6. KAPITEL

Bernard Jones schlenderte den Bürgersteig vor der Mall entlang und war sich der Tatsache, dass er verfolgt wurde, überhaupt nicht bewusst.

„Wohin ist die Kamera verschwunden?“ Ich schaute mich in der grauen, trostlosen Gegend um und bemerkte, dass wir wieder allein waren.

„Sie ist garantiert ganz in der Nähe.“

„Du scheinst genau zu wissen, wie dieses Spiel funktioniert.“

Er zog eine dunkle Braue hoch. „Tue ich das?“

Ich verengte die Augen zu schmalen Schlitzen. „Ja. Das tust du. Wer bist du, Rogan? Wer bist du wirklich?“

„Ich bin niemand.“ Fast unmerklich zuckte er zusammen und wandte den Blick von mir ab. Aber der Schmerz, der mit einem Mal in seinen Augen gestanden hatte, war mir nicht entgangen. „Du bildest dir da was ein.“

War das ein Moment von Verletzlichkeit? Es reichte, damit ich wieder unsicher wurde. „Ich … Ich bilde mir gar nichts ein. Ich schwöre, dass ich deine wahre Geschichte herausfinden werde.“

„Klar. Viel Glück dabei.“ Er sah mich erneut an, allerdings wirkte Rogan diesmal verhaltener. „Du denkst, du kannst dahinterkommen, was in meinem Kopf vor sich geht – außer dem Countdown?“

„Mach dich nicht über mich lustig.“

„Aber es ist so leicht, das zu tun.“ Er schaute mich wieder an. Eine Spur von Belustigung kehrte in seine Augen zurück. „Setzt du allen Kerlen in deinem Leben so zu?“

„Es gibt keine Kerle in meinem Leben.“

„Was ist mit deinem Freund Oliver?“

Ich schnitt eine Grimasse. „Er ist nicht mein Freund.“

„Und was der Sprecher darüber erzählt hat, dass du deinen Körper benutzt, um zu bekommen, was immer du willst?“ Er ließ seinen Blick über mich gleiten.

Ich beachtete die Hitze nicht, die mir unvermittelt in die Wangen stieg. „Das stimmt nicht. Und selbst wenn es stimmen würde, würde es mir nicht helfen, das zu kriegen, was ich mir im Moment wünsche.“

„Und das wäre?“

„Dieses Spiel nicht mehr weiterspielen zu müssen.“

„Also ist das alles, was du möchtest? Du willst aufhören und aus der Show aussteigen?“

„Ja.“

„Und was hast du als Nächstes vor?“

Vor uns bog Bernard um die Ecke eines baufälligen Gebäudes.

„Dann will ich herausfinden, wie ich in die Kolonie gelangen kann“, entgegnete ich.

Er lachte bitter. „Jeder will in die Kolonie. Was ist denn bloß so toll an dem Ort?“

„Es ist nicht so wie hier. Es ist ein Platz, an dem man neu anfangen kann und die Chance auf ein besseres Leben hat.“ Ich verschränkte die Arme vor der Brust, während ich weiterging. Ich wollte Rogan nicht zu viel von mir preisgeben, wenn ich bedachte, wie wenig ich über ihn wusste. Das irritierte mich. „Was ist mit dir? Wenn du nicht in die Kolonie willst, wonach sehnst du dich dann?“

„Rache“, platzte er heraus. Es kam ihm so schnell über die Lippen, dass ich überrascht war.

„An wem möchtest du dich rächen?“

Grausam lächelte er und zeigte dabei seine perfekten weißen Zähne. „An jedem, der mich beschissen hat. Und glaub mir, es ist eine sehr lange Liste.“

Bei seinen Worte lief mir ein eisiger Schauer über den Rücken. „Ich werde mein Bestes tun, damit ich nicht auf der Liste lande.“

„Gute Idee.“

Für dieses Level von Countdown verbleiben noch sieben Minuten“, verkündete die körperlose Stimme.

