Jerusalem, einige Wochen zuvor
»Du musst dich entscheiden, Hamsa.« Der Mann, der ihn mit seinen schwarzen Augen zu durchbohren schien, sagte das in einem Ton, der keinen Widerspruch zuließ.
Obwohl er ihm Angst machte, gab Hamsa trotzig zurück: »Die Leute haben uns nichts getan. Warum können wir nicht miteinander reden und uns einigen?«
»Die Zionisten haben erreicht, dass die ganze Welt sie unterstützt. Vor ein paar Jahren hieß es, sie wollten gemeinsam mit uns einen Staat gründen. Jetzt auf einmal wollen sie unser Land teilen. Das dürfen wir nicht hinnehmen. Entweder sie oder wir!«, rief der Mann aus.
»Nun beruhige dich doch, Machmud. Mein Sohn ist noch jung und versteht die Zusammenhänge nicht richtig«, legte sich Hamsas Vater Raschid ins Mittel.
»Wenn dein Sohn ein Verräter und Feigling ist, musst du die Sache ins Lot bringen. Wenn er aber beweisen will, dass er seine Heimat liebt, soll er bei uns mitmachen.«
»Ich bin kein Verräter und kein Feigling«, begehrte Hamsa auf. »Ich nehme nur das Recht in Anspruch, mir meine eigenen Gedanken zu machen.«
»Halt den Mund!«, gebot sein Vater erschrocken. Er wusste, wozu Machmud fähig war.
Hamsa senkte den Kopf. Er begriff, dass es für ihn keinen Ausweg gab und es sowohl ihn als auch seine Angehörigen das Leben kosten würde, wenn er sich nicht beugte.
Sein zehnjähriger Bruder Ali saß neben dem Kleinsten am Boden und hob fragend den Blick. Die Mutter war mit den beiden Töchtern nach nebenan gegangen, denn was es da zu besprechen gab, war Männersache.
»Gemeinsam mit unseren Brüdern aus Syrien, Jordanien, Ägypten und dem Iran werden wir sie bekämpfen, Haus um Haus, Garten um Garten … Alle arabischen Brüder werden uns unterstützen. Wir dürfen nicht zulassen, dass uns die Juden das Land stehlen; wir werfen sie ins Meer«, schloss Machmud. »Entweder machst du bei uns mit, oder du stirbst mit ihnen. Entscheide dich.«
»Er wird mit euch kämpfen«, entschied Raschid. »Wie auch ich. Du hast Recht. Es ist unser Land, und wir müssen dafür kämpfen. Die Juden sind voller Falschheit. Zuerst sind sie gekommen, um zusammen mit uns hier zu leben, jetzt aber wollen sie alles für sich haben.«
Verblüfft sah Hamsa seinen Vater an. Noch hatte er dessen friedfertige Äußerungen im Ohr. Stets hatte er seine Überzeugung verkündet, eine kriegerische Auseinandersetzung mit den jüdischen Nachbarn werde bittere Folgen haben.
»Im Augenblick geben wir uns mit deinem Ältesten zufrieden. Ihn brauchen wir. Aber rechne damit, dass wir auch deine beiden anderen Jungen und dein eigenes Leben verlangen, wenn es nötig sein sollte«, sagte Machmud in drohendem Ton. »Morgen kommt jemand, der dich abholt«, fügte er zu Hamsa gewendet hinzu und verließ zusammen mit seinen Männern das Haus.
Raschid setzte sich niedergeschlagen an den Tisch. Die Mutter kam aus dem Nebenzimmer, wo sich Hamsas Schwestern aufhielten, trat zu ihm und legte ihm beruhigend eine Hand auf den Rücken.
»Das hast du richtig gemacht, Raschid, das war klug von dir. Wir können nicht anders.«
»Können wir nicht, oder wollen wir nicht?«, warf Hamsa aufgebracht ein.
