Kunst- und Kulturgeschichte
Literatur, Theater und Film
Nachdem sich mit Walther von der Vogelweide und Neidhart von Reuental die ersten namhaften Dichterpersönlichkeiten des deutschen Sprachraums schon am Ende des 12. Jh. am Hof der Babenberger die Ehre gegeben hatten, wuchs Wien an der Zeitenwende vom Mittelalter zur Neuzeit zu einem der geistigen Zentren des europäischen Humanismus heran, was maßgeblich dem Mäzenatentum Maximilians I. zu verdanken war. Der kulturell ambitionierte Monarch protegierte die Literatur und förderte die früheste Wiener Theateraufführung anno 1499, die wie die meisten szenischen Darstellungen der Zeit geistlichen Inhalts war.
Der Transport religiöser Botschaften sollte
das Wiener Theatergeschehen noch bis ins
17. Jh. hinein bestimmen, zumal es ebenso wie die
künstlerische Produktion anderer Sparten vor den Karren der
Rekatholisierung gespannt wurde. Inhaltlich und formal dominierte
das von mittelalterlichen Passions- und Fronleichnamsspielen
inspirierte Jesuitendrama, in dem die Mitglieder des gleichnamigen
Ordens als Schauspieler agierten. Erst als Wien wieder fest in
katholischer Hand war, begann mit den Vorstellungen des 1709
eröffneten, als Sing- und Sprechbühne gleichermaßen genutzten
Kärntnertortheaters die Geschichte der weltlichen
Wiener Traditionsbühnen. Die Leitung des ersten profanen Theaters
übernahm 1712 der Autor und Schauspieler Josef Anton Stranitzky, der die Figur des
Hanswurst kreierte und als Erfinder des Wiener Volksstückes in die
kulturhistorischen Annalen eingegangen ist.
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Auf Initiative von Maria Theresia ging 1741 das Theater nächst der Burg am Michaelerplatz mit gesprochenen und gesungenen Dramen in die erste Spielzeit, bevor es 1776 in Nationaltheater und 1821 in Hofburgtheater umbenannt wurde. Während sich das Kärntnertortheater ab 1810 zur später gefeierten Hofoper wandelte, fungierte das Hofburgtheater bald als reine Sprechbühne, um sich nach dem Umzug in sein prachtvolles neues Domizil an der Ringstraße (1888) zum vielleicht bedeutendsten klassischen Theater im deutschen Sprachraum zu entwickeln.
Als zweitwichtigste Wiener Sprechbühne gilt das 1889 gegründete, von jeher auf Gegenwartsstücke abonnierte (Deutsche) Volkstheater, als Dritte im Bunde das bereits 1788 eröffnete Theater in der Josefstadt. Letzteres hatte mit Volksstücken mit Lokalkolorit reüssiert, bevor es unter der Intendanz von Max Reinhard, dem späteren Gründer der renommierten Schauspielschule (1929), in den 1920er Jahren zur kultivierten Sprechbühne avancierte.
Die literaturhistorische Entwicklung des 19. Jh. war eng mit der Theatergeschichte verwoben, weil viele zeitgenössische (Wahl-)Wiener Autoren ihre Texte fast ausschließlich für die Bühne produzierten. Das gilt für Franz Grillparzer, Eduard von Bauernfeld, Ferdinand Raimund, Johann Nestroy und Ludwig Anzengruber, wobei der Erzähler Adalbert Stifter, die Lyriker(innen) Nikolaus Lenau, Anastasius Grün, Ferdinand von Saar und Marie von Ebner-Eschenbach weniger enge Beziehungen zum Schauspiel unterhielten.
Doch nun zu der langen Liste der einheimischen und zugezogenen Kulturschaffenden, die die gesellschaftliche und politische Umbruchphase der vorletzten Jahrhundertwende und die Erfahrungen des Ersten Weltkriegs auf Papier, der Bühne und bald auch Zelluloid reflektierten, kritisierten und karikierten:
Ganz oben steht eine so illustre Dichterpersönlichkeit wie Hugo von Hofmannsthal, der sein literarisches Profil in respektvoller Abgrenzung zu den oben genannten Naturalisten bzw. Realisten schärfte. Es folgen die unter dem literaturgeschichtlichen „Label“ Wiener Impressionisten oder Feuilletonisten subsumierten Schriftsteller und/oder Journalisten Arthur Schnitzler, Stefan Zweig, Felix Salten, Richard Beer-Hoffmann, Hermann Bahr, Anton Kuh, Peter Altenberg, Karl Kraus, Alfred Polgar, Friedrich Torberg oder Egon Friedell, die ihre kreativen Muskeln vorzugsweise in Wiener Kaffeehäusern spielen ließen (siehe Kasten S. 75).
Unter den Expressionisten sind
„hauptberufliche“ Schriftsteller wie Georg Trakl oder Anton
Wildgans sowie die Maler/Grafiker Oskar Kokoschka, Alfred Kubin und
Albert Paris Gütersloh hervorzuheben, die sich auch als Dramatiker
bzw. Erzähler einen Namen gemacht haben.
