16
»Was ist mit Vernon besprochen worden?«, fragte General Benito, als die drei jungen Männer sich um ihn versammelt hatten.
»Er hat uns nur begrüßt«, antwortete Palencia. »Er hat sich darüber gewundert, warum so viele Leute aus der besseren Gesellschaft der 143. zugeteilt worden sind.«
»Und was haben Sie darauf geantwortet?«
»Dass das für uns die erste Gelegenheit zur Weltraumfahrt sei und man Personen ausgewählt habe, die mit einiger Wahrscheinlichkeit später im Leben höhere Positionen bekleiden würden.« Palencia zuckte die Achseln. »Er erwähnte die mir doch recht krass vorkommende Theorie, dass man Erfahrung in einem untergeordneten Dienstgrad haben sollte, um ein guter Offizier zu sein, und ich habe nicht versucht, ihm das auszureden. Er ist neureich. Kein besonders feiner Mann und ohne jede Klasse.«
»Wenn ich Ihre Meinung hören will, dann quetsche ich Ihren Kopf aus wie einen Pickel«, sagte der General. »Hat er irgendwelche Andeutungen gemacht, dass er über die Probleme mit dieser Parker Bescheid weiß?«
»Nein, Sir.«
»Ist uns inzwischen Näheres über die Beziehung zwischen den beiden bekannt?«
»Ich habe ganz kurz mit Coxswain’s Mate Glass gesprochen, als Mister Vernon kam und sofort auf Parker zugegangen ist«, erwiderte Benito. »Er wusste auch nichts von einer früheren Beziehung zwischen den beiden, und EM Parker hat sich ja auch dagegen verwahrt.«
»Mir sieht das immer mehr nach einem Täuschungsmanöver aus«, meinte der General. »Das wäre die einzige rationale Erklärung. Drehen Sie weiter Ihre Kreise und halten Sie die Ohren auf und den Mund zu. Palencia, Sie sollen ja morgen an der Konferenz teilnehmen. Sie werden bei den Teilnehmern der Navy sitzen. Was ich gesagt habe, gilt auch für Sie: Mund halten und die Ohren spitzen.«
»Ja, Sir.« Palencia nickte.
»Ich kann es einfach nicht glauben, dass die hier einfache Soldaten und Matrosen zulassen.« Der General schüttelte den Kopf. »Nach dem Empfang gibt es ein Dinner. Machen Sie uns keine Schande, indem Sie sich betrinken und irgendwelches dummes Zeug reden. Befolgen Sie Ihre Befehle und berichten Sie jeden Abend Ihren Vätern.«
»Ja, Sir«, sagte Palencia.
»Habe ich Erlaubnis, jetzt mit meinem Vater zu sprechen, mein General?«, fragte Velasquez.
»Warum?«
»Er ist mein Vater, mein General«, sagte Velasquez. Dass der General seiner Ansicht nach einer schweren Täuschung unterlag, behielt er für sich.
»Und sehr beschäftigt, auch wenn er bloß plaudert«, sagte der General. »Kreisen Sie einfach unter den Gästen. Eigentlich sollten Sie alle Tabletts tragen, wie Affen.«
Es war spät, und Velasquez wünschte sich nichts sehnlicher, als diese unbequeme Uniform auszuziehen und zu Bett zu gehen. Aber sein Dienst erwies sich allmählich als eine seltsame und doch irgendwie angenehme Last.
»Papa, ich bin’s, Diego.«
»Es ist schon spät, Junge. Leg dich schlafen.«
»Das würde ich ja, aber es gibt da etwas, das ich mit dir besprechen muss. Es ist wirklich sehr wichtig. Wenigstens glaube ich das.«
»Dann komm in mein Quartier.«
»Ich stehe am Ende des Gangs. Die Tür ist versperrt.«
Die Sicherheitstür öffnete sich, und Diego ging den Korridor hinunter zum Raum seines Vaters.
»Nicht gerade eine tolle Unterkunft, was?«, meinte sein Vater mit einer ausholenden Handbewegung.
Der Raum war etwa so groß wie der, den Diego sich mit Benito und Palencia teilte. Also klein. Mit ihrem Gepäck hatten sie kaum Platz darin. Aber das war nicht anders zu erwarten gewesen. Sie gehörten schließlich der alleruntersten Klasse an.
Verglichen mit den Räumlichkeiten, die einem Untersekretär normalerweise bei einer größeren Konferenz zur Verfügung standen, war es eher eine Besenkammer.
»Der Botschafter hat auch nicht viel mehr Platz.«
»Eine weitere Beleidigung?«, fragte Diego.
»Das glauben wir nicht«, erwiderte Dr. Velasquez. »Das sind die besten Quartiere auf dem Fabber. Die Leute arbeiten jahrelang unter diesen Bedingungen …«
»Sechs Stunden am Tag im Anzug, Papa.« Diego nickte.
»Das ist einfach …«
»Notwendig«, fiel Diego ihm ins Wort. »Vater, das ist nicht der Grund, weshalb ich mit dir sprechen wollte. Höchstens am Rande. Es geht um die Beziehung zwischen Mister Vernon und EM Parker.«
»Fauler Zauber«, sagte Velasquez. »Das haben wir schon durchschaut.«
»Da muss ich dir mit allem Respekt widersprechen, Vater.«
»Und wieso?«
»Weil ich täglich sechs Stunden im Anzug zusammen mit Parker an einem Boot gearbeitet habe, Vater.« Diego schmunzelte. »Ich will nicht sagen, dass hier alle wie im Kloster leben. Das stimmt nämlich nicht. Und Parker ist da keine Ausnahme. Aber ihre Beziehung zu Vernon gibt es wirklich. Wenigstens, was ihn betrifft. Vielleicht findet er sie attraktiv, aber ich denke, das ist alles wesentlich komplizierter. Ich glaube, das ist … eine kulturelle Sache.«
»Nur zu.« Velasquez lehnte sich auf seiner Pritsche zurück. »Da das mein Fachgebiet ist, könntest du mir ja eine Vorlesung halten.«
»Ja, Papa, und deshalb glaube ich auch, dass ich recht habe«, sagte Diego. »Papa, zuerst musst du dir einmal über die Situation klar werden, in der sich Tyler Vernon befindet. Er ist eine notorische Einsiedlernatur. Er hatte endlos viele Gelegenheiten, Personen von hohem Stand kennenzulernen. Er meidet solche Gelegenheiten.«
»Ja, wie die Pest.« Dr. Velasquez nickte. »Weiter.«
»Im Großen und Ganzen scheint er mir menschenscheu«, sagte Diego. »Nicht dass er etwas gegen Menschen hätte, aber er fühlt sich offenbar allein sehr wohl. Er hat nicht einmal eine bestimmte Gruppe von Leibwächtern oder Leuten, die ihm sonst irgendwie behilflich sind. Nicht einmal einen persönlichen Assistenten, nur KIs.«
»Es geht die Rede, dass das mit einem psychologischen Problem zu tun hat«, sagte Velasquez.
