1. KAPITEL
Die MacLeans sind eine alteingesessene Familie; eine Familie von altem Adel und großer Schönheit. Leider wissen sie um ihren Rang und ihre Vorzüge, das macht es schwierig, mit ihnen einen Handel abzuschließen. Scharfsinnig sind sie, und es geschieht selten, dass sie bei einem Geschäft den Kürzeren ziehen. Euer eigner Vater sagt, lieber möcht er von einem Schaf gebissen werden, als mit einem MacLean zu feilschen.
So sprach die alte Heilerin Nora von Loch Lomond in einer kalten Nacht zu ihren drei jungen Enkelinnen.
Gretna Green, Schottland 9. April 1807
Fiona MacLean zwang sich zu einem Lächeln. „Pater MacCanney, wir sind gekommen, damit Sie uns verheiraten.“
Der stämmige Pater ließ seinen Blick unschlüssig von Fiona zum Bräutigam und wieder zurück wandern. „A-aber ... Er ist nicht ... Ich kann nicht ... “
„Doch, Sie können, Pater“, sagte Fiona so ruhig es ihr möglich war, während sie mit beiden Händen krampfhaft die Bänder ihres Retiküls umklammerte.
Sie würde Himmel und Hölle in Bewegung setzen, um endlich der ältesten und sinnlosesten Fehde in ganz Schottland ein Ende zu bereiten - auch wenn sie dabei ihre Freiheit verlor, ihre sorgfältig geplante Zukunft und vielleicht sogar ein Stück ihres Herzens.
Dieser Gedanke lag ihr wie ein Stein im Magen. Und doch war die Heirat nötig, wenn sie ihre Brüder vor ihrem eigenen närrischen Temperament schützen wollte. Es ist die einzige Möglichkeit. Ich darf nicht zögern.
„Fiona, mein Kind“, sagte Pater MacCanney in verärgertem Ton, „er ist nicht in der Lage zu heiraten.“
„Ein Grund mehr für mich, die Gattin dieses Dummkopfs zu werden.“ Als der Pater sie erstaunt ansah, fügte sie rasch hinzu: „Es ist allgemein bekannt, dass eine gute Frau auch den unbeständigsten, faulsten, stursten Taugenichts zu einem verantwortungsbewussten Mann machen kann. “
Voll Unbehagen betrachtete der Pater ihren künftigen Bräutigam. „Ja, aber ...“
„Machen Sie sich keine Sorgen um mich, Pater. Ich weiß, er ist nicht gerade eine glänzende Partie, aber er ist der Mann, den ich will“, behauptete Fiona mit unschuldigem Blick.
„Fiona, mir ist klar, dass der Bursche von der Heirat profitieren könnte. Es ist nur ...“
„Ich weiß“, sagte sie, seufzte tapfer und sah dem Geistlichen mit weit aufgerissenen Augen ins Gesicht. „Er ist ein Schwerenöter, der schon bei jeder Frau zwischen der Nordsee und den Freudenhäusern Londons gelegen hat.“ Bei der Erwähnung der Londoner Freudenhäuser errötete der Pater. „Ja, ja. Jeder weiß das, aber dennoch ..."
„Er ist außerdem ein furchtbarer Verschwender, der bisher nicht den geringsten Versuch unternommen hat, ein sinnvolles, ehrbares Leben zu führen. Mir ist wohl bewusst, er ist nicht die beste Wahl, die eine Frau treffen kann, und doch ...“
„Er ist überhaupt nicht bei Bewusstsein!“, platzte der Pater heraus. „Er kann noch nicht einmal seinen eigenen Namen sagen.“
Fiona sah hinunter auf ihren Bräutigam, den ihr Diener Hamish auf die kalten Fliesen zu ihren Füßen fallen gelassen hatte. Schmutzige Rinnsale liefen aus Kincaids Kleidung auf den Fußboden der Kirche. „Ich habe befürchtet, dass Ihnen das Sorgen bereiten würde.“ Selbst im Zustand der Besinnungslosigkeit war Jack ein einziges großes Problem. Manche Dinge änderten sich nie.
