18. KAPITEL

Ich habe schon oft gedacht, wie ungerecht es ist, dass Frauen zu Hause bleiben sollen, wenn es darum geht, einen Kampf zu gewinnen. Wenn eine Frau die Kraft hat, ein Kind zu gebären, kann sie ein Schwert ebenso gut führen wie ein jeder Mann.

So sprach die alte Heilerin Nora von Loch Lomond in einer kalten Nacht zu ihren drei jungen Enkelinnen.

„Darf ich Ihnen Ihren Hut abnehmen, Mylord?“

Gregor warf Devonsgate seinen Hut zu. „Ist meine Schwester schon fertig? Wir wollen gemeinsam ausreiten.“

Der Butler reichte den Hut an einen wartenden Lakaien weiter. „Ich bin sicher, Ihre Ladyschaft wird in einer Minute unten sein.“

Irgendwo im oberen Stockwerk wurde eine Tür zugeworfen, dann hörte man laute Schritte.

Devonsgate blickte unerschütterlich geradeaus.

Einen Moment lang herrschte Schweigen, dann erhoben sich oben im Haus laute Stimmen - eine weibliche und eine männliche.

Im selben Augenblick traf ein Windstoß so heftig auf das schwere Holz der Haustür, dass sie klapperte.

„Himmel, das Wetter ändert sich in letzter Zeit von einer Sekunde auf die andere“, stellte Devonsgate mit gerunzelter Stirn fest.

Gregor nahm Lilienduft wahr, schwach, aber dennoch unmissverständlich. Er warf Devonsgate einen strengen Blick zu. „Was hat der Kerl jetzt wieder gemacht?“

Der Butler schaute unbeeindruckt zurück. „Ich fürchte, ich weiß nicht, was Sie meinen, Sir.“

Wieder drangen die erhobenen Stimmen, die einander zu übertönen versuchten, aus dem oberen Stockwerk nach unten.

„Es scheint, als fände dieses Mal der Sturm im Haus statt“, stellte Gregor fest.

Devonsgate seufzte und nickte zustimmend, bevor er wieder seine undurchdringliche Miene aufsetzte. „Mir ist nicht ganz klar, wovon Sie sprechen“, erklärte er steif.

Oben knallte erneut eine Tür, die Stimmen wurden noch ein wenig lauter, dann war das Stampfen von Stiefeln auf den Stufen zu hören.

Jack blieb auf halber Höhe der Treppe stehen, weil er Gregor in der Halle erblickte.

„Es hört sich an, als hättest du einen stürmischen Morgen“, stellte Gregor gelassen fest und wippte auf den Füßen vor und zurück.

Nachdem er seinen Schwager lange stumm angesehen hatte, setzte Jack seinen Weg die Treppe hinunter fort, ging an Gregor vorbei in seine Bibliothek und warf die Tür hinter sich ins Schloss.

Gregor folgte ihm und öffnete die Tür wieder. Sein muskulöser Körper füllte den Türrahmen vollständig aus. „Was geht hier vor, Kincaid?“

„Frag deine Schwester“, empfahl ihm Jack und zog seine Papiere zu sich heran, bevor er sich in den Stuhl hinter seinem Schreibtisch fallen ließ.

„Das habe ich auch vor. Nur dachte ich, du möchtest deine Sicht der Dinge ebenfalls zu Gehör bringen.“ Gregor verschränkte die Arme vor der Brust, als würde er sich auf einen längeren Vortrag einstellen.

„Ich brauche niemanden, der sich meine Sicht der Dinge anhört, am allerwenigsten dich und deinen Bruder. Da wir gerade darüber reden“, Jack funkelte Gregor wütend an, „falls du und Dougal jemals wieder Fiona einen solchen Rat gebt wie gestern, werde ich euch die Zungen herausreißen und meine Jagdhunde damit füttern.“

Langsam begann Gregor zu verstehen. „Fiona hat doch nichts Unvernünftiges getan, hoffe ich?“

„Vielleicht möchtest du deine Schwester fragen, was sie gestern Abend in Lady Chesters Etablissement getan hat.“

Gregor erstarrte. „Sie ist wohin gegangen?“

„Zusammen mit Alan Campbell, dem es viel Spaß gemacht hat, ihr Champagner und Rumpunsch zu geben.“

„Der verdammte...

