Spaziergang 8: Alsergrund und Josefstadt
Spaziergang
Zu Fuß oder per U-Bahn am Schottentor angekommen, geht es durch den kleinen Sigmund-Freud-Park zur → Votivkirche, die Kaiserbruder Ferdinand Max aus Dank für das Misslingen des Attentats auf Franz Joseph I. (27. Februar 1853) errichten ließ.
Von diesem Wahrzeichen des 9. Bezirks bewegen wir uns zur Hauptverkehrsader Währinger Straße, um bald rechter Hand in die abschüssige Berggasse einzubiegen. In Haus Nr. 19 wohnte und praktizierte von 1891 bis 1938 Sigmund Freud, der Begründer der Psychoanalyse. Sein 1971 zum → Sigmund-Freud-Museum umgewidmetes Domizil versetzt den Besucher in die im Frühjahr 1938 gewaltsam aufgelöste Alltagsnormalität des berühmten jüdischen Arztes. Mit dem tröstlichen Wissen, dass Dr. Freud das nationalsozialistische Wien noch rechtzeitig verlassen und im Juni desselben Jahres nach England emigrieren konnte, begeben wir uns (eventuell nach einem Abstecher zur → Rossauer Kaserne am Schlickplatz) via Servitengasse mit der Namen gebenden Servitenkirche (1670) zu einem weiteren Schauplatz der jüdischen Stadtgeschichte. Gemeint sind die Reste des ältesten jüdischen Friedhofs Rossau, der nachweislich bereits 1582 existierte. Die verwitterte Grabsteingruppe ist mittlerweile in die Gebäudetrakte einer modernen Seniorenwohnanlage eingefasst und auch allein durch deren Eingangshalle an der Seegasse 9 zu betreten.
Von dort steuern wir über die Porzellangasse, wo Schauspielhaus und International Theatre zeitgenössische Stücke inszenieren, das → Liechtenstein Museum an der Fürstengasse an, dessen Domizil ab 1690 unter der fachkundigen Anleitung der gerade aus Italien angereisten Baumeister Domenico Egidio Rossi und Domenico Martinelli seine barock-betörende Gestalt annahm.
Nur einen Steinwurf vom Museum entfernt rankt sich jenseits der Liechtensteinstraße seit 1910 die von Theodor Jäger entworfene, von mehreren Plateaus und sogar einer Brunnenanlage unterbrochene Strudlhofstiege zur höher gelegenen gleichnamigen Gasse hinauf. Die auffällige Treppenanlage verdankt ihre Berühmtheit einem 1951 publizierten Roman von Heimito von Doderer („Die Strudlhofstiege“), dessen Protagonisten sich wiederholt auf ihren Stufen einfinden.
In den fiktiven Fußstapfen der Romanfiguren oben angekommen, folgen wir der Strudlhofgasse bis zur Währinger Straße. Auf der halten wir uns links – rechts geht’s übrigens zur Volksoper, dem alternativen Kulturzentrum WUK und den Alsergrunder Gürtelkneipen –, um in der Währinger Straße 25 das → Museum der Medizinischen Universität Wien im Josephinum und das → Zahnärztliche Museum gleich daneben aufzusuchen.
In die ebenso faszinierende wie befremdliche Welt der inneren Organe, Operationstechniken und -instrumente eingeführt, begeben wir uns über die Van-Swieten-Gasse, vorbei an den modernen Glasfronten später hinzugefügter Universitätsgebäude in das Innenhoflabyrinth des → Alten Allgemeinen Krankenhauses. Kaum eingedrungen, stoßen wir im Hof 13 auf den sog. Narrenturm, in dem von 1784 bis 1869 psychisch Kranke behandelt wurden, ab 1905 Schwestern und Ärzte wohnten, dann Werkstätten einzogen und schließlich 1971 das für Zartbesaitete und Hypochonder weniger geeignete → Pathologisch-anatomische Bundesmuseum eingerichtet wurde.
Danach durchschreiten wir den für damalige Verhältnisse gigantischen und sozialpolitisch fortschrittlichen historischen Krankenhauskomplex, um mit der Alserstraße die Grenze zum 8. Bezirk namens Josefstadt zu überschreiten.
Dort empfehlen wir einen Bummel über deren kommerzielle, kulturelle und gastronomische Hauptschlagader Josefstädter Straße, die vom Lerchenfelder Gürtel im Westen bis zum Rathaus im Osten „hinunterfällt“, sodass man von oben kommend immer wieder den Steffl im Visier hat. Die stets quirlig belebte Straße wird vom Theater in der Josefstadt, vielen kleinen Geschäften und den Kaffeehausklassikern Hummel und Eiles gesäumt, wobei es auch in ihren Parallelstraßen und Seitengassen so manches kulturelle oder gastronomische Kleinod zu entdecken gibt: In der Laudongasse findet man das → Österreichische Museum für Volkskunde mit dem dahinterliegenden Schönborn-Park, und die Piaristengasse öffnet sich zu einem bilderbuchreifen Kirchplatz vor der 1753 geweihten Piaristenkirche. Das von Johann Lukas von Hildebrandt kreierte barocke Schmuckstück ist in seinem Innern mit einem Deckenfresko von Franz Anton Maulbertsch veredelt, birgt eine Schleifladenorgel, auf der schon Joseph Haydn spielte, und gibt im Sommer eine stimmungsvolle Kulisse für die Gastgärten der umliegenden Kaffeehäuser und Restaurants ab.
In der Lenaugasse hebt sich allabendlich der Vorhang des bekannten Kabaretts Niedermair, in der Josefsgasse der von Vienna’s English Theatre, und in der Lederergasse laufen das Ehepaar Klettenheimer und seine Gäste regelmäßig zu kleinkünstlerischer Hochform auf.
Als Endpunkte der kulturell-kulinarischen Stadtteilerkundung böten sich das Rathaus oder die U-Bahn-Station Josefstädter Straße am Lerchenfelder Gürtel an, von der man je nach Tageszeit noch zum türkisch geprägten Brunnen- und dem derzeit äußerst angesagten Szenetreffpunkt Yppenmarkt jenseits des Gürtels hüpfen oder die eine oder andere Kneipe auf der Gürtellinie inspizieren könnte.