Rogan straffte die Schultern und lief schneller.

„Warte.“ Panik ergriff mich. „Es muss noch einen anderen Weg geben.“

Er schaute mir in die Augen, und ich konnte erkennen, wie angespannt er war. „Ich habe eine Theorie. Dieser Typ … dieser Bernard Jones … Er ist ein Spitzel, ein bezahlter Schauspieler. Irgendetwas in der Richtung. Vielleicht ist er nicht so unschuldig, wie du denkst. Möglicherweise ist ihm klar, was hier vor sich geht, und das ist nur eine weitere Prüfung.“

„Wie kommst du darauf?“

Er schüttelte den Kopf. „Ich bin mir nicht hundertprozentig sicher. Doch das Spiel … Sie ziehen keine Außenstehenden mit hinein. Sie benutzen Zivilisten, die mit Countdown überhaupt nichts zu tun haben, nicht als Ziel. Es entspricht einfach nicht ihrem Stil.“

„Du sprichst über das Spiel, als wüsstest du alles darüber. Wie kann das sein?“

„Du wirst mir glauben müssen, Kira. Hör mir nur zu. Wenn sie anfangen, harmlose Zivilisten einzubinden, riskieren sie es, entdeckt zu werden. Das Letzte, was die Abonnenten wollen, ist, dass ihre Freunde und Familien von ihrem schmutzigen kleinen Geheimnis erfahren – nämlich, dass sie Geld bezahlen, um live im Fernsehen Folter und Mord zu sehen.“

Das klang ganz sinnvoll. Obwohl es den Cops eventuell egal war, was mit Kriminellen passierte, war es ihnen ganz sicher nicht gleich, was mit einem ganz normalen Zivilisten geschah. Die Stadt war ein großes Durcheinander, allerdings versank sie noch nicht gänzlich im Chaos.

„Also bist du der Meinung, dass wir ihn nur zur Rede stellen müssen? Ihn dazu bringen müssen, zugestehen, wer er wirklich ist?“

Er nickte. „So weit meine Theorie. Ich hoffe inständig, dass ich richtig liege.“

Ehe ich noch etwas sagen konnte, blieb Rogan stehen und schrie: „Bernard Jones?“

Der Mann verharrte und drehte sich um. Gerade befanden wir uns mitten auf einem Parkplatz, der vollkommen verlassen war. Keine Autos. Es war nicht einmal jemand im Kassenhäuschen. Die Dämmerung brach allmählich herein, und die Schatten vor uns wurden länger und länger.

Selbst aus der Ferne konnte ich Bernards Misstrauen erkennen, als er den Jungen betrachtete, der seinen Namen gerufen hatte.

„Was willst du?“, fragte er.

„Ich will nur mit Ihnen sprechen“, entgegnete Rogan.

„Wer seid ihr?“

„Mein Name ist Rogan. Das hier ist Kira. Wir brauchen Hilfe.“

Er schüttelte den Kopf. „Nicht von mir.“

Ich blickte zurück zum Einkaufszentrum, aber die Sicht darauf wurde durch andere Gebäude verdeckt. Dieser Teil der Stadt war menschenleer.

Keine Zeugen.

Keine Zeugen bis auf die Kameras. Zwei Digicams näherten sich hinter uns, teilten sich auf und schwebten an die entgegengesetzten Enden des Parkplatzes.

Unterschiedliche Perspektiven. Wie zweckmäßig.

„Wer sind Sie, Bernard?“, stieß Rogan hervor.

„W… Was meinst du damit?“

„Ich meine, wer sind Sie? Wer hat Sie hierhergeschickt? Erzählen Sie mir, was Sie wissen.“

Bernard schüttelte den Kopf. „Ich habe keine Ahnung, wovon du redest.“

Auf dem Boden lag ein scharfes, weggeworfenes Stück Metall. Rogan schnappte es sich. Er ging auf den Mann zu. „Ihnen bleibt nur noch wenig Zeit. Verraten Sie uns, wer Sie wirklich sind.“

Für dieses Level von Countdown verbleiben noch fünf Minuten.