In allerjüngster Vergangenheit freute sich Wien übrigens über den Oscar des gebürtigen Wieners Christoph Waltz, der die begehrte Trophäe 2010 als bester Nebendarsteller in Quentin Tarantinos Inglorious Basterds erhielt und die Meriten des Wahlwiener Regisseurs Michael Haneke, dessen Film Das weiße Band (2009) u. a. die Goldene Palme von Cannes, den Golden Globe und den Europäischen und Deutschen Filmpreis einheimste.
Von denen, die in Wien geboren oder temporär von der
zeitgenössischen Wiener Kulturszene inspiriert wurden, seien
schließlich die Mitglieder der Prager
Dichtergruppe Franz Werfel, Max Brod und Franz Kafka sowie
Ödön von Horvath, Robert Musil, Hermann Broch, Joseph Roth und
Heimito von Doderer aufgelistet, von denen die meisten als große
Romanciers in die Geschichte der Weltliteratur eingegangen
sind.
Mit dem heraufziehenden 20. Jh. wurde die lokale Theaterlandschaft um die ersten Kabarettbühnen (z. B. Simplicissimus, 1912) und Lichtspielhäuser bereichert. 1908 flimmerte mit Anton Kolms „Von Stufe zu Stufe“ der erste vor Ort produzierte Film über eine von damals drei Kinoleinwänden. 1915 war die Zahl der Kinos bereits auf 150 angewachsen und bis 1930 waren mehr als 1.000 Filme abgedreht, die in erster Linie von der 1910 gegründeten Sascha-Film produziert wurden. Auf den Wiener Regiestühlen saßen Robert Wiene, Michael Kertesz, Fritz Lang oder Hubert Marischka, als (Stumm-)Filmstars glänzten der Lokalmatador Alexander Girardi, Marlene Dietrich oder Willi Forst.
Weil Wien dennoch nicht mit den Filmmetropolen Berlin oder Rom konkurrieren konnte, kehrten einige namhafte Regisseure wie Erich von Stroheim oder Josef von Sternberg ihrer Heimat bereits seit den 1920er Jahren den Rücken. Dass die Filmschaffenden jüdischer Herkunft nicht nur vom Ehrgeiz, sondern auch vom Siegeszug des Nationalsozialismus getrieben waren, ist hinlänglich bekannt. Diejenigen, die sich mit den neuen Machthabern arrangierten (z. B. Willi Forst, Hans Moser, Paula Wessely oder Paul Hörbiger), feierten später mit den vielfach in Wien gedrehten Durchhaltefilmen Erfolge.
Obgleich manche Exilanten nie mehr nach Wien
zurückkamen, erwachte die Wiener Literatur- und Theaterszene schon
bald nach Ende des Zweiten Weltkriegs zu neuem Leben. Während in
den Ruinen der Nachkriegsstadt Graham Greenes „Der dritte Mann“
verfilmt wurde, erschien 1948 mit Ilse Aichingers Roman „Die
größere Hoffnung“ das erste bedeutende Buch der Zweiten Republik.
Wenig später startete Ingeborg Bachmann in Wien ihre literarische
Laufbahn, hinzu kamen schon bald Ernst Jandl und Friederike
Mayröcker, deren lautmalerische Gedichte im gesamten
deutschsprachigen Raum für Aufsehen sorgten. Mit ähnlichen
stilistischen Mitteln arbeiteten die Mitglieder der Wiener Gruppe, darunter Hans Carl Artmann,
Gerhard Rühm und Friedrich Achleitner, die in den 1950er Jahren den
Wiener Dialekt literaturfähig machten.
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Aus der Generation der zwischen 1920 und 1930 Geborenen stammten auch Thomas Bernhard, dessen österreichkritische Dramen („Heldenplatz“) bis heute polarisieren, und die Wiener Satiriker Helmut Schwarz und Helmut Qualtinger. Zu den Wiener Kabarettlegenden der 1950er und -60er Jahre zählen ferner Karl Farkas, Hugo Wiener, Cissy Kraner und Georg Kreisler, denen in den 1970ern Werner Schneyder, Lukas Resetarits, Erwin Steinhauer und Josef Hader folgten.
Die österreichische Gegenwartsliteratur wird von gestandenen Schriftsteller(innen) wie Peter Rosei, Peter Turrini, Peter Handke, Erich Hackl, der Literaturnobelpreisträgerin 2004 Elfriede Jelinek, Gerhard Roth, Josef Haslinger, Robert Schindel, Marlene Streeruwitz oder Robert Menasse repräsentiert. Zu ihnen gesellen sich Jungstars wie Thomas Glavinic, Daniel Kehlmann, Franzobel (Franz Stefan Griebl), Eva Menasse, Arno Geiger oder Wolf Haas, der als einer der besten deutschsprachigen Krimiautoren gefeiert wird und mit seinem 2006 publizierten Roman „Das Wetter vor 15 Jahren“ eindrucksvoll belegt hat, dass er nicht nur im Krimifach bewandert ist. Nicht zu vergessen schließlich das Enfant Terrible der schreibenden (und „performanden“) Zunft Hermes Phettberg, der für seine Kolumne „Predigtdienst“ im Stadtmagazin „Falter“ 2002 den Publizistik-Preis der Stadt erhielt und unterdessen, nach einem dritten Schlaganfall von 170 auf 70 Kilo abgemagert, offenbar als Sozialfall geendet ist.