»Man muss wissen, wann es keinen Ausweg mehr gibt. Andernfalls ist man verloren.«
»Das Einzige, was ich weiß, ist, dass man diesen Krieg über unsere Köpfe hinweg beschlossen hat. Glaubst du, dass wir Armen in den Augen dieser Leute zählen? Nicht einmal Machmud hatte da mitzureden. Er ist nur einer der nützlichen Idioten, die ihr Leben und das anderer aufs Spiel setzen dürfen. Dieser Krieg ist in Kairo oder Damaskus beschlossen worden … und wir sollen dafür sterben«, begehrte Hamsa auf.
»Täusch dich nicht, mein Junge. Auch deine jüdischen Freunde würden sich verteidigen und töten, genau wie wir«, sagte die Mutter.
»Und wenn ich nicht kämpfen möchte?«, fragte Hamsa herausfordernd.
»Deine beiden Schwestern sind bereits Männern versprochen, die sie heiraten wollen, wenn sie etwas älter sind. Die würden sie in dem Fall nicht haben wollen, und eines Morgens werden wir sehen, dass man über Nacht unseren Garten verwüstet hat. Dann wird man deinen Vater dazu bringen, dass er dich tötet, weil sie andernfalls uns alle umbringen würden. Ich habe die Gesetze nicht gemacht, Hamsa, ich nehme sie hin, wie sie sind. Dir bleibt nichts anderes übrig, als es ebenso zu tun, wenn du nicht deine Familie entehren und ins Unglück stürzen willst. Kämpfe, mein Sohn, kämpfe.« Mit diesen Worten trat die Mutter zu ihm und sah ihn schmerzlich an, während sie ihm über die Wange strich.
Was sie betraf, hatte das Schicksal gesprochen. Die Würfel waren gefallen, und es war ihr Los, den Ältesten zu opfern. Es gab keine Möglichkeit, das zu verhindern.
»Du darfst dich nicht mehr mit David treffen«, sagte der Vater mit matter Stimme. »Geh ihm aus dem Weg. Es ist besser für dich, und auch für ihn.«
»Und was soll ich ihm sagen? Etwa, he, David, man hat beschlossen, dass du und ich uns gegenseitig umbringen sollen. Nimm es nicht krumm, es ist nicht persönlich gemeint. Wir sind niemand, wir zählen nicht, es ist unsere Pflicht, uns gegenseitig abzuknallen, wenn man uns den Befehl dazu gibt, und damit gut. Wer soll als Erster schießen, du oder ich?«
Eltern und Geschwister sahen ihn betrübt an.
»Unser Leben hängt von dir ab«, gab Raschid seinem Sohn traurig zu bedenken. »Ich kann dich nicht zwingen zu kämpfen, aber wenn du es nicht tust …«
»Schon gut«, sagte Hamsa mit Tränen in den Augen. Dann verließ er das Haus und tauchte in der Dunkelheit des Abends unter.
Auf diesem von Obstbäumen bestandenen Stück Erde war er zur Welt gekommen, im bescheidenen Haus seiner Eltern, und hier war er glücklich gewesen, stets mit dem Leben zufrieden, das er geführt hatte. Gemeinsam mit dem Vater hatte er den Boden bearbeitet, ihn begleitet, wenn er den mit Obst und Gemüse beladenen Esel zum Markt in die Stadt führte. Sehnsuchtsvoll erinnerte er sich an die Abendmahlzeiten im Freien, wenn Onkel und Tanten zu Besuch gekommen waren und er, als er noch klein war, mit Vettern und Kusinen zwischen den Bäumen und Büschen Versteck gespielt hatte.
Seine Welt ging in Stücke, weil mit einem Mal Feinde darin aufgetaucht waren, die er sich nicht einmal selbst hatte aussuchen können.
Was sollte er David sagen? Sicherlich nicht die Wahrheit. Er würde ihm aus dem Weg gehen müssen, sich von ihm fernhalten …
Innerlich musste er lachen, als er daran dachte, wie sie einander kennengelernt hatten. Er hatte die Bewohner des Kibbuz durch den Zaun beobachtet, weil er ein Auge auf ein, wie er vermutete, gleichaltriges weizenblondes Mädchen geworfen hatte. Beim Blick in ihre wunderschönen blauen Augen waren ihm die widersprüchlichsten Empfindungen gekommen. Bis dahin hatten ihn Mädchen nicht sonderlich interessiert, doch jenes so unwirklich scheinende junge Geschöpf hatte es ihm angetan.
