36
MONTEVIDEO
Die schalldichte Kammer in der Portland war eine der wenigen Einrichtungen,
die sie nicht mit der Oregon
gemein hatte. Der Raum war konstruiert und gebaut worden, um die
Wirkung des Sonar-Disruptors zu testen, ohne die Mannschaft in
Mitleidenschaft zu ziehen. Jetzt, sechsunddreißig Stunden nach dem
erfolglosen Angriff auf die Oregon , wurde sie wieder aktiviert, diesmal
jedoch an zwei Männern. Heute wurde sie benutzt, um zu bestrafen.
Jeder der beiden Männer steckte in einer Zwangsjacke.
Aus dem Beobachtungsraum verfolgte Tate, wie
die Männer, die an Stühle gefesselt waren, wilde Verrenkungen
machten, um sich von den Fesseln zu befreien. Die Kameras lieferten
eine Totale von dem Raum und zugleich Nahaufnahmen von Abdel
Farouks und Li Quons Gesichtern. Beide wurden durch die grässlichen
Visionen, der der Disruptor in ihren Köpfen erzeugte, in namenlosen
Schrecken versetzt.
Tate wandte sich an den Techniker und
fragte: »Wie lange wird es dauern, bis sie psychisch
zusammenbrechen?«
»Schwer zu sagen«, erwiderte der Mann. »Es
könnte innerhalb von zehn Minuten passieren. Aber jetzt sind sie
schon seit zwanzig Minuten dort drin.«
Die Unfähigkeit, sich gegen Visionen zur
Wehr zu setzen, war eine schreckliche Qual. Die Belastbarkeit eines
Menschen hatte enge Grenzen, und der Zusammenbruch der Probanden
konnte jeden Moment stattfinden.
»Schalte ihn aus«, sagte Tate.
Der Techniker betätigte den Abbruch -Knopf, und die Wirkung des Disruptors
ließ augenblicklich nach. Farouk und Li, die heftig schwitzten,
sackten, von den Qualen erschöpft, auf ihren Stühlen
zusammen.
Tate schaltete die Sprechanlage ein. »Ich
hoffe, wir alle haben aus diesem Beispiel etwas gelernt. Ein
Versagen wird innerhalb dieser Mannschaft nicht geduldet. Ihr seid
für die Oregon zuständig gewesen,
und ihr habt zugelassen, dass sie entkommen konnte. Ich denke, dass
ihr bei zukünftigen Operationen keinen solchen Mist mehr bauen
werdet.«
Beide Männer schüttelten heftig die
Köpfe.
»Das freut mich zu hören …
beziehungsweise zu sehen. Ihr beide seid für das Team wertvoll,
aber Strafen sind eine unangenehme und durch nichts zu ersetzende
Notwendigkeit, wenn ihr das Team im Stich lasst.« Er gab dem
Techniker ein Zeichen. »Geh hinein und binde sie los.«
Der Techniker verließ den Raum und begab
sich in die schalldichte Zelle, um die Männer aus den Zwangsjacken
zu befreien. Tate schaltete die Kameraübertragung aus.
Er hätte die beiden töten können – und
hatte es eigentlich auch tun wollen –, aber sie verfügten über
Fertigkeiten, die nicht allzu häufig anzutreffen waren. Außerdem
hatte es wenig Sinn, die Anzahl der Mitglieder seines Teams zu
verringern. Nun hatten sie die Botschaft verstanden – und die
restlichen Männer sicherlich ebenfalls. Der Video-Stream von der
Strafaktion war in das gesamte Schiff gesendet worden, um jedermann
daran zu erinnern, dass von ihm stets Höchstleistung erwartet
wurde.
Als er den Beobachtungsraum verließ, wurde
er von Catherine Ballard erwartet, deren Miene einen besorgten
Ausdruck hatte, während sie zu ihrer gemeinsamen Kabine
zurückkehrten.
»Hat dir die Show nicht gefallen?«
Ballard nickte heftig. »Doch, doch. Sie war
sehr eindrucksvoll.«
»Was stört dich dann?«
»Wir haben soeben von unserem Kontaktmann
beim argentinischen Militär eine Nachricht erhalten. Juan Cabrillo
konnte fliehen.«
Tate blieb sofort stehen. »Wie bitte?«
»Der Konvoi, der ihn befördert hatte, wurde
angegriffen.«
»Und das konnten wir erst jetzt
feststellen?«
»Es kam in den Nachrichten, wurde jedoch als
terroristisches Attentat dargestellt. Drei Fahrzeuge sind zerstört
worden, darunter war auch das, das den Überfall ausführte. Zuerst
nahmen sie an, dass Cabrillo den Tod gefunden hatte, als das
Angriffsfahrzeug explodierte, mussten später jedoch feststellen,
dass es leer gewesen war. Die Ermittler fanden keine
Leichen.«
»Ich hatte Sánchez gewarnt, auf so etwas
vorbereitet zu sein«, schimpfte Tate wutschnaubend, während sie
weitergingen. »Dafür könnte ich ihn umbringen.«
»Zu spät«, sagte Ballard. »Er wurde im Wrack
seines SUV gefunden, durchbohrt von
einem Scheibenwischer.«
»Das war die Strafe für sein Versagen. Aber
wenn Juan gar nicht in dem Fahrzeug saß, wie konnte er dann
entkommen?«
»Zeugen berichteten von einem Hubschrauber,
der von dem Ort des Geschehens startete. Man nahm an, es sei ein
medizinischer Rettungsflug.«
Tate stürmte in die Kabine und ließ sich
aufs Sofa fallen, um nachzudenken. Ballard folgte ihm und schloss
die Tür hinter sich.
