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Zachariah Tate verfolgte den Video-Stream der Taucherglocke aus dem Deceiver, dem Mini-U-Boot der Portland . Wie der Gator der Oregon konnte es für längere Zeit allein mit seinen Batterien unter Wasser operieren, jedoch auch, angetrieben von zwei Dieselmotoren, mit hoher Geschwindigkeit weite Strecken in Überwasserfahrt zurücklegen. Sie waren nur einhundert Meter von der Taucherglocke entfernt in Stellung gegangen.
Tate konnte die Markierungsboje durch die leistungsstarke, an Bord der Portland installierte Telekamera beobachten. Juan Cabrillos planerische Fähigkeiten hatten im Laufe der Jahre nicht gelitten, wie er feststellen durfte. Der Fallschirmabsprung zur Taucherglocke mochte ein cleverer Schachzug sein, aber er würde Cabrillo nichts nützen, wenn er Overholt nicht aus seinem Gefängnis befreien konnte. Natürlich dürfte Tates ehemaliger CIA -Kollege erwartet haben, dass die Einstiegsluke zugeschweißt worden war, deshalb enthielt der Sack, mit dem er abgesprungen war, vermutlich einen kleinen Schneidbrenner oder irgendein anderes Werkzeug zum Öffnen der Luke.
Mittels der perfekt getarnten Außenkameras sah er, wie Cabrillo zu der Kapsel hinabtauchte. Er klemmte irgendetwas an das Kabel, das zur Wasseroberfläche führte. Tate tippte auf so etwas wie einen Signalunterbrecher für den Kamera-Stream zur Markierungsboje. Und tatsächlich, Sekunden später wurden die Feeds der Außen- und der Innenkameras auf Endlosschleifen-Modus geschaltet. Kurz danach konnte Tate auf dem Monitor sehen, wie Cabrillo wieder zur Taucherglocke hinabstieg. Overholt saß immer noch darin und wartete.
»Nehmen Sie Kurs auf die Taucherglocke«, befahl Tate dem Piloten des Deceivers. »Offenbar hält sich in der Nähe ein U-Boot bereit, um ihn aufzugreifen.«
»Aye, Commander.«
Der Deceiver war mit Minitorpedos bestückt. Tate würde das U-Boot zerstören, ehe Cabrillo und Overholt einsteigen konnten, und damit jede Chance auf ihre Rettung zunichte machen.
Ehe der Deceiver die Hälfte des Weges zurückgelegt hatte, hielt der Video-Feed von der Portland eine Überraschung für ihn bereit. Cabrillo war aufgetaucht. Und er hatte Overholt unter den Armen gefasst.
»Ein RHIB nähert sich der Boje«, meldete Catherine Ballard über Funk. Sie verfolgte das Geschehen aus dem Operationszentrum der Portland . »Aber ich kann keinen Insassen sehen.«
»Offenbar wird das Boot ferngesteuert«, vermutete Tate. »So hat er sich also seine Flucht vorgestellt!« Er fuhr zum Piloten des Deceivers herum. »Tauchen Sie auf, und fangen Sie es ab!«
Das RHIB machte zwar rasante Fahrt, aber Cabrillo und Overholt würden einige Zeit brauchen, um hineinzuklettern, sobald es anhielt. Sekunden später wäre der Deceiver zur Stelle. Er hätte jede Menge Zeit, das RHIB lahmzulegen und beide in seine Gewalt zu bringen.
Das Tauchboot schoss aus dem Wasser, und der Pilot startete die Dieselmotoren. Der Deceiver machte einen Satz vorwärts.
Das RHIB raste auf die schwimmenden Männer zu, wurde jedoch nicht langsamer. Bei dieser Geschwindigkeit würde es die beiden um ein Beträchtliches überholen. War es ein Defekt der Fernsteuerung, fragte sich Tate. Doch er verwarf diese Möglichkeit sofort wieder. Cabrillo würden niemals solche Fehler unterlaufen.
Dann bemerkte er eine dünne Nylonschnur, die sich hinter dem RHIB übers Wasser spannte. Das Boot zog ein Boogie Board.
»Schneller!«, brüllte Tate.
Sie hatten erst die halbe Strecke zurückgelegt, als der Motor des RHIB stoppte. Das Boogie Board hüpfte an Cabrillo vorbei, der die Leine auffing und einholte. Er hängte das Fallschirmgeschirr an das Brett und streckte sich rücklings darauf aus, mit Overholt in den Armen. Dann startete das RHIB wieder durch und nahm Cabrillo und Overholt in den Schlepp.