„Sie können keinen bewusstlosen Mann zum Altar zerren, mein Kind.“
„Warum nicht?“
„Weil ... Weil man das nun einmal nicht tut, deshalb! “
Pater MacCanney betrachtete misstrauisch Fionas Bewacher Hamish. Der hünenhafte Diener stand still und stumm hinter ihr, wie er es seit ihren Kindertagen getan hatte. Ein riesiges Messer hing an seiner Seite, drei geladene Pistolen steckten in seinem breiten Gürtel, sein buschiger roter Bart stand widerspenstig in alle Richtungen ab, und sein grimmiger Blick nagelte jeden der Anwesenden an seinem Platz fest.
„Wie kommt es, dass der Bursche bewusstlos und derart dreckig ist?“, erkundigte sich der Pater in spitzem Ton und sah wieder auf Jack Kincaid hinunter.
Fiona hasste es, lügen zu müssen. Sie hasste es aus tiefstem Herzen. Aber je weniger der Pater wusste, umso sicherer war er vor der Rache ihrer Brüder. Voller Schmerz, weil ihr jüngster Bruder getötet worden war, tobten sie seit Tagen mit geballten Fäusten und schäumend vor Wut durch Castle MacLean.
Der Fluch, der auf den MacLeans lastete, hatte seinen Höhepunkt erreicht. Tagelang hatte es in Strömen geregnet, und krachende Donnerschläge hatten die Menschen, die unterhalb von Castle MacLean lebten, in Angst und Schrecken versetzt. Der Fluss, der bereits von der Frühjahrsschmelze angeschwollen gewesen war, drohte über die Ufer zu treten und das Land zu überschwemmen.
Fiona konnte nicht zulassen, dass die Häuser und Felder unschuldiger Menschen überflutet wurden. Ebenso wie sie verhindern musste, dass ihre Brüder einen Rachefeldzug begannen. Und sie hatte einen Plan, wie sie die Fehde beenden konnte und beenden würde. Der erste Schritt war gewesen, sich auf die Suche nach Jack Kincaid zu machen. Zum Glück hatte Hamish einige Gerüchte aufgeschnappt und so erfahren, dass Jack gerade eine Liebelei mit einer Frau unterhielt, die in der Nähe von Stirling lebte; mit diesem Wissen war es ein Leichtes gewesen, den Taugenichts zu finden.
Sie konnte nur hoffen, dass der Rest ihres Plans ebenso gut funktionierte. Aus irgendeinem Grund bezweifelte sie, ihr könnte derart viel Glück beschieden sein. Sie zuckte mit den Achseln und sagte mit so viel heiterer Gelassenheit, wie sie aufbringen konnte: „Wir haben ihn gefunden.“
„Bewusstlos?“
„Ja.“ Sie nickte heftig.
„Wo?“
„Auf der Straße. Sein Pferd ist wohl durchgegangen.“ Der Pater wirkte nicht sonderlich überzeugt. „Und wie ist der Bursche so nass geworden?“ Er sah sie misstrauisch an. „In diesem Teil Schottlands hat es seit drei Wochen nicht geregnet.“
Fiona musste ihn von seinen durchaus logischen Überlegungen ablenken. „Hamish, kannst du den Rüpel aufwecken?“, wandte sie sich hastig an ihren Diener. „Pater MacCanney will uns seinen Segen nicht geben, solange mein Bräutigam bewusstlos ist.“
Hamish grunzte, dann beugte er sich hinunter, packte den ohnmächtigen Jack Kincaid bei den Haaren und zog seinen Kopf nach oben.
