15. KAPITEL

Trefft gute Entscheidungen, ihr Mädchen, entscheidet euch schnell und bleibt dann dabei. Diejenigen, die nicht wissen, was sie wollen, bekommen, was sie verdienen.

So sprach die alte Heilerin Nora von Loch Lomond in einer kalten Nacht zu ihren drei jungen Enkelinnen.

Fiona blieb vor dem Spiegel in der Halle stehen und setzte ihren hohen Reithut schräg auf, sodass er verwegen über einem Auge saß. Eine lange Straußenfeder wippte über der Krempe.

Das dazu passende neue Reitkostüm aus grünem Samt saß wie angegossen; und der strenge Schnitt unterstrich perfekt ihre üppigen Formen.

Gregor und Dougal würden das Kostüm nicht mögen, da war sie sich sicher. Lächelnd zog sie ihre Handschuhe an und nickte dem Lakaien John zu, der ihr die Tür öffnete und ihr einen schönen Tag wünschte.

Mit ihren Pferden neben sich, warteten ihre Brüder vor dem Haus auf sie. Beide waren nach der neusten Mode gekleidet, in ihren Halstüchern steckten schlichte Schmucknadeln, und ihre Stiefel waren sorgfältig poliert. Ihr Aufenthalt in London hatte ihnen in vielerlei Hinsicht gutgetan, aber noch erstaunlicher war, wie sich London auf das Aussehen ihrer Brüder ausgewirkt hatte. Besonders auf Gregors.

Obwohl Dougal wegen seiner blonden Haare und blauen Augen häufig bewundert wurde, war es Gregor, der mit seinem Aussehen eines dunklen Engels und den in sich gekehrten Blicken der Damenwelt sehnsüchtige Seufzer entlockte. Fiona hatte sogar einmal eine Frau sagen hören, ohne seine Narbe würde er wie die Statue des Apollo im Britischen Museum aussehen, viel zu schön, um wahr zu sein.

Gregor lehnte an einem Baum, die Zügel seines Pferdes hatte er sich über den Arm gehängt. Sein Hut war tief in die Stirn gezogen, sodass die Krempe einen Schatten über die Narbe warf, die sein Gesicht verunzierte. Neben ihm stand Dougal, groß und blond, mit einem spitzbübischen Funkeln in den Augen.

„Das wird auch Zeit.“ Mit einer geschmeidigen Bewegung stieß Gregor sich vom Baum ab, als Fiona zu ihnen trat.

„Es tut mir leid, dass ich zu spät bin. Ich habe mich mit Jack unterhalten und dabei die Zeit vergessen.“ Fiona beschattete ihre Augen mit der Hand, um zu sehen, ob der Stallbursche ihr Pferd brachte.

Gregor zog eine Braue hoch. „Gibt es Probleme mit Jack?“

„Nein“, antwortete sie ein wenig zu hastig.

Dougal runzelte die Stirn. „Nun sag schon. Was hat der Halunke wieder angestellt?“

Er hatte mit seinem Lächeln ihr Herz zum Hüpfen gebracht, hatte sie geliebt, bis sie kaum noch laufen konnte, und war ansonsten der dickköpfigste aller Männer. „Er hat überhaupt nichts angestellt. Wahr und wahrhaftig. “ Sie strich sich eine Locke hinters Ohr. „Allerdings brauche ich euren Rat.“

„Was für einen Rat?“, erkundigte sich Gregor vorsichtig.

„Wegen meines Mannes“, erwiderte Fiona und betrachtete die Spitzen ihrer Reitstiefel.

Dougal zeigte auf seinen Bruder. „Darum kannst du dich kümmern.“

„Ich? Was weiß ich denn über die Ehe? Meine Affären dauern nie länger als drei Wochen“, platzte Gregor heraus.

„Das liegt daran, dass du in dem Moment, in dem dir eine Frau in die Falle geht, das Interesse verlierst“, erklärte ihm Dougal grinsend.

Gregor sah ihn strafend an. „Unsere Schwester sollte solche Dinge nicht zu hören bekommen. “ „Entschuldigung. Ich habe nicht nachgedacht“, sagte Dougal errötend.

