21 Sunny

Es gab eine Zeit, da hätte ich alles dafür gegeben, dass Magnus mit mir die Stadt verlässt, mich schick zum Essen und vielleicht in eine Show einlädt und wir den ganzen Abend kein einziges Mal von Blutzirkel-Angelegenheiten beansprucht werden. Meinen Freund ganz für mich zu haben - und sei es auch nur für eine Nacht. Natürlich war damals diese Art von ungestörtem Date nicht mehr als eine bloße Fantasie von mir. Selbst wenn Magnus eine sogenannte freie Nacht hatte und damit einverstanden war auszugehen, rief alle fünf Minuten jemand vom Zirkel an. Und er hatte von Anfang an klargemacht, dass sie bei ihm oberste Priorität hatten.

Er war ja schließlich der Meister. Das waren seine Leute. Sie brauchten ihn und er musste für sie da sein - selbst wenn das hieß, mich mitten in einem Kinofilm mit meinem Eimer Popcorn allein zu lassen. Das war kein Spaß. Es war nicht cool.

Und es gab Zeiten, das muss ich zugeben, da hätten seine Workaholic-Neigungen unserer Beziehung beinah ein Ende bereitet.

Aber das war, so scheint es, der alte Magnus.

Der neue Magnus, der, der angeblich der Stellvertretende Vorsitzende des Zirkels ist, scheint recht zufrieden damit zu sein, dass er seinem Boss die ganze schwere Arbeit überlassen kann. Als wir in Vegas eintrafen, hatte ich angenommen, dass wir direkt ins Hauptquartier des Konsortiums gehen würden, um nach Pyrus zu suchen und Vorkehrungen zu treffen, ihm Projekt Z vorzustellen. (Was mir die Gelegenheit gegeben hätte, nach einer Möglichkeit zu suchen, das Ganze zu verhindern.) Stattdessen zeigt Magnus mir gerade Eintrittskarten für den Cirque du Soleil und eine Reservierung im angesagtesten Restaurant der Stadt.

»Aber musst du dich nicht um irgendwelche wichtigen Angelegenheiten kümmern?«, frage ich und starre verwirrt auf die Eintrittskarten.

Er lächelt. »Meine vorrangige Angelegenheit wird immer sein mich um dich zu kümmern«, sagt er galant zu mir. »Der Rest kann warten.«

Damals wäre das ein wahr gewordener Traum gewesen. Aber jetzt ist es eher ein Albtraum.

Pyrus ist bereit und wartet. Lucifent bereitet die Show vor. Und in wenigen Stunden schon wird ein Flugzeug voller Zombies in Las Vegas landen. Wie zum Teufel soll ich es da mit meinem Gewissen vereinbaren, dass ich essen gehe und eine Show besuche?

»Aber sollten wir nicht Lucifent helfen?«, frage ich. »Ich bin mir sicher, er kann etwas Unterstützung für seine große Präsentation bei Pyrus morgen Nacht gebrauchen.«

Aber Magnus schüttelt nur den Kopf. »Er hat mir gesagt, dass er und Jareth alles unter Kontrolle hätten«, versichert er und beugt sich vor, um mir die Hand zu drücken. »Wir können uns einfach entspannen und die Show genießen.«

Ich frage mich, ob er überhaupt von den Zombies weiß. Hat Lucifent ihn jemals über Projekt Z ins Bild gesetzt? Ich schätze, nein - ich denke, wenn er eine Ahnung hätte, was sein Boss wirklich im Schilde führt, würde er hier nicht den Kavalier spielen. Das ist schließlich Magnus. Beschützer seiner Leute. Der gerechteste Herrscher von allen. Auf keinen Fall würde er eine Armee von Toten auf Slayer Inc. loslassen und erst recht nicht auf die allgemeine Bevölkerung.

Leider unterbricht er mich jedes Mal, wenn ich versuche, das Thema zur Sprache zu bringen, und sagt mir, er wolle heute Abend nicht übers Geschäft reden. Er will auch nicht über Vampire nachdenken, über das Konsortium oder über irgendwelche Projekte. Heute Abend will er Zeit mit einem hübschen Mädchen verbringen und alles genießen, was Vegas zu bieten hat.

Also tue ich mein Bestes, um mich zu amüsieren.

Ich versuche, mir in Erinnerung zu rufen, dass die genau das ist, was ich wollte. Aber am Ende kann ich doch nur mit Mühe dem Gespräch folgen. Und als wir wieder zu unserem Hotel zurückfahren, sehe ich Magnus an, dass er denkt, dass irgendetwas nicht stimmt.