Bernards Augen wurden groß, doch er sagte nichts, das ein Hinweis darauf gewesen wäre, dass er zum Spiel gehörte.

O Gott, dachte ich. Er ist bloß ein Zivilist.

„Rogan, was machst du da?“ Mein Herz hämmerte beinahe schmerzhaft in meiner Brust.

Er sah mich nicht an. „Ich habe es dir schon erklärt: Ich tue das, was ich tun muss.“

„Das kannst du nicht machen. Bitte. Meine Familie …“

„Was mit deiner Familie passiert ist, ist was völlig anderes als das hier.“ Über die Schulter hinweg warf er mir einen Blick zu und schaute mir in die Augen. „Es tut mir leid, Kira. Es ist die einzige Möglichkeit. Wenn wir überleben wollen.“

In seinen Augen stand Verzweiflung. Aber der Ausdruck wandelte sich schnell zu kalter Leere. Dann wandte er den Blick von mir ab und schritt drohend weiter auf Bernard zu.

Bernard erstarrte, sowie Rogan mit der Waffe in der Hand näher kam.

Warum rannte Bernard nicht weg? Wir hatten ihn schließlich nicht in eine Ecke getrieben.

„Sie sind Bernard Jones“, meinte Rogan.

„Ja. Das habe ich schon gesagt. Ich habe keine Ahnung, was hier abläuft. Ich … Ich will keine Schwierigkeiten.“

„Das wollte ich auch nicht.“

Nervös blinzelte der Mann. „Hör mal, ihr könnt mein Geld haben. Alles. Tut mir nur bitte nicht weh.“

„Geld hilft mir jetzt auch nicht mehr weiter.“

Ich trat an Rogans linke Seite und berührte seinen Arm, der sich vor Anspannung vermutlich genauso hart anfühlte wie das Metallstück in seiner Hand.

„Rogan …“ Er würde diesen Mann kaltblütig töten. Ich konnte die kalte Entschlossenheit in Rogans Augen erkennen. Dieselbe Hilflosigkeit wie in der Nacht, als meine Familie ermordet worden war, überfiel mich. Damals hatte ich mich nur im Dunkeln verstecken und auf die grauenvolle Stille warten können – die Stille, die bedeutete, dass es vorbei war.

„Bitte!“ Bernards Stimme zitterte, sowie er die Waffe bemerkte, die im schwächer werdenden Licht aufblitzte. „Ich habe eine Familie, die mich braucht.“

„Sehe ich aus, als würde mich das kümmern?“ Rogans Stimme stockte bei den letzten Worten.

„Ich erkenne dich wieder“, plapperte Bernard drauflos. „Du … Du bist Rogan Ellis. Du hast Menschen getötet. Mädchen. Du hast sie brutal ermordet. Einige, während sie in ihren Betten geschlafen haben. Ich erinnere mich, in den Nachrichten davon gehört zu haben.“

Als Rogan Bernard zuhörte, erschauerte er. „Glauben Sie alles, was Sie in den Nachrichten hören oder sehen?“

„Du wirst mich auch umbringen, oder? Oder?“ Er ging auf die Knie und hielt die Hände schützend über sein Gesicht.

„Rogan, bitte mach das nicht“, flehte ich. Ich verstand nicht, warum der Mann so leicht aufgab und nicht kämpfte. Er wehrte sich überhaupt nicht. „Bitte!“

Rogans Brust hob und senkte sich stoßweise. Dann hob er das Metallstück über den Kopf, als würde er damit einen tödlichen Schlag ausführen wollen.

Doch … irgendetwas hielt ihn davon ab. Langsam ließ er die Waffe sinken.

