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»Warum hast du mir nicht gesagt, dass sie mit Tyler Vernon befreundet ist!« Dr. Velasquez war Berufsdiplomat, und trotz seines Tonfalls blieb sein Gesichtsausdruck freundlich.
Sein Sohn war in der Kunst der Diplomatie nicht so geübt.
»Das habe ich nicht gewusst, Papa«, sagte Diego. »Keiner von uns hat das gewusst. Sie hat gesagt, die Art und Weise seiner Begrüßung hätte sie auch überrascht. Aber sie war schon öfter mit ihm zusammen, als sie gesagt hat. Offen gestanden hat sie eigentlich nie über ihre Freunde oder ihre Beziehungen auf der Troy gesprochen. Als wir mit den Shuttles von der 142. zusammentrafen, haben sie alle einschließlich des Chiefs und des Staffelkommandanten sehr herzlich begrüßt.«
»Die sind unwichtig …«, sagte Dr. Velasquez mit einer wegwerfenden Handbewegung.
»Wirklich, Papa?«, wandte Diego ein. »Captain DiNote soll demnächst zum Admiral ernannt werden und gilt als Favorit für das Kommando über die Kleinen Boote. Sein Name muss bloß noch dem amerikanischen Senat vorgelegt werden. Und das bedeutet, dass er dann auch der Admiral der 143. sein wird. Dem Gerücht nach ist Chief Barnett, falls es noch mehr Versetzungen von der 142. gibt, dann als Chefpilotin der Staffel vorgesehen, und die ist gar nicht daran interessiert, ›kulturelles Bewusstsein‹ zu bewahren. Sie ist die einzige Person, die Parker uns gegenüber je erwähnt hat, und es ist offenkundig, dass Parker ihr Protegé ist. Du solltest sie als UvD betrachten, was für die Nortés beinahe wichtiger ist als Offiziere; sie hätte dann die Leitung unserer Staffel, und ihr ehemaliger Kommandant wird unser Admiral sein!«
»Das … war mir nicht bewusst«, sagte Velasquez.
»Weiß Mister Vernon, dass Parker so etwas wie die Zielscheibe …«
»… unseres Zorns war?«, ergänzte Dr. Velasquez und lächelte gequält. »Offenbar nicht. Oder er verbirgt das sehr geschickt. Ich wünschte, ich hätte mit Captain DiNote gesprochen. Ich weiß nicht, ob es ihm bekannt ist. Ich habe das Gefühl, dass diese ganze Sache auf dem besten Wege ist, außer Kontrolle zu geraten.«
»Was wirst du unternehmen?«, fragte Diego.
»Das wird beim Außenminister liegen«, sagte Velasquez. »Im Augenblick müssen wir einfach gute Miene zum bösen Spiel machen und hoffen, dass uns der ganze Schlamassel nicht um die Ohren fliegt.«
»Erbitte Erlaubnis, Flugdeck zu betreten.«
Dana warf einen Blick auf den Absender und rechnete damit, dass es eine der südamerikanischen VIPs sein würde, stellte aber zu ihrer erneuten Überraschung fest, dass es Tyler Vernon war.
»Erlaubnis erteilt«, commte sie und öffnete die Luke.
»Hey.« Vernon schwang sich mit einem Satz in das Abteil. »Im Sturm ist einem jeder Hafen recht.«
»Wir stehen kurz vor dem Toraustritt, Sir«, sagte Dana.
»Deshalb wollte ich ja hier hinten sein. Macht es Ihnen etwas aus, wenn ich mich auf den Platz des Technikers setze? Ich fasse auch bestimmt nichts an.«
»Kein Problem, Sir.« Trotzdem ging Dana auf Nummer sicher und sperrte sein Steuer.
»Sie haben die besseren Sichtschirme«, meinte Tyler. »Ich finde den Tortransfer einfach immer wieder cool.«
»Schalte Ihren Schirm um, Sir«, sagte Dana. »Sir, es gibt da ein Problem. Die Anweisung sieht vor, dass die Luke aus Sicherheitsgründen geschlossen sein muss. Und damit …«
»Was, Sie wollen nicht, dass es zu Gerüchten kommt?«
»Dem Gerücht, dass ich mich mit dem reichsten Menschen im Sonnensystem treffe, Sir?« Dana schmunzelte. »Wie schrecklich. Ich hatte eher an Ihren Ruf gedacht, Sir.«
»Zum Henker mit meinem Ruf«, sagte Tyler. »Schließen Sie die Luke.«
»Ja, Sir.«
Im gleichen Augenblick drehte Tyler sich in seinem Sessel herum.
