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Ich widerstehe dem fast unwiderstehlichen Drang, unter mein schwarz und rot gesäumtes Korsett zu greifen, um mich ausgiebig am Bauchnabel kratzen zu können. Im Ernst, ich weiß nicht, warum, zum Kuckuck, Rayne jeden Tag diese Gothic-Sachen trägt. Sie sind so wahnsinnig unbequem, mit der dicken schwarzen Spitze, die mir die Achselhöhlen wund scheuert, und den Korsettstangen, die sich in meine Taille bohren und es mir fast unmöglich machen, tief Luft zu holen. Und dazu kommt noch der Quetschfaktor, der sich auf meine zugegebenermaßen sowieso schon kleinen Brüste auswirkt. Im Ernst, gebt mir jeden Tag ein Paar Bootcut Jeans von Old Navy, ein Tanktop und Flipflops und ich bin zufrieden. Zwar würde ich damit auf dem Laufsteg niemanden vom Hocker reißen, aber wenigstens kann ich darin meine volle Lungenkapazität ausnutzen.

Doch leider wird meine eigene »Uniform« heute Abend nicht genügen. Nicht wenn ich die Vampire an der Universität des Blutzirkels davon überzeugen will, ich sei meine Zwillingsschwester. Rayne würde sich in Jeans nicht mal beerdigen lassen, und das heißt, dass ich die Qual und die Demütigung erdulden muss, mich in voller Gothic-Montur aus dem Haus zu schleichen: mit flauschigem Tüllrock, zerrissenen Netzstrümpfen und schwarzen Stiefeln mit fünfzehn Zentimeter hohen Plateausohlen, alles aus ihrem mit düsteren Klamotten vollgestopften Schrank gewühlt.

Jaja, ich weiß. Ich sollte das nicht tun. Und Rayne würde mich verdammt noch mal umbringen, wenn sie es herausfände. Auch wenn sie noch gar nicht wüsste, dass ich ihre Sachen anhabe. Schließlich ging es bei diesem Neustart-Deal, den meine Schwester mit dem Gott der Unterwelt ausgehandelt hat, darum, dass wir die Chance bekommen, in ein normales, vampirfreies Leben zurückzukehren. Und wenn Rayne - das Mädchen, das Vampire mehr liebt als irgendetwas sonst im Universum - es fertigbringt, ihren Vampirvorbereitungskurs sausen zu lassen, wie zum Teufel kann ich da an ihrer Stelle daran teilnehmen?

Aber mal ganz ehrlich: Was würdet ihr tun, wenn ihr die Chance hättet, ein letztes Mal einen Blick auf eure große Liebe zu werfen? Könntet ihr einfach weggehen – und euch stattdessen einen Film ansehen? Seht ihr? Und ich will ja auch nicht mit ihm rummachen und ihm ewige Treue schwören oder so etwas. Ich will ihn nur aus sicherer Entfernung still anschauen. Einen letzten sehnsüchtigen Blick auf ihn werfen, bevor ich für immer in mein jämmerliches, normales, magnusfreies Leben zurückgehe.

Außerdem könnte ich ja sowieso nicht mehr tun als das, selbst wenn ich wollte. Dieser Magnus, der, mit dem ich jetzt zu tun haben werde, betrachtet mich nicht als seine Freundin. Er ist nicht in mich verliebt. Er will nicht mit mir zusammen sein. Und wenn sich unsere Wege zufällig kreuzen, wird er mich einfach für Rayne halten. Also keine große Sache.

Nur dass es natürlich sehr wohl eine große Sache ist. Es ist irgendwie die größte Sache aller Zeiten.

Nein. Ich schüttle den Kopf. Ich werde nicht hingehen. So, wie wir es machen, ist es am besten. Wie meine Schwester sagte, wenn ich mich nicht mit Magnus anfreunde, kommen wir schließlich auch nicht zusammen. Er wird sich nie entscheiden müssen zwischen dem Blutzirkel und mir und daher wird nichts von all den schlimmen Dingen der letzten Jahre passieren.

