25 Sunny

Zuerst denke ich, dass Pyrus mich packen und mich beißen wird - dass er mich gleich hier und jetzt in seine Blutsgefährtin verwandelt, ohne Wartezeit. Aber es stellt sich heraus, dass er doch auf traditionelle Werte baut und ein Ehe-gelübde á la Will und Kate vorzieht, keine Blitzhochzeit á la Vegas. Er will, dass die Meister aller Zirkel zu dem großen Ereignis einfliegen.

Schließlich möchte er dieses Elfen-Vampir-Bündnis, das er schmieden will, auch gehörig ausschlachten.

Ich müsse mir nicht meinen hübschen kleinen Kopf wegen dieser Dinge zerbrechen, erklärt er mir. Er wird sich um die Einladungen und den Veranstaltungsort kümmern und sogar ein zauberhaftes Kleid für mich aussuchen.

Aber das heißt nicht, dass ich rumhängen und mich dem Glücksspiel hingeben kann, während ich auf meinen großen Tag warte. Nachdem er seine Absichten kundgetan hat, entlässt Pyrus mich und befiehlt seinen Wachen, mich in ein palastähnliches Penthouse-Gefängnis direkt am Strip zu sperren. Ganz eingerichtet in Flitter-wochenweiß, Rosa und Silber, einschließlich eines luxuriösen Himmelbetts, das mit fünfhun-dertfädigen ägyptischen Baumwolllaken und glitzernden bunten Vorhängen drapiert ist. In einem anderen Raum steht ein Billardtisch und in wieder einem anderen ein gewaltiger Whirlpool.

Und in der voll eingerichteten Küche gibt es alle Speisen, die ich mir nur vorstellen kann, darunter ein paar, von denen ich noch nie gehört habe -

was sehr nett ist, finde ich, wenn man bedenkt, dass ich nach der Zeremonie bis in alle Ewigkeit auf Blutdiät sein werde.

Mutlos lasse ich mich auf die samtene Chaiselongue sinken, starre auf den glitzernden Strip und frage mich, warum um alles in der Welt ich immer an Männer gerate, die mich gegen meinen Willen heiraten wollen. Wenigstens stand ich im Elfenland unter einem magischen Zauber und hatte keine Ahnung, dass ich nichts mit meinem zukünftigen Bräutigam zu tun haben wollte. Nicht dass die Klarheit, mit der ich das hier jetzt erlebe, mir in meiner momentanen Zwangslage viel helfen würde.

Ein Teil von mir fragt sich, ob ich einfach den Mund hätte halten sollen - ob ich vielleicht lieber nicht von meiner nicht menschlichen Abstammung hätte sprechen sollen. Aber nein, dann hätte Pyrus mich an Ort und Stelle einfach umgebracht. Zumindest habe ich mir auf diese Weise etwas Zeit verschafft - genau genommen eine Ewigkeit. Obwohl ich keine Ahnung habe, was zum Teufel ich damit anstellen soll. Wird Pyrus mich tatsächlich wie eine echte Blutsgefährtin behandeln - mir erlauben, meine Meinung zu sagen und an seiner Seite zu herrschen?

Irgendwie bezweifle ich das, da ich ihn schon zu gut kenne.

Blicken wir doch den Tatsachen ins Auge: Ich bin eine Elfentrophäe. Die in einem Elfenbeinturm festgehalten und nur zum Prahlen oder für politische Schachzüge hervorgeholt werden wird.

Und das bedeutet, dass ich den größten Teil meiner Ewigkeit allein verbringen werde. Und ich werde meine Freunde und meine Familie wahrscheinlich nie wiedersehen. Vielleicht, wenn ich es recht überlege, wäre ein schnellerTod doch vorzuziehen.

Die Gedanken verselbstständigen sich und lassen mir keine Ruhe. Ich versuche, etwas zu essen - das Essen sieht schließlich köstlich aus -

, aber in meinem Mund schmeckt es wie Pappe.

