Spaziergang 2: Ein musikalischer Rundgang durchs südöstliche Stadtzentrum
Spaziergang
Zum Auftakt dieses „klangvollen“ Stadtspaziergangs geht es vom Stephansplatz zum → Mozarthaus Vienna, in das die einzige noch erhaltene Mozartwohnung integriert ist. Weil der berühmte Wahlwiener dort „Die Hochzeit des Figaro“ komponierte, firmierte das Haus an der Domgasse unter Figarohaus, bis es anlässlich von Mozarts 250. Geburtstag anno 2006 zur modernen Musikergedenkstätte um- und ausgebaut wurde.
Wir bleiben auf Mozarts Spuren und gelangen durch die malerisch enge Blutgasse zur winzigen freskengeschmückten Sala Terrena in der Singerstraße 7, wo weiland Mozart selbst aufspielte und heute das Streichquartett Mozart Ensemble mehrmals wöchentlich die Bögen schwingt. Dieser älteste Konzertsaal Wiens befindet sich im selben Gebäude (Erdgeschoss) wie das Deutschordenskloster, in dem die kostbar bestückte → Schatzkammer des Deutschen Ordens zu bewundern ist.
Wer von Mozart genug und an Münzen und Medaillen kein Interesse hat, stürze sich gleich in das Menschengetümmel der Kärntner Straße, wo das siebenstöckige Kaufhaus Steffl und Dutzende edler Geschäfte Begehrlichkeiten wecken und die erst vor wenigen Jahren aufgegangenen klassischen Sterne der Musikmeile Wien dem unlängst aufgebrachten edlen neuen Straßenpflaster weichen mussten. Nach einem Abstecher in die links abzweigende Weihburggasse, die von der Renaissancefassade der innen hochbarocken Franziskanerkirche und einem wahrhaft entzückenden gleichnamigen Platz mit Brunnen und Café flankiert wird, registrieren wir rechter Hand die Loos American Bar nach Entwürfen des epochemachenden Architekten Adolf Loos, bevor wir die quirlige Shoppingmeile erneut via Himmelpfortgasse verlassen.
Kaum in die leicht abschüssige Straße
eingebogen, springen rechts die lange Fensterfront des innen
wohnzimmergleichen Cafés Frauenhuber und
links ein kleiner Trödelladen mit einem bunten Sortiment an
k. u. k Devotionalien ins Auge.
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Gleich hinter dem bekannten Kaffeehaus verlangt ein respektabler barocker Gebäudezug Aufmerksamkeit. Er wurde von Johann Bernhard Fischer von Erlach entworfen und von dessen Konkurrenten Johann Lukas von Hildebrandt vollendet, war einst Winterpalais des „Türkenbezwingers“ Prinz Eugen von Savoyen und beherbergt heute das Finanzministerium, das bis zum Abschluss der Generalsanierung seiner respektablen Bleibe bis Ende 2011 in ein Ausweichquartier umgezogen ist.
Schräg vis-à-vis drängt sich das renommierte Revue- und Musicaltheater → Ronacher ins Blickfeld der Betrachter. Es liegt bereits jenseits der nächsten Querstraße namens Seilerstätte, an der wir uns rechts halten, um an ihrem Ende das interaktive Klangmuseum → Haus der Musik aufzusuchen, in dem man mittels neuester Computertechnik mit Tönen und Schallwellen experimentieren, dirigieren und komponieren kann.
Derart eingestimmt nähern wir uns via Kruger-
und Kärntner Straße der → Staatsoper. Unterwegs schauen wir noch beim
weltbekannten Hotel Sacher (Ecke
Philharmonikerstraße) vorbei, vor dem rot gewandete Wagenmeister
auf erlauchte Gäste warten und in dessen Hauscafé die berühmte
Torte lockt. Dann umrunden wir das renommierte Opernhaus,
informieren uns en passant im nahen → Staatsopernmuseum (Goethegasse) über seine
jüngste Geschichte, dringen im Rahmen einer Führung in sein
pompöses Inneres vor oder sofort in die bunte Konsumwelt der
Ringstraßengalerien ein, um nach
Durchschreiten derselben am Kärntner Ring wieder
aufzutauchen.
Der wohl eleganteste Abschnitt der Ringstraße wird von Luxusherbergen wie dem Hotel Imperial gesäumt, dessen stolzes Domizil 1863 als Privatresidenz des Fürsten von Württemberg erbaut worden war. Seit seiner Eröffnung anlässlich der Weltausstellung des Jahres 1873 logieren dort die Mächtigen, Reichen und Schönen dieser Welt, während in seinem Café berühmte Dichter und Denker ein und aus gingen.