Ich werde nicht sterben. Er wird nicht wegen Hochverrats angeklagt werden. Und das Konsortium wird den Blutzirkel nicht hinaus-werfen. Alle werden glücklich sein bis ans Ende ihrer Tage.

Und ich bin absolut dafür, dass es so kommt.

Nachdemich ihn nur noch ein einziges Mal gesehen habe.

Der Kurs zur Vorbereitung auf das Dasein als Vampir findet direkt beim Saint-Patrick's-Friedhof statt - nur ein paar Häuserblocks entfernt vom Hauptquartier des Blutzirkels, von dem ich ja eigentlich nicht wissen darf. Der Standort der Vampirkrypta ist so lange streng geheim, bis man ein vollblütiges Mitglied wird. Also halten sie den Unterricht stattdessen in einer ehemaligen Kirche in der Nähe ab. Das mutet zunächst ziemlich seltsam an, bis man erfährt, dass diese spezielle Kirche vor langer Zeit säkularisiert worden ist und nicht mehr als Kirche genutzt wird. Man steht dort also nicht auf geweihtem Boden, sodass sich die Vampire dort auch nicht die Füße verbrennen können.

Ich gehe die Holztreppe zum Vordereingang hinauf und trete ein, nachdem ich erfolgreich dem Drang widerstanden habe, die Augen über ein paar von Raynes Mitstreitern zu verdrehen, die draußen stehen und rauchen. Hallo? Noch stereotyper geht's wohl nicht. Alle sind in ihrem schönsten Gothic-Sonntagsaufzug, komplett mit schwarzen (und/oder grell pinken) Haaren, mit leichenblassem Make-up und absurd vielen Piercings. Im Ernst, will heutzutage denn niemand mehr ein Vampir werden, der nicht zur Gothic-Szene gehört? Eigentlich sollte man doch meinen, dass sich nach dem ganzen Hype um Twilight auch ein paar Bellas hier eingefunden hätten.

»Name bitte?«

Ich schaue auf die gelangweilt wirkende Empfangsdame hinunter, die an einem Karten-tisch gleich hinter der Tür sitzt. Meine Augen weiten sich, als mir klar wird, dass das niemand anderes ist als Marcia, Magnus' ehemalige Sekretärin. Natürlich ist sie jetzt, schätze ich, seine zukünftige Sekretärin und arbeitet immer noch für Lucifent, der momentan der Meister des Blutzirkels ist. Erst wenn Bertha Lucifent tötet und Magnus das Kommando übernimmt, fängt Marcia an, für ihren neuen Boss zu arbeiten. (Die Sache mit der Zeitreise kann sehr verwirrend sein, selbst wenn man genau aufpasst.) »Ähm, bist du taub?«, fragt Marcia und verzieht finster das Gesicht. »Ich habe gefragt, wie du heißt.«

Ups. Sie ist immer noch genau dieselbe. Ich verkneife mir ein Stirnrunzeln und presse die Arme an meinen Körper, damit ich nicht die Hände ausstrecke und sie so lange würge, bis dieser hochmütige Ausdruck aus ihrem Gesicht verschwindet. Dieses Miststück. Wegen ihr hat Pyrus von unserem geheimen Aufenthaltsort unter den Straßen von New York City erfahren.

Wegen ihr bin ich in der Zukunft tot. Aber was kann ich schon tun? Sie eines Verbrechens beschuldigen, das sie noch gar nicht begangen hat? Das wird sicher gut laufen. Und da sie außerdem ein Vampir ist und ich nur eine arm-selige Sterbliche bin, dürfte es mir wohl schwerfallen, ihr mit bloßen Händen die Luft abzuschnüren.

Leben und leben lassen, denke ich. Zumindest im Moment.