»Was tun wir jetzt?«, fragte sie. »Bisher
ist es uns nicht gelungen, die augenblickliche Position der
Oregon zu bestimmen.«
»Hätten wir gewusst, dass sie die Absicht
hatten, Juan zu befreien, hätten wir sie vor zwei Tagen abfangen
können«, sagte Tate und schlug mit geballter Faust in ein
Sofakissen. »Vielleicht hätte ich Farouk und Li in dieser Zelle
schmoren lassen sollen, bis ihre Gehirne sich in Wackelpudding
verwandelten.«
Ballard sah ihn an, als wollte sie etwas
sagen, zögerte jedoch.
»Was ist?«, fragte Tate.
»Du hast Cabrillo gegenüber Algodoal
erwähnt. Nun wird er wissen, in welcher Region er die Kansas City suchen muss.«
Tate richtete sich kerzengerade auf, als ihm
klar wurde, was dies für ihn bedeutete. »Meinst du, dass er das
U-Boot suchen wird?«
»Möglich wäre es. Wenn er Jiménez findet,
und der lebt noch …«, sagte sie, und ihre Stimme versiegte,
als sie sich die Folgen vorstellte.
»Sie können doch da unten in dieser
Blechbüchse unmöglich noch am Leben sein.«
»Wollen wir das Risiko eingehen?«
»Wenn er wirklich dorthin will, hat die
Oregon einen Vorsprung von fast
zwei Tagen. Wir werden sie niemals rechtzeitig einholen.«
»Vielleicht brauchen wir das gar nicht. Was
wäre, wenn wir die Position des U-Boots enthüllen, ehe sie dort
eintreffen?«
»Dann wird die U. S. Navy die Seeleute
retten, wenn sie noch am Leben sind.«
»Aber Cabrillo wird nicht mehr an sie
herankommen. Was ihn betrifft, so könnten sie genauso gut auf dem
Mars sein.«
Tate nickte und lächelte. »Siehst du?
Deshalb habe ich mich in dich verliebt. Weil du immer
vorausschauend denkst.«
»Sollen wir die Navy benachrichtigen?«
»Nein, ich habe eine bessere Idee. Wir beide
fliegen dorthin, mieten einen Hubschrauber und werfen den
SEPIRB dort ab, wo die KC liegt. Das lockt jedes Kriegsschiff in
dieser Gegend an. Und die Oregon
wird nicht einmal auf Sichtweite an die KC herankommen.«
»Machen wir das selbst?«, fragte
Ballard.
»Ich schicke Farouk und Li, aber auf jeden
Fall müssen sie überwacht werden. Außerdem müssen wir in dieser
Region noch etwas anderes erledigen. Das Wichtigste ist zu
verhindern, dass Juan die Bremen
findet. Da Jiménez weiß, wo sie liegt, könnte auch jemand anderer
sie orten. Wir beide müssen zuerst dort sein, um sie als Erste zu
finden und ein für alle Mal zu vernichten.«
Sie hatten einige Hinweise über die Position
des deutschen U-Boots gefunden, aber Tate hatte angenommen, die
brasilianischen Cousins zu töten, die ursprünglich darauf gestoßen
waren, würde das Problem aus der Welt schaffen. Nun begriff er,
dass er es spurlos vernichten musste.
Ballard erwiderte sein Lächeln. »Dorthin
zurückkehren und die Quelle des Sonar-Disruptors ausradieren? Das
gefällt mir.«
»Sobald dies erledigt wurde, können wir alle
Energie und Zeit darauf verwenden, Juan und sein Schiff zu
vernichten.«
Nun entwickelten sich die Grundzüge eines
Plans, die Oregon in einen
Hinterhalt zu locken, in Tates Kopf. Aber diesmal wollte er dafür
sorgen, dass die Chancen für ihn überwältigend gut standen. Während
des Flugs nach Nordbrasilien würde er seinen Freund in der
chinesischen Kriegsmarine anrufen. Sein Kontaktmann wollte um jeden
Preis die Pläne für den Sonar-Disruptor in die Hände bekommen,
nachdem er hatte mit ansehen können, was Tate mit der Kansas City gemacht hatte. Anstatt ihn mit
einem Geldbetrag fürstlich zu entlohnen, würde Tate ihn bitten, ihm
beim Versenken der Oregon
behilflich zu sein.