EPILOG
Rambo wälzte sich auf seiner Pritsche herum, als an seine Tür gehämmert wurde.
»Scheiße, hau ab!«, schrie er. »Ich hab Freiwache!«
Die Lage in dem beschissenen Labyrinth der Therm unter Kontrolle zu bekommen, war ein Albtraum gewesen. Die Rangora waren durchaus bereit, sich zu ergeben. Die meisten waren ohne Munition und Proviant. Das Problem waren die Scheiß-Paschtunen gewesen. Die kapierten nicht, was »ausgehandelte Kapitulation« bedeutete. Und dann war da auch das Problem, was sie mit den Rangora anfangen sollten. Was Boote anging, waren die in ähnlich schlechter Situation wie die Erde. Schließlich hatte das Oberkommando nachgegeben und sie einfach in die Kontrollbereiche gelassen, genau an den Ort, zu dem die Rangora sich eineinhalb Tage lang hatten durchkämpfen wollen. Das erforderte weitere Verhandlungen, weil das Oberkommando sie nur unter der Bedingung durchlassen wollte, dass sie ihre Waffen ablegten.
Schließlich konnten sie den ganzen Schlamassel regeln, und die Rangora ließen sich ausgerechnet in der Mall nieder, wo man sie bewachen konnte, bis sie schließlich »repatriiert« werden würden. Und ihm hatte man das Quartier eines nach Ziegen stinkenden toten Paschtunen zugeteilt und gesagt, dass er sechs Stunden frei habe.
Und jetzt hämmerten die wieder gegen seine beschissene Tür!
»Rambo! Mach die SCHEISSLUKE AUF!«
Seine Augen weiteten sich, und er wälzte sich so schnell von der Pritsche, dass ihm dabei der Begriff »Relativität« in den Sinn kam.
»Komet?«, fragte er, und seine Augen wurden noch größer.
»Warum meldest du dich nicht an deinem verdammten Kom?«, fragte Parker mit Tränen in den Augen.
»Ich dachte …«, sagte Rambo. »Du warst bei der Staffel …«
»Bei einem anderen Einsatz, Blödmann.« Sie stieß ihn weg, um durch die Luke zu kommen. »Ich hab mir die Mühe gemacht, die Vermisstenlisten durchzuschauen.«
»Ich … ich konnte das nicht. Ich konnte ja nicht einmal deine Nachricht entgegennehmen …«, sagte er ziemlich lahm. »Ich dachte, das ist …«
»Deshalb bist du ein Marine. Du bist eben nicht besonders schlau.« Sie zuckte zusammen und schüttelte den Kopf. »Rambo, tut mir leid …«
»Nein.« Er streckte die Hand aus und berührte ihre Haare, um sich zu vergewissern, dass sie wirklich da war. »Dass du Witze über Marines machst, bedeutet … irgendetwas Wichtiges, aber ich komme jetzt nicht dahinter, was genau. Irgendwie geht das Leben eben weiter oder so.« Er verstummte und nahm die Hand weg, als er ihre Schulterklappen entdeckte.
»Ich meine, Ma’am, wenn du Marine-Witze machst, dann heißt das … Lieutenant? Ich meine, Ma’am …«
»Oh, jetzt fang bloß nicht damit an«, sagte sie und schüttelte den Kopf. »Ich glaube, das ist bloß provisorisch. Es gibt überlebende ausgebildete Marines. Ich bin so ziemlich die einzige überlebende ausgebildete und erfahrene Myrm-Pilotin und -Technikerin, die wir noch haben. Für eine Weile die Einzige im ganzen Eridani-System. Zumindest mit Bergungserfahrung. Der Admiral hat mir die Abzeichen verpasst, damit die Krauts auf mich hören. Das ist alles.«
»Äh …«, sagte Ramage. »Ja, Ma’am.«
»Ich hab gesagt, fang bloß nicht damit an.« Dana begann, aus ihrer Bluse zu schlüpfen. »Mir sind die Vorschriften dazu völlig bewusst, aber sie sind mir scheißegal. Und deshalb werde ich dir jetzt einen direkten Befehl erteilen. Fang an, dich auszuziehen, Sergeant, weil ich nur drei Stunden frei habe, und die will ich nicht mit Weinen verbringen.«
Lieutenant Commander Carter »Booth« Bouthillier hatte reichlich Zeit gehabt, über den relativen Wert des Hyperkom-Systems nachzudenken. Fast vierundzwanzig Stunden. Dass er so viel Zeit gehabt hatte, einfach nur dazusitzen und zu überlegen, lag daran, dass es auf einem Rettungsboot sonst praktisch nichts zu tun gab.
Am Ende hatte er die Nachrichten abgeschaltet, die sich einfach überschlugen. Nicht so sehr, weil es in E Eridani eine Schlacht gegeben hatte. So etwas war schließlich alltäglich. Vielleicht nicht ganz, schließlich hatte die Erde zum ersten Mal seit Jahren mächtig Prügel bekommen und zwar »gewonnen«, dabei aber buchstäblich ihre gesamte Flotte verloren, ganz zu schweigen von der Kampfstation, die beinahe auch draufgegangen wäre. Die Thermopylae war nahezu schrottreif, und es würde Monate dauern, sie zu reparieren.