»Müssen Sie sich auf die Steuerung konzentrieren?«
»Ich möchte gern in einem Stück durchs Tor kommen, Sir«, erwiderte Dana. Sie hatte nie als Coxswain einen Toreintritt gemacht, aber nach allem, was sie gehört hatte, war das kinderleicht. Es gab einen winzigen Augenblick der Diskontinuität, und dann befand man sich in einem anderen Sternsystem. »Offen gestanden wäre es mir wesentlich lieber, wenn jetzt mein Techniker neben mir sitzen würde, aber ich verstehe mich auch ganz gut auf Multitasking.«
»Ich werde warten«, sagte Tyler geheimnisvoll.
»Bitte nehmen Sie zur Kenntnis, dass wir im Begriff sind, einen Torwechsel durchzuführen«, verkündete Dana über die Bordsprechanlage. »Es wird einen kurzen Augenblick der Diskontinuität geben. Nur sehr wenige Leute empfinden dabei irgendwelche Beschwerden. Und die Transition erfolgt in … drei … zwei … einer …«
Dana hatte in der Troy schon einmal ein Tor passiert. Das flatternde, graue Innere des Tors vom Haupthangar aus zu sehen, war eigentümlich gewesen. Aber diesmal gab es nur kurz ein sonderbares Gefühl, dann waren sie in Wolf.
»Komet, DiNote.«
»Kommen, DiNote.«
»Granadica auf Eins-Eins-Sechs Mark Zwo. Führungsboot folgen. Max zehn g Beschleunigung. Eins, Dreiundzwanzig, Vierundzwanzig, Fünf.«
Eine interessante Formation war das.
»Folge DiNote, aye. Beni, wiederholen.«
»Führungsboot folgen, aye. Nummer drei, aye.«
»ETA siebenundvierzig Minuten.«
»Gentlemen«, commte Dana. »Wir befinden uns im Wolf-System. Keine Navigationshindernisse. Geschätzte Ankunftszeit ist 16.35. Danke, dass Sie Thermopylae Air geflogen sind. Okay, Sir, was wollten Sie sagen, Mr. Vernon?«
»Alles in Ordnung?«, fragte Tyler.
»Ich fliege praktisch mit Autopilot.«
»Es sind eine Menge Leute auf dieser Reise dabei«, sagte Tyler. »Offensichtlich. Viele wichtige Personen. Die meisten von ihnen haben aus den verschiedensten Gründen Strippen gezogen, um mitzukommen, aber ich bin mitgekommen, weil es um mehr als ein Thema geht.«
»Ja, Sir.« Dana nickte.
