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VOR DER KÜSTE ARGENTINIENS
Tates aufreizendes Gesicht verschwand vom
Bildschirm. Es war Tates eigenes Gesicht, nicht das auf Tates
Gesicht aufgesetzte Gesicht Juan Cabrillos.
Juan machte einen tiefen Atemzug, um sich zu
sammeln, wandte sich dann zu Max um und fragte mit vollkommen
normaler Stimme: »Wie war mein Auftritt?«
»Eine Nominierung für den nächsten Golden
Globe ist dir sicher.«
»War das nicht Oscar-würdig?«
Max wedelte mit der Hand hin und her und
musste lachen. »Dafür kenne ich dich besser, als Tate dich
kennt.«
»Ich finde, Sie waren recht überzeugend«,
sagte auch Overholt, während er aus einer Nische, in der er von der
Kamera nicht erfasst werden konnte, in die Mitte des Raums trat.
»Tate glaubt sicherlich, dass Sie noch immer vor Wut rasen.«
»Hauptsache, er hat nicht bemerkt, dass die
Deepfake-Software neutralisiert wurde.«
Eric und Hali, die an der
Kommunikationskonsole saßen, klatschten einander ab.
»Die Deaktivierung ging unsichtbar
vonstatten«, sagte Eric.
»Das denke ich auch«, pflichtete Juan ihm
bei. »Er hätte das Gespräch niemals fortgesetzt, wenn er es gewusst
hätte. Dann holen wir unseren Freund mal auf den Bildschirm zurück,
Hali.«
»Aye, Chairman«, sagte Hali. »Sie hätten
alles von beiden Seiten sehen können.«
Juan hätte Tate am liebsten klargemacht,
dass er sich verraten hatte, um ihm unter die Nase reiben zu
können, dass sein Plan, Juan als Schuldigen dastehen zu lassen,
vollkommen fehlgeschlagen war. Aber Juan hatte diesem Drang
widerstanden. Er wusste: Tate einen solchen Hinweis zu geben, hätte
nur zur Folge, dass er von der Bildfläche verschwand und sich
versteckte. Juan spielte das lange Spiel, und ihre Namen
reinzuwaschen und die Portland
aufzustöbern war wichtiger als die kurzfristige Genugtuung, seinen
ehemaligen Partner in Wut zu erleben – darüber, dass er
ausgetrickst worden war. Tate andererseits hätte sich gewiss nicht
derart unter Kontrolle.
Während sie sich unterhielten, lief die
ganze Zeit im Hintergrund ein anderer Videochat, dessen Teilnehmer
nun auf dem Bildschirm erschienen. Zwei Personen saßen an einem
Konferenztisch, während sich eine dritte Person im Hintergrund
hielt und lässig an der Wand des Raums lehnte.
Die erste Person war Patricia Kubo,
Direktorin der CIA . Die ehemalige
Senatorin von Hawaii rieb sich die Stirn, als versuchte sie,
Kopfschmerzen wegzumassieren.
»Was für eine Schweinerei«, sagte sie mit
gepresster Stimme. »Wenn ich nicht gesehen hätte, wie Sie mit
Zachariah Tate und Catherine Ballard gesprochen haben, hätte ich
niemals geglaubt, dass sich die beiden miteinander verbündet haben.
Wir waren uns so sicher, dass er tot war, und jetzt hat er
praktisch zugegeben, ein atomgetriebenes Angriffs-U-Boot der
USA und ein getarntes Frachtschiff
der CIA versenkt zu haben.«
Die andere Person, die am Tisch saß, hatte
leuchtend rotes Haar, einen Spitzbart und trug einen
maßgeschneiderten grauen Anzug. Vizepräsident James Sandecker, der
Gründer der NUMA , kaute auf seiner
kalten Zigarre und nickte bedächtig.
»Richtig, es ist eine Schweinerei«, sagte
er. »Aber es ist eine Schweinerei, die wir selbst geschaffen haben.
Und vergessen Sie nicht den zivilen Frachter Avignon . Es gibt offenbar nicht viel, was
Tate nicht aus Rache tun würde.«
Der dritte Mann im Raum, hochgewachsen und
schlank, hatte volles schwarzes Haar und die braungebrannten
markanten Züge von vielen Stunden in der Sonne und im Salz des
Ozeans. In seinen grünen Augen funkelte eine gewiefte Intelligenz,
die Juan bereits bei ihrer ersten Begegnung aufgefallen war. Dirk
Pitt, der augenblickliche Direktor der NUMA , war im Konferenzraum anscheinend der
Einzige, der sich offensichtlich amüsierte.
»Das war wirklich eine großartige
Vorstellung, Juan«, sagte Pitt. »Ich dachte tatsächlich, Ihnen
würden gleich alle Sicherungen durchbrennen.«
»Ich musste Tate glauben machen, dass er
gewonnen hatte«, sagte Juan. »Er ist ein schlechter
Verlierer.«
»Sie haben Ihre Sache, ihn auch kürzlich als
Verlierer dastehen zu lassen, sehr gut gemacht.«
»Ich habe eben ein besseres Team als
er.«
Sandecker schüttelte den Kopf. »Ich muss
gestehen, Mr. Cabrillo, dass ich gewisse Hemmungen hatte, Ihre
Bitte zu erfüllen, als Dirk mich damit konfrontierte. Aber wie Sie
in der Vergangenheit gewiss schon erleben durften, kann er sehr
überzeugend sein.«
Pitt war vor langer Zeit an Bord der
Oregon gewesen, als die
Corporation der NUMA bei einer
geheimen Mission in Hongkong behilflich gewesen war. Während dieser
Mission war es zu einer Begegnung zwischen der Oregon und dem chinesischen Zerstörer
gekommen, die Juan seinen Unterschenkel gekostet hatte. Hätte Pitt
damals nicht so schnell reagiert, wäre Juans Schiff mitsamt der
Mannschaft verloren gewesen.