Er sah mich an. Über seinen gehetzt wirkenden Augen zog er die Brauen zusammen. „Glaubst du auch alles, was dir die Nachrichten auftischen?“

Mir stockte der Atem. „Ich schaue mir die Nachrichten nicht an. Aber nein. Ich bilde mir mein eigenes Urteil. Und du … Ich … Ich glaube nicht, dass du ein schlechter Mensch bist – egal, was man über dich erzählt. Ich glaube es nicht“, wiederholte ich. „Du bist zu gut für das hier. Ich weiß es.“

Ich meinte jedes Wort so, wie ich es sagte. Irgendwie war es mir vorher nur nicht klar gewesen.

Seine Hände zitterten. „Ich kann das nicht, Kira. Ich kann es nicht. Ich kann keinen unschuldigen Menschen töten. Nicht einmal, um uns zu retten. Wir werden verlieren.“

Das tödliche Stück Metall fiel ihm aus der Hand.

Für dieses Level von Countdown verbleiben noch vier Minuten.

Ich presste Rogan an mich und umarmte ihn fest. „Es ist schon gut. Für mich bedeutet das hier keine Niederlage. Wenn du es getan hättest, dann wäre es für mich eine Niederlage gewesen.“

Bernard suchte etwas in seiner Tasche. Er ließ seine Einkaufstasche los. Mit einem lauten Geräusch landete sie auf den Boden. Papierstücke und alte Taschentücher fielen aus seinen Jackentaschen.

Wonach suchte er? Nach seiner Brieftasche? Seinem Ausweis? Einem Kaugummi?

Plötzlich holte er eine Waffe hervor und richtete sie auf Rogans Kopf.

Sein Lächeln wirkte seltsam unnatürlich. „Andere Teilnehmer haben mich in weniger als zehn Minuten umgebracht.“

Rogan verspannte sich und fluchte unterdrückt, während er sich aus meinen Armen befreite und mich hinter sich schob. „Ich wusste es.“

„Du solltest eigentlich ein gnadenloser Mörder sein. Ich hätte nicht erwartet, dass du ein Problem mit diesem Level haben würdest. Sie dagegen …“ Er wies mit einem Kopfnicken auf mich. „… war der Joker, die unberechenbare Unbekannte. Sie ist keine Mörderin. Es wäre interessant gewesen, zu beobachten, ob sie versucht hätte, dich aufzuhalten. Aber das hat sie nicht getan.“

„Doch, das habe ich“, widersprach ich, während mich Verwirrung über diese unerwartete Wendung der Geschehnisse erfasste. „Ich wollte nicht, dass er Sie tötet.“

Er zuckte mit den Schultern. „Du hast dich nicht gerade besonders dafür eingesetzt. Er hätte mich umgebracht, und du hättest es nicht verhindern können. Leider ist Rogan Ellis ein Feigling. Die Zuschauer werden schrecklich enttäuscht sein. Laut einer kürzlich durchgeführten Umfrage haben sie fest damit gerechnet, dass ihr dieses Level überleben würdet.“

Rogan beäugte die Waffe. „Frag mich mal, ob es mir nicht vielleicht scheißegal ist, was die Abonnenten denken.“

Bernards Mund umspielte wieder dieses merkwürdige, starre Lächeln. „Es ist schon gut. Die Zuschauer werden zufrieden sein, wenn ich euch beide eliminiere, weil ihr das Level nicht erfolgreich absolviert habt.“ Er richtete die Pistole auf mich. „Vielleicht fange ich mit dir an, Kira Jordan.“

Rogan hielt schützend den Arm vor mich. „Was bist du?“

Ich runzelte bei seiner Wortwahl die Stirn. Was statt wer.

Bernard wandte ihm den Kopf zu. „Ich bin sehr erstaunt, dass du nicht schon längst die Antwort darauf weißt, Rogan Ellis. Ich bin eine Ellipsis Cyber-Drohne, Modell Nummer 6.1.“

Was war das für eine komische Antwort? Was sollte das überhaupt bedeuten?