Es gibt keine Uhren, daher weiß ich nicht, wie viel Zeit bisher vergangen ist, und ich frage mich, wie lange Pyrus mich vor dem großen Ereignis hier festhalten wird. Nicht dass ich ängstlich wäre oder so was. Ich denke auch an meine Schwester. Hatte sie mehr Glück als ich? Wenn sie Jareth dazu bewegen kann, die Zombies zurückzurufen, also, das wäre immerhin etwas.

Selbst als Vampir würde ich meine Ewigkeit viel lieber in dem Wissen verbringen, dass die menschliche Gattung weiterexistiert und als dominante Spezies die Welt besiedelt.

Und zu guter Letzt denke ich an Magnus. Ich kann nicht anders. Ich weiß, dass er mich verraten hat - und zwar ausgerechnet an Pyrus.

Ich weiß, dass es technisch gesehen seine Schuld ist, dass ich überhaupt in diesem ganzen Schlamassel stecke. Aber alles, worauf ich mich konzentrieren kann, sinddie Schuldgefühle, die ich in seinen Augen gesehen habe, alser erfuhr, dass alles, was ich ihm gesagt habe, wahr ist.

Wie muss er sich fühlen, wo er doch weiß, dass seine Ungläubigkeit zum Tod seines Meisters geführt hat, ganz zu schweigen von meiner ewigen Verdammnis?

Ein Klopfen an der Tür unterbricht meine Gedanken und mein Herz schlägt wie wild, während ich den Besucher hereinrufe. Ist es Pyrus? Oder einer seiner Handlanger, du mir Bescheid sagen, dass sie bereit sind, mit der Zeremonie zu beginnen? Werde ich morgen noch ein Mensch sein?

Ein Mann in Kellneruniform tritt mit einem Tablett voller Obst in den Raum. Meine Schultern entspannen sich, es ist nicht Pyrus. Der Mann schließt die Tür hinter sich, stellt das Tablett auf die Frühstückstheke, dreht sich dann zu mir um und nimmt den Hut ab. Ich schnappe nach Luft, als ich erkenne, dass es überhaupt kein Kellner ist... sondern Magnus.

Ich weiß nicht genau, wie es passiert, aber ehe ich mich versehe, liegen wir einander in den Armen. Magnus drückt mich fest an sich und streicht mir mit den Händen durchs Haar, während er mein Gesicht küsst. Ich genieße seine Küsse und das Gefühl kühler Haut an meinen Lippen. Das ist vielleicht das letzte Mal, dass ich ihn jemals spüren kann. Ich werde das Beste daraus machen. . .

»Geht es dir gut?«, fragt er, löst sich aus unserer Umarmung und mustert mich besorgt. »Sie haben dir doch nicht... wehgetan... oder?« Er geht zur Tür und verschließt sie von innen.

Ich schüttle den Kopf und nehme seine Hände.

»Nein«, versichere ich ihm. »Mir geht es gut. Ich meine, zumindest körperlich.«

»Oh Sunny. Oh meine Liebe.« Magnus schüttelt den Kopf, lässt meine Hände los und starrt zu Boden. »Kannst du mir jemals verzeihen? Ich war so ein Narr. Ich hätte auf dich hören sollen.

Ich hätte dir glauben sollen. Was ich getan habe, ist unentschuldbar.« Er sieht auf und seine Augen sind von Blutstränen gerändert. »Kannst du mir das jemals vergeben?«

Ich strecke die Hände aus, um einen Blutfleck von seiner Wange zu wischen, und sehe ihn zärtlich an. »Da gibt es nichts zu vergeben«, flüstere ich. »Ich bin nur froh, dich zu sehen, auch wenn es zum letzten Mal ist.«

Er zieht mich wieder an sich und sein Atem kitzelt an meinem Ohr, während er meinen Rücken streichelt. Ich erlaube mir, mich in seinen Armen zu entspannen, im Augenblick zu leben. Dabei springt mein Herz bei der Vorstellung, dass ich mich nicht länger hinter Lügen zu verstecken brauche. Magnus kennt die Wahrheit. Er kennt mein wahres Ich. Und er liebt mich trotzdem.