Das Imperial steht gleichsam Rücken an Rücken mit dem → Musikvereinsgebäude, in dem regelmäßig die Wiener Philharmoniker orchestrieren und wo im Bösendorfer Stadtsalon die Klaviere der unterdessen von Yamaha übernommenen namhaften Wiener Klavierbauerfirma zu bestaunen sind (Mo–Fr 10–13, 14–18 Uhr). Der von Theophil von Hansen entworfene, 1869 fertiggestellte Bau birgt den angeblich schönsten Konzertsaal der Welt und wendet sein Gesicht ebenso wie das ihm benachbarte, zeitgleich erbaute → Künstlerhaus dem Karlsplatz zu. Dort posieren die → Karlskirche, ein Paradebeispiel barocker Sakralbaukunst, zwei von Otto Wagner entworfene ehemalige → Stadtbahnpavillons in secessionistischem Dekor und eine abstrakte Bronzeplastik von Henry Moore, während das → Wien Museum in einem eher unscheinbaren grauen Betonblock den nordöstlichen Rand des Karlsplatzes markiert.
Vom Karlsplatz geht es zum Schwarzenbergplatz, um dort im → Arnold-Schönberg-Center dem Leben und Werk des Pioniers der Zwölftonmusik zu huldigen. Zuvor lassen wir den Blick über den verkehrsreichen Platz schweifen, wobei das Reiterstandbild des verdienten (Leipziger) Völkerschlachtkämpfers Fürst Karl von Schwarzenberg, der Hochstrahlbrunnen und das dahinter aufragende Sowjetdenkmal besonders ins Auge fallen. Während die meterhohe Wasserfontäne an die 1873 installierte erste Wiener Hochquellwasserleitung erinnert, ehrt das 1945 noch von den Russen selbst enthüllte Denkmal die Rote Armee, die die Deutschen im selben Jahr aus Wien vertrieben hatte.
Die nächste Station unseres Pilgerweges zu den Schauplätzen der klassischen Musikgeschichte (die regelmäßig von Balkanrhythmen geschüttelte Kellerdisco OSTklub am Rande des Platzes wird im Spaziergang 6 gewürdigt) ist das → Konzerthaus an der Lothringerstraße. Das Konzerthaus ist ebenfalls ein Musentempel mit internationaler Strahlkraft, weil hier die Wiener Symphoniker residieren, die sich das komplexe Gebäude mit dem → Akademietheater, der avantgardistischen Dependance des Burgtheaters, teilen.
Wir bleiben auf der Lothringerstraße, passieren Kaspar Zumbuschs Baum umstandenes Beethovendenkmal zur Linken, das Gelände des Wiener Eislaufvereins und Hotel Intercontinental zur Rechten und erreichen schließlich den Stadtpark, an dessen Eingang uns wieder einmal eine von Otto Wagners weiß-grünen Stadtbahnstationen begrüßt. Die 1862 angelegte, größte Parkanlage des 1. Bezirks erstreckt sich an beiden Ufern der hier nicht überbauten, sondern lediglich von Seitenmauern regulierten Wien. Die Ufermauern wurden vom damaligen „Topdesigner“ Friedrich Ohmann zwischen 1898 und 1907 in barockisierend-impressionistischer Manier gestaltet und sind als Wienflussverbauung in die lokale Architekturgeschichte eingegangen. Grünflächen und Blumenbeete sind mit nostalgisch anmutenden Sitzbänken möbliert, mit den Denkmalen berühmter Komponisten oder Maler dekoriert und hier und da von Spiel- und Bolzplätzen flankiert. Das meistbewunderte Denkmal ist Edmund Hellmers goldene Hommage an den Walzerkönig Johann Strauß (Sohn) von 1921. Es glänzt an der Südflanke des Parks unweit des 1867 im Stil der italienischen Renaissance erbauten Kursalons. Von dem gefälligen Gartenpalais, in dem traditionell zu Strauß- und Mozartkonzerten aufgespielt wird und Gutsituierte ihre Feste feiern, durchwandern wir den Stadtpark in Richtung Norden, um unterwegs an den steinernen Abbildern von Lehár, Stolz, Bruckner und Schubert vorbeizudefilieren.
Wir verlassen ihn am Stubenring, wo wir das Österreichische Museum für angewandte Kunst (siehe Spaziergang 4) rechts liegen bzw. hinter uns lassen, die (Ring-)Straße überqueren und uns zum Dr.-Karl-Lueger-Platz begeben, über den sein in Stein gehauener, ebenso verehrter wie politisch umstrittener Namenspatron (siehe „Stadtgeschichte“) wacht. Wer inzwischen Hunger bekommen hat, könnte sich im Kaffeehaus Prückel im innenarchitektonischen Ambiente der 1950er Jahre stärken oder bei Plachutta in der Wollzeile einkehren, um anschließend mit dem angeblich besten Tafelspitz der Stadt im Bauch zum Stephansdom zurückzukehren.