„Eine Ellipsis Cyber-Drohne?“ Ungläubig zog Rogan die Augenbrauen hoch. „Aber … Aber wie?“

„In den vergangenen Jahren sind auf dem Gebiet der künstlichen Intelligenz – der KI – enorme Fortschritte gemacht worden, Rogan Ellis“, erwiderte Bernard monoton. „Ich bin einer dieser Fortschritte.“

„Was heißt das?“, fragte ich atemlos. Die Hände hatte ich gehoben. Sie zitterten. Das hier war einfach unbegreiflich – mir schwirrte der Kopf vor Verwirrung und Frust.

„Er ist ein Roboter“, stieß Rogan knurrend aus, ohne den Blick von Bernard abzuwenden. „Mit einer sehr fortschrittlichen KI-Programmierung. Ich habe zwar gespürt, dass etwas nicht stimmt, doch ich schätze, ich traue meinen Instinkten nicht mehr. Natürlich würden sie niemals von uns verlangen, einen Zivilisten zu töten.“

Für dieses Level von Countdown verbleiben noch drei Minuten.

Bernards falsches Lächeln wurde breiter und er zeigte mehr von seinen strahlend weißen Zähnen. „Rogan Ellis, ein Mörder, der in drei Tagen in das Saradone Hochsicherheitsgefängnis verlegt werden sollte, kann es nicht übers Herz bringen, eine Ellipsis Cyber-Drohne zu töten. Dafür werdet ihr beide aus dem Spiel ausscheiden.“

Kalter Schweiß rann mir den Rücken hinunter.

Der Roboter grinste höhnisch, und plötzlich sah ich, was er wirklich war. Zuvor war ich zu geschockt gewesen, um zu bemerken, dass dieser Kerl überhaupt nicht menschlich wirkte. Er war zu blank, zu glatt, zu makellos. In seinen Augen spiegelte sich keine Persönlichkeit wider. Seine Stimme hatte einen ganz leicht metallischen Klang, der mich an den Computercountdown in meinem Kopf erinnerte.

„Rogan Ellis, der lieber an Countdown teilnimmt und sein Leben aufs Spiel setzt, als ins Gefängnis zu gehen. Hattest du Angst davor? Hattest du Albträume, was dir dort möglicherweise widerfahren könnte? In meiner Datenbank steht, dass die Narbe in deinem Gesicht von einer Auseinandersetzung mit deinen zwei Zellengenossen in St. Augustine’s stammt. Sie wollten dich umbringen. Stattdessen hast du einen von ihnen mit bloßen Händen ermordet. Du bist ein Killer.“

„Du hast recht“, presste Rogan hervor, ehe er einen flüchtigen Blick zu mir warf. „Ich bin ein Killer. Zweifellos. Und ich würde diesen Mistkerl noch einmal töten, wenn ich die Gelegenheit dazu bekäme.“

„Notwehr“, flüsterte ich, und meine Kehle war wie zugeschnürt. „Das ist etwas anderes.“

„Für mich fühlt es sich nicht anders an.“

Für dieses Level von Countdown verbleiben noch zwei Minuten.

„Weißt du was, Roboter?“, fragte Rogan ohne eine Spur von Gefühl in seiner Stimme. „Ich habe noch immer zwei Minuten, um dich in einen Haufen Blech zu verwandeln. Du kannst uns erst töten, wenn die Zeit für das Level abgelaufen ist, habe ich recht? Also haben wir noch immer Zeit.“

Der Roboter nickte entschieden. „Das ist wahr. Ich kann euch noch nicht umbringen.“

Er zielte mit der Pistole ein bisschen tiefer und drückte den Abzug.

Ich fiel zu Boden, schrie und umklammerte mein Bein an der Stelle, wo die Kugel in meinen rechten Oberschenkel gedrungen war.

„Kira!“, brüllte Rogan.

