25
»Das ist …«, murmelte Coxswain’s Mate Juan Perez und fuhr dann fort, hingebungsvoll zu fluchen. Der Riesenbrocken Schiffspanzerung wollte einfach nicht auf der Bahn bleiben. Möglicherweise hatte das Metall weniger Masse als der Shuttle, aber das bedeutete noch lange nicht, dass es gar keine hatte. Und es wollte einfach nicht in die Richtung fliegen, die Perez ihm vorgab. »Bloß um für diesen Mistkerl Vernon Geld zu verdienen.«
»Alles zum größeren Nutzen der Menschheit.« Velasquez grinste. »Diese Platte liefert eine Menge Material für Lenkwaffen. Alle Systeme sind im grünen Bereich. Ich glaube, das ist ein Lenkungsfehler.«
»Ich glaube, wir haben am falschen Teil der Platte angekoppelt«, erwiderte Perez. »Und dafür ist, wenn ich mich richtig erinnere, die Technik zuständig.«
»Dann solltest du vielleicht einmal den Schwerpunkt von einem dieser Dinger berechnen«, sagte Velasquez und rief das Programm wieder auf. »Kopple es eben ab. Dann versuchen wir es noch einmal.«
»Roger«, bestätigte Perez. »Rotte, Einundzwanzig.«
»Sprechen«, erwiderte Raptor.
»Kopple ab, um das Ding besser in den Griff zu bekommen«, commte Perez. »So funktioniert es einfach nicht.«
»Roger«, commte Raptor. »Wenn Sie es beim zweiten Versuch nicht schaffen, lassen Sie sich von einer der KIs Vorschläge machen.«
»Wird gemacht.« Perez löste die Magnetgreifer.
»Also, was für Vorschläge bekomme ich jetzt von meinem grandiosen EM, um das Ding neu an den Haken zu nehmen?«
»Du musst mit den Ladys so reden, als ob die äußerst sanfte Geschöpfe wären«, schlug Velasquez vor. »Mit Honig erreicht man mehr als mit Essig.«
»Ladys bumsen gern Mistkerle«, erwiderte Perez. »Und deshalb bist du im Gegensatz zu mir noch Jungfrau wie die Mutter Maria. Du weißt schon, was ich meine.«
»Versuch’s mal dort«, schlug Velasquez vor und markierte einen anderen Punkt an der Platte mit einem Laserpointer.
»So ist’s besser«, sagte Perez. »Okay, gehe auf volle Kraft …«
Man nannte es »Bildstörung« – dieses kurzzeitige Flackern, wenn man wusste, dass man gerade explodiert war und das Bewusstsein verloren hatte, und es sich dann langsam auf unangenehme Weise wieder einstellte. Wie ein Fernseher, der plötzlich bei einem Stromausfall schwarz wird und dann gleich wieder angeht, wenn der Strom zurückkommt. Es war aber nicht plötzlich. Ein paar Augenblicke waren wieder Bilder da, flackernd, nicht verarbeitet. Funken. Kreisende Sterne. Die Abdeckung für das Kompensatorabteil 116, das an seinem Gesicht vorbeiflog, von der Wand abprallte, weiter durch den Raum raste, verschwand. Warum war es im Mannschaftsabteil? Das 116 war doch im Laderaum … Wo ist die vordere Wand? Wo ist die vordere Wand?
Dass es hell blieb, half, aber ein Teil der Helligkeit kam durch einen Riss der Schottwand herein. Die Notbeleuchtung war zum Teil ausgefallen.
»Anzug … Licht …«, murmelte Velasquez. Er musste betrunken sein. Er hatte das Gefühl, der Raum würde um ihn kreisen.
»Vel! Vel! VEL! DIEGO!«
»Hör auf zu schreien …«, stöhnte Velasquez, dessen Anzugscheinwerfer sich jetzt eingeschaltet hatte.
»Ich brauche Energie! Schau nach draußen!«
Velasquez schüttelte im Helm den Kopf und fing dann an zu begreifen.