»Ich versuche gar nicht erst, über alle Themen auf dem Laufenden zu sein«, sagte Tyler. »Der entscheidende Punkt ist, dass wir, wie Sie wissen, von Anfang an Probleme mit Granadica hatten.«
»Ich bin als Engineer’s Mate eingesetzt, Sir«, sagte Dana trocken. »Verstehen Sie mich bitte nicht falsch. Ich weiß, weshalb wir Granadica benutzen, und ich bin auch froh, dass wir den Fabber haben. Aber, ja, ich weiß, dass es Probleme mit der Qualitätskontrolle gibt. Manchmal recht seltsame.«
»Darüber reden wir, wenn wir angekommen sind«, sagte Tyler. »Sie sind nicht hier, weil ich Sie für eine gute Pilotin halte. Ich glaube durchaus, dass Sie gut genug sind, um mich zu fliegen, und ich lege auch großen Wert auf meine Haut. Aber machen wir uns nichts vor, Lizzbits oder Mutant sind ebenso gut oder besser.«
»Stimmt«, sagte Dana. »Dann steckt da also etwas anderes dahinter?«
»Dass ich Sie angefordert habe, weil Sie der einzige Pilot wären, dem ich vertraue, entspricht nicht ganz den Tatsachen.«
»Und warum haben Sie mich umarmt?«
»Hä?«, machte Tyler. »Äh … wir sind doch Freunde, oder nicht?«
»Dagegen wehre ich mich ja nicht«, sagte Dana. »Mir fällt es nur ein wenig schwer, mich in dieser Gesellschaft zu sehen, Sir. Bisher habe ich das jedenfalls nicht. Ich brauche etwas Zeit, um mich daran zu gewöhnen.«
»Oh.«
»Sir, Sie sind der mächtigste Mann im ganzen Sonnensystem«, gab Dana zu bedenken. »Und ich bin ein Engineer’s Mate aus Indiana, ein Mädchen vom Lande.«
»Sie haben doch nicht … gehe ich Ihnen auf die Nerven?«
»Nein!« Dana lachte laut. »Sir, ich wäre begeistert, mit Ihnen befreundet zu sein. Und zwar nicht deshalb, weil Sie mir mit einem Fingerschnippen alles Mögliche geben könnten, also schnippen Sie bitte nicht. Und falls Sie sich dann wohler fühlen, ich mag Sie. So wie man Freunde mag. Und ich könnte welche gebrauchen.«
»Auf der Therm war’s wohl hart?«, fragte Tyler.
»Es war …«, setzte Dana an und seufzte dann. »Ich wollte jetzt sagen ›interessant‹, aber, ja, es war ziemlich schlimm. Aber ich werde mich jetzt nicht an Ihrer Schulter ausweinen. Sie hatten etwas wegen der Probleme mit Granadica gesagt.«
»Ja. Aber wenn Sie eine Schulter brauchen, um sich daran auszuweinen, dann sagen Sie mir Bescheid, okay? Ich habe mehr freie Zeit, als ich gewöhnlich zugebe. Granadica. Niemand, wirklich niemand kann mir sagen, wo genau das Problem liegt. Tausende Ingenieure und Techniker, fast eine Million Mannstunden haben wir bereits aufgewandt, KI-Zeit, Glatun-Kybernetiker. Und niemand kommt dahinter, was dort läuft.«
»Verstehe«, sagte Dana.
»Ich glaube, ich hab da eine Idee. Vielleicht, weil ich schon eine ganze Weile mit Granadica arbeite, dem Problem aber nicht zu nahe bin. Vielleicht, weil es mir egal ist, wenn mich jemand für verrückt hält. Wahrscheinlich gibt es irgendeinen untergeordneten Techniker, der dieselbe Idee hatte, und die ist nie zu mir durchgedrungen. Worauf ich hinaus will – ich werde Ihnen nicht sagen, was da meiner Meinung nach läuft. Aber als all diese Typen unbedingt an der Konferenz teilnehmen wollten, war mir das sehr recht. Ich denke, Sie werden ziemlich schnell dahinterkommen, warum ich das so sehe. Weil mich das nämlich verblüfft hat. Und wir werden an einem Ort reden müssen, wo Granadica uns nicht hören kann, und das heißt hier drinnen. Also wäre es … wenn da Gerüchte aufkommen würden, dass wir … etwas miteinander haben … vielleicht ganz nützlich.«
»Also mir wäre ›wir sind einfach Freunde‹ wesentlich sympathischer, falls es Ihnen nichts ausmacht, Sir.« Dana schmunzelte. »Sie werden es mir also nicht sagen?«
»Nein. Ich möchte, dass Sie unbefangen bleiben. Aber ich wette, Sie werden schnell dahinterkommen.«
»Warum ich?«, fragte Dana verblüfft.
»Sie haben da so etwas Bestimmtes an sich«, erklärte Tyler. »Bei mir war das reines Bauchgefühl, aber Paris hat etwas gesagt, was mich darin bestärkt hat. Sie wissen, dass Sie zu den wenigen Leuten im System gehören, mit denen die KIs auch außerhalb des rein Dienstlichen reden?«
»Nein, das war mir nicht bewusst«, sagte Dana.