Als Fionas Blick auf Jacks Gesicht fiel, machte ihr Herz einen Satz. Selbst nachdem er in den Schlamm gefallen war und der Regen ihm das Haar flach an den Kopf geklebt hatte, war Jack Kincaid empörenderweise immer noch ein äußerst gut aussehender Mann. Er hatte klare, männlich geschnittene Gesichtszüge mit kräftigen Kieferknochen und einer maskulin geformten Nase, rotbraune Haare, und - wären sie denn offen gewesen - die tiefblauen Augen eines Engels.
Aber genau das war er nicht: ein Engel.
Ein fernes, leises Donnergrollen ließ den Pater in Richtung des offenen Fensters sehen. Draußen lag heller Sonnenschein auf der Landschaft und den Steinmauern, und kein Wölkchen trübte den blauen Himmel.
Fiona betrachtete immer noch Kincaid. Es kostete sie all ihre moralische Stärke, ihn nicht in die Seite zu treten - wenigstens ein kleines bisschen -, wie er da so bequem in Reichweite ihrer Fußspitzen lag.
Seit jenem finsteren Tag vor fünfzehn Jahren, an dem sie die Wahrheit über Jack Kincaids Charakter entdeckt hatte, hatte sie ihre Gefühle und Gedanken über ihn unter Verschluss gehalten. Sie hatte geglaubt, dass sie nichts mehr für ihn empfand, aber offensichtlich hatte ein Teil ihrer Wut und ihres Ärgers überlebt.
Hamish hielt Jack immer noch an den Haaren fest und schüttelte seinen Kopf. Dann blickte er Fiona an. „Der Esel wacht nicht auf. “
„Das ist mir nicht entgangen“, seufzte Fiona. „Lass ihn in Ruhe.“
Bei dem dumpfen Ton, mit dem Jacks Kopf auf die Fliesen schlug, als Hamish ihn einfach losließ, zuckte der Pater zusammen.
Dennoch zeigte sich in Pater MacCanneys Gesicht Erleichterung. „Dann können Sie ihn nicht heiraten.“ „Doch, das kann ich“, sagte Fiona mit fester Stimme. „Er wird bald aufwachen.“
Der Pater schüttelte den Kopf. „Sie sind die sturste junge Frau, die mir jemals begegnet ist.“
„Nur wenn es sich nicht umgehen lässt. Sie können nicht abstreiten, dass es dem Flegel guttun wird, unter der Obhut einer starken Frau zu sein. “
„Nein“, erwiderte Pater MacCanney mit gepresster Stimme. „Das kann ich tatsächlich kaum abstreiten.“ „Ich werde dafür sorgen, dass mit dem Saufen Schluss ist. Natürlich werde ich auch zu verhindern wissen, dass er weiterhin jeden Abend durch zwielichtige Häuser zieht. Stattdessen wird er regelmäßig den Gottesdienst besuchen. Auch wenn er es noch nicht ahnt - die wilden Tage des Jack Kincaid sind vorüber.“
Auf dem Gesicht des Paters zeigte sich ein Anflug von Mitleid. „Sie können einen Menschen nicht zwingen, sich zu ändern, mein Kind. Er muss sich ändern wollen.“ „Dann werde ich ihn dazu bringen, dass er sich ändern will.“ Energisch schob sie das Kinn vor.
Der Pater nahm ihre behandschuhte Hand in seine. „Warum wollen Sie sich mit diesem Verrückten einlassen?“
„Das ist der einzige Weg, die Fehde zu beenden. Callum wird das letzte Opfer gewesen sein“, erklärte sie mit harter Stimme.
Die Augen des Paters füllten sich mit Tränen. „Auch ich trauere um Ihren Bruder. “
„Mehr als ich können Sie Callum nicht betrauern. Und als ob sein Tod nicht schlimm genug wäre, rufen meine älteren Brüder nun nach Rache. Wenn niemand diesen Wahnsinn stoppt ...“ Ihre Stimme brach, und sie sah an Pater MacCanney vorbei durchs Fenster hinaus in den immer noch blauen Himmel.