Bedingungslos. Ich versuche, mir die eben erlebten Erinnerungen einzuprägen - jede Berührung, jede Liebkosung. Das wird alles sein, was ich habe, um mich in unzähligen kalten Nächten, die kommen werden, zu wärmen.

Und dann küsst er mich. Voll und tief und mit einer Verzweiflung, die Bände spricht. Der Kuss dauert ewig... und doch endet er zu früh. Magnus löst sich von mir und Sorge erscheint in seinen dunkelblauen Augen. »Wir müssen reden«, sagt er. Ich weiß, dass er recht hat. Er führt mich zu der Chaiselongue und bedeutet mir, neben ihm Platz zu nehmen. »Ich habe versucht, Jareth zu erreichen - ihm Bescheid zu sagen, dass Lucifent tot ist und dass man Pyrus nicht trauen kann.

Aber ich habe bisher keine Antwort von ihm erhalten.«

Ich runzle die Stirn. »Ich hoffe, ihm und Rayne ist nichts passiert. Sie und noch eine Jägerin wollten versuchen, ihn zur Vernunft zu bringen, genau wie ich es bei dir versucht habe.«

Bei meinen Worten windet Magnus sich. »Ich hoffe, Jareth ist zugänglicher, als ich es war«, klagt er. »Wenn ich dir doch nur geglaubt hätte.

Ich hätte das alles verhindern können.«

»Ja und ich hätte dein Angebot gleich annehmen sollen, mich zu deiner Blutsgefährtin zu machen«, erwidere ich. »Wenn ich schon zu dir gehören würde... und schon ein Vampir wäre . . .

dann könnte Pyrus nicht...«

Meine Stimme erstirbt und meine Augen weiten sich. Ich sehe Magnus an und frage mich, ob er das Gleiche denkt wie ich. Könnte es funktionieren?

»Nein.« Er schüttelt den Kopf. »Das ist keine gute Idee. Du willst kein Vampir werden, weißt du noch? Du hast dich nie dafür gemeldet. Ich bin nicht Pyrus. Ich werde niemanden gegen seinen Willen verwandeln.«

»Aber früher oder später werde ich sowieso ein Vampir«, wende ich ein. »Wenn Pyrus seinen Willen bekommt. Und du weißt, dass das immer so ist.« Ich sehe ihn flehentlich an. »Und glaub mir, wenn ich schon ein Vampir werden muss, dann viel lieber durch dich als durch ihn.«

Aber Magnus schüttelt zum zweiten Mal den Kopf. »Es muss einen anderen Weg geben.« Er erhebt sich von der Chaiselongue und geht im Raum auf und ab. Ich sehe, wie er ans Fenster tritt und hinunterschaut. Unglücklicherweise sind wir wahrscheinlich hundert Stockwerke über dem Boden.

»Wenn ich meine Feenflügel hätte - dann vielleicht«, sage ich und begreife, was er denkt.

»Aber so bin ich wie Rapunzel in diesem Turm gefangen - noch dazu nur mit schulterlangem Haar.« Mit anderen Worten, total hilflos.

»Wie wäre es, wenn wir einfach gehen würden?«, schlägt er vor. »Du könntest meine Sachen anziehen und ...«

Plötzlich klopft es an der Tür. Wir sehen einander entsetzt an. »Bitte, Magnus«, flehe ich. »Du musst mich verwandeln. Das ist die einzige Möglichkeit, mich jetzt noch zu retten, bevor Pyrus mich holt.«

Magnus wendet gequält den Blick von mir ab.

»Aber er wird dahinterkommen. Und er wird dich töten, wenn er erkennt, dass du keinen Nutzen mehr für ihn hast.«

Ich zucke die Achseln. »Dann sterbe ich eben -

ein zweites Mal. Glaub mir, eine Ewigkeit im Hades ist eine viel verlockendere Aussicht als ein ewiges Leben an Pyrus' Seite.«

Magnus sagt nichts. Es klopft wieder. Uns läuft die Zeit davon.