»Ich glaube, ich weiß auch, warum das so ist. Und das ist der Grund, weshalb ich wirklich froh war, Komet zu sehen. Darauf werde ich auch nicht näher eingehen. Oder doch. Sie wissen, dass Sie unter all den Leuten, mit denen ich Tag für Tag zu tun habe, so ziemlich der einzige Mensch sind, der mich wirklich als eine Person behandelt?«
»Wie bitte?«
»Ihnen ist bewusst, dass ich … mächtig bin«, sagte Tyler. »Aber abgesehen davon, dass Sie ständig ›Sir‹ sagen, scheint Ihnen das nichts auszumachen. Wissen Sie, wie selten das ist?«
»Oh.«
»Entweder behandelt man mich wie einen Star, oder ich lese in den Augen meines Gegenübers: ›Was kann der für mich tun?‹«, fuhr Tyler fort. »Bei Ihnen ist es keines von beiden.«
»Sie meinen: ›Oh, Mister Vernon! Mann, Sie sind ja sooo mächtig und sehen so gut aus!‹«, sagte Dana blinzelnd und kicherte dann.
»Bitte nicht Sie auch noch.«
»Jetzt muss ich echt lachen.« Dana kicherte noch einmal. »Okay, ich kann nichts dafür, gelegentlich muss ich kichern.«
»Sie haben ja keine Ahnung, was mir das für Angst gemacht hat«, sagte Tyler. »Und ich habe gehört, dass Sie das nur unter Stress tun. Eigenartige Reaktion.«
»Wissen Sie, wie peinlich das ist?«, fragte Dana. »Ich habe während des ganzen Flugs durch den Haupthangar gekichert. Gott sei Dank ist die Aufzeichnung nicht ins Netz gelangt. Ich klinge dann wie ein verrückter Wissenschaftler. Aber jetzt sagen Sie mir, was mein Kichern mit Granadica zu tun hat?«
»Sie werden schon dahinterkommen«, sagte Tyler. »Ganz allein. Ach, und Sie werden an den Besprechungen teilnehmen. Darauf habe ich bestanden. Ich habe mir auch einen Grund dafür überlegt, und der ist gut. Aber Sie werden ständig um all diese VIPs rum sein. Das ist übrigens der Grund, weshalb Barnett, DiNote und Mutant dabei sind. Die wissen das nicht, aber sie sind dabei, um Ihnen Rückendeckung zu geben.«
»O-kay.«
»Als Beschützer«, sagte Tyler. »Neben mir. Um die Typen vom State Department und die aus Südamerika mache ich mir keine Gedanken. Aber da sind auch all diese Typen von der Navy, und einige von denen könnten auf die Idee kommen, Ihnen das Messer in den Rücken zu stoßen.«
»Vielen Dank.«
»Okay, für ein wenig Schmusen ist das lang genug, aber nicht für einen Koitus.« Tyler stand auf.
»Können wir uns auf ›Freunde‹ einigen?«, fragte Dana.
»Unbedingt.« Tyler gab ihr ein Küsschen auf die Wange. »Ich brauch auch jemand, der mir Rückendeckung gibt.«
»Sie sind also mit Tyler Vernon befreundet, und er hält sich zehn Minuten hier drinnen auf und unterhält sich hinter verschlossenen Türen mit Ihnen, während die Außenminister von Chile und Argentinien vorne sind?«, sagte Velasquez.
Die Einheit näherte sich der Granadica-Station, deshalb hatte Dana unbedingt ihren Copiloten neben sich gebraucht.
»Das ist geklärt worden«, sagte sie. »Ich habe ein paarmal mit ihm gesprochen. Wir bewundern uns eben gegenseitig. Und ich benehme mich ihm gegenüber nicht wie ein Groupie. Er verbringt den größten Teil seiner Zeit auf der Troy, und auch dort ist er nicht oft mit normalen Leuten zusammen. Also, ja, so seltsam es klingt, wir sind irgendwie Freunde. Bloß dass mir das nie in den Sinn gekommen ist.«
»Nie in den Sinn gekommen?«, fragte Velasquez. »Das soll wohl ein Witz sein!«
»Vel«, sagte Dana. »Erstens sollten Sie jetzt besser mal aufpassen, was Sie da tun, weil Sie nämlich dafür zuständig sind, dass wir ordentlich andocken. Wenn uns das nicht gelingt, dann könnte es sein, dass wir eine Ladung hoher Priorität in eine Plasmawolke verwandeln. Und so etwas mögen die überhaupt nicht. Und zweitens, erinnern Sie sich an all die Gespräche, die wir über kulturelle Unterschiede geführt haben?«
»Ja.« Velasquez nickte.