Callum, der wunderbare Callum. Ihr jüngster Bruder mit seinem rasch aufblitzenden Lächeln und dem ebenso quecksilbrigen Temperament lag nun sechs Fuß unter der Erde. Ein Grabstein war das Einzige, was an ihn und sein viel zu kurzes Leben erinnerte. Und all das wegen einer idiotischen Fehde, die vor hundert Jahren begonnen hatte.
Die MacLeans und die Kincaids bekämpften sich schon so lange, dass sich niemand mehr an den Grund für ihren gegenseitigen Hass erinnern konnte. Und nun, wegen Callums törichter Weigerung, die dumme Beleidigung eines Kincaid auf sich beruhen zu lassen, hatten sich die Dinge zugespitzt. Callum hatte den Streit, hatte den Kampf neu entfacht. Und seinen Starrsinn mit dem Leben bezahlt.
Ein Stoß, die Ecke des gemauerten Kamins - so war es passiert. Callum war tot, und nun schlugen aus dem schwelenden Feuer der uralten Fehde lodernde Flammen.
Der Pater drückte ihre Hand. „Ich habe erzählen hören, die Kincaids behaupten, sie trügen nicht die Schuld an Callums Tod. Sie sagen, es muss jemand anders ...“
„Bitte, Pater! Es hat keinen Sinn“, unterbrach sie ihn mit gequälter Stimme.
Der Pater schaute ihr ins Gesicht. Sie wusste, was er sah: die Ringe unter ihren Augen, die Blässe ihrer Haut, das Zittern ihrer Lippen, während sie verzweifelt versuchte, die Tränen zurückzuhalten.
„Pater“, sagte sie leise, „meine Brüder geben Eric Kincaid die Schuld an Callums Tod. Nichts, was ich sage, kann ihren Rachedurst stillen. Aber indem ich Jack heirate, werden er und seine Verwandten zu einem Teil unserer Familie. Meine Brüder werden gezwungen sein, ihre blutigen Pläne aufzugeben.“ Entschlossen schaute sie den Pater an. „Ich werde nicht zulassen, dass noch einer meiner Brüder sein Leben verliert.“ Zorn stieg in ihr auf, wilder, grimmiger Zorn.
Trotz des klaren Himmels rollte bedrohlicher Donner durch die Luft. Hamish nickte, als würde er einem unausgesprochenen Gedanken zustimmen. Pater MacCanney indes wurde blass.
Der Gottesmann schwieg für einige Zeit, und Fiona konnte von seinen Gesichtszügen ablesen, dass er dicht davor war, ihr zuzustimmen und zu tun, was sie von ihm verlangte. Er brauchte nur noch einen kleinen Schubs. Fest umklammerte sie mit ihren schlanken Fingern seine breite, kräftige Hand, drückte sie bittend und aufmunternd.
„Und übrigens, Pater, wenn ich dieses Opfer bringe und heirate, um die Fehde zu beenden, könnte das auch den Fluch brechen“, erklärte sie ihm mit ruhiger, sanfter Stimme, obwohl in ihr immer noch die Wut loderte.
Pater MacCanney schluckte hörbar und befreite seine Hand aus ihrem Griff. „Pst, mein Kind. Ich gestatte nicht, dass an diesem geweihten Ort über solche Dinge wie Flüche gesprochen wird.“
Das sagte er, weil er wirklich an diesen Fluch glaubte. Alte Sagen berichteten davon, wie Fionas Urgroßvater dank seines unberechenbaren Temperaments und seiner Selbstsucht den Unmut einer mächtigen weißen Hexe auf sich gezogen hatte. Deswegen hatte sie bestimmt, dass von nun an jedes Familienmitglied der MacLeans etwas beeinflussen würde, was ebenso wechselhaft war wie die Launen der MacLeans - das Wetter.