An dieser Stelle mischte sich Fiona ein. „Du hast jedenfalls durchaus schon Erfahrung mit ernsthafteren Verbindungen, Gregor. Jahrelang hast du Venetia Oglivie sehr nahegestanden.“

Gregor warf ihr einen empörten Blick zu. „Venetia und ich kennen uns, seit wir fünf Jahre alt sind. Das ist nicht die Art von ernsthaft, die mich dazu befähigt, dir Ratschläge bezüglich deiner Ehe zu geben.“

Nachdenklich kratzte Dougal sich am Kinn. „Ich dachte immer, Venetia und du würdet eines Tages heiraten.“ „Sie ist nicht der Typ Frau, der mir gefällt“, erklärte Gregor und sah seinen Bruder feindselig an.

„Ich finde sie entzückend“, warf Fiona ein. „Sie ist klug, lustig und kultiviert und ... “ Sie hielt inne und lächelte verschmitzt. „Tatsächlich, du hast recht, sie passt nicht zu dir.“

„Bist du fertig?“, erkundigte sich Gregor mit todernster Miene.

„Sie ist ihm zu üppig“, bemerkte Dougal. „Das ist der wahre Grund, weshalb Gregor sie nicht will. Er ist fasziniert von Frauen ohne Busen. “ Er duckte sich, als Gregor ausholte. „Es stimmt aber! Das Tratham-Huhn ist flach wie ein Brett.“

„So hast du ganz sicher nicht gedacht, als du hinter ihr her warst“, brummte Gregor missmutig.

Dougal zuckte die Achseln. „Das lag daran, dass ich geblendet von ihrem Gesicht war. Nachdem ich meinen Blick davon losgerissen hatte, brauchte ich nicht mehr lange, um den Rest der Frau zu bemerken. Oder vielmehr den Mangel daran. “

„Du hast sie nicht nackt gesehen“, erklärte Gregor grinsend. „Sie hat alles, was sie braucht, um ...“ „Entschuldigt bitte“, unterbrach ihn Fiona mit scharfer Stimme. „Wir sprachen eigentlich von mir.“

Gregor lachte in sich hinein. „Tut mir leid, Schwesterlein. Natürlich wollen wir dir so gut helfen, wie wir können.“

„Da ist dein Pferd“, bemerkte Dougal, als sich der Stallbursche mit Fionas Stute näherte. „Lasst uns die Tiere bis zum Ende der Straße führen, dann können wir diese Unterhaltung zu Ende bringen, ohne dass uns die Dienstboten zuhören.“

Ein wenig besorgt betrachtete Fiona ihre neuen Reitstiefel. Sie nahm an, dass sie darin ein Stück laufen konnte. Nachdem sie Dougal Ophelias Zügel überlassen hatte, gingen sie die Straße hinunter, bis sie außer Hörweite der Fenster des Hauses waren.

Der obere Teil der Grosvenor Street war eine breite, schattige Allee, in der hübsche Häuser standen. Es gab Blumen im Überfluss, und durch die Regenfälle der letzten Tage wirkte alles frisch und grün.

Sobald sie sich von Kincaid House entfernt hatten, wandte Fiona sich an ihre Brüder: „Ich brauche die Meinung eines Mannes. Meine Ehe mit Kincaid ist ein wenig schwieriger, als ich es mir vorgestellt habe. Es gibt einige Dinge, in denen wir nicht übereinstimmen, und ... “

„Du möchtest, dass er in einer bestimmten Sache seine Meinung ändert“, beendete Gregor ihren Satz.

„Woher weißt du das?“ Sie sah ihn erstaunt von der Seite an.

„Mir ist aufgef allen, dass Frauen oft den Wunsch haben, Männer zu ändern, selbst die, die sie lieben“, erklärte ihr Bruder in ruhigem Ton.

„Das habe ich auch bereits bemerkt.“ Dougal runzelte die Stirn. „Was seltsam ist, wenn man darüber nachdenkt. Denn wenn es dir nicht gefällt, wie ein Mann ist, wieso lässt du dich dann mit ihm ein?“

Fragend sah Gregor seine Schwester an. „Vielleicht kannst du uns diese Frage beantworten?“

„Ich?“ Fiona schüttelte den Kopf. „Ich weiß noch nicht einmal, wie ich Jack davon abhalten kann, die Nächte in irgendwelchen Kaschemmen und Spielhöllen zu verbringen. Seiner Meinung nach hat er das Recht, genauso zu leben wie vor unserer Hochzeit, weil er nicht freiwillig mit, mir vor den Altar getreten ist.“