Tate sprang im Cockpit auf und schob die Gashebel bis an den Anschlag. Gleichzeitig sah er den Piloten drohend an. »Wenn Sie die beiden entkommen lassen, sind Sie ein toter Mann!«
* * *
Eddie und Linc schwebten unter der Einstiegsluke der Taucherglocke, während sie eine zu einer dünnen Walze zurechtgeknetete Portion Plastiksprengstoff auf die Schweißnaht pressten. Sie hatten von Anfang an damit gerechnet, dass die Luke verschlossen, verkeilt oder zugeschweißt worden war, und die entsprechende Ausrüstung mitgenommen.
Während Linc die C4-Wurst in die Rahmenfuge drückte, kehrte Eddie zum Fenster der Kapsel zurück und hielt eine weitere Tafel hoch.
Weg von der Luke und Augen bedecken.
Overholt nickte und hob die Hände, um sein Gesicht zu schützen.
Linc erwartete seinen Partner neben der Taucherglocke. Er hatte den Zünder in der Hand, dessen Drähte sich zu der Sprengladung schlängelten.
»Bereit?«, fragte Eddie.
Linc nickte.
»Dann gib’s ihm.«
Linc drückte auf den Knopf, und ein lautes Rumpeln pflanzte sich durch das Wasser fort und erschütterte die Taucherglocke. Eddie sah durchs Fenster eine Rauchwolke von der aufgesprengten Luke aufsteigen, aber es drang kein Wasser ein, weil der Luftdruck innerhalb der Glocke dem Wasserdruck außerhalb entsprach.
Als sie zum Boden der Kapsel hinabtauchten, sahen sie die Luke auf dem Meeresgrund liegen. An ihrer Stelle klaffte im Boden der Taucherglocke ein Loch mit ausgefranstem Rand.
Mit der Schnorchelmaske, die Linc ihm reichte, schwamm Eddie durch die Öffnung. In der Taucherglocke nahm er seinen Regulator aus dem Mund.
»Mr. Overholt, uns bleibt nicht viel Zeit. Sobald Tate herausfindet, dass der Chairman eine Puppe im Arm hält, sprengt er dieses Ding.«
»Sagen Sie mir nur, was ich tun soll«, erwiderte Overholt, ergriff die Maske und setzte sie auf.
»Ich weiß, dass Sie so etwas schon früher getan haben, daher dürfte es für Sie recht einfach sein. Sie benutzen meinen Reserveregulator, und Linc und ich halten sie an den Armen fest, während wir wegschwimmen. Wir versuchen gar nicht erst, in den Nomad einzusteigen. Wir halten uns am Verschlussrad der Luke fest, und Eric bringt uns so schnell wie möglich von hier weg.«
»Verstanden.« Overholt befreite sich schnell, aber ohne übertriebene Hast von einem Jackett und seiner Krawatte. Obgleich er erschöpft aussah, machte er einen absolut gelassenen Eindruck.
Die Lukenöffnung bot jeweils nur einer Person Platz, daher tauchte Eddie bloß so tief ins Wasser, wie die Länge seines Atemschlauchs es gestattete. Overholt tauchte mit den Füßen ins Wasser und ließ sich absinken. Seine Hose und sein Oberhemd wurden von der Luft, die sich darin gefangen hatte, aufgebläht.
Als er die Taucherglocke vollständig hinter sich gelassen hatte, fragte Eddie: »Ist alles okay bei Ihnen?«
Da Overholt keine Vollgesichtsmaske trug wie Eddie, konnte er nur mit dem Kopf nicken und mit der Hand das Okay-Zeichen geben.
Eddie fasste nach seinem linken Arm, Linc nahm den rechten, und sie strebten mit kraftvollen Beinschlägen zu dem wartenden Nomad hinüber.
»Eric, wir sind unterwegs«, meldete Eddie über ihren internen Sprechfunk.
»Ich gebe Gas, sobald ihr festen Halt habt«, antwortete Eric.
Eddie wusste, dass dies der kritische Teil der Mission war. Der Nomad war kein Rennboot. Sie konnten nur hoffen, dass der Chairman ihren Gegner lange genug aufhielt, sodass sie sich möglichst weit von der Taucherglocke entfernen konnten, ehe sie explodierte.
* * *
Das RHIB schlingerte hin und her, während es versuchte, dem Sturmgewehrfeuer auszuweichen, mit dem die Männer auf dem Deck des Deceivers es beharkten.
»Trefft auf keinen Fall Cabrillo oder Overholt!«, rief Tate ihnen zu.