»S... ich meine, Rayne McDonald«, antworte ich gerade noch rechtzeitig und tue mein Bestes, damit ich genauso gelangweilt klinge wie sie. Sie überfliegt ihre Liste, hakt mich ab und schnalzt mit der Zunge, um mir unmissverständlich klarzumachen, wie unbedeutend ich für ihre Existenz bin. Wenn die nur wüsste...

»Du kannst da rübergehen und dich hinsetzen«, teilt sie mir mit und zeigt mit einem ihrer perfekt manikürten Finger auf die linke Seite der Kirche, wo sich schon eine Gruppe von Gothics versammelt hat. Auf der anderen Seite des Gangs hängen Leute rum, die wesentlich normaler wirken. Die Vampire, begreife ich. Im Gegensatz zu ihren allzu bemühten sterblichen Auszubildenden sind die Vampire lässig gekleidet. Jeans, T-Shirt, Sommerkleid... und...

ich stutze... ist das wirklich das gleiche pinke Bite-me- Tanktop, das ich bei jenem schicksalsträchtigen Ausflug in den Club Fang getragen habe? Das, mit dem der ganze Ärger überhaupt anfing? Ich erinnere mich, wie Rayne mir erzählte, sie hätte es sich von einem Vampir geliehen, den sie im Training kennengelernt habe...

Während ich zu der sterblichen Abteilung hinübergehe, fällt mein Blick plötzlich auf eine Tür im vorderen Teil der Kirche, die jetzt aufschwingt. Ich bleibe wie angewurzelt stehen und mein Herz setzt einen Schlag aus, als ein einzelner Vampir den Altarraum betritt.

Magnus.

Meine Welt gerät aus den Fugen, während ich sehe, wie er gleich hinter dem Altar stehen bleibt und das Kirchenschiff mit gleichgültigen Augen betrachtet. Er wirkt gelangweilt, ein bisschen verärgert und absolut heiß. Mein Verstand gönnt mir einen lebhaften Rückblick auf jene erste Nacht, als wir uns im Club Fang begegnet sind.

Magnus trug einen schlichten, aber eleganten Armani-Anzug, genau wie heute, und ich fand, dass er genauso aussah wie Orlando Bloom in seinem ersten Piratenfilm, mit schulterlangen kastanienbraunen Haaren, die er mit einem schlichten Lederband zurückgebunden hatte.

Heute Abend trägt er die Haare offen und sie fallen ihm über seine elfengleichen blauen Augen, streifen seine perfekt geformten Wangen-knochen und enden kurz über seinem sinnlichen Mund. Plötzlich fühle ich mich außerstande, an irgendetwas anderes auf der Welt zu denken als an ihn, als daran, dass er mich in die Arme nimmt und diese vollen, weichen Lippen auf die meinen presst, mit einer Verehrung und Anbetung, die ich nie ganz verdient habe.

Oh Magnus... Unwillkürlich mache ich einen Schritt nach vorn und das Herz schmerzt mir in der Brust. Oh mein Liebster...

Er dreht sich um, fährt sich mit der Hand durchs Haar und streicht es sich aus dem Gesicht.

Unsere Blicke treffen sich. Ich schlucke vernehmlich und ertappe mich dabei, dass ich ihn hoffnungsvoll anlächle und ihm zuwinke. Aber statt eines Lächelns - ja statt eines Aufleuchtens seiner Augen, als sie mein Gesicht wahrnehmen, zieht er bloß eine seiner perfekt geschwungenen Augenbrauen hoch und seine schönen Lippen verziehen sich zu einem leichten schmallippigen Grinsen, als er mich einer kritischen Musterung unterzieht, bevor er sich schließlich abwendet.