Das Gefühl, der Raum um ihn herum drehe sich, kam daher, dass sich das, was von dem Shuttle übrig geblieben war, in signifikanter Rotation befand. Wahrscheinlich zehn Umdrehungen pro Minute. Das wusste er nicht etwa, weil seine Instrumente es ihm verrieten – Instrumente gab es keine –, sondern weil etwas die vordere Hälfte des Shuttles abgeschnitten hatte. Er sollte eigentlich tot sein. Offenbar hatte die Konsole den größten Teil des Schadens abgefangen. Sterne hatte er gesehen, weil das Firmament bei jeder Drehung des Schiffes um ihn herumraste. Er konnte es mit bloßem Auge sehen.
Und er konnte auch sehen, dass sie das, was die Rotation ausgelöst hatte, nämlich die vielleicht immer noch funktionierende Antriebsenergie, jetzt in Richtung auf ein großes … Schiff? … trieb. Teil eines Schiffes? Doch das war gleichgültig. Ihre Geschwindigkeit betrug wenigstens hundert Kilometer in der Stunde. Und das Stück Schrott war so nahe, dass es bei jeder Drehung die Sterne verdeckte. Er konnte den Countdown vor seinem inneren Ohr hören.
»Siebenundzwanzig, sechsundzwanzig …«
»Zählst du da?«
»Ja«, sagte Perez. »Wir haben auch nicht genug Energie in unseren Navpaks, um auszuweichen. Ich habe das schon ausgerechnet. Wir brauchen Energie. Und zwar sofort!«
Velasquez löste seinen Sicherheitsgurt, beugte sich zur Seite, ohne dabei seinen Sitz loszulassen, und klappte den Hauptsicherungskasten auf. Der war hin. Drei der vier Relais waren geschmolzen, und die Hauptsicherung sah auch nicht viel besser aus. Er hielt den Deckel, der sich gelöst hatte, in der Hand.
»Das bringt’s nicht«, murmelte er und warf den Deckel in den Weltraum hinaus. Dann legte er den Hauptschalter von Hand um.
»Dreiundzwanzig … was auch immer du jetzt tust, tu es schnell … zweiund…«
»Ich habe keine Hauptsicherung«, sagte Velasquez verzweifelt. »Wir haben gar nichts!«
»Ich kann die Motoren spüren«, sagte Perez.
»Was du spürst, ist dein Antriebsaggregat«, sagte Diego, hielt dann inne und sah auf die Brechstange. »Das Problem ist, die Energie in den Antrieb zu bringen. Wie lange brauchst du Energie?«
»WENN wir Kompensatoren haben … null Komma drei Sekunden Antrieb«, sagte Perez. »Und, sagen wir weitere zwei, um die Systeme hochzufahren. Und dann noch mal zwei für mich, damit ich mir darüber klar werde, in welche Richtung wir fliegen sollen, wenn der Antrieb anspringt.«
»Also … fünf?«
»Vierzehn … Ja …!«
Diego stieg auf den Werkzeugkasten und riss die Brechstange herunter. Mit einer Hand im Werkzeugabteil und beiden Stiefeln auf den Boden gestemmt schob er die Brechstange in eine versiegelte Naht und drückte.
»Was machst du da?«, sagte Perez. »Zehn … neun …«
»Aufpassen, gleich kommt Energie«, warnte Diego und lehnte sich mit dem Rücken gegen die Kommandokonsole. Er presste die Brechstange zuerst gegen den einen, dann gegen den anderen Stiefel. »Du kriegst nur Energie gerade nach vorn.«
Dann rammte er die Brechstange in die Superleiterverbindung.
Das war der Sinn der Brechstange. Für die Brechstange gab es, ebenso wie für Isolierband, tausend und einen Anwendungszweck. Ein festsitzendes Relais aus der Verankerung lösen. Auf den Motor für die Truppentür schlagen, bis sie funktionierte. Ein feststeckendes Mannschaftsmitglied aus dem Kommandoabteil holen.
Doch das war der echte Sinn der Brechstange. Der Grund, weshalb sie exakt an dieser Stelle angebracht war.
Die volle vom Hauptaggregat erzeugte Energie würde eine stählerne Brechstange niemals überleben. Aber es gab ein Sekundärsystem, ein Teil der Trägheitssteuerung, das nur ein paar Megawatt erzeugte, und damit kam eine Brechstange zurecht. Ein paar Sekunden lang. Und das Relais dafür befand sich exakt an dem Ort und in dem Winkel, dass eine mit dem flachen Ende angesetzte Standardbrechstange mit dem krummen Ende genau auf das Relais des Hauptantriebs traf.