„Ich habe mich um ihn gekümmert“, erklärte Jack knapp.

„Und Fiona?“, erkundigte sich Gregor besorgt.

„Ich musste sie mir über die Schulter werfen; aber es ist mir gelungen, sie nach Hause zu bringen“, verkündete Jack nicht ohne Stolz.

Großer Gott! Gregor wusste nicht, was er sagen sollte.

Das Klappern von Absätzen auf der Treppe kündigte das Erscheinen seiner Schwester an. Als er Jack, der immer noch ein grimmiges Gesicht machte, prüfend betrachtete, stellte Gregor fest, dass die tiefen Linien neben Mund und Augen seines Schwagers ihre eigene Geschichte erzählten.

Schuldgefühl durchzuckte Gregor. Seit diese Katastrophe begonnen hatte, war er zornig. Zunächst zornig auf die Kincaids wegen Callums Tod. Dann zornig auf Fiona, die sich selbst geopfert hatte, als ob nur sie allein die Probleme der Familie lösen könnte. Anschließend zornig auf Jack, der Fiona nicht so behandelte, wie er es hätte tun sollen. Aber vor allem war Gregor die ganze Zeit zornig auf sich selbst gewesen. Er hätte in jener Nacht bei Callum sein sollen. Hätte Fionas Plan voraussehen und ihn verhindern solle. Hätte einen Weg finden sollen, die Ehe mit Kincaid zu annullieren.

Und er hatte nichts von alledem getan. Er war ein selbstsüchtiger Bastard, unfähig, die Bedürfnisse anderer über die eigenen Gefühle zu stellen. Und nun, wegen all dieser Dinge und wegen seines kranken Sinns für Humor, mit dem er ihr eingeredet hatte, sie könne mit Aufmüpfigkeit etwas bei ihrem Mann erreichen, war seine Schwester in einer Spielhölle gelandet, wo ihr Gott weiß was hätte passieren können.

„Danke, dass du auf meine Schwester aufgepasst hast, Jack“, sagte er aus tiefstem Herzen.

Jack hob den Kopf und sah ihn an. „Sie ist meine Frau, Gregor. Es mag sein, dass ich nicht besonders glücklich darüber bin, aber ich werde auf sie aufpassen.“

„Ich hätte nicht vorschlagen sollen, dass sie sich gegen dich durchsetzt. Ich hätte nie gedacht, sie würde etwas Gefährliches tun und Jack unterbrach ihn mit einer Handbewegung. „Sei das nächste Mal, wenn Fiona dich um Rat fragt, einfach nicht so gedankenlos. Sie hat mehr als das verdient.“

Von hinten näherten sich Fionas Schritte auf den Stufen. „Hast du Lust, heute Nachmittag mit uns auszureiten?“, fragte Gregor seinen Schwager.

Jack zog die Brauen hoch. Niemals hätte er erwartet, eine Einladung von einem von Fionas Brüdern zu bekommen. Es war schade, dass er sie ablehnen musste. „Es tut mir leid, aber ich bin mit meinem Verwalter verabredet. Vielleicht morgen?“

Mit gequältem Gesichtsausdruck nickte Gregor. „Sehr gut. Ich werde sehen, was ich heute allein bei dem Mädchen ausrichten kann. Vielleicht gelingt es mir, sie wenigstens ein bisschen zur Vernunft zu bringen.“

„Vergiss es.“ Jack winkte ab. „Das habe ich bereits versucht, und ...“

Doch Gregor war bereits gegangen. Seine tiefe Stimme drang durch die ganze Halle bis in die Bibliothek, als er Fiona begrüßte.

Jack bemühte sich, ihre leise Antwort zu hören, aber ihre Stimme ging in dem pfeifenden Wind unter, der ins Haus drang, als die Tür geöffnet wurde. Die Stimmen und das Heulen des Windes verhallten, als Fiona zu ihrem Morgenritt aufbrach.

Es war eine lange Nacht gewesen, und Jack hatte geglaubt, dass er sich nach nichts mehr sehnte als nach dem Frieden seiner eigenen Bibliothek. Doch nun erschien ihm die Stille unerträglich laut,

Er stand auf, um das Feuer zu schüren, doch sein Blick wanderte zum Fenster. Hinter den Scheiben heulte der Wind, dunkle Wolken huschten über den Himmel, die Bäume beugten sich zur Erde. Jack trat ans Fenster und sah hinunter zu Fiona und Gregor, die vor dem Haus auf Dougal trafen.