»Dann sollten Sie zur Abwechslung einmal versuchen, meine Kultur zu begreifen«, sagte Dana. »Und die von Mister Vernon. Die der meinen wesentlich näher ist als zum Beispiel die der Präsidentin oder die des Außenministers. Und ganz besonders Ihres Außenministers. Zum Teil liegt das daran, dass ich aus demselben Milieu wie Mister Vernon stamme. Ich verstehe, was ihn bewegt, und er versteht, was mich bewegt. Da Sie das bei mir nicht verstehen, verstehen Sie es auch bei ihm nicht. Und Sie verstehen auch nicht, weshalb es mich irgendwie überrascht hat, dass er mich als befreundet betrachtet hat. Aber jetzt ergibt das Sinn. Vergessen Sie übrigens, was ich vom Andocken gesagt habe. Die haben Buchten. Gehen Sie nach vorn und machen Sie hübsch Männchen, wenn Sie die Rampe runterlassen.«
»Okay.« Velasquez stand auf.
»Sie müssen nur checken, ob wir draußen atembare Luft haben, ehe Sie die Luke runterlassen«, sagte Dana. »Und das werde ich gegenchecken und dann ein drittes Mal checken. Ach, und noch etwas, Vel?«
»Ja?« Der Engineer Trainee blieb an der Luke stehen.
»Sie verstehen auch nicht, was das Wort ›Freund‹ bedeutet. Das hat auch mit der … Kultur zu tun.«
»Komet, DiNote.«
»Sprechen«, sagte Dana.
»Die meisten von uns werden in den Buchten aussteigen müssen. Hier ist kein Platz, um die Shuttles unterzubringen. Granadica wird sie per Fernsteuerung außen auf der Hülle parken. Ihr Shuttle ist die Ausnahme, ich weiß auch nicht, warum. Fliegen Sie also zu Schleuse vier.«
»Andocken Schleuse vier, aye«, bestätigte Dana. »Granadica, wir sind dicht. Jederzeit manövrierbereit.«
»Verstanden«, erwiderte die KI. Es klang ein wenig gereizt. »Das Begrüßungskommando macht Überstunden.«
»Ich sitze sehr bequem«, sagte Dana. »Wie läuft’s denn sonst?«
»Ich musste den Großteil meiner Leute außerhalb der Station unterbringen, bloß wegen dieser Koloskopie durch ein Rudel wichtiger Persönlichkeiten, die selbst dann einen Konstruktionsfehler nicht finden würden, wenn sie eine Landkarte und einen Kompass und jemanden hätten, der ihnen die Hand führt. Was glauben Sie wohl, wie es läuft?«
»Vermutlich etwa so wie meine letzten vier Monate.« Dana schmunzelte. »Ich hoffe nur, dass die dir nicht wirklich eine Koloskopie verpassen. Dazu bräuchte man ja einen gewaltigen Schlauch!«
»Hey, ja, allerdings«, erwiderte die Station.
»Eigentlich kein besonders hübsches Bild«, meinte Dana. »Wenn all diese Suds rumstehen und sich fragen: ›Ist das ein Polyp?‹, ›Was ist ein Polyp?‹, ›Wie sieht denn ein Polyp aus?‹«
»Jetzt hören Sie schon auf, Kleine«, sagte Granadica. »Sie bringen mich um. So. Und jetzt habe ich einen Fehler gemacht, weil Sie meinen Humorschaltkreis ausgelöst haben! Wird wahrscheinlich keiner merken, aber zumindest ich hab’s gemerkt! Und für die vielen anderen würde ich mich ja gern entschuldigen, aber mit der Zeit bin ich es leid.«
»Eine Weile haben alle darüber ziemlich gemeckert«, sagte Dana. »Versteh mich bitte nicht falsch. Aber wir haben alle mit Interesse den Teams zugesehen, die versucht haben, das in Ordnung zu bringen. Und schließlich sind alle so gut wie einstimmig zu dem Schluss gelangt, dass es nicht … an dir liegt. Ich meine, es liegt nicht an der KI-Granadica und es liegt nicht an der Fabrik. Ich meine, eines von beiden muss es natürlich sein, aber ein paar von den Defekten sind so verdammt seltsam, dass es nichts … dass es nichts Einfaches sein kann. Also geben wir nicht dir die Schuld. Da gibt es nichts zu entschuldigen.«
»Trotzdem nervt es mich«, sagte Granadica.