Wenn er ihr winkend zulächelte, hatte sich sein Herzschlag beschleunigt. Am liebsten wäre er über den Zaun gesprungen und hätte ihr beim Apfelsinenpflücken oder Unkrauthacken geholfen. Als er David zum ersten Mal sah, war dieser dabei, den Boden für die Aussaat vorzubereiten. Seinem Gesichtsausdruck nach schien ihm das schwerzufallen, und von Zeit zu Zeit war er sich mit den Händen auf den Rücken gefahren und hatte ihn heftig gerieben. Man konnte deutlich merken, dass er diese Arbeit nicht gewohnt war. Doch im Kibbuz mussten alle mit anpacken, ganz gleich woher sie kamen und was sie vorher getan hatten. Ganz wie Hamsa und seine Familie lebten die Kibbuzim von den Früchten des Landes.
Als David den Blick hob, hatte er ihn gesehen und war auf den Zaun zugegangen. Da er dabei lächelte, war Hamsa nicht fortgelaufen, wie er das zu tun pflegte, wenn ihn Jakob sah, der Leiter des Kibbuz, ein schlanker Mann mit finsterem Gesicht.
Sie hatten sich auf Englisch unterhalten, das beide radebrechten, und bereits nach wenigen Minuten war es ihnen vorgekommen, als hätten sie einander schon immer gekannt. Als David erklärte, dass ihn alles schmerzte, hatte ihm Hamsa seine Hilfe angeboten, und David hatte sie zu seinem Erstaunen angenommen. So hatte er zum ersten Mal den Kibbuz betreten und das Glück gehabt, das Mädchen, von dem er träumte, aus der Nähe zu sehen. Sie war Russin, hieß Tanja, war erst fünfzehn Jahre alt und sprach so gut wie kein Englisch.
Seither war er im Kibbuz wie selbstverständlich ein und aus gegangen, genau so wie David in seinem Elternhaus, wo er stets willkommen gewesen war.
Jetzt würde er ihm sagen müssen, dass er nicht mehr kommen sollte. Auch er würde nicht mehr auf die andere Seite des Zaunes gehen.
Machmud hatte gesagt, man werde Hamsa am nächsten Morgen holen. Zweifellos sollte er im Umgang mit Waffen ausgebildet werden, denn ihm war ausschließlich das Werkzeug des Ackerbauern vertraut. Man würde ihm beibringen, wie man andere Menschen tötet. Das Wort »töten« rief in ihm Entsetzen hervor, der Gedanke daran schien ihm unwirklich. Wie würde es sein, wenn er jemanden tötete? Was würde er empfinden, wenn er sah, wie jemand vor ihm zu Boden stürzte? Und was, wenn er selbst umkam?
Trotz der Dunkelheit ging er ziellos bis zur Erschöpfung weiter. Zum ersten Mal fürchtete er den Anbruch des nächsten Tages.
»Ihr solltet ihm nicht zu sehr vertrauen. Es ist unausweichlich, dass wir einander eines Tages als Feinde gegenüberstehen«, sagte Jakob zu David und einigen anderen jungen Leuten, mit denen er sich nach dem Abendessen zu unterhalten pflegte.
»Er ist mein Freund, und ich werde nie gegen ihn kämpfen. Wir können miteinander über die Unterschiede reden. Es gibt keinen Grund, sich gegenseitig umzubringen. Unser Problem sind die Engländer, nicht die Palästinenser«, hielt ihm David entgegen.
»Die ganze Welt ist unser Problem. Die Engländer haben die Beschränkungen inzwischen gelockert und lassen mehr Leute ins Land. Wir wissen, dass die Vereinten Nationen schon bald eine neue Resolution zur Errichtung zweier Staaten verabschieden werden, doch die arabischen Völker sind dagegen«, erklärte Jakob mit einem Anflug von Ungeduld in der Stimme.