Sie trug ein grünes Reitkostüm, das jede ihrer Kurven umschmeichelte, ihr Haar war unter ihrem Hut hochgesteckt, ein paar lose Strähnen tanzten im Wind. Ihr Gesicht war aufwärts gewandt, während sie Gregor zuhörte, ihre Lippen waren leicht geöffnet.

Jack rieb sich die Brust, in der er einen dumpfen Schmerz spürte. Die vergangene Nacht war schrecklich gewesen. Fiona hatte sich geweigert, mit ihm zu sprechen, nachdem er sie aus der Spielhölle getragen hatte, hatte sich geweigert, bei ihm zu schlafen, nachdem sie zu Hause angekommen waren, und heute Morgen hatte sie sich geweigert, ihm zuzuhören, als er versuchen wollte, ihr sein Verhalten zu erklären.

Sie war im Unrecht, verdammt noch mal! Sie hätte nicht in der Spielhölle sein dürfen. Punkt!

Schließlich hatten sie beide mitten in einem sinnlosen Streit gesteckt, an dessen Höhepunkt es Türenknallen und einen wortkargen Abschied gegeben hatte.

Jack lehnte am Fensterrahmen und sah zu, wie Gregor ihr auf ihr Pferd half, eine hübsche braune Stute mit dem Namen Ophelia. Sie war das perfekte Reittier für eine Dame. Ophelia war ein wenig unruhig, wenn sie zu lange im Stall gestanden hatte, aber nach einem kurzen Ritt beruhigte sie sich stets und befleißigte sich einer gleichmäßigen Gangart.

Das Pferd war an diesem Morgen sehr temperamentvoll und tänzelte nervös, sodass der Stallbursche die Zügel halten musste, damit Fiona gefahrlos auf steigen konnte.

Mit gerunzelter Stirn betrachtete Jack den Mann. Wie hieß dieser Reitknecht noch? Er kam ihm nicht bekannt vor; Jack würde Devonsgate darüber befragen müssen.

Fiona setzte ihren Stiefel in den Steigbügel, stieg in den Sattel und schwang ihr Knie über den Knauf. Nachdem sie aufgesessen hatte, wendete Gregor sein Pferd. Der Knecht reichte Fiona die Zügel und trat zurück, um den Gurt noch einmal festzuziehen.

Entweder es war die große Kutsche, die in diesem Moment vorüberfuhr oder es waren Fionas Röcke, die sich im Wind blähten, irgendetwas erschreckte Ophelia. Das Pferd scheute, warf heftig den Kopf zurück und stieg dann plötzlich auf die Hinterbeine. Voll Entsetzen sah Jack, wie Fiona sich an den Nacken des Pferdes klammerte und wie ihr Hut und ihre Peitsche zu Boden fielen, während sie sich bemühte, oben zu bleiben. Das Pferd bewegte die Vorderhufe wild durch die Luft, kam dann unsanft wieder auf dem Boden auf.

Jack klammerte sich entsetzt an den Fensterrahmen, und ihm stockte der Atem, als Ophelia sich umwandte und die Straße entlangraste, während Fiona sich an die Mähne des wild dahingaloppierenden Pferdes klammerte.

Im nächsten Moment rannte Jack durch die Halle und weiter nach draußen, wo Gregor gerade seinem Pferd die Sporen gab und hinter Fiona herritt. Dougal saß ebenfalls bereits im Sattel und machte Anstalten, hinter seinem Bruder herzureiten und die Verfolgung der durchgegangenen Stute aufzunehmen. Jack umklammerte Dougals Bein, zerrte ihn auf den Boden, schwang sich selber auf das große schwarze Pferd, schob seine Stiefel in die Steigbügel und galoppierte los, wobei er sich weit nach vorn lehnte.

Er musste sie einholen, musste sie retten! Ohne Fiona würde sein Leben keinen Sinn und keine Farbe haben. Er konnte es nicht zulassen, sie zu verlieren. Nicht jetzt. Nicht später. Niemals.

Jack beugte sich tief über den Hals des Pferdes und begann zu beten.

Fiona fürchtete um ihr Leben, während sie sich an der Pferdemähne festklammerte. Das Tier rannte wie toll durch die Straßen Londons, wich in letzter Sekunde Kutschen aus und brachte andere Pferde zum Scheuen.