Wann immer ein MacLean, egal ob männlich oder weiblich, die Beherrschung verlor, zündete der Blitz strohgedeckte Häuser an, und der Donner brachte die Erde zum Beben. Hagel schlug das Laub von allen Bäumen und Sträuchern im Umkreis. Fluten tosten durch das Tal, ruinierten die Ernte und spülten Häuser und manchmal auch Menschen fort.
Wenn die Dorfbewohner sahen, wie sich oben auf dem Hügel Wolken über Castle MacLean zusammenballten, verkrochen sie sich voller Furcht in ihren Häusern.
Fiona schloss die Augen. Sie gehörte zu den MacLeans, sie waren ihre Familie, so wie Callum ihr Bruder gewesen war. Sie durfte nicht versagen. Wenn es ihr nicht gelang, die Situation zu beruhigen, würden ihre Brüder in blindwütigem Zorn alles zerstören.
Die einzige Möglichkeit, den Fluch zu brechen, war die, dass in einer Generation jedes Familienmitglied eine „außerordentlich gute Tat“ beging. Bis jetzt war dies kei-ner Generation gelungen. Vielleicht würde das hier als Fionas gute Tat durchgehen.
Fiona sah den Pater unter ihren Wimpern hervor an. „Es hat sich wieder und wieder erwiesen, dass der Fluch existiert.“
Pater MacCanney schüttelte den Kopf. „Ich habe großes Mitgefühl mit Ihrer Familie, mein Kind. Aber diese verrückte Idee ... “
Verzweifelt presste Fiona die Hände auf ihren Bauch. Meine letzte Hoffnung. „Ich habe keine Wahl, Pater“, stieß sie hervor, obwohl ihr ganz elend zumute wurde, als sie diese Worte aussprach. „Kincaid muss mich heiraten.“ Die Augen des Paters weiteten sich. „Heilige im Himmel, Sie meinen doch nicht ... Sie haben nicht ... Das kann nicht ...“
„Doch, es ist so. Ich bin guter Hoffnung.“
Der Pater zerrte ein Taschentuch hervor und wischte sich damit über die Stirn. „Du liebe Güte! Du liebe Güte! Das ändert alles, einfach alles. Ich werde nicht zulassen, dass in meinem Kirchspiel ein Bastard zur Welt kommt. “ Fiona schlang die Arme um den Nacken des Paters. „Vielen, vielen Dank, Pater! Ich wusste, dass ich auf Sie zählen kann.“
Seufzend erwiderte er die Umarmung. „Sie würden sowieso jemand anders finden, der Ihnen hilft, wenn ich es nicht tue.“
„Ich würde nicht wollen, dass mich jemand anders traut als Sie, Pater.“ Natürlich hatte sie sich niemals träumen lassen, auf diese Weise zu heiraten. Sie hatte gedacht, eines Tages würde sie einem gut aussehenden Mann begegnen, der sich bis über beide Ohren in sie verlieben würde, und sie würde hier, in dieser Kirche, eine wundervolle Hochzeit erleben, umgeben von ihrer Familie, inmitten eines Meers von Blumen. Nichts dergleichen würde jetzt geschehen.
Die Traurigkeit über das, was sie nun niemals haben würde, machte ihr das Herz schwer. Doch dann verdrängte sie entschlossen die trüben Gedanken. „Pater MacCanney, es ist die richtige Entscheidung. Das hier bedeutet für uns alle einen neuen Anfang. “
Der Pater seufzte erneut und wandte sich dann an Hamish. „Stell ihn wenigstens auf die Füße. Kein Mann sollte im Dreck liegend heiraten. “
„Danke, Pater“, wiederholte Fiona. „Sie werden es nicht bereuen.“
„Nicht ich werde es sein, der diesen Tag bereuen wird, mein Kind, sondern Sie“, verkündete der Geistliche mit ernster Stimme und mahnendem Blick.
Fiona erwiderte nichts und hoffte inständig, dass er sich irrte.