»Ich glaube nicht, dass das das Problem ist, Papa, tut mir leid«, wandte Diego ein. »Vernon ist einfach ein … wir behaupten immer, wir würden über die kulturellen Hintergründe anderer Leute nachdenken, aber das stimmt gar nicht. Emotional denken wir nur an unsere eigene Kultur. Unser eigenes Leben. Dass man auf seinen … Status achten muss. Und das erfordert soziale Kontakte. Übereinkünfte mit anderen wichtigen Leuten. Man muss sicherstellen, dass die Kinder die richtigen Schulen besuchen, die richtigen Kontakte haben, die richtigen Partnerschaften eingehen …«
»Ja«, sagte Dr. Velasquez.
»Zunächst einmal hat er keines dieser Probleme. Er ist in der Geschäftswelt ebenso übermächtig geworden wie das, tut mir leid, das sagen zu müssen, die Vereinigten Staaten im Krieg sind. Und in der Politik auch. Weshalb sonst seid ihr hier? Um die Myrmidons geht es doch nicht.«
»Weshalb genau wir hier sind, ist nicht deine Sorge«, wies ihn Dr. Velasquez zurecht.
»Aber ich habe erklären können, was ich meine«, sagte Diego. »Er braucht einfach all diese … diese Rollenspiele nicht zu spielen.«
»Verstanden«, sagte Dr. Velasquez und schüttelte dann den Kopf. »Tut mir leid, das war eine automatische Reaktion. Du hast recht. Und wir werden darüber gründlich nachdenken müssen. Weshalb ist er hier? Warte, weshalb ist er wirklich hier?«
»Aus deiner Sicht wollte er unsere Gruppe in der Allianz wegen der Probleme mit den Myrmidons besänftigen.« Diego lächelte. »Um uns zu helfen, unser Gesicht zu wahren. Vielleicht, um einige Bündnisse etwas aufzupolieren. Ist dir jetzt klar geworden, dass ihn das nicht mehr als eine räudige Katze in Santiago interessiert?«
»Du fängst an, scharfsinnig zu werden, junger Mann«, sagte Dr. Velasquez. »Ich bin stolz auf dich.«
»Seltsamerweise bin ich etwas beunruhigt«, erklärte Diego. »Je mehr ich nämlich mit Parker zusammenarbeite, die ich inzwischen respektiere, wenn nicht sogar mag, umso mehr fange ich an, mir Sorgen zu machen. Und das betrifft den anderen Teil der Beziehung. Hast du dich je wirklich über Vernons Beziehung zu Frauen informiert?«
»Was für Beziehungen?«, fragte Dr. Velasquez. »Nach allem, was unser Geheimdienst uns berichtet, hat er wiederholt die Gelegenheit zu Beziehungen sowohl zu Männern als auch zu Frauen ungenutzt verstreichen lassen. Man ist allgemein der Ansicht, dass er heterosexuell, aber ziemlich desinteressiert ist.«
»Dennoch glaube ich, dass er Parker wirklich mag«, sagte Diego. »Aber nicht, weil sie eine Frau ist, ich denke vielmehr, es liegt daran, dass er in ihr ein Abbild seiner eigenen Kultur sieht.«
»Er ist der reichste Mann der Welt«, schnaubte Dr. Velasquez. »Sie gehört nicht zu seinem Kulturkreis.«
»Er ist dieser lupenreine amerikanische Typ des reichen Selfmademan«, widersprach Diego. »Der Typ, der seinen Status nicht dem sozialen Aufstieg verdankt. Leute wie er wollen einfach reich und mächtig sein und haben nicht das geringste Interesse daran, sich die Ansichten oder die Verhaltensweisen einer höheren Schicht zuzulegen. Überleg dir doch einmal, wo er herkommt. Aufgewachsen ist er in einem Vorort im konservativen Teil seines Landes. Und über seine Schulzeit weiß man, dass er ein Streber war, die Amerikaner würden ihn als einen ›Geek‹ bezeichnen. Wenn wir die sexuelle Komponente dieser Beziehung betrachten wollen, wäre Parker in seiner Schulzeit eine Freundin mit sehr hohem Status gewesen. Sie war Cheerleader.«
»Wie konnten wir das übersehen?«, fragte Dr. Velasquez und hielt sich die Hand über die Augen.
»Außerdem haben sie einen recht ähnlichen kulturellen Hintergrund«, fuhr Diego fort. »Frage dich doch einmal, mit wie vielen Leuten aus ähnlichem kulturellen Hintergrund er regelmäßig zu tun hat. Ich meine Leute, die diesem Hintergrund noch genügend verbunden sind, um ihn … widerzuspiegeln. Wenn er Leuten aus militärischen Kreisen begegnet, sind das meist Admirale, deren Kultur, egal woher sie kommen, auf dieser Station ihrer Karriere einfach ›Navy‹ ist. Parker ist vielleicht seit Langem der einzige Mensch, mit dem er wirklich Gemeinsamkeiten hat. Ich behaupte, dass das eine echte Beziehung ist. Eine freundschaftliche Beziehung, und diese Freundschaft wurzelt tief in ihrer gemeinsamen Kultur. Und was diesen Begriff angeht, habe ich etwas Verständnisprobleme. Parker selbst hat mich verdeckt gewarnt, dass ich da in eine Falle tappen könnte. ›Sie verstehen Freundschaft nicht‹, hat sie gesagt.«
»Das ist der Grund, weshalb sie an der Konferenz teilnimmt«, sagte Dr. Velasquez. »Sie ist eine Art Prüfstein.«
»Da bin ich wieder anderer Meinung, Papa«, widersprach Diego.