Fiona wurde wild hin und her geschüttelt. Wenn sie ihren Griff auch nur das kleinste bisschen lockerte, würde sie durch die Luft fliegen und mit dem Kopf zuerst auf den harten Boden fallen. Wenn sie sich weiter festhielt, würde sie von dem heftigen Gerüttel früher oder später ernsthafte Verletzungen davontragen. Sie flog auf dem Sattel auf und nieder. Ihr Hinterteil war bereits zerschrammt und wund, und ihr Nacken schmerzte.

Plötzlich knackte etwas, und der Sattel rutschte ein wenig zur Seite.

Dann löste sich mit einem Knall der Sattelgurt, und Fiona flog in die Luft.

Die Zeit schien sich zu verlangsamen, sich auszudehnen und fast anzuhalten. Sie flog höher und höher. Jeden Moment würde sie anfangen zu fallen, und dann würde der Schmerz da sein. Sie schloss die Augen und streckte die Hände aus, um sich an etwas festzuhalten, an irgendetwas. Aber da war nichts, das ihr Halt geben konnte.

Wundersamerweise griffen plötzlich kräftige Hände nach ihr und zogen sie an eine breite Brust, fingen sie so leicht und einfach auf, als wäre sie ein Apfel, der vom Baum fiel. Nach Luft schnappend umklammerte sie den starken Mann, der sie gerettet hatte.

Eine leise, tiefe Stimme brummte: „Halt dich fest.“

Jack. Erleichtert tat sie, was er ihr gesagt hatte, und er zog sie dicht an sich heran und setzte sie auf seinen Schoß. Von Kopf bis Fuß zitternd, vergrub sie ihr Gesicht an seiner Brust und atmete tief durch. Sie fing an, seinen Duft fast ebenso sehr zu lieben, wie sie heiße Schokolade liebte.

„Bist du verletzt?“

Seine tiefe Stimme polterte durch seine Brust, an der ihr Ohr lag.

Sie schüttelte den Kopf, obwohl ihr gesamter Körper schmerzte, und ihr stiegen Tränen in die Augen.

Jack fühlte, wie sie in seinen Armen bebte, und sah ihre Tränen. Sein eigener Herzschlag donnerte in seinen Ohren, er fluchte und zog sie noch fester an sich. „Ich halte dich, Fiona. Du bist sicher.“

„Noch besser wäre es verdammt noch mal gewesen, wenn das gar nicht passiert wäre“, keuchte Gregor, der in diesem Moment auf seinem Pferd neben ihnen auftauchte.

Am Eingang zum Hyde Park zügelte Jack sein Pferd, ebenso Gregor. Es wimmelte von Fuhrwerken und Kutschen, Pferden und Fußgängern, und alle Augen waren auf sie gerichtet.

Jack konnte den Gedanken nicht ertragen, was beinahe passiert wäre - das Pferd völlig außer Kontrolle und Fiona mit keinem anderen Halt als der Mähne, an der ihr Leben wie an einem seidenen Faden hing. Wenn sie gefallen und auf dem Kopf gelandet wäre ...

Er hielt sie noch fester, während er versuchte, die Bilder in seinem Kopf auszulöschen.

Dougal ritt auf einem von Jacks Pferden herbei, sein Gesicht war kreidebleich. „Ist sie in unverletzt?“

„Ich glaube, ja“, erwiderte Jack, der fühlte, wie Fionas Atem inzwischen regelmäßiger ging.

Gregor stellte sich in seinen Steigbügeln hin. „Kannst du mich hören, Fiona?“

„Sie ist ganz schön durchgeschüttelt worden, aber ansonsten geht es ihr gut“, erklärte Jack.

„Bist du sicher?“ Dougal streckte die Hand nach Fiona aus, als wollte er sie Jack aus den Armen nehmen.

Jack entblößte seine Zähne und ließ sein Pferd rückwärts gehen, um sich aus Dougals Reichweite zu bewegen. Fiona war sein, und er war bereit, sein Leben zu geben, um sie bei sich behalten zu dürfen.