»Ich weiß«, erwiderte Juan. »Deshalb bat ich
auch Dirk, Sie zu diesem Termin mitzubringen. Ich dachte mir, dass
der VP und die CIA -Direktorin Flüchtigen wie uns nicht
glauben würden, wenn sich niemand für uns verbürgt.«
»Ich war durchaus bereit, mich auf Ihre
Seite zu schlagen, da Sie mir vor einigen Jahren das Leben gerettet
haben«, sagte Sandecker. Er bezog sich auf einen Vorfall, als die
Oregon feindliche Drohnen
zerstörte, die die Air Force Two abschießen wollten.
»Ich glaube Ihnen jetzt«, sagte Kubo. »Tate
und Ballard in einer Nachbildung Ihres Operationszentrums zu sehen,
war sehr überzeugend. Langston, es tut mir leid, dass ich jemals an
Ihnen gezweifelt habe.«
»Ich verstehe, Patricia«, erwiderte
Overholt. »Catherine Ballard hat jahrelang an diesem Plan
gearbeitet. Sie hat mich völlig hinters Licht geführt.«
»Ich versichere Ihnen, dass die CIA alles in ihrer Macht Stehende tun wird, um
sie zur Rechenschaft zu ziehen.«
»Aber bitte unauffällig«, sagte Sandecker.
»Ich habe mit dem Präsidenten gesprochen, und er möchte die
politischen Auswirkungen dieser Situation auf ein absolutes Minimum
begrenzen.«
»Das hängt allein von Zachariah Tate ab,
Mr. Vice President«, sagte Juan.
Sandecker winkte ab. »Tate will Ihren Tod
und außerdem Ihren Ruf zerstören. Er weiß, dass der beste Weg,
dieses Ziel zu erreichen, darin besteht, Sie bei der amerikanischen
Regierung unmöglich zu machen, und nicht vor der
Öffentlichkeit.«
»Außerdem will er die Aufmerksamkeit der
anderen Länder von der Portland
ablenken«, fügte Pitt hinzu. »Zumindest so lange, bis er ihnen
seine Dienste anbieten wird, nachdem er die Oregon vernichtet hat.«
»Auch das dürfen wir nicht zulassen«, sagte
Kubo. »Der Präsident hat entschieden, dass die Portland die nationale Sicherheit gefährdet.
Damit gewinnen wir einen weiten Handlungsspielraum, wie wir mit ihm
verfahren können.«
»Aber wir können keine Operationen
durchführen, die den Beziehungen zu anderen Ländern schaden
könnten«, sagte Sandecker. »Daher wird die U. S. Navy nicht in
fremden Gewässern Jagd auf ihn machen.«
»Wie zum Beispiel in der Umgebung von Tierra
del Fuego«, präzisierte Pitt.
»Genau. Es muss verdeckt geschehen.«
Sandecker sah Juan direkt an. »Und soweit ich gehört habe, kennen
Sie einen Weg, wie man die Portland orten kann.«
»So ist es. Dank Max dort hinten.« Juan
deutete auf ihn, und Max salutierte zackig.
Sandecker fuhr fort: »Dann erlaube ich Ihnen
jetzt ganz offiziell, die Portland zu suchen und jede Maßnahme
durchzuführen, die Sie für notwendig erachten, um sie unschädlich
zu machen, inklusive sie zu versenken.«
»Und Tate?«
»Diese Entscheidung liegt allein bei Ihnen«,
sagte Kubo. »Eins sollten Sie jedoch wissen. Wir wollen ihn nicht
zurückhaben.«
»Verstanden. Im Augenblick geht es vor allem
darum, ihn schnellstens abzufangen. Tate vermutet uns noch immer
irgendwo in der Nähe des Amazonas, daher habe ich die berechtigte
Hoffnung, ihn zu stellen, ehe er das bislang noch unbekannte Schiff
angreift.«
»Wir haben ein Schiff namens Deepwater in der Gegend«, sagte Pitt. »Ich
gebe der Schiffsführung Bescheid, die Augen offen und nach der
Portland oder jedem anderen
Schiff, das so aussieht wie sie, Ausschau zu halten.«
»Wahrscheinlich ist das eine gute Idee«,
sagte Juan.
»Es klingt, als käme es zu einer
Jahrhundertschlacht. Zwei identische hochmoderne Spionageschiffe,
die aufeinander losgehen.« Pitt lächelte. »Ich wünschte, ich könnte
Sie begleiten, aber ich muss hier selbst noch einige Brände
löschen.«
Juan quittierte diese Aussage mit einem
verhaltenen Lachen. »Nach dem, was ich von Ihnen weiß, Dirk,
überrascht mich das ganz und gar nicht. Sie haben anscheinend
immer … wie soll ich es ausdrücken … ›interessante‹
Abenteuer in petto. Irgendwann würde ich gern mal ein paar
Kriegserlebnisse mit Ihnen austauschen.«
Pitt nickte. »Geht mir ganz genauso. Wenn
Sie das nächste Mal in Washington sind, genehmigen wir uns einfach
ein Steak und eine Flasche Cabernet in einem Grillrestaurant, das
ein absoluter Geheimtipp ist. Bis dahin wünsche ich Ihnen gute
Jagd.«
»Danke.«
»Ich denke, was Tate betrifft, sind unsere
Gefühle die gleichen, Mr. Cabrillo«, sagte Sandecker, während
er und Kubo sich erhoben, um sich zu verabschieden. »Er und seine
Leute müssen für das, was sie getan haben, zur Rechenschaft gezogen
werden, und zwar auf die eine oder andere Weise. Bringen Sie ihn
zur Strecke.«