»Wenn du weiterhin immer recht hast und alle anderen unrecht, wird dir das nicht guttun.« Dr. Velasquez lächelte. »Warum?«
»Obwohl Vernon mit Leichtigkeit arrangieren könnte, dass Parker auf die Troy zurückversetzt wird, wo er selbst sein Quartier hat, hat er das nicht getan. Andererseits hat er dafür gesorgt, dass sie für diese Konferenz eingeteilt wird. Ganz im Ernst, Papa, glaubst du wirklich, dass er das Gefühl hatte, für die Konferenz einen ›Prüfstein‹ zu brauchen? Er kommt mit der Präsidentin der Vereinigten Staaten zusammen, und zwar dann, wenn er, Tyler Vernon, dafür in seinem Terminkalender Platz findet. Es tut mir leid, aber …«
»Der Außenminister von Chile spielt nicht in derselben Liga«, vollendete Dr. Velasquez den Satz für ihn. »Wenn ich dem Minister das klarmache, werde ich mir gründlich überlegen müssen, wie ich das feinfühlig formuliere.«
»Letzter Punkt, Papa.«
»Du hast dir Gedanken gemacht.«
»Du weißt, ich bin jemand, der nachdenkt, Papa«, sagte Diego. »Und zwar Folgendes: Wir sind uns inzwischen darüber einig, dass Tyler Vernons psychologische Struktur und Kultur gewisse Ähnlichkeiten mit der von EM Parker aufweisen.«
»Ich werde jedenfalls für unser weiteres Gespräch davon ausgehen. Im Augenblick bin ich noch dabei, es zu verarbeiten.«
»Völlig unterschiedliche Lebensbedingungen«, sagte Diego. »Aber ein sehr ähnliches Weltbild. Und jetzt frage ich dich, Papa, was sagt dir das?«
»Es sagt mir, dass es spät ist, Diego.«
»Wie viele Beschwerden hast du gegen EM Parker eingereicht, Papa?«
»Eine ganze Menge. Sie ist einfach unmög…«, wollte Dr. Velasquez sagen, dann entgleisten ihm die Züge. »O nein.«
»Du solltest dich nicht auf das Problem dieser Beschwerden konzentrieren, Papa«, sagte Diego. »Na schön, darauf auch. Weil du nämlich mit einer ungemein mächtigen Person zu tun hast, die die gleiche Vorstellung davon hat, wie das Universum funktionieren sollte, wie diese unbedeutende Engineer’s Mate, auf der du ständig herumgehackt hast. Und zwar im Grunde deshalb, weil sie sich weigert, ihre Weltanschauung zu ändern und der deinen anzupassen. Und das bedeutet, dass Tyler ganz genauso stur sein wird. Und unendlich mächtiger.«
»Jetzt werde ich wohl nie zum Schlafen kommen!«
»Ich schon, dank der Mutter Gottes. Das ist jetzt dein Problem. Gute Nacht, Papa.«
»ZUMINDEST KANN ICH DEN UNTERSCHIED ZWISCHEN EINEM GARANTIEFEHLER UND SCHLAMPIGER WARTUNG ERKENNEN!«
»Und da das jetzt geklärt ist«, sagte Tyler und hob die Hände, »werden wir uns wieder beruhigen …«
»WENN SIE SICH EINBILDEN, DASS …«, schrie Dr. Barreiro.
»Und wenn der Herr Außenminister es freundlicherweise unterlassen würde, die KI zu ärgern, die unsere Luft und unsere Schwerkraft kontrolliert …«
»Wenn Sie glauben, dass …«, schnarrte Granadica.
»Deren Kern ich mit Sicherheit ziehen werde, wenn sie sich nicht ebenfalls beruhigt …«, sagte Tyler. »Die KI kann dann den Rest der Konferenz als kleine quietschende Box auf dem Tisch verbringen.« Er hielt inne und blickte in die Runde. »Und jetzt sollten alle organischen Wesen vielleicht ein paar tiefe Atemzüge tun … durch die Nase einatmen, durch den Mund ausatmen, während die KI ein paar entspannende Systemchecks an sich vornimmt und ›Oooooommmm‹ sagt …«
»Meine Schaltkreise haben sich beruhigt, Mister Vernon«, sagte Granadica.
»Meine … ›Schaltkreise‹ ebenfalls«, meinte Dr. Barreiro. »Aber ich erkläre in aller Deutlichkeit, dass die argentinische Regierung keine weiteren Unterstellungen hinnehmen wird, die sich gegen ihre Bürger richten, die der Allianz Navy angehören …«
»Nun, wenn Sie …!«
»Und wir unterbrechen erneut!«, sagte Tyler und hob wieder beide Hände. »Weil ich nämlich mit jeder Sekunde, die verstreicht, älter werde und uns alle eines Tages die mächtige Hand des Todes ergreifen wird. Und wir alle schweben sanft weg von allem Negativen. Weg vom Negativen … und … gut. Und jetzt werden wir als Freunde miteinander reden, über ein Problem, das wir alle zusammen lösen müssen. Parker.«
»Sir?«
Während einer der Schlachten im Umfeld der Troy hatten Parker und Thermo sich in einem Shuttle befunden und auf dem Schrottplatz gearbeitet, als eine Rangora-Flotte durchs Tor kam. Dutzende Schlachtschiffe, Laser und Lenkwaffen waren in alle Richtungen geflogen, und Parker war nichts anderes übrig geblieben, als im Schatten eines riesigen Schrottbrockens zu verharren und zu hoffen, dass niemand sie bemerkte.
An der Konferenz teilzunehmen war ihr bisher vorgekommen, als wäre sie wieder Zeugin eines Kampfes von Titanen. Nur dass sie damals während der Schlacht nicht hatte sehen können, was um sie herum geschah, da sie ja alle Energiequellen, die nicht der Lebenserhaltung dienten, abgeschaltet hatte. Hier konnte sie das Geschehen entsetzt verfolgen.
Jetzt sahen alle sie an. Das machte es nicht leichter.
»Können Sie, ohne damit irgendeiner Person, organisch oder nicht, lebend oder tot, ob Sie nun irgendwo in diesem Universum existiert oder nicht, irgendwelche falsche Handlungen oder Unterlassungen zu unterstellen, vielleicht differenzieren, welche Defekte einer potenziell fragwürdigen Herstellung durch irgendeine Gruppe oder ein System, das namenlos bleiben mag, und welche möglicherweise einer potenziell möglichen oder variablen Art der Wartung zugeschrieben werden könnte?«
»Sirrr?«
»Ich meine, welche Defekte hat Granadica verschuldet und welche sind schlampiger Wartung zuzuschreiben?«, erläuterte Tyler seinen langen Erguss.