Die Heftigkeit seiner Reaktion erschreckte ihn. Verhielt er sich so, weil sie seine Frau war? Weil er der einzige Mann war, der sie jemals besessen hatte? Oder war es einfach nur sein törichtes, besitzergreifendes Kincaid-Blut? Was es auch immer war, Jack wusste nur, dass er in diesem Moment jeden getötet hätte, der versucht hätte, Fiona aus seinen Armen zu reißen.

Dougal hielt Abstand, sah ihn aber misstrauisch an. „Du hast zugelassen, dass meine Schwester ein gefährliches Pferd reitet.“

„Das habe ich nicht. Ophelia ist nicht schwierig. Sieh sie dir jetzt an.“

Die Stute stand neben dem Eingang zum Park, der Sattel hing seitlich an ihr, während sie friedlich graste.

„Dann hast du etwas getan, um das Pferd dazu zu bringen, sich derart zu verhalten“, behauptete Dougal wütend.

„Puh“, mischte sich Gregor ein. „Fiona hat seit ihrem vierten Geburtstag temperamentvolle Pferde geritten. Sie ist kein zartes Pflänzchen, das alle naselang aus dem Sattel fällt. “

„Ich glaube trotzdem, dass da etwas nicht stimmt“, beharrte Dougal.

„Dann hast du etwas, worüber du nachdenken kannst, während du die Stute und den Sattel einsammelst“, fuhr Jack ihn an. „Ich bringe Fiona nach Hause.“

Mit einem finsteren Blick schwang Dougal sich von seinem Pferd und warf Gregor die Zügel zu. Vorsichtig näherte er sich Ophelia und nahm ohne jede Schwierigkeit ihre Zügel. Er begann, den Sattel nach oben zu schieben, stutzte und bückte sich, um etwas genauer zu betrachten.

„Was ist los?“, erkundigte sich Jack.

Dougals Brauen zogen sich zusammen. „Unter dem Sattel liegt eine Klette.“

„Verflucht!“ Gregor schwang sich aus dem Sattel, band die Pferde an einen niedrigen Ast und trat neben seinen Bruder. Sie unterhielten sich leise und sahen dabei ab und zu in Jacks Richtung.

„Ich will es mir ansehen“, verlangte Jack mit scharfer Stimme.

Gregor trat zurück. „Lass es ihn sehen.“

„Es ist nicht wirklich eine Klette.“ Dougal hielt den Auslöser des Unfalls in die Höhe. „Es ist eine Distel. Und außerdem hat jemand den Sattelgurt durchgeschnitten.“ Jack sah Fiona an, die immer noch sehr blass war. „Ich werde denjenigen umbringen, der das getan hat.“

„Warst du es?“, wandte sich Dougal an Jack. „Du hast sehr oft gesagt, dass du nicht verheiratet sein willst.“ „Nein, verdammt noch mal!“ Angesichts dieser Behauptung fühlte Jack heftigen Zorn in sich aufsteigen, nur seiner Frau zuliebe beherrschte er sich. „Ich habe Fiona nie etwas Böses gewünscht.“

„Warum sollte Kincaid ihr die Distel unter den Sattel legen und sie dann retten, Dougal?“, mischte sich Gregor ein. „Das ergibt doch gar keinen Sinn.“

„Bitte, hört auf damit“, bat Fiona. „Ich ... ich will einfach nur nach Hause.“

Mit Fiona vor sich auf dem Sattel, führte Jack die kleine Gruppe an. In seinem Kopf wirbelten die Gedanken durcheinander. Wer wünschte Fiona Übles?

Er konnte sich nicht vorstellen, das Lucinda so weit gehen würde. Sie würde versuchen, sich an Fiona zu rächen, doch sicher vor den Augen der Gesellschaft. Campbell vielleicht? Er hatte etwas an sich, das Jacks Misstrauen erregte. Sein Interesse an Fiona war zu groß. Was wollte er? Welchen Vorteil würde Fionas Tod ihm bringen?

Er legte seine Wange auf ihr Haar, dann wandte er sich ihren Brüdern zu. „Wenn ihr jemand etwas antun will, müssen wir sie irgendwohin schaffen, wo sie sicher ist. “ „Ich kann mich nicht ständig hinter verschlossenen Türen verstecken, Jack“, protestierte Fiona. „Ich bin sicher, wir werden eine Erklärung finden und ... “

„Nein, Fiona“, unterbrach Gregor sie. „Du musst tun, was Jack dir sagt.“

Diese Worte lösten sowohl auf Jacks als auch auf Doug als Gesicht einen Ausdruck größter Irritation aus.