Dougal nickte. „Das hört sich nach einem vernünftigen Argument an.“

„Wirklich?“ Fiona betrachtete ihn einen Moment lang ernst. „Und ich denke, du würdest auch ungerührt Zusehen, wenn deine Gattin bis in die frühen Morgenstunden ausginge, um zu trinken, zu spielen und was weiß ich noch alles?“

„Das würde ich niemals erlauben!“, verkündete Dougal mit finsterem Blick. Dann änderte sich plötzlich sein Gesichtsausdruck, und er sah Fiona verlegen an. „Ich verstehe, was du meinst.“

„So?“ Sie nickte zufrieden. „Und was würdest du an meiner Stelle tun?“

Dougal sah Gregor an, der in Gedanken versunken neben ihnen herging.

„Nun?“, drängte Fiona.

Gregor hob den Kopf und wandte ihr das Gesicht zu „Ich weiß, was du tun musst.“

Gott sei Dank. Sie hatte schon angefangen zu befürchten, es könnte ein Fehler gewesen sein, ihre Brüder um Rat zu fragen.

„Ich denke, du solltest ihn schockieren, ihn überraschen, das tun, was er am wenigsten erwartet. Männer mögen unberechenbare Frauen“, behauptete Gregor mit ernster Stimme.

Sie blinzelte überrascht und schaute Dougal an, der ebenso ungläubig aussah, wie sie auf Gregors Vorschlag reagierte.

„Gregor“, wandte sich Dougal an seinen Bruder, „ich bin nicht sicher, dass ... Au! “ Dougal hüpfte mit schmerzverzerrtem Gesicht auf einem Fuß herum. „Verdammt noch mal, Gregor! Das war mein Zeh!“

„Habe ich dich getreten?“, erkundigte sich Gregor in harmlosem Ton. „Das tut mir leid.“

Dougal bückte sich, um seinen Stiefel zu betrachten. „Nun glänzt er nicht mehr richtig“, stellte er betrübt fest.

„Hier.“ Schwungvoll warf Gregor sein Taschentuch in Dougals Richtung, das dieser geschickt mit der freien Hand fing. „Während du deine Stiefel polierst, werden Fiona und ich unsere Unterhaltung fortsetzen.“

Gregor zog Fionas Hand unter seinen Arm und ging mit ihr weiter die Straße entlang. „Du musst Kincaid herausfordern, Fiona. Musst ihn zwingen, die Dinge so zu sehen, wie du sie siehst“, erklärte er seiner Schwester.

„Aber dann wird er zornig werden. “ Fiona hatte bereits ihre Erfahrungen mit Jack gemacht.

„Kümmere dich nicht darum. Vielmehr, hör nicht auf ihn“, riet Gregor ihr ungerührt. „Egal, wie wütend er wird, tu einfach, was du für richtig hältst. Er wird rechtzeitig zur Vernunft kommen.“

Ein wenig ängstlich sah Fiona ihn an. „Glaubst du wirklich, das könnte klappen?“

Er tätschelte aufmunternd ihre Hand. „Versuch es. Finde heraus, ob ich recht habe.“

„Danke, Gregor“, sagte sie lächelnd. „Ich wusste, dass ich mich auf dich verlassen kann.“

Nachdem Dougal sie eingeholt hatte, bestiegen sie ihre Pferde und ritten in den Park. Über ihnen schien die Sonne freundlich von einem blauen Himmel.

Später am Tag saßen Dougal und Gregor bei White’s und genossen die besten Speisen und Getränke, die der Club zu bieten hatte. Vor ihnen stand eine Flasche Brandy, daneben eine Platte mit Brot und Käse.

Mit einem zufriedenen Lächeln setzte Gregor sein Glas ab und stellte es vor sich auf den Tisch. „Ich glaube, das habe ich sehr gut eingefädelt. Kein Mann mag eine Frau, die ihn herumkommandiert, und Fiona neigt sowieso dazu, lauthals ihre Meinung zu allem zu sagen.“

„Sie ist ein herrisches Frauenzimmer“, stimmte ihm Dougal nickend zu. „Kincaids friedliche Tage sind gezählt. Sie wird ihn ununterbrochen zur Weißglut bringen.“

„Was sie auf keinen Fall tun sollte, wenn sie ihren Verstand beisammen hätte.“ Gregor lehnte sich behaglich zurück und sah den Rauchkringeln nach, die ein Zigarrenraucher am Nebentisch zur Decke steigen ließ.