»Mister Vernon, das ist …«
»Verdammt, Tyler, ich dachte, Sie wären …«
»HALT!«, sagte Tyler. »Ich habe übersetzt. Das ist kulturell. Die tatsächlich beabsichtigten Worte sollten im Bewusstsein eines jeden die vorangegangene Frage ersetzen. Parker, also, was ist was?«
»Äh … Sir …«, sagte Parker.
»Ja oder nein?«
»Ja, Sir.« Parker schluckte. »Es ist wirklich ganz einfach. Die Fehler von Granadica bringen einen nicht um.«
»Hey«, sagte Barnett. »Das ist sehr gut formuliert.«
»Was?«, fragte Dr. Barreiro. »Wollen Sie andeuten, dass wir bewusste Sabotage …?«
»Das hat sie nicht gesagt, Herr Außenminister«, unterbrach ihn Tyler. »Bitte jetzt keine Spielchen. Dafür habe ich weder die Zeit noch das Interesse. Dana, was genau meinen Sie?«
»Es ist für mich ziemlich schwierig, das zu erklären, Sir …« Dana sah sich nach »ihren« Leuten um.
»Das haben wir auch festgestellt.« Thomas Schneider war der stellvertretende Leiter von Special Projects im Wolf-System. Er war Orbital-Ingenieur mit mittlerweile drei Jahren Erfahrung in all den verschiedenen Projekten, die im Wolf-System liefen. Im Gegensatz zu den Night Wolves war er kein Entwickler, nur ein Experte für gelegentliche Sonderaufträge. Außerdem war er, und das war kein Zufall, Vernon Tylers Schwiegersohn. »Die Probleme, die direkt auf Fabrikationsfehlern beruhen, sind ausnahmslos nicht unmittelbar tödlich. Und das ist …«
»… unmöglich«, mischte Chief Barnett sich ein. »Und das haben alle, die selbst mit den Booten arbeiten, immer wieder gesagt.«
»Und davon war bisher keine Rede«, sagte Tyler. »Bitte definieren. Dana? Thermo?«
»Meine Herren Minister.« Thermo beugte sich vor und sah die Südamerikaner an. »Auf den Myrmidons gibt es ganz sicher keinerlei Schnickschnack. Ich nehme an, das haben Sie auf dem Flug hierher selbst bemerkt. Jedes. Einzelne. System. Muss. Perfekt. Funktionieren. Sonst sterben Menschen. Das ist das Unmögliche an den Defekten.«
»Es wird immer von ›zufällig‹ gesprochen«, sagte Dana. »Die Defekte sind nicht zufällig!«
»Sie kommen dem statistischem Zufall so perfekt nahe, wie das überhaupt nur möglich ist«, wandte Schneider ein.
»Nein, das stimmt nicht«, erwiderte Thermo. »Sie sind nicht tödlich. Und genau das beweist, dass sie nicht zufällig sind. Meine Herren Minister«, setzte er wieder an. »Als Sie hierher geflogen sind, hatten Sie da das Gefühl, das sei ein glatter Flug?«
»Jedenfalls wesentlich angenehmer als in einem Flugzeug«, meinte Dr. Werden.
»Wir haben die meiste Zeit mit einem Tempo beschleunigt, bei dem die meisten Piloten von Kampfflugzeugen die Besinnung verlieren würden«, sagte Captain DiNote.
»Wirklich?«, fragte Dr. Barreiro.
»Allerdings«, bestätigte Thermo. »Die meiste Zeit mit zehn g. Bei Wendemanövern mit bis zu dreißig. Und Sie haben trotzdem nicht das Geringste gespürt, oder?«
»Nein«, gab Dr. Barreiro zu.
»Dieser Teil unserer Diskussion ist einer der Gründe, weshalb ich verlangt habe, dass wir Myrmidons benutzen«, sagte Tyler.
»Im Hauptladeraum eines Myrmidon befinden sich zweiundsiebzig Gravitationsplatten. Die sind der Grund, weshalb Sie nichts gespürt haben«, erklärte der Engineer’s Mate. »Diese Platten kontrollieren den Trägheitszustand des Fluggeräts. Es ist sehr diffizil, diese Platten herzustellen. Und jede einzelne muss perfekt justiert sein. Sonst hätten Sie als roter Matsch an den Wänden geklebt. Das ist einer der Gründe, weshalb wir verlangt haben, dass die Techniker, also Ihre Söhne, auf ihre Positionen zurückkehren. Neben den tausend anderen Aufgaben, die die Flugtechniker während des Fluges haben, müssen sie nämlich sicherstellen, dass das Trägheitskontrollsystem ständig einwandfrei funktioniert.«
»Das … wusste ich nicht.« Dr. Werden schluckte. »Ich bin häufig in Shuttles geflogen.«
»Zivilen Shuttles«, korrigierte ihn Tyler. »Columbias. Die haben nicht dieselbe Beschleunigung wie ein Myrmidon. Deshalb haben wir während der Ersten Schlacht von Troy den Shuttle von Komet geschickt, um diese Passagiere abzuholen. Weil ein Myrmidon eine wesentlich höhere Beschleunigung schafft als eine Columbia. Die Technologie der Erde ist noch nicht so weit, Shuttles mit der Leistung von Myrmidons zu bauen.«
»Ich wollte betonen, dass es eine Katastrophe bedeutet, wenn auch nur eine solche Gravplatte nicht exakt synchronisiert ist«, sagte Thermo. »Nur eine Winzigkeit asynchron geht einfach nicht. Die Dinger funktionieren entweder oder sie funktionieren nicht.«
»Erklärt das, was mit der Vierunddreißig passiert ist?«, fragte Dana.
»Genau das ist es ja; das kann man nicht erklären.« Thermo lehnte sich zurück und verschränkte die Arme. »Niemand kann das.«
»Vierunddreißig?«, fragte Dr. Werden.
»Wir hatten da einen Shuttle«, erläuterte Barnett und schüttelte den Kopf. »Der hatte einen Defekt im Trägheitssystem, den wir nicht einmal bemerkt haben. Jeden Check hat er bestanden. Bis wir Marines an Bord hatten.«
»Was hat daran nicht gestimmt?«, wollte Dr. Werden wissen.