Fiona schaute finster um sich. „Ich werde mich nicht wie eine zerbrechliche Teetasse wegschließen lassen.“ „Wir müssen einen sicheren Ort finden, wo du bleiben kannst, bis wir herausgefunden haben, was hier vor sich geht.“

Als sie Kincaid House erreicht hatten, trug Jack dem Stallburschen auf, Mrs.Tarlington zu suchen und ihr aufzutragen, bei Fiona im Schlafzimmer zu bleiben. Dann hob er Fiona aus dem Sattel, reichte sie hinunter zu John, dem Diener, stieg selber ab und nahm Fiona wieder in seine Arme. „Sorgen Sie dafür, dass der Sattel in die Bibliothek gebracht wird, John. Ich will ihn mir bei gutem Licht ansehen.“

Anschließend trug er Fiona hinauf in ihr Schlafgemach. Er ließ sie aufs Bett gleiten und runzelte die Stirn, als er die Decke über sie breitete und sie einen leisen Schmerzensschrei ausstieß.

Innerhalb einer halben Stunde war der Arzt da und verschrieb ein tägliches heißes Bad und eine gründliche Behandlung mit einer speziellen Salbe.

Fiona hasste die Salbe, die übel nach fauligen Kartoffeln roch, aber Jack bestand darauf, dass sie sie benutzte. Er erlaubte ihr aber, anschließend ihren Tee in der Bibliothek zu trinken, was ein großes Entgegenkommen war, weil sie eigentlich ruhen sollte.

Mit besorgten Blicken verfolgte Jack jede ihrer Bewegungen. Zwei Mal fragte sie ihn, an was er dachte, und zwei Mal antwortete er nicht, sondern ging nur weiter stumm im Zimmer auf und ab.

Schließlich stellte sie ihre Teetasse mit einem lauten Klirren auf den Tisch. „Würdest du dich bitte hinsetzen, Jack?“

Er wandte ihr sein überraschtes Gesicht zu. „Ich wollte dich nicht aufregen. Ich bin nur ein bisschen durcheinander. “

„Das sind wir beide.“ Sie lächelte ihn vielsagend an und presste sich die Hand auf den Magen. „Du machst mich mit deinem Hin- und Hergerenne ganz seekrank. “

„Entschuldige“, sagte er reumütig. Er öffnete den Mund, schloss ihn wieder und sagte dann doch: „Es tut mir unendlich leid, dass wir uns gestern Abend so gestritten haben, Fiona. Du sollst nicht glauben, ich würde dir irgendetwas Böses wünschen. Ich wäre viel lieber selbst vom Pferd gefallen, anstatt dich leiden zu sehen.“

Ihr Herz machte einen Sprung. „Warum ... warum fühlst du so?“

Sein Blick glitt über ihren Körper, heiß und besitzergreifend. „Du bist meine Frau.“

Seine Worte waren wie ein Brandmal, mit denen er ihr sagte, dass sie ihm gehörte. Sie ertappte sich dabei, wie sie ihn ebenfalls betrachtete. Ihren Ehemann. Sie musterte seine breiten Schultern. Die muskulöse Länge seiner Schenkel und ...

Hastig wandte sie sich ab. Ihre Wangen brannten. Die verdammte Salbe verwirrte ihre Gedanken und Gefühle. Sie schob die Hände in die Taschen ihres Hauskleides und wünschte sich, es gäbe etwas, womit sie sich von den viel zu ansehnlichen Schenkeln ihres Ehemannes ablenken könnte.

„Während der Arzt bei dir war, habe ich mir den Sattel angesehen, Fiona. Der Gurt ist durchgeschnitten und dann wieder zusammengebunden worden, damit es aussah, als wäre er heil. Ich denke, wir sollten London verlassen.“

„Wie bitte?“ Erstaunt starrte sie ihn an.

„Ja. Wir haben eine Einladung zu einer Hochzeit in Schottland erhalten, dorthin könnten wir für eine Weile gehen. Es ist nicht weit von deinem Zuhause entfernt, also könnten wir auch deine Brüder sehen. “

Sie verzog das Gesicht. „Ich habe in letzter Zeit mehr als genug von Dougal und Gregor gesehen.“

Jack lächelte grimmig. „So geht es mir auch.“

„Sie geben dir doch nicht die Schuld, Jack, oder?“ „Möglicherweise. Dougal hat mehrmals erwähnt, dass ich dir das Pferd geschenkt habe. “

„Du hast mir auch Kleider geschenkt. Ich nehme an, wenn ich mit einem meiner eigenen Strümpfe stranguliert werde, wird er das auch für einen Hinweis auf deine Schuld halten. “

Jack blieb ernst.