Die Nachrichten überschlugen sich vor allem, weil sich über siebenundzwanzigtausend Menschen in ähnlicher Lage wie er befanden.
Und jeder Einzelne von ihnen kommunizierte über das Hyperkom-Netz mit zu Hause. Und jeder Einzelne von ihnen hatte irgendwann seine Familie und seine Freunde angerufen, um ihnen zu sagen, dass es ihm »prächtig ginge«. Und das hatte dazu geführt, dass anscheinend neunzig Prozent von ihnen über Video-Blogs, lokale und sogar größere Sender interviewt wurden. Das Schlimmste waren die Interviews mit Leuten, die »Holländer« waren. Die Nachrichtensender hatten schnell begriffen, dass die Leute einfach nicht damit zurande kamen, einigermaßen intelligenten und ihrer Sprache mächtigen Raumfahrern dabei zuzuhören, wie sie langsam verrückt wurden, während sie meist vergebens auf Rettung warteten.
Jetzt war jedes noch einsatzfähige Schiff im Wolf-System ebenso wie im Sol-System mit den Rettungsarbeiten beschäftigt. Dabei gab es drei Probleme.
Die Überlebenden waren, wie wiederholt berichtet, über siebzig Milliarden Kubikkilometer Weltraum verstreut. Die Kommentare, mit denen manche Sender zu erklären versuchten, wie unglaublich groß dieser Weltraumbereich war, waren teilweise erheiternd. Besonders, da die meisten von ihnen sich das offenbar selbst nicht vorstellen konnten.
Zweites Problem: »Jedes noch einsatzfähige Schiff« bedeutete weniger als hundert. Die Flotte der Erde hatte gewaltige Prügel bekommen, ihre wichtigsten Bergungseinheiten – die Staffeln kleiner Boote – waren völlig vernichtet, und Frachter eigneten sich einfach nicht dafür, Rettungsboote aufzunehmen. Nicht dass es davon viele gegeben hätte.
Die 144., die erst über die Hälfte ihrer Boote verfügte und die auch erst in zwei Monaten in Dienst gestellt werden sollte, war sofort dienstverpflichtet worden. Ebenso jedes Apollo-Schiff, das imstande war, Überlebende aufzunehmen. Das Problem war, dass das überwiegend Paw-Schlepper waren, die zwar über eine Luftschleuse verfügten, aber nur Platz für fünf Leute hatten.
Drittes Problem: Es gab keinen Ort, wo man sie hinbringen konnte. E Eridani besaß keine bewohnbaren Planeten. Das größte »Habitat« war Thermopylae, aber zur Thermopylae gab es keinen vernünftigen Zugang. Die Hauptpforte war fest verschlossen, und es gab keine Schleusen für große Fahrzeuge. Kriegsschiffe verfügten über Lebenserhaltungssysteme, die kaum mehr als ihre Mannschaften versorgen konnten; sie übernahmen zwar einige Überlebende von Shuttles und brachten sie zur Therm, aber die meisten Überlebenden mussten mit Shuttles durchs Tor zur Troy gebracht werden, worauf die Boote kehrtmachten und sich wieder nach E Eridani begaben. Und all das kostete Zeit, besonders für Paws und Columbia-Shuttles mit ihrer geringen Beschleunigung.
Deshalb würde es den Schätzungen nach fünf Tage dauern, bis alle geborgen waren.
Einem »Rangora-Sprecher« war es schließlich rausgerutscht, dass sie dasselbe Problem, genauer gesagt sogar noch schlimmere Probleme hatten. Ihrer Schätzung nach würden sie es nicht bis zu dem Zeitpunkt schaffen, wo ihren Booten die Luft ausging, da beinahe hunderttausend Rangora-Astronauten im Weltraum trieben, die alle nach Glalkod gebracht werden mussten. Die Präsidentin hatte an dem Punkt erklärt, sobald alle Menschen geborgen waren, würde die Erde damit anfangen, Rangora zu retten. Und sie gemäß den Bedingungen des Waffenstillstandes zu repatriieren. Das hatte einen weiteren Sturm ausgelöst.
Booth hatte, abgesehen davon, dass er gelegentlich einen Blick auf die Nachrichten warf und sich die eigenen inzwischen viermal umgestoßenen Bergungspläne angesehen hatte, den Großteil seiner Zeit damit verbracht, Call of Duty XVII zu spielen.
Sein Implant meldete einen Prioritätsanruf, und er nahm ihn an.
»Rettungsboot 11053. Falls jemand für mich Zeit haben sollte …«
»Nähern uns Ihrer Position. Insassen bitte zum Ausstieg bereithalten. Wir haben ausreichend Platz für Ihr gesamtes Personal, aber es wird eng werden.«
»Okeedokee«, erwiderte Booth. »Leute, jemand kommt uns abholen.«
»Echt?«, fragte Maschinist Mate Second Class Charlie Domino. »Oder bloß wieder ein geplanter Flug.« Als ranghöchstes Besatzungsmitglied nach ihm hatte Booth ihn zum Chief ernannt.