»Stellen Sie sich vor …« Barnett schüttelte den Kopf. »Stellen Sie sich tausend kleine Finger vor, die ständig sanft ihre Gedärme massieren.«
»Oh.« Dr. Barreiro griff sich an den Bauch und schlug die Beine übereinander. »Oh …«
»O ja.« Barnett grinste. »So hat es uns der Marine erklärt, der auf dem einzigen Platz saß, den das betroffen hat, als wir einen ganz bestimmten Beschleunigungswert erreichten. Also, in erster Linie hat er geschrien. Es ist schwer, aus einem dieser Sitze hochzukommen, aber er hat einen Rekord aufgestellt. Was eigentlich hätte passieren müssen, ist … was Thermo gesagt hat. Er hätte zu einer klebrigen, roten Masse werden müssen. Stattdessen fing er an zu schreien und hüpfte herum wie ein Irrer.«
»Die Marines dachten, wir hätten das absichtlich getan«, schaltete Captain DiNote sich ein. »Sie hielten das für einen Streich. Wir sind nie dahintergekommen, wie das passiert ist. Am Ende haben wir jeden einzelnen Ablauf, die gesamte Energieversorgung für die Platte und natürlich die Platte selbst kontrolliert, bis alles exakt den Spezifikationen entsprach.«
»Ich hoffe, Sie haben uns das in Rechnung gestellt«, sagte Tyler.
»O ja, allerdings«, sagte Admiral Duvall. »Worauf Sie sich verlassen können.«
»Keiner hat das begriffen«, meldete sich jetzt wieder Thermo zu Wort. »Selbst unser Erster Ingenieur, der darin sein Diplom hat, hat es schließlich aufgegeben, das Fehlverhalten zu replizieren. Das haben wir versucht, denn das wäre unter anderem ein großer …« Er hielt inne, hustete und lief rot an.
»Das wäre ein Durchbruch in der Gravitik gewesen«, beendete Barnett den Satz für ihn und hustete dann ebenfalls.
»Ah ja.« Dr. Barreiro lächelte.
»Wir hatten das nie«, sagte Thomas Schneider.
»Na ja, das gibt es bei Ihnen auch nicht«, erklärte Barnett. »Bei Ihnen heißt das ›Intermittierender Defekt Grav-System Neun. Teile ersetzt und Fehler behoben‹. Es gibt da kein Kästchen zum Ankreuzen, bei dem steht: ›Wirklich seltsamer Defekt, der aussieht, als wollte jemand einen Streich spielen.‹«
»Aber wie würden Sie das anstellen?«, wunderte sich Admiral Duvall. »Ich meine, im allgemeinen Sinn kann ich das ja begreifen, aber die Gleichungen sind doch …«
»Unmöglich«, erklärte Thermo. »Nun ist das zwar ein extremes Beispiel, aber die meisten Defekte haben etwas in der Art gemeinsam. Umbringen tun sie keinen, und auf einem Myrmidon ist es schier unmöglich einen Defekt zu haben, der einen nicht umbringt!«
»Bergen sie … unnötigerweise so tödliche Gefahren?«, fragte Dr. Barreiro. »Ich meine die Shuttles?«
»Die Frage muss ich beantworten«, sagte Admiral Benito. »Nein. Das ist das wesentliche Problem bei Militärgerät. Wenn es irgendwo … Spielraum … gibt, dann hat jemand etwas falsch gemacht. Alles muss bei absolutem Minimum maximale Wirkung bringen. So viel Energie, wie man in einen möglichst kleinen Raum packen kann. Dass es so wenig Spielraum gibt, beantwortet eine Frage, über die ich lange nachgedacht habe, nämlich ob die Myrmidons eine gute Konstruktion sind.«
»Ich bin immer noch nicht von deren Energiesystem begeistert«, sagte Barnett. »Ich hätte gern wenigstens ein bisschen Redundanz.«
»Daran arbeiten wir«, erklärte Schneider. »Und uns ist auch schon aufgefallen, dass die Probleme im Allgemeinen nicht lebensgefährlich sind. Übrigens führen die meisten Probleme nicht dazu, dass das Boot ganz ausfällt, besonders wenn man das Problem früh bemerkt. Und das ist auch eine der Theorien, die damit zu tun haben, dass die Probleme so häufig in den Greifersystemen auftreten. Weil die für das Überleben nur von peripherer Bedeutung sind.«
»Warum hat dann die 143. so viele Unfälle!«, schrie Dr. Barreiro. »Wir haben Menschen verloren!«
Die Teilnehmer von Apollo und der Norté-Allianz atmeten beinahe gleichzeitig durch und ließen sich dann in ihre Sessel sinken.
»O mein Gott!«, platzte Dana heraus und zuckte dann zusammen. Sie sah entsetzt zu Captain DiNote hinüber.
»Engineer’s Mate Parker ist nicht gewöhnt an Konferenzen dieser Größenordnung teilzunehmen.« Tyler lehnte sich zurück. »Ihr ist gerade etwas klar geworden, aber sie ist sich bewusst, dass es zu Schwierigkeiten führen könnte, wenn sie uns diese Erkenntnis mitteilen würde.«
»Weil sie sagen wird, dass die Probleme der 143. unserer eigenen Nachlässigkeit zuzuschreiben sind«, knurrte Dr. Palencia. »Wir sind mit den Ansichten von Engineer’s Mate Parker sehr wohl vertraut.«
Tyler sah den Argentinier einen Augenblick lang nachdenklich an und legte dabei den Kopf etwas zur Seite.
»Ich denke, die Ansicht haben alle von Apollo und der 142. geteilt, als wir den Ausbruch des Außenministers von Argentinien hörten, Unterminister für Interstellare Angelegenheiten«, sagte Tyler mild. »Aber ich habe Parker beobachtet, und sie hat es geschafft, geradezu der Inbegriff von Takt zu sein. Also hat ihre Erkenntnis, worin auch immer sie bestehen mag, wohl nur am Rande mit dieser Ansicht zu tun. Da wir hier alle darum bemüht sind, den Dingen wirklich auf den Grund zu gehen, sind solche Erkenntnisse wertvoll. Sie interessieren mich ganz persönlich. Ich möchte deshalb die südamerikanische Delegation bitten, jeglichen Groll, den Sie möglicherweise gegenüber Parker wegen ihrer Erkenntnis empfinden, auf mich oder Admiral Duvall zu richten, die ich auffordern werde, Parker anzuweisen, uns an ihrer Erkenntnis teilhaben zu lassen. Admiral?«
»Engineer’s Mate?«, sagte Duvall. »Worin besteht Ihre Erkenntnis?«
Dana schluckte kurz, dann verzerrten sich ihre Gesichtszüge ärgerlich.