Mein Herz stürzt in einen Abgrund, als die Realität mich mit ihrer ganzen Wucht trifft. Er kennt mich nicht. Er liebt mich nicht. Er sieht nur eine dumme, lächerlich gekleidete Fremde, einen Möchtegern-Vampir genau wie die anderen, die ihm von der gegenüberliegenden Seite des Raumes her schöne Augen machen. Huch. Was ist bloß in mich gefahren, dass ich mich heute Abend so angezogen habe wie meine Schwester? Bisher habe ich nur geschafft, meinen eigenen Freund mit einem kitschigen Outfit abzustoßen, das noch nicht einmal meins ist.

Und das ist auch gut so, versuche ich, mich zu ermahnen. Das Letzte, was ich will, ist, dass er sich zu mir hingezogen fühlt, wo ich mich doch ganz, ganz weit von ihm fernhalten sollte.

Aber trotzdem tut es weh. Vor allem als ich sehe, wie er zu einem der anderen Vampire hinübergeht - dem Mädchen in dem Bite-me-Top - und ihr etwas ins Ohr flüstert. Sie dreht sich um und schaut kichernd in meine Richtung. Machen sie sich wirklich über mich lustig? Mein Gesicht brennt vor Verlegenheit und Wut.

Was tue ich da? Warum bin ich überhaupt hier?

Ich hätte wegbleiben sollen - dann hätte ich den Rest meines Lebens in der Erinnerung schwelgen können, wie Magnus mich voller Bewunderung und Liebe ansieht. Jetzt muss ich mich an seinen geringschätzigen, verächtlichen Blick erinnern, bis ich sterbe.

Ich stolpere auf den Ausgang zu und Tränen trüben meinen Blick. Ich muss hier raus, und zwar schnell. Bevor ich jämmerlich und liebeskrank in Tränen aufgelöst bin.

Leider geht mein Fluchtversuch nicht so glatt wie geplant - hauptsächlich deshalb, weil ich es nicht gewohnt bin, in Stiefeln mit fünfzehn Zentimeter hohen Sohlen herumzulaufen. Statt also zur Tür hinauszuschlüpfen und in der Nacht zu verschwinden, stolpere ich, schlage der Länge nach auf den Marmorboden und reiße dabei einen Kerzenständer um.

Wie vorauszusehen, bricht der ganze Saal in Gelächter aus. Und ich denke, mein Gesicht könnte nicht mehr röter werden.

»Bist du okay?«

Ich schaue in die Richtung, aus der die vertraute Frauenstimme kommt. Meine Augen weiten sich, als ich keine Geringere sehe als Charity selbst -

eine von Magnus' Blutspenderinnen -, die sich über mich gebeugt hat, einen besorgten Ausdruck auf dem Gesicht. Ohne eine Antwort abzuwarten, hilft sie mir auf und führt mich zu einer nahe stehenden Bank. Ich kann die belustigten Blicke aller Vampire und Sterblichen spüren, als ich auf der Bank in mich zusammensacke, aber ich zwinge mich, sie zu ignorieren.

»Danke«, sage ich und atme tief aus. »Sorry, ich habe nur kurz den Halt verloren.«

Sie lässt sich neben mich fallen, greift in ihre Tasche und zieht einen Schokoriegel heraus.

»Iss das«, weist sie mich an.

»Ich finde, ein bisschen Zucker hilft, wenn man weiche Knie hat.«

Dankbar nehme ich den Riegel. Schließlich muss sie alles über weiche Knie wissen, denn sie ist ja Blutspenderin und so. Und ich weiß, ihre Freundlichkeit zu schätzen - das ist mehr, als ich von irgendjemandem sonst in diesem Raum behaupten kann. »Danke«, murmle ich und beiße in den Riegel. »Ich weiß das zu schätzen.«

»Ich bin Charity«, stellt sie sich vor und streckt die Hand aus. »Ich nehme an, du bist eine von den Anwärterinnen?«

Ich nicke. »Ich bin Sun... ich meine, Rayne McDonald«, sage ich und schüttle ihr die Hand.