»Wir werden die Wartungstests durchziehen und die Fehler finden«, sagte Dana. »Abgesehen von den vielen Ersatzteilen, die man dafür braucht, ist es wahrscheinlich gar keine große Sache. Wenn man die korrekten Wartungsarbeiten erledigt.«
»In Ihrer Abteilung tun Sie das ja offensichtlich«, sagte Granadica. »Wenn jeder in der Eins-Vier-Drei das auch täte, wäre die Staffel nicht in so einem miesen Zustand.«
»Wem sagst du das«, schnaufte Dana, als Velasquez ins Flugabteil kam. »KI, haben wir Freigabe zum Abflug?«
»Roger, Dreiundzwanzig«, commte Granadica. »Pumpen jetzt ab. Sie begeben sich in Andockschleuse Vier und befolgen dabei sämtliche vorgeschriebenen Flugwarnungen. Passen Sie auf sich auf, Dreiundzwanzig.«
»Das war Granadica?«, fragte Velasquez und ließ sich in seinen Sessel plumpsen.
»Das war Granadica«, bestätigte Dana.
Etwas am Tonfall der KI störte sie, aber sie hätte nicht sagen können, was genau es war. Sie würden ganz sicher einiges zu bereden haben.
»Captain DiNote, das ist mein Team«, meldete Dana.
Die Shuttles hatten einer nach dem anderen ihre Passagiere einschließlich des gesamten Gepäcks der VIPs in der Station entladen, und die Flugteams befanden sich jetzt endlich in der Fabrik. DiNote hatte befohlen, dass alle sich zu einer Einsatzbesprechung zur Dreiundzwanzig begeben sollten.
»Coxswains Mate Second Class Benito«, stellte Dana vor. »Engineer’s Mate Third Class Palencia und Engineer Trainee Velasquez.«
»Benito, Palencia, Velasquez.« Der Captain nickte jedem Einzelnen zu. »Das ist Chief Barnett, Engineer’s Mate First Class Hartwell und Coxswain’s Mate First Class Glass.«
»Hi«, sagte Barnett und schüttelte jedem die Hand. Mutant und Thermo nickten bloß.
»Chief Barnett wird für das gesamte Personal auf diesem Einsatz verantwortlich sein«, fuhr Captain DiNote fort. »Mir ist bewusst, dass Sie alle Familienangehörige unter den VIPs haben. Man hat mich wissen lassen, dass Sie in Ihrer wachfreien Zeit mit den VIPs verkehren dürfen. Während der Wachperioden wird sich das ausschließlich auf den dienstlichen Bereich beziehen. Die Wachperioden werden während der täglichen Konferenzperioden festgelegt, sodass das kein Problem sein sollte. Die VIPs werden das über ihre eigenen Kanäle erfahren. Ich werde dem Außenminister von Argentinien nicht sagen, dass er nicht mit dem Sohn seines Adjutanten sprechen darf. Für diese Art Gespräche gibt es Admirale. Aber Ihnen sage ich, dass Sie es zu unterlassen haben, solche Interaktionen einzuleiten. Falls ich also herausfinden sollte, dass jemand sich verdrückt hat, um während der Dienstzeit mit Daddy zusammen zu sein, werde ich wegen direkter Zuwiderhandlung gegen den Befehl eines Vorgesetzten Disziplinarmaßnahmen verlangen. Ist das klar?«
»Klar, Sir«, sagte Palencia.
»Parker, das gilt auch für Sie«, fuhr DiNote fort. »Ich habe gehört, dass Mister Vernon Sie während der Flugbewegung auf dem Flugdeck aufgesucht hat.«
»Ja, Sir.« Dana schluckte.
