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Omar, der in Spanien an der Spitze der Kommandos der Gruppe stand, hatte Mohammed Amir und Ali nach Caños Blancos in Hakims Haus beordert.
Auf der Fahrt dorthin machten die beiden gequälte Scherze. Ihnen war klar, dass man ihnen den Zeitpunkt des Anschlags mitteilen und letzte Einzelheiten mit auf den Weg geben würde. Sie hatten also nur noch wenige Tage zu leben.
Mohammed fürchtete, von Omar außerdem erneut wegen seiner Schwester zur Rede gestellt zu werden.
In Caños Blancos angekommen, öffnete ihnen Hakims Bruder und führte sie sogleich ins Wohnzimmer, wo Omar sie mit einer Umarmung begrüßte.
»Salim al-Bashir hat mir die letzten Anweisungen übermittelt. Der Anschlag soll am Karfreitag stattfinden, am Tag der Kreuzigung des Propheten Isa. Ein genialer Einfall.«
»In der Tat«, bestätigte Ali begeistert.
»Das wird auf der ganzen Welt Schlagzeilen machen«, fuhr Omar fort. »Ich nehme an, ihr seid bereit.«
»Ja«, erklärten die beiden wie aus einem Munde.
Omar gab jedem eine Tasche und umarmte sie erneut.
»Die Brüder in der Gruppe wissen euer Opfer zu schätzen. An eure Namen wird man sich noch nach Generationen erinnern. Jede dieser Taschen enthält eine halbe Million Euro.«
Mohammed und Ali sahen ihn verblüfft an. Wozu das viele Geld, wo sie doch sterben mussten?
»Mit Geld lässt sich der Verlust eines Lebens nicht aufwiegen, doch es kann euren Angehörigen helfen, die künftig ohne eure Unterstützung auskommen müssen. Es ist besser, wenn ich es euch in bar übergebe. Wenn man euren Angehörigen eine halbe Million auf das Konto überwiese, würden die Behörden sofort misstrauisch.«
»Aber … das ist nicht nötig … Mein Vater verdient, was er zum Leben braucht«, erklärte Mohammed.
»Wenn er seine beiden Kinder verliert, hat er niemanden, der im Alter für ihn sorgt. Und was soll aus deiner Frau und deinen beiden Kindern werden, wenn du nicht mehr da bist? Deine Leute, Ali, leben in Armut, und dies Geld wird es ihnen ermöglichen, in Marokko ein Geschäft zu eröffnen.«
»Danke«, sagte Ali. »Meine Angehörigen werden euch dafür auf alle Zeiten preisen.«
»Dankt mir nicht. Die Gruppe lässt die Ihren nie im Stich. Jetzt wollen wir noch einmal durchgehen, wie ihr nach Santo Toribio gelangt und wo der Sprengstoff versteckt wird.«
Omars Plan war einfach, und sie hatten schon des Öfteren darüber gesprochen. Sie würden sich einer überwiegend aus jungen Leuten bestehenden Pilgergruppe anschließen, die in den Genuss des Jubiläumsablasses gelangen wollten. Die Busse fuhren selbstverständlich im Auftrag von Omars Reisebüro, und da einer der Fahrer der Gruppe angehörte, konnte er die Sprengstoffgürtel in einer Reisetasche im Kofferraum verstecken. Sie würden am frühen Donnerstagmorgen fahren und zusammen mit den anderen Pilgern in einem Hotel des Dorfes Potes übernachten. Am Freitag würden sie um zwölf Uhr mittags, der für den Gottesdienst vorgesehenen Stunde, zum Kloster emporsteigen. Da es in der Gruppe viele Gleichaltrige gab, würden Mohammed und Ali nicht auffallen. Dann brauchten sie nur noch das Kloster mitsamt allem, was sich darin befand, zu sprengen, wobei sie darauf zu achten hatten, dass von dem kleinen Raum, der in einem vergoldeten Silberschrein das größte Stück des Kreuzes enthielt, das es auf der ganzen Welt gab, nichts, aber auch gar nichts, übrig blieb.
Omar lächelte befriedigt. Er hatte nicht den geringsten Zweifel am Gelingen des Planes.