Ihre Augen weiten sich interessiert. »Rayne McDonald?«, wiederholt sie. »Dann bist du . . .«

Ein Schatten ragt über uns auf und unterbricht ihre Frage. »Da bist du ja, Charity. Du wirst hinten gebraucht. Rachel hat mir gesagt, du wärst dran mit Spenden.«

Oh Gott. Meine Kehle wird trocken. Ich würde diese tiefe Stimme mit dem englischen Akzent niemals vergessen. Und wenn tausend Jahre vergangen wären, seit ich sie das letzte Mal gehört hätte, würde ich sie immer noch besser kennen als meine eigene Stimme. Meine Hände fangen unkontrolliert zu zittern an und ich schiebe sie hastig unter meine Oberschenkel.

Schau nicht hoch. Egal, was du tust, aber schau nicht hoch. Halt den Blick gesenkt, bis er weggeht und für immer aus deinem Leben spaziert.

Aber natürlich ist es aussichtslos, dass ich das schaffe.

Und so betrachte ich sein schönes Gesicht und meine Augen begegnen hilflos seinen saphirfarbenen Augen, die von dichten schwarzen Wimpern umrahmt sind. Das ist bloß Magnus, versuche ich, mein dahinschmelzendes Herz zu tadeln. Du hast Stunden und Tage in seinen Armen gelegen. Es sollte keine große Sache sein, ihn anzusehen.

Aber das ist es doch. Es ist die größte Sache aller Zeiten.

»Sehr wohl, Meister«, erwidert Charity, steht auf und senkt ehrerbietig den Blick. »Ich gehe sofort zu Rachel. Ich weiß, dass du an einem Abend wie heute großen Hunger haben musst.«

Ihre Worte reißen mich aus meiner Trance. »An einem Abend wie heute?«, platze ich heraus und begreife, dass ich keine Ahnung habe, was die Leute hier während ihrer Vampirausbildung wirklich machen. Umso mehr frage ich mich, warum Magnus nach einer Extraportion Blut verlangt?

Er sieht mich streng an. »Beißnacht«, erwidert er steif, als sei es eine Last für ihn, sich überhaupt dazu herabzulassen, mit mir zu sprechen. Er dreht sich wieder zu Charity um.

»Magnus«, flüstert die Blutspenderin ihm in zischendem Ton zu. »Das ist Rayne McDonald.

Deine, na ja ...« Sie hält inne, beißt sich auf die Unterlippe und schaut zwischen ihrem Meister und mir hin und her. »Du weißt schon ...«

»Deine zukünftige Blutsgefährtin«, beende ich ihren Satz, stehe auf und schenke ihm ein verlegenes Lächeln. »Zu deinen Diensten.«

Magnus' Gesicht wird schneeweiß. Er sieht zuerst Charity an, dann mich, dann wieder seine Blutspenderin. Ich weiß genau, was er denkt. Du erzählst mir, dass ich bis in alle Ewigkeit mit dieser billigen Modepuppe festsitze? Wenn es nicht so tragisch wäre, dann wäre es schon fast komisch.

Das Schweigen, das folgt, ist erdrückend. Mein Herz fühlt sich an, als würde es in einen Schraubstock gepresst. »Vielleicht sollte ich lieber gehen«, stammle ich. »Es war eine dumme Idee.« In vielerlei Hinsicht.

Ich wende mich von ihm ab, um zu verbergen, dass mir die Tränen in die Augen schießen. Ich sollte gehen. Ich sollte aus dieser alten säkularisierten Kirche rennen und nicht zurück-blicken. Aber gerade als ich den ersten Schritt mache, spüre ich eine starke Hand auf meinem Arm. Ich drehe mich um und blicke Magnus direkt in das jetzt etwas einfältig wirkende Gesicht.