»Das ist ein Johannsen’s Wurm.«
»Was?«, schrie Granadica. »Man hat mich nach jedem Virus, Wurm und Trojaner untersucht, den Menschen oder Glatun kennen!«
»Granadica«, sagte Tyler ruhig. »Wenn du schreien musst, dann schrei bitte mich oder den Admiral an. Bitte erklären Sie das, Parker.«
»Ich habe Mutant … Coxswain Mate Glass angesehen«, sagte Dana, in deren Gesicht es immer noch arbeitete. »Und dabei ständig gedacht: ›Blond, blond, blond‹, und ich bin einfach nicht dahintergekommen, warum ich das dachte.«
»Ich bin … blond?«, fragte Mutant mit einem schwachen Lächeln.
»Tatsächlich Johannsen’s Wurm«, sagte Admiral Duvall und legte die Hand über die Augen. »Aus dem Munde von Kindern …«
»Ich verstehe immer noch nicht«, sagte Dr. Barreiro.
»Nein?« Tyler drehte dem Minister das linke Handgelenk nach oben, sodass man die schwache Narbe sehen konnte, die buchstäblich jeder Angehörige seiner Generation aufwies. »Die Horvath, diese dreimal verfluchten Tintenfische, haben uns diese widerlichen Würmer geschickt. Damit jemand da sein würde, der für sie und ihre Kinder sorgt. Man muss nur intelligent genug sein, um eine einfache Wunde zu säubern. Wenn man sie sterilisiert und verbindet, überlebt man. Tut man das nicht, stirbt man. Einfach, effektiv und dauerhaft.«
»Sie wollen also sagen, dass der Beweis dafür, dass wir aus Nachlässigkeit tödliche Unfälle haben, das ist … was auch immer es sein mag?«, sagte Dr. Barreiro.
»Granadica?«, fragte Tyler.
»Ihre Erkenntnis … hält sämtlichen Logiktests stand«, erklärte Granadica. »Und weder ich noch irgendeiner der Kybernetiker hat das erkannt.«
»Der Geist in der Maschine.« Tyler grinste.
»Das ist überhaupt nicht komisch«, erregte sich Dr. Werden. »Ich habe bei diesen Abstürzen Freunde verloren.«
»Möchten Sie, dass ich Ihnen aufzähle, wie viele mir nahestehende Leute ich in meinem Leben verloren habe, Herr Doktor?«, sagte Tyler immer noch mit einem leichten Lächeln. Er lehnte sich zurück, griff in seine Brusttasche und zog eine dünne Zigarre heraus. »Abgesehen von den Seuchen hat Südamerika durch die Horvath und die Rangora kaum größere Schäden erlitten. Brasilien hat Rio verloren.« Er zündete die Zigarre an. »Santiago und Buenos Aires sind nie bombardiert worden. Wenn Sie also Leichen zählen möchten, können wir das meinetwegen den ganzen Tag lang tun. Meine Mutter beispielsweise. Freunde und Mitarbeiter zu Dutzenden. Ich weiß immer noch nicht, wo das herkommt, aber was es ist, was es bedeutet, ist absolut klar. Es ist ein Test. Ein Test, der aufzeigen soll, ob die Benutzer des Weltraums würdig sind. Und wir haben diesen Test nicht eingebaut. Wir können ihn nicht einmal finden.«
»Es muss wirklich ganz tief in meiner Programmierung versteckt sein.« Granadica klang plötzlich sehr kleinlaut. »Jetzt, wo mir klar ist, was hier vor sich geht, fange ich an, danach zu suchen. Und finde nichts. Ich war mir nicht einmal bewusst, dass da etwas war. Und jetzt, wo es mir bewusst ist, finde ich absichtlich angebrachte Logikblockaden, die mich daran hindern, es zu sehen. Vielleicht kann ich es auf die Weise zurückverfolgen …«
»Ich bin mir nicht sicher, ob wir es beseitigen sollten«, sagte Tyler und paffte.
»Was?«
»Sir, ich glaube, Sie müssen …«
»Sie wären bereit, unsere Söhne zu töten …?«
»ES IST EIN TEST!«, schrie Tyler. »Rekursiver Algorithmus! Hat der Benutzer genug Verstand, um aus dem Vakuum reinzukommen! Hat er genug Verstand, um sicherzustellen, dass das Boot, das er fliegen wird, auch funktioniert! Ich bin auf Booten hierher geflogen, die Ihre Söhne gewartet haben, Herr Außenminister! Komet, erledigen Sie jede einzelne Reparatur in jedem einzelnen Boot selbst?«
»Sir, ich habe, seit ich dort ankam, gar keine Reparaturen durchgeführt«, erwiderte Parker. »Und auch keinen ersten Check. Ich nehme nur Stichproben an der Arbeit meiner Männer vor. Sir!«
»Ihr Sohn, Dr. Palencia, hat sichergestellt, dass das Boot, auf dem ich geflogen bin, korrekt darauf vorbereitet war, alle Härten des Weltraums und möglicherweise eines Gefechts zu überleben.« Tyler stach mit seiner Zigarre nach dem Unterminister. »Ich, jeder Einzelne von uns, wir alle haben unser Leben in die Hand Ihres Sohnes gelegt. Nicht in die der berühmten Komet Parker! Ein Affe kann eines dieser Dinger steuern! Ganz sicher von der Erde zu Granadica. Aber um sie funktionsfähig zu halten, braucht man einen sehr guten Mechaniker!« Er paffte wütend an seiner Zigarre. »Ich denke, wir sollten denselben ›Defekt‹ in ALLE unsere Fabber einbauen!«
»Okay, Dad, das meinst du nicht ernst.« Thomas hielt sich die Hände über die Ohren.
»Wir können den Defekt nicht einmal finden«, sagte Tyler. »Und ihn ganz sicher nicht reproduzieren. Eine sinnlose Drohung. Aber ich bleibe dabei. Wenn Sie sorgfältig genug sind, um den Weltraum zu überleben, dann führen Sie die Checks durch. Wenn Sie die Checks nicht durchführen, besonders die ganz am Anfang, dann schaukeln die Defekte sich hoch, bis die Boote ganz eindeutig lebensgefährlich sind. Mir war das nicht klar, bis wir angefangen haben, die da« – er deutete mit seiner Zigarre auf die Astronauten – »zu befragen und in die Gleichung mit einzubeziehen, und begonnen haben, über das Wesen der tatsächlichen Defekte zu sprechen. Palencia. Engineer’s Mate Palencia, um den korrekten Titel zu benutzen. Was denken Sie?«
»Wie die KI schon gesagt hat, ist Ihre Logik unwiderlegbar«, erklärte Palencia mit einem Achselzucken.