„Frauen“, seufzte Dougal. „Sie haben kein bisschen Verstand. “

„Keine von ihnen.“ Gregor nickte energisch. „Denk doch nur an Fionas verrückten Plan, Kincaid zu heiraten, um mal ein Beispiel zu nennen. Das ist wirklich völliger Unfug.“

Dougal nickte verdrießlich, während er mit seinem Glas herumspielte. „Immerhin ist es ihr gelungen, die Fehde zu unterbrechen. Zurzeit herrscht Ruhe zwischen den MacLeans und den Kincaids.“

„Ja. Ich verspüre allerdings nicht das geringste Bedürfnis, Kincaid für den Rest meines Lebens bei Familienfeiern sehen zu müssen. Wenn Fiona und er nicht miteinander auskommen, wird uns das erspart bleiben. Sie werden zwar verheiratet sein, sich aber aus dem Wege gehen“, erläuterte Gregor seinen Plan.

Dougals Miene hellte sich auf. „Daran habe ich noch gar nicht gedacht.“ Er nahm einen großen Schluck aus seinem Glas. „Es ist zu schade, dass Alexander gesagt hat, wir dürften nicht die Hand gegen Kincaid erheben.“ „Er hat gedroht, uns bis ans Ende unserer Tage mit Blitzschlägen zu traktieren, wenn wir auch nur daran denken“, brummte Gregor. „Unser ältester Bruder ist ein kleinlicher Tyrann.“

„Vielleicht nennt Fiona das Kind Callum“, sagte Dougal gedankenverloren. „Das wäre besser als jede Rache.“ Diese Idee gefiel Gregor, bis ihm ein anderer Gedanke kam. „Was, wenn es ein Mädchen wird?“

„Callumia“, verkündete Dougal nach angestrengtem Nachdenken.

„Das hört sich an wie eine Magenkrankheit.“

„Callia?“ Dougal sah seinen Bruder erwartungsvoll an. „Hm. Vielleicht.“ Besonders begeistert klang das nicht. Einen Moment lang herrschte Schweigen zwischen ihnen, während sie über den Familienzuwachs nachdachten. Dougal schenkte sich Brandy nach. „Denkst du, Fionas Opfer zählt als ihre gute Tat, Gregor?“

Obwohl sie nicht oft darüber sprachen, dachten sie doch ständig an den Fluch.

Gregor fing Dougals hoffnungsvollen Blick auf und zuckte die Achseln. „Vielleicht. Es war ein Opfer, das sie reinen Herzens gebracht hat. Und das ist alles, was der Fluch erfordert.“

„Das stimmt. Der Fluch bedeutet nicht, dass das Opfer erfolgreich sein muss.“

„Genau. Wir müssen nur alle eine Anstrengung unternehmen.“

Dougal strich sich nachdenklich über das Kinn. „Du hättest Fiona nicht so einen schlechten Rat geben sollen, Dougal. Sie wird etwas tun, um Kincaid zu reizen, und das könnte gefährlich werden.“

Mit finsterem Gesicht schob Gregor sein leeres Glas über den Tisch. „Sie ist kein Dummkopf, Dougal.“

„Nein, aber sie hat Temperament, wie alle MacLeans“, stellte Dougal halb stolz und halb besorgt fest. „Man weiß nie, was sie tut, wenn sie zornig wird. Frag Lucinda Featherington. “

„Verdammt noch mal, Dougal. Musst du jede gute Idee, die ich habe, totreden?“

„Wenigstens stehe ich zu dem, was ich bin“, erwiderte Dougal beleidigt. „Ganz anders als du, der du meinst, du hättest eigentlich ein Prinz werden sollen.“

„Das stimmt nicht ganz, aber ich würde mich nicht beschweren, wenn ich einer wäre.“ Gregor schaute in die bernsteinfarbenen Tiefen seines Glases. „Was auch immer passiert, ich bin sicher, Fiona wird den richtigen Weg finden. “

„Und wenn nicht?“ Dougal war der schwarzseherischere der beiden Brüder.

„Dann ist es unsere Aufgabe, dafür zu sorgen, dass sie es doch tut.“ Gregor dagegen war manchmal der entschlossenere.