»Magnus!«, zische ich. »Wenn du mich liebst -

wenn ich dir irgendetwas bedeute - , dann musst du es tun!«

Meine Worte scheinen ihn aus seiner Trance zu reißen. Er stürzt in die Küche und schnappt sich ein Messer aus einer Schublade. Oh, Gott sei Dank. »Ich habe schon von deinem Blut getrunken«, sagt er, während er den Ärmel hochkrempelt. »Also brauchst du jetzt nur etwas von meinem zu trinken und die Bindung wird vollständig.« Er schneidet sich mit dem Messer ins Handgelenk und hält mir seinen blutenden Arm hin. Dann lächelt er mich kläglich an. »Nicht gerade der romantische Ablauf, den ich mir dafür vorgestellt habe«, bemerkt er.

Mein Herz droht zu zerspringen, als ich auf ihn zugehe. »Ich liebe dich«, sage ich. »Ich liebe dich so.«

Ich drücke den Mund auf seine Wunde, mache die Augen ganz fest zu und wage es, ein erstes Mal zu saugen. Das wird mich für immer verändern. Ich fange ganz langsam an und dann, als die Macht des Austauschs allmählich meine Sinne verzehrt, ertappe ich mich dabei, dass ich gierig das süße Blut schlucke. Meine Gedanken rasen und vermischen sich mit seinen, während ich trinke, und ich kann fast spüren, wie sich das Band zwischen uns festigt, sodass es nie wieder gelöst werden kann. Es ist so stark und überwältigend und so schön - ich frage mich, ob es nicht das war, was in unserer früheren Beziehung gefehlt hat.

Viel zu früh zieht Magnus mich weg. Ich schaue zu ihm auf, meine Augen sind voller Staunen, während es mein Herz vor Sehnsucht beinahe zerreißt. »Ich bin dein«, flüstere ich und streiche mit einem Finger über seine Wange. »Ich bin für immer dein.«

Magnus lächelt mich an mit solcher Zärtlichkeit, dass mir fast die Sinne schwinden. Dann küsst er mich hart auf die Lippen. »Oh Sunny«, flüstert er.

»Ich hoffe, du wirst es nicht bereuen.«

Ich schüttle den Kopf. »Niemals, ich schwöre es.«

Ein Hämmern unterbricht uns, gefolgt von einem lauten Krachen, als die Tür nach innen splittert.

»Versteck dich!«, befehle ich Magnus und wische mir das Blut vom Mund. »Wenn es Pyrus ist, werde ich ihn hier rausschaffen. Du suchst meine Schwester und Jareth. Vielleicht gibt es noch eine Chance, das alles in Ordnung zu bringen!«

Ich brauche es Magnus nicht zweimal zu sagen.

Er lässt sich hinter die Frühstückstheke fallen und ich renne zur Tür und ziehe sie auf, bevor unser ungebetener Besucher sie komplett eintreten kann. Dann lächle ich breit, als Pyrus durch die Tür tritt und sich argwöhnisch umsieht.

»Warum hast du auf mein Klopfen nicht sofort reagiert?«, fragt er scharf. »Und warum ist die Tür abgeschlossen?«

Ich zucke die Achseln. »Tut mir leid«, sage ich.

»Ich habe mir die Haare geföhnt.« Ich hebe die Hand, um besagte Haare aufzubauschen, und hoffe, dass er nicht bemerkt, wie ungewaschen sie tatsächlich aussehen. »Ich wollte gut aussehen, wenn Sie kommen.«

Er entspannt sich. Männer sind manchmal so einfach. Dann lächelt er mich an. »Es ist alles vorbereitet«, eröffnet er mir. »Die Zirkelmeister sind versammelt. Wir werden uns heute Nacht als Blutsgefährten miteinander verbinden.«

»Ausgezeichnet«, erwidere ich und zwinge mich zu einem tapferen Lächeln. »Ich kann es kaum erwarten.«