Die Kugeln verfehlten das schnelle Boot, während es sich dem Wasserflugzeug näherte, das zur Landung ansetzte.
Tate hatte allmählich genug. Ihm war egal, dass helllichter Tag war und er sich in einem der betriebsamsten Häfen von Südamerika befand. Er angelte ein RPG -Rohr vom Waffenständer und kletterte selbst nach oben aufs Deck des Deceivers.
Damit legte er auf das RHIB an, zielte und drückte ab. Die mit einem Raketenantrieb versehene Granate raste über das Wasser und traf das RHIB genau in der Mitte. Es wurde in zwei Hälften gerissen und stoppte, nachdem es noch ein oder zwei Meter weitergetrieben war.
Der Pilot des Wasserflugzeugs musste das Gemetzel beobachtet haben. Denn er zog die Maschine sofort hoch und lenkte sie in einer engen Kurve vom Deceiver weg.
Cabrillo und Overholt schaukelten im Wasser und rührten sich nicht vom Fleck.
Tate warf das leere RPG -Rohr ins Hafenwasser, und der Deceiver ging neben den beiden Männern längsseits. Seine Mannschaft zog sie an Bord.
Cabrillo kam auf die Füße und spuckte einen Wasserschwall aus. »Ich kann nicht behaupten, dass ich mich freue, Sie wiederzusehen, Tate.«
»Sie hätten wissen müssen, dass es auf diese Weise enden würde«, erwiderte Tate mit einem herablassenden Lächeln.
»Das habe ich auch«, antwortete Cabrillo und lächelte ebenfalls.
Tate nahm diese seltsame Reaktion mit einem Stirnrunzeln zur Kenntnis, dann schaute er auf Overholt hinunter, der bäuchlings auf dem Deck des Mini-U-Boots lag.
»Was stimmt nicht mit ihm?«, fragte Tate. »Hat er Ihre ›Rettungsaktion‹ nicht überlebt?«
»Ganz und gar nicht. Er war niemals am Leben.«
Tate schaute genauer hin und erkannte, dass mit den Gliedmaßen des Mannes irgendetwas nicht so war, wie es sein sollte. Er zog an einem Arm, um Overholt umzudrehen, und stellte fest, dass er lediglich eine Puppe vor sich hatte, die im gleichen Anzug steckte und die gleiche Frisur hatte, wie er sie von dem CIA -Administrator kannte.
»Nein!« Mit einem Fußtritt beförderte er die Puppe vom Deck des Deceivers ins Wasser und starrte Cabrillo wütend an, während er seinen Männern befahl: »Schafft ihn hinein!«
Tate schlüpfte zuerst durch die Lukenöffnung und blickte sofort auf den Videoschirm, auf den die Bilder aus der Taucherglocke übertragen wurden. Er zeigte nicht mehr die Endlosschleife. Stattdessen konnte Tate innerhalb der Kapsel eine Rauchwolke sehen sowie den echten Langston Overholt, der soeben die Hände senkte, um auf einen Taucher hinunterzublicken, der durch die Bodenöffnung heraufkam.
Cabrillo landete neben Tate, von vier Waffen in Schach gehalten. Er warf einen Blick auf den Videoschirm und schüttelte den Kopf.
»Da ist er also«, stellte Cabrillo fest und spielte den Verärgerten. »Ich wusste doch, dass mit diesem anderen Typen irgendetwas nicht ganz koscher war.«
Die Luke wurde geschlossen, und Tate befahl: »Auf Tauchstation gehen und zur Portland zurückkehren!«
Er konzentrierte sich wieder auf den Monitor und sah, wie Overholt eine Tauchermaske aufsetzte. Tate klappte den Schutzbügel über dem Zündknopf der Sprengladungen hoch, die an der Taucherglocke befestigt waren.
Während er den Finger auf den Knopf legte, richtete er den Blick auf Cabrillo. Tate wollte seinen Gesichtsausdruck sehen, wenn er die Bomben zündete.
»Damit haben Sie Ihren Freund getötet.«
* * *
Eddie und Linc hatten Overholt fest im Griff und klammerten sich an den Nomad, während er sich mit stattlichen acht Knoten von der Taucherglocke entfernte. Die Bilder des Video-Feeds hatten mittlerweile eine Verzögerung von einer Minute, aber Eddie konnte nicht einschätzen, wie lange diese Täuschung sie schützen würde.
Die Antwort auf diese Frage enthielt er eine Sekunde später.
Eine Bugwelle aus Druck und Lärm schüttelte sie durch, während die Sprengladungen die Taucherglocke zerfetzten. Der Nomad bockte heftig, als er von der Welle getroffen wurde, und riss sich aus dem Griff der beiden los.