»Sie scheinen fest davon überzeugt zu sein, dass sie ablehnen werden. Aber vielleicht werden Sie eine Überraschung erleben, wenn die Leute mit den Palästinensern reden«, sagte David.
»Du bist immer noch Franzose«, erklärte ein älterer Mann und nahm die Pfeife aus dem Mund. »Hier im Orient funktionieren die Regeln der Demokratie nicht. Niemand wird die Palästinenser fragen. Ägypten, Jordanien, Syrien und Saudi-Arabien werden für sie entscheiden. Die treffen schon seit einer ganzen Weile ihre Vorbereitungen. Es ist auch bereits zu Zusammenstößen gekommen. Man hat Kibbuzim überfallen, und bei Guerillaangriffen hat es Tote und Verwundete gegeben. Was glaubst du, warum wir hier Nacht für Nacht am Zaun Streife gehen? Die werden uns mit Sicherheit angreifen, sobald sie den Befehl dazu bekommen.«
David schluckte die Antwort herunter, die ihm auf der Zunge lag. Alle respektierten Saul, den Mann mit der Pfeife. Er war in Palästina zur Welt gekommen, wie auch seine Eltern, Großeltern und deren Vorfahren. Jahrhunderte hindurch hatte seine Familie im Heiligen Land gelebt, erst die Römer und nach ihnen die Araber, Kreuzfahrer, Tataren und Türken kommen und gehen sehen – und jetzt stand das Ende des britischen Mandats bevor. Saul gehörte zwar der Hagana an, sprach aber auch perfekt Arabisch und konnte sich daher jederzeit mühelos als Palästinenser ausgeben, wenn er durch das Land zog. Er war eine lebende Legende, denn er hatte in Tell Hay gelebt, einem der ersten Kibbuzim. Für alle, die in Eretz Israel ihre nationale Heimstatt suchten, war er als einer von denen, die den Angriffen der Araber aus dem Norden mutig Widerstand geleistet hatten, ein Vorbild an Tapferkeit.
Es gab nicht viel, was ihm entging. Er hatte Verbindungen überall hin. Wie Jakob zu sagen pflegte, reichten Sauls Informationsquellen bis in die Hölle hinab.
Sie unterhielten sich noch eine Weile darüber, was geschehen könnte, wenn die Vereinten Nationen tatsächlich für die Bildung zweier Staaten stimmten. Saul versicherte ihnen, dass sich die arabischen Länder einem solches Statut mit Sicherheit widersetzen würden, was nur bedeuten konnte, dass die Konflikte mit den Palästinensern zunahmen.
»Denkt immer daran, dass wir uns auf keinen außer uns selbst verlassen können«, erinnerte Jakob sie. »Niemand wird uns zu Hilfe kommen, und so werden wir uns selbst verteidigen müssen, jeden Fußbreit Boden.«
Er wirkte bitter. Er stammte aus München, war aber auf Betreiben seines Vaters bereits Anfang der zwanziger Jahre nach Palästina gekommen, weil dieser voraussah, dass sich der in Deutschland ohnehin vorhandene Antisemitismus immer mehr ausbreiten würde.
Wie andere junge Leute hatte Jakob mit seiner Familie, dem Elternhaus und den Freunden auch sein ganzes früheres Leben zurückgelassen. Er hatte an der Gründung der ersten Arbeiterorganisation im Lande mitgewirkt und sich anschließend an der Gründung des Kibbuz beteiligt, dem er jetzt vorstand.
Er lebte als Einziger aus seiner Familie noch, denn wie seine Eltern waren auch die übrigen Angehörigen in den Gaskammern umgekommen. Es konnte niemanden wundern, dass er das Lachen verlernt hatte.
Da es ab sofort nicht mehr damit getan sei, mit einem Jagdgewehr auf der Schulter am Zaun Wache zu halten, erklärten er und Saul, werde künftig der militärischen Unterweisung mehr Zeit als bisher eingeräumt. Das sollte für Männer wie Frauen gleichermaßen gelten. Außerdem werde sich ihr Kibbuz der Herstellung leichter Waffen und von Munition zuwenden, wie das andere bereits getan hatten.