»Während der Dienstperioden wird es Ihrerseits keinerlei Initiative zu solchen Kontakten geben«, sagte DiNote. »Ich würde lieber versuchen, das Dr. Barreiro zu erklären als Vernon Tyler, aber es wird weitergegeben werden.«
»Ja, Sir.« Dana fragte sich, wie lange diese Anweisung Bestand haben würde.
»Wie ich das sehe, könnten wir uns jetzt alle zurück zu unseren jeweiligen Einheiten begeben«, erklärte Captain DiNote. »Wir sind fertig. Aber oben sieht man das anscheinend anders. Und deshalb bleiben wir für die Dauer dieser Veranstaltung hier. Und wenn einer denen auf die Zehen …« Er hielt inne und sah Dana kurz an.
»Wenn jemand Mist baut, bekommt er es mit mir zu tun«, erklärte Chief Barnett lächelnd. »Und ich kann Ihnen versichern, dass das keinen Spaß machen würde.«
»Großer Gott, nein«, murmelte Thermo.
»Zu Ihrer weiteren Information: Thermo, Komet, Palencia und Velasquez werden weiterhin für die Wartung der Shuttles sorgen«, sagte DiNote. »Die Piloten werden ihr Training fortsetzen. Man hat uns Quartiere bei einem der Offiziere der Inspektionsgruppe zugeteilt. Die Quartiere auf dieser Station sind sehr beschränkt, also müssen wir sie uns teilen. Barnett und Parker. Thermo und Mutant. Die übrigen bekommen Dreierquartiere.«
»Ja, Sir«, sagte Benito, und man konnte sehen, wie sich seine Kinnmuskeln anspannten.
»Schnappen Sie sich Ihre Sachen und gehen Sie in Ihre Quartiere. Wir haben bis morgen Früh dienstfrei. Also, ja, wenn Ihre Väter Zeit haben, dürfen Sie sie besuchen.« Er hielt inne und sah in die Ferne. »Verdammt.«
»Sir?«, fragte Barnett.
»Etwa die Hälfte von dem, was ich gerade gesagt habe, hat sich in Luft aufgelöst«, sagte DiNote. »Verdammt.«
»Sir?«, fragte Dana nach ein paar Augenblicken.
»Die Quartiere bleiben wie zugeteilt«, sagte DiNote. »Die Einsätze haben sich etwas verändert. Und wir haben nicht dienstfrei. Um 19:00 ist ein Empfang. Sämtliches Personal wird teilnehmen.«
»Oh … Mist«, murmelte Barnett.
»Als Dienstkleidung ist Paradeuniform oder Smoking vorgeschrieben«, fügte DiNote hinzu.
»Sir, dann übernehme ich jetzt«, sagte Barnett.
»Bitte, tun Sie das.« DiNote griff nach seiner Gravtasche. »Ich gehe jetzt in mein Quartier. Da wir morgen nicht fliegen, werde ich meinen alten Freund Johnny besuchen. Chief, die Einheit gehört jetzt Ihnen.«
»Roger, Sir«, bestätigte Barnett. »Thermo, Mutant, ich empfehle eine Dusche. Haben Sie Paradeuniformen?«
»Ich hatte nicht damit gerechnet, dass ich sie brauchen würde«, sagte Thermo. »Aber, yeah. Und sie ist auch in Schuss.«
»Das würde ich auch empfehlen«, meinte Barnett. »Um achtzehnhundert ist Vorinspektion. Endgültige Inspektion achtzehn-dreißig. Für die männlichen Angehörigen der Einheit werden das Thermo und Mutant übernehmen. Abschließende, wirklich allerletzte Inspektion um achtzehn-fünfzig durch mich. Haben die Jüngeren hier jemals Paradeuniform getragen?«
»Nur einmal«, sagte Benito. »Und bei der Anprobe. Aber wir wissen, wie man sich passend kleidet, Chief.«
»In dem Punkt zumindest sind Sie die Nummer eins, Beni.« Dana grinste.
»Wenn Sie Hilfe brauchen … Quipu, stehe ich gerne zur Verfügung«, sagte Benito.
»Wie man sich korrekt kleidet, würdest du nicht einmal dann wissen, wenn dich ein Pariser Hofberater ausstatten würde«, feixte Palencia.
»Weitermachen«, sagte Dana.