Wir stehen vor dem Zimmer und er holt eine Schlüsselkarte heraus, gibt sie mir und fordert mich auf, die Tür zu öffnen. Nach dem ängstlichen Ausdruck auf seinem Gesicht zu schließen, bekomme ich das Gefühl, dass auf der anderen Seite der Tür etwas Besonderes wartet, und mein Herz beginnt zu flattern, als ich die Karte in das Lesegerät schiebe und in das Zimmer trete. Ich frage mich, was um alles in der Welt das sein könnte.

Das Erste, was mir auffällt, sind die vielen Kerzen, die auf jeder verfügbaren Oberfläche stehen und dem Raum einen warmen goldenen Schimmer verleihen; zugleich verströmen sie einen süßen Duft. Dann findet mein Blick die Spur aus rosafarbenen Rosenblättern, die zu dem Riesenbett führt. Auf dem mit einem weißen Tuch bedeckten Nachttisch steht eine Flasche Champagner - Cristal - auf Eis, zusammen mit zwei siIbernen Champagnerflöten - eine Verführungsszene wie aus einem Hollywood-Film. Aber ich nehme an, es ist nicht Sex, was Magnus vorschwebt. Zumindest nicht nur Sex...

Als ich in den Raum starre, zu schockiert, um mich zu bewegen, tritt der Vampir neben mich und legt mir eine Hand um die Taille. Mein Körper zuckt bei der unerwarteten Berührung zusammen. »Gefällt es dir?«, flüstert er mir ins Ohr.

Ob es mir gefällt? Früher einmal hätte ich gedacht, ich sei gestorben und in den Himmel gekommen, wenn ich ein solches Liebesnest gesehen hätte, geschaffen von meinem vielbeschäftigten Freund. Damals hatte er zu viel um die Ohren, um jemals etwas so Romantisches zu tun. Jetzt, so wird mir klar, hat er wegen Raynes und meiner Taten nichts Besseres zu tun, als seine Existenz mit dem Versuch zuzubringen, mir ein Lächeln zu entlocken.

Und ich müsste eigentlich lächeln. Ich müsste begeistert sein. Stattdessen empfinde ich nur Grauen.

»Wow«, murmle ich und zwinge meine Füße, weiter in den Raum hineinzugehen, sodass ich seiner zarten Berührung entfliehen kann. »Es ist wirklich schön. Und so... unerwartet.«

Er tritt hinter mich und legt mir abermals die Arme um die Taille, dann zieht er mich dicht an sich und schmiegt den Kopf an meinen Rücken.

»Ich wollte dich überraschen«, sagt er und streicht mit sanften Fingern über meinen Bauch, woraufhin mein PulsSprünge macht wie eine verängstigte Katze. »Und ich wollte sichergehen, dass die heutige Nacht etwas Besonderes für dich wird.«

»Es ist … ganz besonders«, stammle ich und atme scharf ein. Kann er hören, dass mir das Herz bis zum Hals schlägt. Ich bin mir fast sicher, dass es die leise Jazz-Musik übertönt, die aus versteckten Lautsprechern weht.

Er streicht mir die Haare zur Seite und presst seine Lippen auf meinen Nacken. Ich schaudere bei dem leichten Kratzen von Reißzähnen auf meiner zarten Haut. »Ich will dich nur glücklich machen«, murmelt er. »Für den Rest deines un-sterblichen Lebens. Das...«, fügt er hinzu, dreht mich zu sich herum und nimmt meine Hände, »...heute Nacht anfängt.«

Ich springe zurück, aufgeschreckt aus meiner Trance. Bei meiner Reaktion legt er die Stirn in Falten. »Was ist los?«

»Sieh mal, Magnus«, erwidere ich und versuche, die Fassung zu wahren. »Ich dachte, wir haben beschlossen zu warten.«

Sein Lächeln wird zittrig und ein Schatten gleitet über sein Gesicht. »Ja, und zwar nur, damit es für dich etwas Besonderes wird«, ruft er mir ins Gedächtnis. Er deutet auf den romantischen Raum. »Und wie du siehst, habe ich mein Bestes getan, um das zu versuchen...«

Oh Gott. Das ist nicht gut. Mein Herz hämmert jetzt mit der Wucht eines Vorschlaghammers und ich weiß nicht, was ich tun soll. Mir sind die Ausreden ausgegangen und offensichtlich auch die Zeit. Wenn ich jetzt Nein sage, wird er wütend sein. Ich werde meine einzige Chance verpassen, Lucifent aufzuhalten. Aber wenn ich Ja sage, so wird mir klar, sind die Konsequenzen noch viel schlimmer.

