~ Cassandra ~
Der schwarze Werwolf war den ganzen Tag durch Avabruck gestreift. Verfolgt vom braunen Wolf hatte er nichts gerissen und nun fand er sich auf einer Lichtung im Wald wieder. Der Ton der Pfoten auf dem Waldboden war dumpf, wurde beinahe vom feuchten Moos verschluckt und Dunkelheit breitete sich aus. Die Sonne ging unter in der Grafschaft und das Geräusch raschelnder Blätter zog die Aufmerksamkeit des Lykanthropen auf sich. Tief sog das Ungetüm die Luft ein, um zu wittern wer oder was sich zwischen den Bäumen herumtrieb. Hinter ihr knurrte der braune Wolf, James, und näherte sich ihr. Allerdings trieb sich im Wald etwas herum, das ihnen gefährlich werden konnte, sie spürte es. Links von ihr barsten Äste und ruckartig drehte sie ihren Kopf in diese Richtung. Rechts von ihr dasselbe, doch konzentrierte sie sich auf die linke Seite. James kam an ihre Seite und flankierte sie rechts. Seine grünen Iriden hefteten sich auf die andere Geräuschquelle und vor ihnen brach jemand aus dem Gebüsch. Er zog die Aufmerksamkeit der beiden Werwölfe auf sich und holte eine Armbrust hervor. James und Cassandra fletschten die Zähne und legten die Ohren an. Bedrohliches Knurren unterbrach die friedliche Stille des Waldes. Von links und rechts kamen zwei weitere Männer aus dem Dickicht und starrten die Lykanthropen an. Sie zogen Schwerter und näherten sich James und Cassandra langsam. Die Wölfe wechselten in Angriffsstellung und ihr Grollen wurde lauter, gefährlicher. Die Iriden der Kreaturen fixierten die Mannsbilder, die Runen auf ihren muskulösen Armen hatten. Ein Pfeil löste sich aus der Armbrust und die Werwölfe sprangen zur Seite. Cassandra schaffte es gerade noch auszuweichen, doch James ging winselnd zu Boden.
»Einen haben wir, fehlt noch das andere Vieh«, stellte einer von ihnen fest.
Hätte sie es gekonnt, hätte Cassandra die Augen verdreht bei dieser überaus scharfsinnigen Feststellung. Die schwarze Wölfin sah zu James und erkannte, dass sein Körper sich veränderte, er nahm seine menschliche Gestalt an. Eilig trugen ihre vier Pfoten sie zu ihm und sie stupste ihn mit der Nasenspitze an, eine Mischung aus Winseln und Stöhnen entfuhr seiner Kehle. Sein Haar wurde länger, sein Fell zog sich zurück und auch seine Beine und Arme nahmen wieder ihre natürliche Form an. Sie hörte die Schritte der Herren, die sich ihnen näherten, und blickte auf. Ihr Knurren wurde immer lauter und sie war bereit James zu verteidigen. Die Nimrode drohten ihr Leben zu zerstören, waren imstande ihr ihre große Liebe zu nehmen und nun wollte sie ihn beschützen, wie er sie so oft beschützt hatte. Diese Männer, Jäger der Bruderschaft, ließen die schwarze Wölfin nicht aus den Augen und versuchten sie einzukreisen. Der Größte unter ihnen, der Kerl mit der Armbrust, spannte einen neuen Pfeil in die Waffe und sie erkannte ihre Chance. Sie setzte zu einem Sprung an und landete auf ihm. Sie war zu schnell, als das er noch reagieren konnte, sie hatte ihn mit solch einer Wucht getroffen, dass es ihn von den Füßen gerissen hatte, und verbiss sich in seiner Kehle. Er versuchte das Ungetüm abzuschütteln, doch jede Gegenwehr verursachte nur, dass Cassandra sich mehr und mehr in seinem Hals festbiss. Sie spürte seinen Kehlkopf zwischen ihren Zähnen und auch, dass seine Gefährten sie gepackt hatten, und bemühten sich sie von ihm herunter zu ziehen. Er gab einen gurgelnden Laut von sich, als das Blut in seinen Schlund lief und schließlich schafften die anderen beiden es, den schwarzen Wolf von ihm herunterzuziehen. Es gab ein reißendes Geräusch, als sie ihm den Adamsapfel herausriss. Das Blut spritzte aus seinem Hals und die Männer ließen von ihr ab, während James stöhnend am Boden lag.
Ein Kampf zwischen ihr und den Menschen entbrannte. Um jeden Preis wollte sie James beschützen, ganz egal, was ihr dabei geschehen würde. Die silbernen Schwerter schnitten in ihre Haut und sie jaulte vor Schmerz auf. »Cassandra nicht«, hörte sie James leise flehen, doch sie war rachsüchtig. Diese Männer bedrohten sie und ihren Gemahl und sie wollte verhindern, dass sie ihn ihr nahmen. Einer dieser Jäger hob die Klinge und rammte sie in ihren Rumpf. Jaulend ging sie zu Boden und atmete schnell. Ihre Gestalt begann sich zu verändern und sie sah zu James herüber. »Jetzt werden wir euch vor den Augen des jeweils anderen töten«, lachten sie im Chor. Mit seiner verbliebenen Kraft kroch der nackte Graf über den Waldboden zu seiner Gemahlin, die mit aufgerissenen Lidern im Erdreich lag. Das Blut strömte aus ihrem Leib und ihre Atmung wurde schwächer. »Meine Schöne«, hauchte er, als er sie endlich erreicht hatte und sie sah ihn an.
»Ich liebe dich, James«, flüsterte sie und sie hielten sich an ihren Händen.
Die Schwerter sausten auf sie nieder und zerschnitten die Luft ...
Mit einem erschreckten Aufschrei ruckte Cassandra hoch und sah sich in ihrem Gemach um. Der neue Tag war angebrochen und James saß an ihrer Seite.
»Hast du gut geschlafen meine Schöne?«, fragte er gut gelaunt. Sie schüttelte den Kopf.
»Ich ... war ein Werwolf«, erwiderte sie verstört und starrte ihn an. James schmunzelte.
»Meine Schöne du bist, nachdem unser Sohn das Licht erblickte, normal eingeschlafen und alles ist gut. Es geht dir gut und du bist kein Lykanthrop«, beruhigte er sie und küsste ihre Stirn.
Wie Schuppen fiel es der Gräfin von den Augen, sie hatte es nur geträumt.