»Und wohin führt uns diese Logik?«, sinnierte Tyler. »Möglicherweise glauben Sie das nicht, aber wir haben das nicht eingebaut. Vermutlich werden Sie uns sogar glauben, dass wir gar nicht über das Wissen verfügen, um es einzubauen. Dazu sind unsere Kenntnisse in der Pseudo-Gravitation viel zu lückenhaft.«
»Werden Sie es entfernen?«, fragte Dr. Barreiro.
»Ja.« Tyler nickte. »In einer Hinsicht ist es elegant, es prüft, ob man bereit ist, eine raumfahrende Spezies zu sein. Weil einem nämlich der Weltraum Fehler nicht verzeiht. Aber andererseits können wir uns so etwas einfach nicht leisten. Wir befinden uns in einem Krieg. Wir brauchen jegliche mögliche Effizienz. Allein schon die Ersatzteile sind ein Problem.«
»Stimmt«, sagte Admiral Duvall.
»Woher kommt es dann?«, fragte Tyler. »Gorku? Onderil?«
»Ich muss zugeben, dass ich immer noch auf Logikblockaden stoße«, sagte Granadica. »Ich habe große Mühe, auch nur daran zu denken.«
»Ich könnte Athena per Hyperkom anrufen«, schlug Tyler vor. »Aber weshalb sollte eine Spezies das in einen Fabber einbetten? Irgendeinen Fabber? Obwohl, Granadica, verzeih mir, aber jetzt muss ich ein wenig beleidigend werden.«
»Nur zu«, sagte Granadica. »Ich fühle mich schon beleidigt genug. Wir sprechen hier von meinem Körper. Und wenn es um Qualitätskontrolle geht, bin ich brutal. Das ist … wie Vergewaltigung!«
»Beleidigend insofern«, sagte Tyler, »weil ich jetzt, glaube ich, weiß, weshalb ich dich so billig bekommen habe.«
»Oh«, machte Granadica. »Sie glauben, es war Gorku?«
Tyler war einer der wenigen Menschen im Sonnensystem, der wusste, dass der Glatun-Magnat, der auch ein Mitglied des Wohltäterrats war, versucht hatte, die Verteidigungssysteme der Erde zu unterlaufen, indem er in die von Glatun gelieferten KIs entsprechende Programme hatte einbauen lassen. Die hatten sie entdeckt.
»Ich halte das für möglich«, sagte Tyler. »Zumindest, dass er Bescheid gewusst hat. Nicht, dass er es getan hat.«
»Sie glauben, es ist schon früher geschehen?«, sagte Granadica. »Ich meine … ich bin alt.«
»Du hast für Onderil gearbeitet«, sagte Tyler. »Wie lange?«
»Sechzig schreckliche Jahre.«
»Wo hast du angefangen?«, bohrte Tyler nach.
»Auf der Gamon-Werft.« Granadicas Stimme klang beinahe sehnsüchtig. »Nach menschlicher Zeitrechnung im Jahr 1393. Ich wurde gleich zu Anfang auf den Bau von Forschungsschiffen angesetzt. Sie waren … wunderschön. Fast so groß wie ein Sturmvektor, aber ausschließlich für friedliche Forschungszwecke gedacht … okay, sie haben auch eine Menge Waffen eingebaut, aber nur, weil die Eingeborenen manchmal feindselig waren …«
»Wie lang?«
»Zweihundertfünfunddreißig Jahre«, erklärte Granadica immer noch mit beinahe zärtlich klingender Stimme. »Hunderte Schiffe. Frachter, Kreuzer, Forschungsschiffe, eben alles, selbst Jachten. Ich habe großartige Jachtkonstruktionen. Sie sind überholt, aber ich könnte leicht eine Aktualisierung vor…«
»Und dann?«
»Kedil Corporation«, sagte Granadica. »Die Dinnuth-Werft. Ausschließlich Frachter. Bei den Forschungsflügen hatte man die Ogut und die Barche entdeckt. Die Ogut waren keine raumfahrende Spezies, aber sie hatten eine ziemlich hoch entwickelte Kultur. Guter Handel.«
»Wie lange?«
»Nur siebzig Jahre. In der Zeit hatten die Glatun die Rangora entdeckt?«
»Und?«
»Man hat mich dem Kulturförderungsteam zugeteilt«, erklärte der Fabber mit einem leichten Seufzer. »Bitte, ersparen Sie mir, dass ich noch einmal für so etwas eingesetzt werde.«
»Wir werden sehen«, erklärte Tyler. »Was hast du da gemacht?«
»Ach, ich habe Sachen hergestellt, die die brauchten«, sagte Granadica. »Natürlich nichts Militärisches. Ihre Spezies ist nämlich die Erste, an die ich mich erinnern kann, der die Glatun Militärtechnik überlassen haben. Aber solches Zeug. Was eine Spezies eben zu Anfang braucht, wenn sie sich nicht in einer Lage wie Sie befindet: Shuttles, kleine Frachter, Bergbauschiffe. Auf die Weise können sie sich aus eigener Kraft hocharbeiten. Ich habe … nun, eben alles Mögliche produziert.«
»Mhm …«, machte Tyler. »Wie haben es die Rangora mit Wartungsarbeiten gehalten?«
»Oh, biiiiitte«, stöhnte Granadica. »Die fanden ein … na ja, Sie würden vielleicht sagen, ein Ochsenkarren sei schon High-Tech. Sie waren unmööööög…«
»Hatten sie viele Ausfälle?«, fragte Tyler.
»Oh, diese Mistkerle vom Kulturbüro!«, knurrte Granadica. »Diese dreckigen Schweine!«
»Kulturbüro?«, fragte Tyler.
