Mein Name ist Sunshine (Sunny) McDonald...
... und wenn ihr mich vor einem Jahr gefragt hättet, dann hätte ich mich als eine ganz normale alltägliche Zehntklässlerin auf der Highschool beschrieben, die ein ganz normales alltägliches Leben in einem ganz normalen alltäglichen Vorort irgendwo in Massachusetts führt. Wie so viele Mädchen in meinem Alter liebte ich Englisch, hasste Mathe, spielte in der Schulmannschaft Hockey und hatte für eine Rolle in der Schulaufführung von Bye Bye Birdie vorgesprochen. (Hauptsächlich, um an Jake Wilder ranzukommen, den heißen Typen eine Klasse über mir, der die Hauptrolle spielte, mein letzter ganz normaler alltäglicher Schwarm.) Damals, vor gerade mal einem Jahr, nahm ich die Welt genauso hin, wie sie mir von Geburt an präsentiert worden war: normal, logisch und nicht im Geringsten übernatürlich. Und wenn ihr mich gebeten hättet, bei meinem Leben zu schwören, dass es weder Vampire noch Feen, Werwölfe, Leprechauns und andere Geschöpfe der Nacht gibt (zumindest nicht außerhalb der Romane von Stephenie Meyer und HBO-Serien), dann hätte ich diesen Schwur ohne Weiteres geleistet.
Das heißt, bis zu dieser schicksalshaften Nacht.
Der Nacht, in der meine liebe Zwillingsschwester Rayne mich in diesen erbärmlich schäbigen Gothic-Schuppen schleppte, der sich Club Fang nennt - und mein Gefühl für das, was normal ist, für immer zerstört wurde.
Jaja, Sunshine und Rayne. Mir gefällt das genauso wenig wie euch, also spart euch die Scherze. Wenigstens passen die Namen. Anders als meine ganz normale alltägliche Wenigkeit hat sich meine Schwester nämlich immer schon zu der dunklen Seite des Lebens hingezogen gefühlt. Sie ist im Großen und Ganzen ein typisches Gothic-Girl, obwohl sie es hasst, so abgestempelt zu werden. Oder überhaupt abgestempelt zu werden, schätze ich. Trotzdem, ich meine, wer sich den Schuh anziehen willl . . .
jedenfalls stand sie immer total darauf, schwarze Sachen anzuziehen, morbide Musik zu hören, auf dem Friedhof abzuhängen und sich zu wünschen, sie wäre tot . ..
Untot sein, ist ja auch noch eine Möglichkeit. Ich hatte von nichts eine Ahnung! Während ich mit Jake flirtete und Tore schoss, ging Rayne in irgendwelche Abendkurse eines lokalen Zirkels, um ihre Vampirzulassung zu bekommen. Sie hatte auf einer Warteliste gestanden, ihr Blut war getestet worden und sie hatte ihr Abschlussexamen bestanden – sie war startklar.
Und der schicksalhafte Abend im Club Fang, den ich vorhin erwähnt habe? Das sollte ihr untoter Geburtstag sein - der Tag, an dem sie von ihrem vampirischen Blutsgefährten gebissen wurde und für immer zu einem Geschöpf der Nacht werden sollte.
Ach, wie romantisch.
Für Rayne sollte ein Traum wahr werden.
Unsterblichkeit, unvorstellbarer Reichtum, ein heißer Vampirfreund, und das Beste von allem: keine Hausaufgaben mehr. Aber wenn ihr mich fragen würdet? Ich hätte lieber jeden Abend über Bio gebrütet, als meine Bräune für alle Ewigkeit zu opfern.
Leider hatte ich diese Wahl nicht, wie ihr inzwischen vielleicht erraten habt. Wegen eines bluternsten Falls von Verwechslung hat der fragliche Vampir, Magnus, der Raynes Blutsgefährte werden sollte, versehentlich mich gebissen anstatt sie.
Wenn ich jetzt so zurückblicke, kann ich die Tatsache akzeptieren, dass es wirklich ein Versehen war. Ich meine, Rayne und ich sehen uns so zum Verwechseln ähnlich, dass nicht einmal unsere Mutter uns auseinanderhalten kann. Wie hätte Magnus da eine Chance haben sollen, unsere kleinen feinen Unterschiede zu bemerken? Vor allem weil Rayne mich dazu gebracht hatte, ein lächerliches Tanktop mit der Aufschrift »Bite Me« anzuziehen, bevor wir in den Club gingen, damit ich besser in die Szene passte. Was, schätze ich, ein kleines bisschen zu gut geklappt hat.
Aber auch wenn ich das jetzt akzeptieren kann – damals war ich ziemlich sauer. Stellt euch nur mal vor, man würde euch eröffnen, ihr wärt gerade dabei, euch in einen Vampir zu verwandeln - in eine Spezies, von der ihr bisher dachtet, sie sei bloß die Ausgeburt der perversen Fantasie eines längst verstorbenen viktorianischen Autors - , und das eine Woche vor dem Schulball! Das passte gar nicht in meinen ganz normalen Fünfjahresplan, das kann ich euch sagen!
