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Die Portland war eine halbe Stunde davon
entfernt, mit der Oregon
zusammenzutreffen, und rauschte um eine Insel herum, um Kurs auf
den Fjord zu nehmen. Aber Tate dachte in diesem Moment nur daran,
dass er noch nichts von Ballard gehört hatte. Sie hätte sich
eigentlich melden sollen, nachdem sie das Kommando auf der
Deepwater übernommen hatte, aber
bisher war keine Nachricht von ihr gekommen.
»Ruf noch einmal ihr Funkgerät«, befahl er
Farouk.
Farouk versuchte es, schüttelte jedoch nach
einigen Sekunden den Kopf. »Keine Reaktion.«
Tate überlegte, welchen Grund das haben
könnte. »Hat sie vielleicht ihr Funkgerät ausgeschaltet?«
»Schon möglich«, sagte Farouk, »aber den
Hubschrauber kann ich auch nicht erreichen.«
Tate gefiel es zwar nicht, doch er durfte
sich dadurch nicht ablenken lassen. Er musste Vorbereitungen für
den Angriff auf die Oregon
treffen. »Hast du die Änderungen an den Torpedo-Lenksystemen
vorgenommen?«
Farouk nickte. »Sie werden jetzt nur noch
per Draht gesteuert.«
»Ich möchte den Sonar-Disruptor gegen die
Mannschaft der Oregon
einsetzen.«
»Er schien doch auf das Schiff keine Wirkung
zu haben, als wir sie das letzte Mal gesehen haben. Sie müssen
irgendeine Art von Abwehr entwickelt haben.«
»Das weiß ich auch!«, stieß Tate wütend
hervor. »Ich richte ihn aber auf jedes Rettungsboot, das die Flucht
ergreift, nachdem wir sie versenkt haben. Ich will sie leiden
sehen.«
»Das ist eine gute Idee. Ich bezweifle, dass
sie ihre Gegenmaßnahme, wie immer sie aussehen mag, auf kleinen
Booten installiert haben.« Farouk reckte plötzlich einen Finger
hoch und presste die andere Hand auf die Hörmuschel seines
Headsets. »Ich erhalte soeben einen Ruf von Ballards
Funkgerät.«
Tate sprang aus seinem Sessel hoch und
spürte, wie ihm ein Stein vom Herzen fiel. »Schalten Sie sie
durch.«
»Sie sind verbunden.«
Die Stimme einer Frau drang aus dem
Lautsprecher. Das war aber nicht Catherine Ballard.
»Zachariah Tate?«, fragte sie.
»Wer ist da?«, wollte Tate wissen. Sein Herz
klopfte wie wild. »Wo ist Catherine?«
»Das wird Ihnen gleich jemand anders
erklären.«
Eine kurze Pause setzte ein, dann sprach
eine vertraute Stimme.
»Es ist Ihre Schuld, dass ich auf diese
Weise Verbindung mit Ihnen aufnehmen muss, Tate«, sagte Juan
Cabrillo und löste bei Tate einen Schock aus. »Sie haben meine
Anrufe nicht beantwortet.«
Für einen kurzen Moment verschlug es Tate
die Sprache.
»Ich wette, Sie sind überrascht, von mir zu
hören«, fuhr Cabrillo fort.
Schließlich fand Tate seine Stimme wieder.
»Sie können nicht auf der Deepwater sein.«
»Das bin ich auch nicht, obwohl es
eigentlich ganz amüsant wäre, Sie in diesem Glauben zu lassen.
Nein, ich habe mich von Linda mithilfe des Funkgeräts Ihrer
Freundin durchstellen lassen, weil sie es im Augenblick nicht
benutzt. Linda sagte mir, Sie hätten sie die ganze Zeit mit
Versuchen belästigt, Ballard zu erreichen.«
»Wo ist sie?«, knurrte Tate.
»Ballard? Sie ist tot. Nicht dass ich mir
das gewünscht hätte, aber sie hat versucht, meine Leute zu töten,
darum war es gerechtfertigt.«
»Ich glaube Ihnen nicht.«
»Gut, aber das ist reines Wunschdenken
Ihrerseits. Könnte ich mich denn mit Ihnen über ihr Funkgerät
unterhalten, wenn sie noch am Leben wäre?«
Auch wenn Tate Cabrillos selbstgerechte
Miene nicht sehen konnte, fiel es ihm nicht schwer, sie sich
vorzustellen. Dieses Bild in seinem Kopf machte ihn rasend.
»Ich töte Sie!«
»Das sagen Sie schon die ganze Zeit, aber
bis jetzt ist es nicht geschehen. Und ich glaube auch nicht, dass
es jemals geschehen wird. Allerdings bin ich mir sicher, dass Sie
das weiterhin versuchen werden …«
»Ich bin gerade auf dem Weg zur Oregon «, sagte Tate. »Die Wuzong hat mir Ihre Position
übermittelt.«
»Ist das der Name des chinesischen U-Boots,
das nun in vierhundert Fuß Wassertiefe in zwei Hälften zerbrochen
auf dem Meeresgrund liegt?«
»Sie können Ihre kleinen Spielchen ruhig
weitertreiben«, sagte Tate, »aber ich bin hinter Ihnen her, und
nichts kann mich davon abhalten, die Oregon zu versenken.«
»Aber Sie haben dieses ›kleine Spielchen‹,
wie Sie es nennen, doch begonnen. Und ich werde es beenden. Kommen
Sie und holen Sie mich, Tate.«
Die Verbindung brach abrupt ab.
Tate stieß einen urtümlichen Schrei aus und
trat gegen seinen Sessel, bis ihn die Schmerzen in seinem Fuß
innehalten ließen.
Farouk räusperte sich. »Commander, dies hier
sollten Sie sich ansehen. Es ist eine Liveaufnahme von dem Fjord,
in dem sich die Oregon
versteckt.« Er deutete mit einem Kopfnicken auf den
Hauptbildschirm.
Es war das Video der Webkamera bei der
Pinguin-Kolonie. Hinter den Vögeln, die zwischen faul
herumliegenden Seelöwen umherwatschelten, trieb die Oregon in Sicht. Sie hatte schwere
Schlagseite und manövrierte sich soeben in eine Position, sodass
ihr Bug sich auf das Ende des Fjords ausrichtete, wo die
Portland erscheinen würde. Rauch
stieg aus dem Deckaufbau auf und verschwand in einer tief hängenden
Wolkendecke.
Tate richtete seine Aufmerksamkeit auf den
Bildschirm und sagte zu Farouk: »Wir brauchen uns noch nicht einmal
zu zeigen. Kannst du dieses Bild benutzen, um die Torpedos zu
lenken?«
Farouk nickte. »Das sollte kein Problem
sein. Aber ich möchte lieber nicht versuchen, sie durch enge Kurven
zu steuern.«
»Behalt die Webkamera im Auge und sorg
dafür, dass sie sich nicht vom Fleck rühren.« Tate warf einen Blick
auf die Karte. »Sobald wir das Ende des Fjords erreicht haben,
schicken wir von hinter den Klippen einige Torpedos auf die Reise.
Cabrillo wird nicht einmal ahnen, was da auf ihn zukommt.«
Tate dachte an das Versprechen, das er
Ballard gegeben hatte. Sie würde die letzten Momente der
Oregon zwar nicht verfolgen
können. Aber er würde das tun. Und dann würde er Jagd auf die
Deepwater machen, um sie zu
rächen.