. Außerdem hätte er leicht ausbrechen können. Wenn er nur so viel Verstand hätte, daß ihm der Gedanke gekommen wäre.«