Wenn man also die Hauptenergie verlor, weil die Hauptsicherung hängen geblieben, durchgebrannt oder von einem Mikrometeoriten getroffen worden war, bekam man auf die Weise etwas Energie zum Manövrieren.
Falls jemand verrückt genug war, mit einer Brechstange auf eine zwanzig Megawatt Verbindung loszugehen.
»Was zum TEUFEL haben Sie gemacht, Pal!«, sagte Dana, schwang sich in den Shuttle und landete auf zwei Punkten.
»Gar nichts, Engineer’s Mate.« Palencia richtete sich auf. Er war über eines der Kompensatorsysteme gebeugt gewesen und wirkte ausgepumpt. »Bloß meine Pflicht.«
»Es geht das Gerücht um, dass das Sabotage ist«, sagte Dana und stemmte die Hände in die Hüften. »Ein weitgehend bestätigtes Gerücht. Ich weiß, dass ich das nicht getan habe! Und ich bin mir ziemlich sicher, dass es Velasquez auch nicht war. Wieso ist es also Ihre Pflicht, unsere Boote zu sabotieren? Ist das wieder einmal ein gottverdammter Komplott Ihrer …«
»Beruhige dich, Dana«, ließ sich Granadica vernehmen.
»Beruhigen?«, schrie Dana. »Mein Techniker liegt im gottverdammten Lazarett im Koma!«
»Und … er hat selbst dafür gesorgt, dass er dorthin kam«, sagte Granadica. »EM Palencia war nicht der Saboteur. Das war EM Velasquez.«
»Was?«, riefen Palencia und Dana gleichzeitig. Sie sahen einander einen Augenblick lang verlegen an.
»Velasquez?«, sagte Palencia.
»Das ergibt doch keinen Sinn«, sagte Dana.
»Nein, wohl nicht«, meinte Granadica. »So sind die Menschen.«
»Granadica«, sagte Dana mit gepresster Stimme. »Wenn ich sage, dass es keinen …«
»Dana«, fiel ihr die KI ins Wort. »Ich habe die Aufzeichnungen. Die sind nicht gefälscht. Bei so etwas können wir nicht lügen. Ich habe auch eine Liste sämtlicher Gravsysteme, an denen herumgepfuscht worden ist. Ich würde also vorschlagen, dass du dich an die Arbeit machst. Deine Suspendierung ist aufgehoben.«
»Einfach so? Da muss ich …«
»Wir liefern die Post«, sagte Palencia müde. »Ich würde Velasquez trotz allem auch gern besuchen. Aber was würden Sie jetzt sagen? Höchste Priorität haben die Shuttles. Wie viele beschädigte Platten sind hier drinnen, Granadica?«
»Bloß eine. Nicht sehr beschädigt und nicht einmal besonders kritisch. In der Dreiundzwanzig sind es zwei. Sie müssen Ihren Anzug anlegen, EM Parker.«
»Ich …«, sagte Dana. Und brauste dann auf. »Bloß eine kurze Klärung. Tut mir leid, Granadica. Thermo, Komet.«
»Kein Problem«, sagte Granadica.
»Sprechen, Komet.«
»Velasquez?«
»Dafür spricht das Beweismaterial bis jetzt«, erwiderte Thermo. »Ich versuche immer noch dahinterzukommen, ob wir es vielleicht mit einem abgekarteten Spiel zu tun haben. Aber alles, was wir bis jetzt gesehen haben, deutet auf Velasquez. Definitiv nicht auf dich. Deine Suspendierung ist aufgehoben. Es gibt eine Menge Zeug zu reparieren.«
»Warum? Ich meine, warum Vel?«
»Dazu kann ich im Augenblick nichts sagen«, commte Thermo. »Versuche einfach, nicht daran zu denken. Es ist wichtig, dass die Shuttles wieder einsatzfähig sind. Und ich habe noch ziemlich viel zu tun. Also, an die Arbeit. Thermo Ende.«
»Neben den bekannten Fehlern gibt es eine besondere Prozedur, um die Kompensatoren zu zertifizieren«, sagte Granadica. »Sie sollten also besser Ihren Anzug holen. Es eilt.«