»Ja, ganz wie Engineer’s Mate Parker gesagt hat«, sagte Barnett. »Und nur für den Fall, dass es irgendwelche Unklarheiten gibt, ich möchte bei keinem von Ihnen beim Empfang ein blaues Auge sehen. Sonst erleben Sie am eigenen Leib, woher ich meinen Ruf in den Bars auf der Troy habe. Also, wir sehen uns um achtzehnhundert.«
»Dana«, sagte Barnett und nahm sie in die Arme, als sie ihr Quartier erreicht hatten.
»Freut mich echt, Sie zu sehen, Chief.« Dana hatte das erste Mal seit einer Ewigkeit das Gefühl, sich entspannen zu können.
»Wie war’s denn?«, fragte Barnett, als sie sie schließlich losließ.
»Was uns nicht umbringt, macht uns stärker«, sagte Dana.
»Und was macht Ihr PTBS?«
»Ist wesentlich besser geworden«, sagte Dana. »Jedes Mal, wenn ich eine schlechte Nacht habe, teile ich meine Abteilung für ein Dschungelballspiel mit den Paschtunen ein.«
»Sie spielen Dschungelball mit Paschtunen?«
»Nullball können die nicht.« Dana ließ sich auf der Pritsche nieder. »Dschungelball kapieren sie gerade noch. Und besonders gut spielen sie es nicht.«
»Und sonst?«, fragte Barnett. »Ich habe von den ›Stellungnahmen‹ gehört.«
»Die sind bloß lästig. Da die Befehlskette sie weiterleiten muss, ist das das eigentliche Lästige daran. Sagen wir mal so, mein Kommandierender ist die Dinger ziemlich leid.«
»Ist das derselbe Scheiß, den wir bekommen?«, fragte Barnett. »›Die sind so gemein zu meinem lieben Jungen?‹«
»Sie haben ja ihre Väter gesehen. So ist die ganze Einheit.«
»Eine ganze Einheit potenzieller Prinzen?«
»Ja, könnte man sagen.« Dana nickte. »Die warten alle bloß darauf, dass man sie zum Admiral befördert. Ja, es war schlimm. Man hält mir immer wieder Vorträge, dass ich nicht ›mit deren Kultur arbeite‹. Und ich kümmere mich nicht darum. Um mir ein Disziplinarverfahren anzuhängen, müssten die mir nämlich befehlen, dass ich meine Typen nicht dazu bringe, ihre Vögel in Schuss zu halten. Und das wird niemand befehlen. Solange ich denen also im Nacken sitze, arbeiten sie so, wie ich es will. Inzwischen bin ich immerhin so weit, dass ich sie hie und da, na ja, sagen wir fünf Minuten, aus den Augen lassen kann!«
»Du großer Gott.« Barnett schüttelte den Kopf. »Das muss ja echt chaotisch sein.«
»Nein, eigentlich nicht«, widersprach Dana. »Es ist einfach so, dass ich mich ganz gut auf die Rolle als Kontrollfreak verstehe. Und stressig ist es nur, wenn ich das einmal nicht bin.«
»Hey«, sagte Barnett. »Ich hab doch gewusst, dass es einen Grund gibt, weshalb ich Sie mag.«
»Nicht dass die faul wären«, sagte Dana. »Es ist wesentlich komplizierter. Ich meine … wirklich wesentlich komplizierter. Und ein Gutes hat das Ganze auch. Jetzt sind Sie für die verantwortlich.«
»Na großartig! Vielen Dank!«
»Heute Abend wird es keine Schwierigkeiten geben«, meinte Dana. »Wenn man denen sagt, dass sie sich für einen Ball rausputzen sollen, ziehen sie los wie die Feuerwehr. Ganz besonders Palencia. Ich nehme an, ich werde neben ihm richtig schäbig aussehen.«
»Ist das ein Problem?«, fragte Barnett.
»Nee, ich tret ihm bloß beim Dschungelball wieder in den Hintern«, sagte Dana. »Es ist nur so, dass die heute Abend so was wie ein Heimspiel haben. Und ich nicht.«
»Ich werde auf Sie aufpassen«, versprach Barnett.
»Ich denke, es wird … interessant werden.« Dana grinste.