~ James & die Wölfe ~
Ein ganzer Tag war vergangen, bis Caleb mit zwei weiteren Familien eingetroffen war. Nun beherbergte er vierzehn Werwölfe und deren Kinder. Margret wusste sie kaum zu sättigen und bot deshalb Sandwiches an, damit sie vorerst beruhigt waren. Für den Abend war sie längst fleißig am Kochen und schickte aus diesem Grund Esra zu den Besuchern, um ihre Wünsche entgegenzunehmen.
Die Erwachsenen versammelten sich im Salon und unter der Aufsicht eines Gärtners spielten die Sprösslinge der Werwölfe im Garten. Von jedem hatte James sich bereits versichern lassen, dass bei keinem der Kinder der Fluch bisher ausgebrochen war. Doch dachte er kaum daran, seine Gedanken kreisten einzig und allein um Cassandra und ihr Wohlbefinden. Er machte sich furchtbare Sorgen, hatte panische Angst, dass ihr etwas zustieß und er sie verlor. Seufzend sah er seine Besucher an, mit ihm waren sie fünfzehn und James war sich sicher, dass er gemeinsam mit ihnen Cyrus besiegen konnte.
»Wie sieht Euer Plan aus Graf von Avabruck?«, fragte ein, allem Anschein nach, junger Herr und musterte James.
»Wir müssen den Jäger der Bruderschaft ausfindig machen und ihn zur Strecke bringen. Mein Butler erfuhr heute Morgen auf dem Markt, dass sich ein Fremder in Avabruck aufhält, allerdings in keinem Gasthaus Quartier bezogen hat. Er kann nicht vierundzwanzig Stunden wach sein und ich denke, dass er sich in eines der stillgelegten Bergwerke zurückgezogen hat«, antwortete James.
»Wie viele dieser Stollen gibt es?«, fragte Barbara, Calebs Frau.
»Dutzende«, knurrte der Graf und fuhr fort: »Aber wenn wir uns aufteilen und immer in Gruppen von Dreien auf die Suche gehen, werden wir bestimmt schnell fündig und können meine Gemahlin befreien.«
»Wir wissen allerdings nicht, ob sie sich wirklich in seiner Gewalt befindet«, warf Caleb ein. »Cassandra kann sich gegen jeden verteidigen und sie war es selbst, die sagte, dass ein normaler Nimrod, ... ja sie genoss, diese Lehre, ... nicht in der Lage ist einen Jäger dieser Bruderschaft zu töten.« James entfaltete eine Karte auf dem Tisch zwischen den Sofas und die Blicke hefteten sich darauf. Mit einer Bleifeder kreiste er die Stollen ein, die in den einzigen Berg von Avabruck gegraben wurden, ein. »Das sind dreizehn Stollen«, merkte eine junge Dame an.
Gemurmel unter den Besuchern übertönte James‘ Gedanken und er warf ihnen genervte Blicke zu. »Ich werde mit Alois und Samantha aufbrechen, die anderen gehen mit Barbara oder Caleb und wiederum andere werden von Dienstboten begleitet«, entschied James, der eigentlich keine Sterblichen mit hineinziehen wollte.
Da sich seine Helfer aber nicht in den Wäldern Avabrucks auskannten, musste er nun doch auf seine Bediensteten zurückgreifen.
James rief seinen Kutscher und zwei weitere Männer seiner Dienerschaft hinzu und teilte sie in Gruppen mit jeweils drei Werwölfen ein. Alle waren sie so lange verflucht, dass sie sich ebenso freiwillig wandelten, und dies zu kontrollieren wussten. Das Einzige, wogegen sie sich nicht wehren konnten und zur Verwandlung gezwungen wurden, war der Vollmond, ein silbriger Begleiter, der nichts Gutes verhieß. Dann hatten sie keine Kontrolle über sich. Es war bereits Nachmittag und man erhob sich von den Sofas, sofort strömte man aus dem Haus und die Dienerschaft bekam Pferde. Lykanthropen waren in der Lage, auch in ihrer menschlichen Gestalt, außerordentlich schnell zu rennen und diese Eigenschaft wollten sie nun einsetzen. Jeder außer James. Der Graf musste die Etikette wahren und schwang sich auf Shadow.
»Lasst uns meine Gemahlin suchen«, rief James in die Reihen der Werwölfe und sie rannten los.
Allen voran ritten seine Bediensteten und er, am Tor trennte man sich und verstreute sich in alle Himmelsrichtungen. James hoffte, dass sie Cyrus überraschen konnten und somit einen Vorteil dem Jäger gegenüber hatten. Wenn er Cassandra Leid angetan hatte, dann würde der Graf ihm höchstpersönlich die Glieder herausreißen, um seine Geliebte zu rächen. In ihm keimte der Hass. Wie konnte man es wagen eine Dame in Umständen zu entführen und ihr gegebenenfalls etwas antun? Shadows Hufe sanken kaum in den Schnee, so schnell galoppierte der Hengst und hinter sich hörte der Graf das schwere Atmen der Werwölfe, die bereit waren sich jederzeit zu verwandeln.
~ Cassandra ~
Eiskaltes Wasser ließ sie wieder zur Besinnung kommen und sie starrte Cyrus an. Ihr Haar war nass und ihr Kleid, zumindest was davon übrig geblieben war, ebenfalls.