»Magnus, ich weiß nicht«, sage ich ausweichend. »Ich meine, es ist gerade so viel los. Sollten wir uns nicht auf Lucifents Präsentation für Pyrus konzentrieren?«

Magnus verengt die Augen zu Schlitzen. Er lässt meine Hände los und geht zum Bett hinüber. Mit einer wütenden Geste fegt er die Rosenblätter von der Decke und setzt sich.

»Du scheinst dir ja schreckliche Sorgen um Lucifent zu machen« erklärt er leicht verärgert.

»Tatsächlich hast du, seit wir hier sind, die ganze Zeit nur über ihn geredet.« Er sieht auf und seine Augen sind rot gerändert. »Gibt es da etwas, das du vor mir verheimlichst?«

Ich setze mich neben ihn aufs Bett und nehme seine Hand. »Es tut mir leid«, sage ich. »Es ist nur so, dass ich andauernd an die Schlacht zwischen Slayer Inc. und dem Konsortium denken muss.«

Er drückt meine Hand und seine Miene wird weicher. »Schätzchen«, beginnt er, »du musst aufhören, dir deswegen Sorgen zu machen.

Lucifent hat alles unter Kontrolle.« Er zieht meine Hand an seine Lippen und beginnt, mein Handgelenk zu küssen.

Ich entziehe ihm meinen Arm. »Ja, ich weiß. Das ist ja das Problem.«

Magnus legt fragend den Kopf schräg. »Wie meinst du das?«

»Ich meine, hältst du es wirklich für eine gute Idee, Slayer Inc. zu vernichten?«, frage ich und suche in seinem Gesicht nach einer Antwort.

»Schließlich überwachen sie seit Jahrhunderten die Vampire und haben dafür gesorgt, dass die Dinge im Lot bleiben. Dass ein Gleichgewicht herrscht. Wenn man das beendet, fallen schlagartig alle Sicherheitsmaßnahmen weg, die getroffen wurden. Und dann gibt es nichts mehr, das beispielsweise einen bösen Diktator davon abhält, die menschliche Gattung auszulöschen.«

Ich hole tief Luft und wage es weiterzusprechen.

»Schau mal, Magnus, ich weiß, dass Pyrus dein Oberguru ist und so. Aber hast du dir seine Politik mal näher angesehen? Denkst du wirklich, er ist der Anführer, den das Konsortium braucht, um die Vampire durch das Jahrtausend zu führen?«

Magnus knirscht mit den Zähnen. »Sunny, das ist alles neu für dich. Und ich weiß es zu schätzen, dass du dich für unsere Politik interessierst. Aber Liebste, du hast keine Ahnung, wovon du redest, wenn es um Pyrus geht.«

»Ich weiß auf jeden Fall mehr als du. Du weißt ja nicht einmal, was Projekt Z ist!«, platze ich heraus, bevor ich mich bremsen kann. Aber er muss mich ernst nehmen.

Er zieht eine Augenbraue hoch. »Und ich nehme an, du weißt es.«

»Ja. Ich weiß tatsächlich eine Menge Dinge«, antworte ich. »Und du musst mir zuhören. Wenn du dich nicht in die Ereignisse einmischst, wird das gewaltige Konsequenzen haben!«

Magnus erhebt sich vom Bett und tritt ans Fenster. Er starrt auf den Strip von Vegas hinunter, der schimmert und glänzt in seinem vielfarbigen Leuchten. Ich frage mich, ob man sich die Mühe machen wird, die Lichter anzulassen, wenn Vampire die Welt regieren und Zombies durch die Straßen streifen.

»Du musst aufpassen, was du sagst«, erklärt er schließlich, wobei er immer noch in die Nacht hinausstarrt. »Vor allem, was Pyrus betrifft. Es könnte als Hochverrat betrachtet werden, wenn dich jemand solche Worte sagen hört. Sie könnten deine Mitgliedschaft aufheben und das bedeutet, dass wir niemals verbunden werden können ...« Seine Stimme erstirbt, dann dreht er sich zu mir um und seine Augen bohren sich in die meinen. »Aber vielleicht ist das ja dein Plan«, schlussfolgert er laut. »Vielleicht ist das der Grund, warum du so zögerst, dich mir anzuschließen. Du bist nur als Spionin hier. Um mich zu umgarnen, damit ich etwas für dich empfinde und dich in meine Welt lasse...«

Mir bricht das Herz, als ich die Verletztheit in seiner Stimme höre. »Magnus...«

»Das ist es, nicht wahr?«, fragt er scharf. »Du bist eine Spionin für Slayer Inc. Oder für jemand anderen. Du wolltest nie mit mir zusammen sein.