Hamish stupste den liegenden Mann mit seinem riesigen Stiefel an. „Vielleicht sollt ich seinen Kopf ins Wasser tauchen.“ Er sah hinüber zum Weihwasserbecken.
Pater MacCanney schnappte nach Luft. „Das ist geweihtes Wasser!“
„Ich glaub nicht, dass es Gott stören würde“, stellte Hamish mit seiner tiefen, dröhnenden Stimme fest. „Außerdem ist es sein Hochzeitstag und ...“
„Nein“, gebot Pater MacCanney ihm entschieden Einhalt und schürzte die Lippen. „Vielleicht bringt ein kleiner Schluck den Mann auf die Beine.“
Hamish sah starr vor sich hin und reagierte nicht. „Hamish“, ermahnte Fiona ihn. „Wir alle müssen Opfer bringen. “
„Sie verlangen eine Menge“, brummte Hamish. Er fasste in seinen Mantel und zog eine Taschenflasche hervor. Widerstrebend öffnete er sie, zog Kincaids Kopf nach hinten und schüttete ein wenig Flüssigkeit in den Mund des bewusstlosen Mannes.
Kincaid hustete und prustete, aber er schob Hamishs Hand nicht weg. Im Gegenteil: Noch immer nur halb bei Bewusstsein, hob er den Arm, griff nach der Flasche und goss sich einen großen Teil des Inhalts in den Mund.
„Verdammter Kerl!“ Hamish entwand ihm die Flasche. „Sie ham die Hälfte von meinem Whisky getrunken! “ Der Hüne zog Kincaid an den Aufschlägen seiner Jacke hoch und machte Anstalten, ihn zu verprügeln.
„Danke, Hamish“, sagte Fiona rasch und eilte an Kincaids Seite.
Kincaid blinzelte und sah sich verwirrt um. „Das hier ist eine ... Kirche? Ich habe noch nie geträumt, dass ich in einer Kirche war. “
In dem Bemühen, ihn aufrecht zu halten, schob Fiona ihren Arm unter seinen. Er sank gegen sie, und sein herber, männlicher Duft, eine Mischung aus Sandelholz und Moschus, hüllte sie ein. Sofort war die Erinnerung an eine andere Zeit wieder da. An eine längst vergangene Zeit. Die Erinnerung an heiße Hände und heißes Verlangen, an den verzweifelten Wunsch mit ihm ...
Draußen grollte über dem in hellem Sonnenschein liegenden Garten erneut der Donner.
Pater MacCanney schien Schwierigkeiten mit dem Schlucken zu haben. Hamish, der inzwischen seine Flasche wieder sicher in der Manteltasche verstaut hatte, sah Fiona strafend an, als hätte er ihre Gedanken gelesen. Immerhin war er seit ihrer Kindheit derjenige, der auf sie aufpasste.
Sie errötete und räusperte sich. „Du bist tatsächlich in einer Kirche, Kincaid. Du bist hier, um mich zu heiraten.“
„Heiraten?“ Fragend sah er sie an, und die Klarheit seines Blicks, in dem das Blau des Loch Lomond leuchtete, traf sie wie ein Stoß vor die Brust.
Es war, als würde sie in dieses Blau hineingezogen, wäre in einen Sog geraten und würde nun in ein Becken voll warmem Wasser sinken.
Ein sanftes Lächeln legte sich um seine Lippen. „Fiona MacLean.“ Die Worte kitzelten rau und verführerisch ihre Sinne.
Zu ihrem Entsetzen spürte sie in seiner Nähe eine rasch wachsende Hitze, die sie nach Atem ringen ließ. Die Donnerschläge wurden lauter, und ein warmer Windstoß lief wie eine Welle durch das Gras und ließ die Blumen ihre Köpfe senken.