Aber zum Glück ist es nicht so geblieben. Der Vampir Magnus konnte seine Tat wieder ausbügeln - er fand eine Möglichkeit, die Verwandlung rückgängig zu machen - , und das gerade noch rechtzeitig. Auf unserer gemeinsamen Reise erkannte ich allmählich, dass er gar nicht so übel war hinter seinen ganzen Reißzähnen. Tatsächlich war er etwas ganz Besonderes. Und viel besser als der langweilig alte, ganz normale, alltägliche Jake Wilder aus der Theatergruppe.
Ihr müsst wissen - im Allgemeinen bin ich immer noch kein Fan von Blutsaugern, sondern von netten, treuen Jungs mit Beschützerinstinkt, die früher einmal edle Ritter in schimmernder Rüstung waren und die jetzt vielleicht eine Mischung aus Ben Barnes und Orlando Bloom sind. Je mehr ich versuchte, seinem Charme zu widerstehen, desto mehr schmolz ich dahin.
Heute kann ich mir ein Leben ohne ihn nicht mehr vorstellen.
Jedenfalls sah das ja alles nach einem widerlich süßen Happy End aus, stimmt's? Aber so kam es nicht. Denn Rayne, die sich immer noch mehr als alles andere auf der Welt wünschte, ein Vampir zu werden, erfuhr von unserem Theaterlehrer Mr Teifert (der nicht nur junge Thespis-Jünger unterrichtet, sondern auch Vizepräsident einer Organisation namens Slayer Inc. ist) recht unvermittelt, dass es ihr bestimmt sei, eine Vampirjägerin zu werden. Ja, genau das Mädchen, das fest davon überzeugt war, ein Vampir zu werden, sollte jetzt hauptberuflich Vampire töten. Und sie konnte sich gegen ihr Schicksal auch nicht wehren, dank eines schlafenden Nano-Virus, den man ihr bei der Geburt in den Blutstrom injiziert hatte. Nimm einen anderen Pfad und PENG! Bye bye Rayne.
Aber keine Sorge. Slayer Inc. ist nicht so böse, wie der Name vermuten lässt. Es ist eigentlich mehr eine Art Polizeiaufsicht für Vampire, die vor über hundert Jahren damit beauftragt worden ist, für die Einhaltung der Gesetze zu sorgen, die zu schützen, die sie befolgen, und nur solche Vampire umzubringen, die die Regeln brechen und zu einer Gefahr für andere werden. Wie Maverick, der erste böse Vampir, den Rayne töten sollte. Er hatte geplant, den Zirkel zu übernehmen, indem er ein tödliches Virus schuf.
Meine Schwester konnte ihn mit der Hilfe von Jareth, dem General des Blutzirkels, zur Strecke bringen und so die Gefahr bannen. Und dann?
Sie bekam endlich ihren Willen. Sie wurde nicht nur zu einem Vampir, sondern für alle Ewigkeit zu Jareths Blutsgefährtin. (Und trotzdem eine Jägerin! Das Mädchen zieht sich viele Schuhe an, das kann ich euch sagen.)
Seitdem haben wir massenweise Abenteuer erlebt. Wie damals, als Rayne einen Weg finden musste, ein paar zu tollwütigen Werwölfen mutierte Cheerleader daran zu hindern, unsere Heimatstadt zu zerstören. Oder als ich Magnus vor einer superhinterlistigen rothaarigen Spionin retten musste, die so tat, als wäre sie in ihn verliebt, während sie ihrem echten Vampirfreund die ganzen Geheimnisse des Zirkels verriet. Aber unser größtes Abenteuer von allen hatte nicht das Geringste mit Vampiren zu tun, sondern eher mit unseren Eltern, die uns eines Tages mitteilten, dass wir überhaupt keine ganz normalen, alltäglichen Menschen seien, sondern Elfenprinzessinnen. Verrückt, was? Und ihr könnt euch vorstellen, wie wenig begeistert Rayne war, dass sie die glitzernde pinkfarbene Uniform anziehen musste.
Was mich zu unserem letzten Fall führt. Bei dem Magnus und ich eine Randgruppe von Jägern, die sich Alphas nannten, daran hinderten, aus dem Blut meiner Schwester eine Armee von Vampir-Fee-Hybriden zu erschaffen und sie auf die Welt loszulassen. Eine fast unlösbare Aufgabe, deren Bewältigung uns zu Helden hätte machen sollen. Aber stattdessen wurden wir wegen Insubordination aus dem
Vampirkonsortium geworfen. Hauptsächlich deshalb, weil wir beschlossen hatten, dass es wichtiger ist, die Vampire zu retten, als nach den Regeln des machthungrigen Vorsitzenden Pyrus zu spielen.
Um es kurz zu machen: Pyrus beschuldigte uns des Hochverrats und zwang uns, ins Exil zu gehen. Wir versteckten uns unter den Straßen von New York City und fürchteten um unser Leben.«
Unglücklicherweise waren wir dort nicht so sicher, wie wir dachten.
Was uns zu der Frage führt, wo es weitergeht.
Oder sollte ich sagen... wann?