Sie seufzte.

„Ich habe eigentlich auch gar kein Bedürfnis, die Hochzeit zu besuchen“, gab er zu, „aber es ist ein guter Grund, London zu verlassen.“

Fiona rieb sich die Schulter, in der ein dumpfer Schmerz pochte. „Ich kann mir nicht vorstellen, wer mich tot sehen möchte. Glaubst du, es war Lady Featherington? Weil ich sie bloßgestellt habe?“

„Nein. Aber es könnte Campbell gewesen sein.“ Jack fuhr sich mit der Hand durchs Haar. „Ich traue ihm nicht. Er hat etwas Seltsames an sich.“

„Warum sollte er so etwas tun?“

„Ich weiß es nicht. Noch nicht.“ Er blieb vor ihr stehen. „Schottland wird sicherer für uns sein, Fiona.“

„Ich weiß. Es ist nur ..." Sie verschränkte ihre Finger, bemüht vor ihm zu verbergen, dass sie zitterten. Mit jeder Minute wurde ihr Körper steifer und schmerzte mehr.

Die Besorgnis in Jacks Augen war unübersehbar. Nur eine Stunde war seit ihrem erbitterten Streit vergangen. Nun, da sie mit dieser neuen Gefahr fertig werden mussten, standen sie wieder Seite an Seite.

Fiona zwang sich zu einem Lächeln. „Dann werden wir also eine Hochzeit besuchen. Wer heiratet denn?“

Auch Jack schenkte ihr ein Lächeln. In seinem lag Erleichterung. „Ein Gentleman, den ich aus Eton kenne. Er und ich sind seit der Schulzeit miteinander befreundet.“ „Ich freue mich darauf, mal wieder auf dem Land zu sein. “ Sie wollte die Schultern zucken und schnappte vor Schmerzen nach Luft.

Jack ging zur Anrichte, goss ein Glas Brandy ein und brachte es ihr. „Das wird helfen. Trink es in kleinen Schlucken. “

Sie nahm das Glas und roch vorsichtig daran. „Ich glaube nicht ... “

„Verdammt noch mal! “, explodierte er. „Tust du eigentlich nie, was man dir sagt?“

Fiona schloss die Augen. Ihre Kehle war plötzlich eng. Sie war so müde, hatte so große Angst, und jeder einzelne Muskel in ihrem Körper war zerschunden und geschwollen.

Die Polster des Sofas gaben nach, als Jack sich neben sie setzte. „Ich weiß, dass jetzt gerade alles sehr finster aussieht, Fiona“, flüsterte er und zog sie vorsichtig an sich. „Aber das wird sich ändern. Ich verspreche es dir.“ Um Jack einen Gefallen zu tun, trank Fiona den Brandy. Nach dem dritten Schluck breitete sich eine angenehme Taubheit in ihrem Körper aus. Der Alkohol wärmte ihren wunden Körper und besänftigte ihre schmerzenden Muskeln. Ihre Lider wurden schwer, und sie schloss sie, nur um für einen Moment ihre Augen auszuruhen ...

Jack spürte in derselben Sekunde, dass sie eingeschlafen war. Das Glas entglitt ihren Fingern, aber er fing es gerade noch rechtzeitig auf und stellte es auf den Tisch. Vorsichtig, um sie nicht zu stören, lehnte er dann seine Wange gegen Fionas Haar.

In London waren sie äußerst angreifbar. Ihre Gewohnheiten waren überall bekannt, und sein Haus war viel zu groß, um es zu kontrollieren.. In Schottland dagegen waren sie im Vorteil. Dort würden sie Zeit haben, den geheimnisvollen Anschlag auf Fionas Leben aufzuklären.

Jack sah auf Fiona hinab, die an seine Schulter gelehnt schlief. Ihre Augen waren fest geschlossen, ihre Wimpern ruhten wie dunkle Fächer auf ihren Wangen.

Er musste sie in Sicherheit bringen. Sofort.