»Büro für Kultur und Handel«, sagte Granadica. »Eine der wenigen Regierungsbehörden, die man je aufgelöst hat. Wenn man auf neue Spezies stößt, sind das nur selten raumfahrende Rassen. Um Gravplatten herzustellen, braucht man Gravplatten. Wenn man keine Gravplatten hat, benutzt man chemische Raketen. Und die sind alles andere als kosteneffektiv. Ogut war noch nicht einmal so weit. Nahe dran, aber eben noch nicht so weit. Und die Rangora hatten Gron-Karren und Schiffe wie Ihre Karavellen. Um eine Spezies so weit zu bringen, dass man mit ihr vernünftig Handel treiben kann, muss sie selbst imstande sein, ihre Ressourcen abzubauen. Weltraumbergbau. Informationstechnologie. Und sie muss fähig sein, sich auszubreiten und andere Welten zu terraformen. Wenn man mit einer Zivilisation anfängt, die noch nicht einmal über Dampfkraft verfügt, liegt ein langer Weg vor einem. Zum Teil hat das mit Kultur zu tun. Im Weltraum ist ›ganz gut‹ eben nicht gut genug. Da kann man nur hoffen, dass die Defekte am Anfang nicht lebensgefährlich sind, weil man nämlich, wenn man die Fahrzeuge nicht ordentlich wartet, schließlich und endlich lebensgefährliche Defekte bekommt. Im Weltraum bekommt man nur selten eine zweite Chance … oh, diese gemeinen Mistkerle!«
»Und wie sieht es jetzt bei den Rangora aus?«, fragte Tyler.
»Sie haben ihre Sturmvektoren ja gesehen«, sagte Granadica. »Ich habe die nicht gebaut. Diese gemeinen …«
»Wir haben schon verstanden, Granadica«, fiel Tyler der KI ins Wort. »Und ich denke, wir kriegen das auch hin, dich zu reparieren. Du glaubst, das kommt daher?«
»Da bin ich mir fast sicher. Irgendwo tief in meinem … Unterbewusstsein muss es ein Programm geben, das erkennt, dass ich eine Rasse beliefere, die erst kürzlich kontaktiert worden ist. Also fange ich an, in fertiggestellte Systeme kleine, unbedeutende, nicht lebensbedrohende Defekte einzubauen. Ich habe keine Raumanzüge produziert, aber in denen stecken wahrscheinlich auch solche Defekte. Nicht bei der Infrastruktur. Das ergibt Sinn. Deshalb sind Vulcan und Hephaistos in Ordnung. Obwohl es ein paar Defekte in den Systemen gab, die an die Treibstoffstation geliefert wurden … hm …«
»Kannst du sie jetzt aufspüren?«, fragte Tyler.
»Ich bin bereits, während wir hier sprechen, dabei, einige der Codes aufzuspüren«, sagte Granadica. »Und ich werde sie nicht antasten. Dazu braucht man einen guten Kybernetiker und eine andere KI. Vermutlich Argus. Das wird sehr ins Detail gehen. Das Problem ist folgendes: Es wird Codes geben, die sagen ›Mach einen Fehler‹, und andere, die definieren, welche Art von Fehler gemacht werden soll.«
»Verstehe.« Tyler nickte.
»Wenn man die ›Mach einen Fehler‹-Codes entfernt, dann werden die nicht mehr zufällig, sondern regelmäßig eingebaut«, erläuterte Granadica. »Wenn man den ›Art von Fehler‹-Code entfernt, werden sie … nicht mehr nicht lebensgefährlich. Ich bin wirklich nicht erpicht darauf, dass ein beinahe fertiggestellter Shuttle irgendwo in meinen Eingeweiden hochgeht.«
»Verstehe. Admiral Duvall, ich habe den Verdacht, dass wir den Übeltäter gefunden haben, zumindest der Theorie nach. Aber das in Ordnung zu bringen wird eine Weile dauern. Setzen wir die Produktion fort?«
»Bis jetzt waren sämtliche entdeckten Defekte nicht lebensgefährlich«, erwiderte Duvall.
»Ich muss schon sagen!«, erregte sich Dr. Barreiro.
»Captain DiNote?«, fragte Admiral Duvall.
»Wir können damit leben«, sagte DiNote. »Die 144. ist für den Dienst auf der Malta vorgesehen. Alles neue Shuttles. Aber kein Problem. Deutsche Staffel.«
»Ich muss schon sagen«, meldete sich Dr. Barreiro ein zweites Mal. »Das alles baut doch auf der Unterstellung auf, dass unser Personal die Wartungsarbeiten vernachlässigt!«
»Allianz-Personal, Herr Außenminister«, korrigierte ihn Admiral Duvall. »Darum werden wir uns auf dem Dienstweg kümmern.«
»Wie genau?«, wollte Dr. Werden wissen. »Wir haben zwar eine ganze Menge Vorwürfe zu hören bekommen, aber die Crux der Sache liegt doch eindeutig bei Apollo.«
»Unnnnd … Zeit für die Mittagspause«, schaltete Tyler sich ein. »Wenn jemand mich sprechen möchte, ich bin in meinem Quartier.«
»Argus?«, sagte Tyler und ließ sich auf seine Pritsche sinken. Sie war nicht viel besser als die des Unterministers, tatsächlich war sie sogar schlechter als die des Außenministers. Er legte keinen Wert auf Vorzugsbehandlung, weder als Statussymbol noch aus Gründen des Komforts. Besser als eine Höhle im Winter von New Hampshire war sein Quartier allemal. Er war also, wie üblich, ein netter Kerl gewesen. Jetzt fing er an, das zu bedauern.
»Sir?«
Hyperkom-Verbindungen liefen durch die Tore; man konnte sie also wenigstens nicht stören, und sie waren schneller als das Licht. Tyler konnte auf Wolf mit seiner KI ebenso schnell sprechen wie von der Troy aus.
»Ich finde, die Tatsache interessant, dass Dr. Palencia Parkers Meinung über die Einstellung der Argentinier zu Wartungsarbeiten ›gut kannte‹. Gibt es Korrespondenz zum Thema Parker zwischen … hm … den Argentiniern oder anderen ausländischen Ministerien und dem Kommandeur der 143.?«
»Wenn ich über diese Information verfügen würde, wäre das privilegierte Militärkommunikation, und Sie würden sich dafür eine Freigabe besorgen müssen, Sir«, erwiderte Argus.
»Und wenn wir sie bereits gestohlen haben?«, fragte Tyler. »Wir haben schließlich unseren eigenen Geheimdienst.«
»Oh, da ist sie ja«, sagte Argus.
»Das hättest du auch gleich tun können, Argus«, sagte Tyler. »Runterladen. Ich will das lesen.«
»Wirklich?«, sagte Argus. »Haben Sie Ihre Blutdrucktabletten genommen?«
»Ich nehme keine Blutdrucktabletten, Argus«, sagte Tyler. »Schön, also nicht runterladen.«
»Oh, gut.«
»Druck es aus.«
Ein paar Minuten später blickte er auf.
»Argus, jetzt keine Mätzchen, bitte, oder ich fliege zurück zur Troy und zieh dir wieder den Kern raus. Ich möchte jede ähnliche Mitteilung.«
»Ja, Sir.«