Das ist alles nur Täuschung.«

»So ist es nicht«, antworte ich bestimmt. »Du verstehst nicht.«

»Dann sorg dafür, dass ich dich verstehe«, ruft er gequält. »Sorg dafür, dass ich verstehe, warum du manchmal so heiß und dann wieder so kalt bist. Warum du einmal in meinen Armen dahin-schmilzt und dich dann wieder zurückziehst.« Er stürmt auf mich zu und nimmt meine Hände mit einem verzweifelten Ausdruck in den Augen.

»Bitte«, fleht er und lässt sich auf die Knie sinken. »Was verschweigst du mir?«

Schließlich kann ich nicht mehr anders. Und so erzähle ich es ihm. Alles. Über die Zeitreise. Über unsere frühere Beziehung und dass ich Sunny bin. Was Rayne und ich diesmal zu tun versucht haben. Während ich spreche, umklammert er meine Hand so fest, dass ich mich frage, ob er mir die Knochen brechen wird. Aber ich kann die Wahrheit, die aus mir heraussprudelt, nicht aufhalten.

»Projekt Z steht für Zombies«, beende ich meinen Bericht schließlich. »Und wenn es Lucifent erlaubt wird, sie Pyrus zu präsentieren, können wir uns genauso gut gleich von der menschlichen Gattung verabschieden.«

Magnus erhebt sich und starrt mich an, als wäre ich wahnsinnig. »Zeitreise?«, wiederholt er.

»Zombies? Du hast wirklich den Verstand verloren.«

»Aber ich sage die Wahrheit«, beharre ich und wünsche mir so sehr, ich hätte von Anfang an die Wahrheit gesagt. Dann wäre ich vielleicht, aber nur vielleicht, nicht in diesem Schlamassel. »Die Zombies sind unterwegs. Wir dürfen keine Zeit verlieren. Wir müssen Lucifent daran hindern, sie zu Pyrus zu bringen ... mit allen Mitteln.«

Magnus bleibt wie angewurzelt stehen. »Was sagst du da?«, fragt er mit kalter Stimme. »Du willst, dass ich meinen eigenen Schöpfer töte?«

Ich hole einmal tief Luft und verdränge den hysterischen Ton aus meiner Stimme, denn ich weiß, dass das meiner Sache nur schaden wird.

»Ja«, sage ich langsam. »Wenn er nicht zur Vernunft kommt.«

»Dann bist du genauso schlimm wie Slayer Inc.«

»Aber Slayer Inc. hatte recht!«, protestiere ich und habe dabei das Gefühl, als würde ich die Schlacht verlieren. Was soll ich sagen, um ihn dazu zu bringen, dass er mir glaubt? »Zu der Zeit wusste ich das nicht - ich dachte, Lucifent sei unschuldig, genau wie du. Aber jetzt weiß ich, dass das nicht so ist. Und er muss aufgehalten werden. Das Schicksal der Welt hängt davon ab, siehst du das denn nicht?«

»Ich sehe nur eine Lügnerin und eine Feindin des Zirkels«, knurrt der Vampir. »Eine Schlange, die sich in unsere Mine geschlichen hat in dem jämmerlichen Versuch, uns von innen heraus zu zerstören.« Er funkelt mich mit Hass in den Augen an »Du weißt nichts über Lucifent oder Pyrus oder irgendwelche anderen Vampire. Und wenn du denkst, ich würde dir deine wilden Geschichten glauben - nun, dann weißt du auch nichts über mich!« Er packt die Champagner-flasche und schleudert sie an die Wand. Sie zerbirst in tausend Stücke, Alkohol spritzt überallhin.

»Magnus!«, flehe ich, während mir die Tränen über die Wangen strömen. »Bitte. Hör mir doch zu. Ich schwöre, ich sage dir die Wahrheit! Frag sie einfach! Frag sie einfach nach Projekt Z!«

Aber er ist schon an seinem Telefon, um die Wachen zu alarmieren, damit sie mich wegbringen.