»Ihr wisst ja, dass al-Bashir euer Vorhaben besonders am Herzen liegt. Ich vertraue euch, ihr werdet es zum Erfolg führen.«
»Und Hakim?«, fragte Mohammed.
»Er ist immer noch in Jerusalem. Auch er hat seine Anweisungen bekommen. Sein Bruder wird, wie ihr wisst, hier im Dorf sein Amt übernehmen. Er sieht es als Ehre an, die Stelle eines Helden wie Hakim einzunehmen. Er bekommt von mir die gleiche finanzielle Unterstützung wie ihr.«
Gleich darauf trat Hakims Bruder mit einem Jungen ein, den sie schon früher im Haus gesehen hatten. Dieser stellte ein Tablett mit dampfenden Teegläsern und Mandelkonfekt auf den Tisch.
Omar bediente sich völlig entspannt, während Mohammed und Ali ihre Unruhe kaum verbergen konnten.
Mohammed, dem nicht entgangen war, dass Omar vom Verlust beider Kinder seines Vaters gesprochen hatte, hoffte im Stillen auf eine Gelegenheit, mit Omar über Laila zu sprechen. Da sich diese Gelegenheit nicht von selbst bot, bat er ihn schließlich um eine Unterhaltung unter vier Augen.
Hakims Bruder verließ mit Ali den Raum.
»Was willst du?«, fragte Omar kurz angebunden.
»Du hast vorhin gesagt, dass meine Eltern beide Kinder verlieren werden…«
»So ist es.«
»Laila …«
»Sie muss sterben. Dein Vater hätte das Problem längst selbst aus der Welt schaffen müssen. Wir können nicht zulassen, dass sie weiterhin Unruhe stiftet. Das Beispiel deiner Schwester richtet unter unseren Frauen großen Schaden an, vor allem unter den jüngeren. Ich habe dich gebeten, dafür zu sorgen, dass die Sache erledigt wird.«
»Schon, aber dann hast du gesagt, ich soll nichts unternehmen.«
»Ja, weil du dich nicht in Gefahr bringen darfst. Du hast einen Auftrag, der den Ruhm des Islam mehren wird.« Bei diesen Worten lächelte Omar befriedigt.
»Wer … wer wird es tun?«, brachte Mohammed heraus.
»Wie du weißt, muss die Familienehre von den eigenen Angehörigen gewahrt werden. Einer deiner Vettern wird es tun. Er kommt in wenigen Tagen aus Marokko.«
Jetzt verstand Mohammed die Zusammenhänge. Sein Vater hatte ihm mitgeteilt, sein jüngerer Bruder werde einen seiner Söhne nach Granada schicken, dem er bei der Arbeitssuche helfen solle. Selbstverständlich werde er bei ihnen im Hause wohnen. Der Vater schien nicht zu ahnen, dass sein Neffe in Wahrheit mit der Absicht kam, Laila zu töten.
Ohnmächtige Wut erfasste Mohammed. Wut gegen die Schwester, die er liebte und die wegen ihrer Starrköpfigkeit dazu verurteilt war zu sterben.
»So ist es am besten«, fuhr Omar fort. »Mach dir keine Sorgen. Wir kümmern uns um deinen Vetter. Zwar ist es eigentlich nicht unsere Aufgabe, die Sache zu erledigen, doch wir können großzügig sein. Denk nicht weiter daran. Du bist ein guter Moslem und wirst bald bei Allah im Paradies sein. Beklagst du etwa das Los deiner Schwester?«
Er senkte den Blick zu Boden und gab keine Antwort.
»Wann?«, erkundigte er sich. Omar entging der angespannte Klang seiner Stimme nicht.
»Das wird dein Vetter entscheiden. Es liegt an ihm, den günstigsten Augenblick dafür zu wählen.«
»Ich möchte nicht, dass sie leidet.«
»Ich denke, er weiß, was er zu tun hat, um ihr keine unnötigen Qualen zu bereiten«, sagte Omar mit teilnahmsloser Stimme.
Auf dem Rückweg sprachen Mohammed und Ali kaum miteinander. Ali überlegte, was er an den letzten Tagen seines Lebens noch tun konnte, und Mohammed musste fortwährend an die über Laila verhängte Todesstrafe denken.