»Wie schön Ihr seid wach«, grinste er hämisch und sah auf ihren Leib.
Cassandra folgte seinem Blick und sah den großen Schnitt, der ihren gewölbten Bauch zierte. Vor Kälter, und auch vor Angst, begann sie zu zittern. »Ihr seid ein Schwein«, presste sie hervor.
Das Adrenalin ließ sie den Schmerz kaum wahrnehmen und ihr Mutterinstinkt meldete sich. »Beschütze um jeden Preis das Kind«, sagte ihr Unterbewusstsein, die immer lauter wurde. Doch wie sollte sie das, mit gefesselten Händen, schaffen? Die Gräfin zerrte an den Knoten, aber die Ringe und das Seil gaben nicht nach. Zu tief hatte das Metall in den Felsen getrieben und zu gut hatte er die Knoten gebunden.
»Bitte lasst mich gehen«, meinte sie mit ungewohnt fester Stimme.
Cyrus schüttelte den Kopf.
»Verzeiht Gräfin, aber das wird nicht möglich sein, denn noch immer tragt Ihr die Brut des Teufels in Eurem Leib.«
Cassandra riss stärker an den Fesseln, allerdings wagten die Ringe es nicht, sie freizugeben. Innerlich fluchte sie und hoffte, dass James sie bald befreien würde, doch war sie sich auch sicher, dass er bisher nicht nach Avabruck zurückgekehrt war. Seine Reise nahm vermutlich noch einige Tage in Anspruch und Cassandra wusste nicht, ob sie bis dahin aushalten würde und nicht dem sanften Hauch des Todes erlauben würde sie einzuhüllen. Der Jäger der Bruderschaft näherte sich ihr wieder, diesmal mit einem Haken der ungemein spitz war. Mit aufgerissenen Augen starrte sie ihn an und schluckte.
»Bitte verschont mich«, flehte sie und sie spürte die heißen Tränen auf ihren Wangen.
Er schüttelte abermals den Kopf und kam näher, bis seine Nase fast die ihre berührte. Augen mit der Farbe eines Bernsteins bohrten sich in ihre blauen Augen. Cassandra war von seinem Blick gefangen und zitterte.
»Bitte«, wisperte sie und fuhr etwas lauter fort: »Bitte lasst mich gehen.«
Cyrus näherte sich ihrem Ohr mit seinen Lippen. »Ich werde Euch töten, Cassandra von Avabruck«, flüsterte er und sie wandte ihren Kopf ein wenig. Sein Ohr war ihrem Mund nahe genug und sofort reagierte sie. Hastig beugte sie sich zu ihm und biss so fest sie konnte zu. Cyrus schrie auf und boxte ihr in den Unterleib, doch ließ sie nicht nach.
»Ich werde es Euch abbeißen, wenn Ihr mich nicht losbindet«, drohte sie durch zusammengebissene Zähne.
Noch einmal schlug er ihr in den Bauch und riss sich von ihr los. Blut strömte aus der Wunde und Cassandra spuckte das Stück Fleisch auf den Boden. Sein Lebenssaft rann ihre Mundwinkel hinunter und plötzlich setzten starke Schmerzen ein. Die Gräfin spürte, wie es zwischen ihren Beinen warm hinablief, und sah hinunter. Eine kleine Pfütze bildete sich zu ihren Füßen und es roch unbeschreiblich. Ihre Fruchtblase war geplatzt und das Kind wollte das Licht erblicken. Der Jäger hielt sich das Ohr und sah an ihr herunter.
»Nun bald werde ich zwei Opfer haben«, knurrte er wütend und griff wieder zu seinem Messer.
»Doch solange will ich nicht warten, ich werde es aus Euch herausschneiden.«
Unter Qualen krümmte sich die Gräfin, so weit es ihr möglich war, und schrie auf.
Die Schmerzen waren unerträglich und schwarze Punkte tanzten vor ihren Augen. Der Jäger kam auf Armlänge heran und streckte die Hand aus. Ihre Brust lag frei ebenso ihr, durch Schwangerschaft voluminöser, Bauch und er setzte das Messer zwischen ihren Brüsten an. Die Klinge bohrte sich langsam in ihr Fleisch und Cyrus begann sie hinabzuziehen. Ein markerschütternder Schrei hallte durch den Stollen, doch Cassandra blieb bei Bewusstsein. Das Baby strampelte in ihrem Leib, es wollte hinaus und sie wollte es nicht zulassen. Die Gräfin presste die Beine zusammen, um es an seiner Geburt zu hindern. Auf keinen Fall durfte es hier das Licht erblicken und die Sekunden wurden zu Stunden für sie.
»Ich werde Euch befreien«, sagte er mit gütiger Stimme.
»So bindet mich los«, meinte sie unter Wehen. »Nicht auf diese Weise. Ich sagte so oft, dass ich Euch von der Brut des Teufels befreie, aber Mutter Natur will mir zuvorkommen«, griente er hämisch und zog das Messer weiter. Ein weiterer Schrei entfuhr ihr.
»HALTET EIN!«, drang es an ihr Ohr, doch sie sah nicht wer geschrien hatte, zu sehr war Cassandra von ihren Schmerzen eingenommen.