Fiona ballte die Hände zu Fäusten und konzentrierte sich auf den Rhythmus ihres Herzschlags. Auf keinen Fall durfte sie die Kontrolle verlieren. Sie wusste, dass sie einen gefährlichen Weg eingeschlagen hatte. Jack Kincaid hatte diese Wirkung auf Frauen. Auf jede Frau. Da ist eine wie die andere, beruhigte sie sich selbst.
Bei diesem Gedanken kühlte sich ihre Leidenschaft ab. „Bleib gefälligst wach, Kincaid“, sagte sie in munterem Ton. „Wir haben heute etwas Wichtiges zu erledigen. “
Er ließ seinen flackernden Blick über ihr Gesicht wandern und verweilte erst bei ihren Augen, dann bei ihren Lippen. Schließlich brachte er sein Gesicht so dicht an ihres, dass sein whiskygetränkter Atem ihr Ohr und ihre Wange wärmte. „Sag mir, Liebste, wenn ich dich in diesem Traum heirate, wirst du mich dann wieder in dein Bett lassen?“
Ihr Atem stockte, dann erwiderte sie, ebenfalls flüsternd: „Ja, du wirst in meinem Bett willkommen sein. Das hier ist eine echte Hochzeit, obwohl wir keine Gefühle füreinander haben. “
„Da sprichst du nur für dich“, stellte er mit weicher, heiserer Stimme fest.
Sie hob den Kopf und sah ihm in die Augen, während ihr Herz erstaunlich ruhig weiterschlug. „Was ... Was willst du damit sagen?“
„Ich will damit sagen, dass ich sehr wohl Gefühle für dich habe. Ich lechze danach, dich zu berühren, dich ...“ „Das hat nichts mit Gefühlen zu tun“, unterbrach sie ihn hastig. Wie hatte sie nur denken können, dass er etwas anderes meinte? Wenn ihre gemeinsame Zeit mit Jack ihr eine Erfahrung eingebracht hatte, dann die, dass er zu Gefühlen nicht fähig war. Jedenfalls nicht zu echten Gefühlen. „Das können wir alles später besprechen. Jetzt müssen wir erst mal heiraten.“
Wieder glitt sein Blick über ihr Gesicht und blieb an ihren Lippen hängen. Er schenkte ihr ein träges, verführerisches Lächeln. „Ich werde dich heiraten, Fiona MacLean, und werde dich in mein Bett bekommen, wie es sich für Braut und Bräutigam gehört. Wenn das kein wunderbarer Traum ist! “
Wütend zischte sie ihn an: „Das hier ist bitterer Ernst, Jack. Indem wir heiraten, können wir die Fehde beenden. “ „Fehde?“, erkundigte er sich, als hätte er noch nie etwas von dem jahrhundertealten Streit gehört.
Sie blinzelte, weil er es immer wieder schaffte, sie zu verwirren. „Die zwischen unseren Familien“, erklärte sie, als würde sie seine Frage ernst nehmen.
„Oh. Die Fehde. Darüber würde ich mir auch Gedanken machen, wenn ich nicht längst tot und mitten in einem Traum wäre.“ Er legte ihr den Arm um die Schultern. „Sei’ s drum! Walten Sie Ihres Amtes, Pater“, sagte er großspurig. „Es ist ohnehin nur ein Traum.“
Pater MacCanney sah Fiona fragend an. „Sind Sie sicher, mein Kind?“, erkundigte er sich noch einmal.
Fiona atmete tief durch. In wenigen Augenblicken würde sie verheiratet sein. Verheiratet mit einem Mann, der schon bald wieder nüchtern und dann wegen der Sache, die sie hier eingefädelt hatte, wütend auf sie sein würde. Verheiratet mit dem Mann, der sie vor langer Zeit verraten hatte. Und der sie wieder verraten würde, wenn sie dumm genug war, ihm die Gelegenheit zu geben.
Sie straffte ihre Schultern. Er würde keine Möglichkeit mehr haben, ihr wehzutun, dafür würde sie sorgen.
„Ja, Pater“, sagte sie mit fester Stimme. „Ich bin bereit.“