Gleichzeitig verloren sie Overholt.
Für Sekunden geriet Eddie ins Taumeln, und die Maske wurde von seinem Gesicht gefegt. Als sich die Schockwelle verlaufen hatte, orientierte er sich und ertastete den Atemschlauch, der mit einer Maske verbunden war. Mit geübtem Griff setzte er sie auf und blies das Wasser aus, um wieder atmen zu können.
Der Partnerschlauch tanzte vor seiner Nase, Luftblasen sprudelten aus dem defekten Regulator. Overholt hatte ihn nicht mehr im Mund.
Eddie löste die Stablampe, die an seinem Handgelenk baumelte, und leuchtete damit herum, bis er Linc entdeckte, der in wallenden Schlickwolken schwebend seine eigene Maske aufsetzte. Als er wieder atmete, machte er das Okay-Zeichen. Dann fiel auch ihm auf, dass keiner von ihnen Overholt in seiner Obhut hatte.
Sie suchten hektisch den Meeresboden nach ihm ab, aber erst als der Nomad wendete und seine starken Scheinwerfer das trübe Halbdunkel aufhellten, entdeckten sie Overholt, der in ihrer Nähe trieb, die Tauchermaske schief vor dem Gesicht.
Eddie ergriff seine Arme und zog ihn zu der offenen Luftschleuse des Nomads. Sie bot nur zwei Personen Platz, daher schloss Link die Luke hinter ihnen und harrte draußen aus, während Eddie Overholt festhielt und darauf wartete, dass das Wasser aus der Schleuse herausgedrückt wurde. Ob Overholt nur bewusstlos war oder doch tot, konnte Eddie in diesem Augenblick nicht feststellen.
Sobald sich die Luftschleuse geleert hatte, zog Eric Stone die innere Tür auf, und Eddie bettete Overholt auf den Boden.
»Oh, Mann«, war alles, was Eric hervorbrachte, ehe er die Luke schloss, um Linc hereinzulassen.
Eddie drehte Overholt auf den Rücken, um das Wasser aus seinem Hals abfließen zu lassen, dann fühlte er nach seinem Puls. Nichts. Er begann, Druck auf seinen Brustkorb auszuüben und achtete darauf, nicht zu stark zu pressen, damit er dem alten Mann keine Rippe brach.
Er zählte bis dreißig und prüfte den Puls erneut. Noch immer nichts.
Eddie legte Overholts Kopf in den Nacken, um die Luftröhre zu befreien, und führte zweimal eine Mund-zu-Mund-Beatmung aus. Dann setzte er die Herzmassage fort.
Nach fünf Pumpaktionen hustete Overholt. Er bäumte sich leicht auf, und Wasser strömte aus seinem Mund.
Eddie drehte ihn auf den Bauch, und jetzt sickerte noch mehr Wasser aus Overholts Lunge. Er erschauerte, als er versuchte, Luft in seine Lunge zu saugen, und schaffte schließlich einen ersten rasselnden Atemzug.
Die Luftschleuse drehte sich wieder, und Linc erschien, während Eddie Overholt dabei half, sich aufzurichten. Linc stieß einen erleichterten Seufzer aus und klopfte Eric auf die Schulter.
»Für einen Moment haben Sie uns echte Sorgen gemacht, Mr. Overholt«, sagte Eddie Seng.
Overholt hustete noch einmal, dann meinte er: »Ich hatte keinen Moment daran gezweifelt, dass es funktionieren würde … Wo ist Juan?«
Eddie sah Eric Stone fragend an. Dieser erwiderte: »Tiny hat sich aus dem Flugzeug gemeldet. Er berichtete, dass der Chairman von einem U-Boot aufgenommen wurde, das daraufhin von der Bildfläche verschwand.«
»Dann hat Tate ihn geschnappt«, sagte Overholt kopfschüttelnd. »Juan hat sich offenbar für mich geopfert.«
»Genau so, wie er es beabsichtigt hatte«, sagte Linc.
Overholt sah die drei Männer mit verwirrter Miene an. »Sie meinen, dass Juan dies so geplant hatte? Er wollte, dass sie ihn schnappen?«
Eddie nickte. »Um Tate zu täuschen, musste die Rettung wie minutiös geplant erscheinen, bis Sie ›starben‹. Alles verlief genauso, wie der Chairman es in groben Zügen vorgezeichnet hatte. Wir können nur hoffen, dass der restliche Teil des Plans genauso funktioniert.«