»Die nähern sich uns für Andockmanöver«, sagte Booth und schüttelte den Spaceman, der neben ihm gesessen hatte, an der Schulter, um ihn zu wecken. »Wecken Sie alle, holen Sie sich Ihre Helme und machen Sie sich bereit zum Umsteigen.«
Das Rettungsboot hatte Platz für sechsundzwanzig Leute und war fast voll. Zum Glück hatte die Smiley sich beim Auseinanderbrechen etwas Zeit gelassen. Booth hatte am Zugang zu den Rettungsbooten gestanden und sichergestellt, dass die Leute an Bord gehen konnten, bis schließlich der Korridor, in dem er gewartet hatte, abgerissen war. Das war der Punkt gewesen, wo ihm klar geworden war, dass jetzt auch er aussteigen musste.
Ein Gefühl von Bewegung stellte sich ein, ein Kippen und Gieren, eine angenehme Abwechslung vom freien Fall, dann ein »Klannnk«, als das Schiff schließlich andockte. Die Diode über der Luke wurde grün, und Booth commte Domino. »Sie steigen als Erster aus. Ich passe auf, dass alle rauskommen.«
»Aye, aye, Sir«, commte Domino. Er vergewisserte sich, dass alle bereit waren, öffnete dann die Luke und zog sich durch. »Beide Türen offen. Hinter der zweiten Tür herrscht Schwerkraft und … äh … Hallo … Sir … alles klar, Commander … äh …«
»Probleme?«, commte Booth.
»Nein, Sir«, antworte Domino. »Alle an Bord, die an Bord sollen, Sir.«
»Roger. Alle raus, Herrschaften. Bisschen fix. Es warten noch andere darauf, dass man sie abholt.«
Der Großteil des der Carter zugeteilten Personals hatte kaum Erfahrung mit Nullschwerkraft. Ebenso wie Booth hatte man sie zwar ausgebildet, aber sie waren nicht gerade routiniert. Also dauerte es eine Weile, sie aus dem Rettungsboot rauszubringen. Aber schließlich war der letzte Astronaut mit Ausnahme des Lieutenant Commander draußen, und Booth zog sich in die Luftschleuse des Shuttles, schloss sie, griff nach der Haltestange und zog sich nach vorne hinein in … Prunk und Luxus.
Männer und Frauen in Weltraumanzügen flegelten auf Couchs, die wie echte Antiquitäten aussahen, oder lagen auf Perserteppichen auf dem Boden. An der Steuerbordwand des Shuttles entdeckte Booth ein Gemälde, bei dem er sich ziemlich sicher war, dass es sich um das Original von van Goghs »Sternennacht« handelte. Die Backbordseite war offenkundig ein einziger Bildschirm, und Booth war davon überzeugt, dass er die Wand häufig von außen gesehen hatte. Sie bestand aus optischem Saphir.
»Tyler Vernon«, stellte Tyler sich vor und zog den Offizier ins Innere des Schiffes. Dem Tycoon im Raumanzug sah man seine sechzig Jahre deutlich an. »Ihr Zweiter hat Ihnen einen Stuhl freigehalten. Aber wenn Sie vielleicht Platz nehmen könnten, wir haben nämlich eine lange Fahrt vor uns.«
Booth ließ sich auf dem Sessel des Tycoons nieder und nahm den Helm ab. Irgendwie kam ihm die klassische Melodie bekannt vor, die den Raum erfüllte, aber der Titel fiel ihm nicht ein.
»Sir …? Wie heißt die Musik?«
»Ich bin kein großer Fan der Stones«, sagte Vernon, schloss die Luke und lehnte sich dagegen. »Aber ich fand nichts so passend wie ›Gimme Shelter‹.«
In Anbetracht der Nachrichten von E Eridani, darunter auch Berichte darüber, wie viele der zivilen Konstruktionscrews in der Schlacht des vergangenen Monats ihr Leben gelassen hatten, fragte sich Cody Hardy, ob er vielleicht doch besser in die Navy eingetreten wäre, statt bei Apollo in die Schweißerlehre zu gehen. Aber er war einfach nicht der Typ fürs Militär, und außerdem war das eine Spitzenausbildung, die ihm zunächst den Militärdienst ersparte.
Davon abgesehen hatte er nicht die leiseste Ahnung, worauf er sich eingelassen hatte.
Der Ausbilder für »Einführung in Weltraumoperationen« war kein besonders schöner Anblick. Ziemlich alt, um die Dreißig, klein, Glatze und mit schlecht sitzendem Anzug. Irgendwie hatte er einen komischen Blick.
»Mein Name ist James Allen«, stellte Butch sich mit Reibeisenstimme vor. »Sie werden mich und sämtliche Instruktoren als Mister oder Missus und mit ihrem Familiennamen ansprechen. Sie werden mich nicht James oder Jim nennen. Es heißt Mister Allen. Vielleicht fragen Sie sich, weshalb ich wie ein Kettenraucher klinge, einer, der drei Päckchen am Tag geraucht hat …«