„Allerdings“, fuhr der Roboter fort, „kann ich die Abonnenten ein bisschen unterhalten, während wir darauf warten, dass die Zeit für das Level abläuft.“ Er lud wieder durch. „Rogan Ellis, ich hätte geglaubt, dass es dir gefallen würde, dass sich noch ein junges Mädchen vor ihrem unvermeidlichen Tod vor Schmerzen zu deinen Füßen auf dem Boden windet. Warum siehst du so unglücklich aus?“

Ich konnte ihn kaum hören. Mein Bein schien in Flammen zu stehen, so sehr brannte es. Es kostete mich all meine Kraft, gegen den Schmerz anzukämpfen. Einen Moment lang wurde vor meinen Augen alles weiß. Ich konnte nichts hören außer dem Countdown – inzwischen wurde die letzte Minute angesagt.

Eine Minute, bis ich keinen Schmerz mehr spüren würde.

Neunundfünfzig … achtundfünfzig … siebenundfünfzig …

Rogan stürzte sich auf Bernard, packte ihn bei den Armen und warf ihn zu Boden. Die Pistole schlitterte über den Bürgersteig und blieb eine Armeslänge von mir entfernt liegen.

„Arschloch!“, zischte Rogan, während er mit der Faust auf das Gesicht des Roboters einschlug. Verschwommen sah ich etwas Metallisches unter der künstlichen Haut aufblitzen.

Mit einem unmenschlichen Schrei wirbelte Bernard Rogan herum, sodass der auf dem Rücken lag. Beinahe mühelos hielt er ihn auf die Erde gedrückt. Sein eiserner Griff schloss sich um Rogans Hals.

„Keine Angst, Rogan“, meinte der Roboter mit gespenstisch ruhiger Stimme. „Es wird bald vorbei sein. Du bist gescheitert. Du hast Kira Jordan enttäuscht und du hast dich selbst enttäuscht.“

Dreißig … neunundzwanzig … achtundzwanzig …

Ich streckte den Arm aus und schloss meine Finger um die Waffe. Dann rappelte ich mich auf, taumelte auf die beiden zu und tat mein Bestes, um das stechende Brennen in meinem Bein zu ignorieren. Die Übelkeit hätte mich beinahe wieder zu Boden gezwungen. Doch obwohl ich unsicher schwankte, gelang es mir irgendwie, mich aufrecht zu halten. Bernard, der Rogan noch immer auf die harte Erde presste, schaute zu mir hoch. Ich konnte den Roboter unter der künstlichen Haut erkennen. Nichts als farbige Kabel und glattes Silber – wie die Kameras, die durch die Gegend flogen und die Szene aus jedem erdenklichen Blickwinkel festhielten. Seine Haut musste aus Plastik sein. Nur Plastik.

Es war alles ein großer Schwindel, nicht echt.

Ich war bereit gewesen, mein Leben zu geben, weil ich jemanden schützen wollte, der nicht einmal existierte.

Zehn … neun … acht …

Ich hob die Waffe, zielte und feuerte dann, bis das Magazin leer war. Ich hoffte, dass es reichen würde.

Es reichte. Ich hatte Bernard seinen Roboterkopf sauber vom Körper geschossen.

Ich warf die Pistole weg, sackte zusammen und ließ den Schmerz über mich ergehen. Rogan kroch auf mich zu.

„Kira.“ An seinem Hals, an der Stelle, an der der Roboter ihn beinahe zu Tode gewürgt hatte, war ein roter Abdruck zu erkennen. „Geht es dir gut?“

Er drückte seine Hand auf meine Wunde, um die Blutung zu stillen.

Ich versuchte, etwas zu sagen, doch irgendwie schaffte ich es nicht, Worte über meine Lippen zu bringen.

Ich wollte sagen: Gut? Sehe ich aus, als würde es mir gut gehen?

Kurz bevor ich ohnmächtig wurde, ertönte die Stimme in meinem Kopf.

Herzlichen Glückwunsch, Rogan und Kira, zur erfolgreichen Beendigung von Level drei von Countdown.“