»Warte«, sagt er mit einer Stimme voller Schuldgefühle. Er war immer ein Softie - unter der rauen Schale. »Es tut mir leid. Ich denke, wir haben uns auf dem falschen Fuß erwischt. Bitte verzeih mir.« Er lässt meinen Arm los und neigt ehrfürchtig den Kopf. »Es ist wunderschön, dich kennenzulernen, Rayne McDonald«, sagt er.

Fast so, als meinte er es ernst.

»Ja«, bringe ich als Antwort heraus, obwohl es eine ziemliche Anstrengung bedeutet, die Worte an dem Kloß in meiner Kehle vorbeizubringen. Er muss mich für einen totalen Freak halten. »Ähm, freut mich auch sehr, dich kennenzulernen.«

Gewohnheitsmäßig strecke ich die Hand aus. Ich kann einfach nicht glauben, dass ich meinem Seelengefährten tatsächlich freundlich die Hand schüttele. Was zum Teufel habe ich mir nur dabei gedacht, überhaupt hierherzukommen? Das ist eine schlimmere Folter als jeder Feuerkreis der Hölle. . .

Er lässt seine Hand in meine gleiten und drückt sie mit gemäßigter Vampirkraft. Mein ganzer Körper explodiert innerlich bei seiner Berührung und ich habe alle Mühe, nicht laut aufzuschreien.

Oh Magnus. Mein Liebster...

Er lässt meine Hand los wie eine heiße Kartoffel und sofort

fühle ich mich wieder einmal gekränkt. Aber dann sehe ich, wie ein Schatten über sein Gesicht huscht und wie Verwirrung in seinen Augen aufglimmt. Ha! Er spürt es auch. Obwohl er sich dagegen sträubt, spürt er etwas von der magischen Anziehung zwischen uns. Diese simple Tatsache führt dazu, dass ich mich ein bisschen besser fühle.

Mit stockendem Atem sehe ich, wie er schluckt, dann dreht er sich zu Charity um, die die Szene mit offensichtlicher Erheiterung verfolgt. »Warum zum Teufel bist du immer noch da?«, fragt er verärgert.

»Bin ich doch gar nicht! Ich bin ja schon weg!«, versichert sie ihm, tänzelt den Gang hinunter, auf die Hintertür zu und lässt mich mit Magnus allein.

Mein Herz hämmert, während ich nach einer intelligenten Bemerkung suche.

»Also, ähm, Beißnacht?«, wage ich einen Versuch. »Was ist das?« Das ist alles, was mir auf die Schnelle einfällt, während mein Körper noch von seiner Berührung summt.

Er schüttelt den Kopf, bevor er antwortet, als versuchte er, wenigstens ansatzweise wieder die Kontrolle über seinen verräterischen Körper zu erlangen. »Also«, sagt er, »wie du weißt, werden wir in einem Monat, wenn du dein Vampirtraining beendet hast, unser Blut miteinander austauschen und von da an als Blutsgefährten zusammenleben... für die Ewigkeit.«

»Richtig«, erwidere ich nickend. »Diesen Teil kenne ich.« Natürlich kann er nicht wissen, dass ich bis dahin ganz weit weg sein werde. Ich werde zum Wohle der gesamten Menschheit und der Vampirgattung vergessen, dass es ihn überhaupt gibt. Ich frage mich, was er denken wird, wenn er herausfindet, dass ich gekniffen habe. Wird er enttäuscht sein? Oder erleichtert?

»Also«, fährt er fort und räuspert sich. »In der Beißnacht üben wir.«

»Ähm, was?« Mein Puls beschleunigt sich schon wieder und ich werfe ihm einen fragenden Blick zu. »Üben wir was?«

Seine Wangen färben sich rosig und einen Moment lang denke ich, dass er es nicht erklären wird. Aber dann zuckt er die Achseln, schaut hoch und durchbohrt mich mit seinen heißen blauen Augen, sodass ich schon wieder dahinschmelze.

»Na ja, das Beißen natürlich.«