»Und wer soll uns zeigen, wie man das macht?«, fragte die blonde Tanja, die Hamsa so begeisterte, mit unschuldigem Augenaufschlag.
»Hagana-Angehörige. Wir müssen zur Verteidigung bereit sein, und dafür brauchen wir mehr Waffen, denn verglichen mit den Arabern sind wir ungenügend ausgerüstet. Was wir von den Engländern und Polen bekommen haben, reicht nicht aus. Unsere Leute bemühen sich nach Kräften, Waffen herbeizuschaffen, aber niemand wird uns welche schenken. Jeder muss den Umgang mit Pistolen und Maschinenpistolen lernen, wie auch die Technik, sich mit bloßen Händen oder einem Messer zu verteidigen. Daher werden ab morgen einige Stunden für die Unterweisung angesetzt.«
»Es ist also unausweichlich …«, murmelte David.
»Ja. Und je eher du dich damit abfindest, desto besser für dich und alle anderen«, sagte Jakob. »Am Anfang warst du bereit zu kämpfen. Du hast immer gesagt, dass wir uns das Land nicht wegnehmen lassen dürfen, weil sich das, was deiner Mutter und deinen anderen Verwandten geschehen ist, nur dann nicht wiederholen würde, wenn wir auf eigenem Grund und Boden leben. Warum zögerst du mit einem Mal? Hast du das vergessen?«
»Selbstverständlich will ich für dieses Land kämpfen! Ich weiß, dass wir Juden eine Heimat brauchen und nicht länger als Gäste in Ländern leben dürfen, die uns später als Bürger zweiter Klasse behandeln oder sogar umbringen. Daran zweifle ich ja gar nicht, nur … ich glaube eben, dass es möglich ist, mit den Palästinensern in Frieden zu leben. Schließlich haben sie dasselbe Recht wie wir, hier zu leben.«
Die anderen jungen Leute nahmen seine leidenschaftlichen Worte wohlgefällig auf. Saul merkte, dass sie trotz der Härte des Lebens im Kibbuz und der ständigen Anzeichen von Gefahren, denen sie ausgesetzt waren, den Blick voll Zuversicht in die Zukunft richteten und überzeugt waren, mit ihren Nachbarn in Frieden leben zu können. Sie waren es leid, von Feinden umgeben zu sein.
»Morgen begleitest du mich, David«, sagte Saul. »Ich muss ein paar palästinensische Ortsvorsteher aufsuchen. Sie und ihre Familien kenne ich schon seit ewigen Zeiten. Wir sind Freunde. Aber so nahe sie mir auch stehen, ich werde gegen sie kämpfen müssen, so wie sie gegen mich. Komm mit – sie werden dir erklären, was geschehen wird, ob uns das recht ist oder nicht.«
In jener Nacht schlief David unruhig und wurde mehrere Male in Schweiß gebadet wach. Er hatte immer wieder denselben bedrückenden Traum: Er wurde in ein Scharmützel verwickelt, schoss und spürte sogleich einen heftigen Schmerz im Unterleib. Davon wachte er angstvoll auf.
Er beschloss aufzustehen und zu lesen, brachte es aber nicht fertig, sich zu konzentrieren. Das Buch seines Vaters über Bruder Julián hatte er bisher nicht zu Ende gelesen. Er wusste selbst nicht recht, woher sein Widerwille dagegen rührte. Sicherlich hatte es nichts damit zu tun, dass er den Mönch etwa für kleinmütig gehalten hätte, eher schon mit seiner eigenen tief verwurzelten Abneigung gegenüber Graf d’Amis, dem Nachfahren der Familie jenes Mönchs.
Er fuhr mit der Hand über den Einband des Buches, ohne es aufzuschlagen. Zwar wollte er es unbedingt zu Ende lesen, bevor sein Vater kam, damit er mit ihm darüber sprechen konnte, doch war er noch nicht über die ersten zehn Seiten hinausgekommen. Er würde es am nächsten Tag wieder versuchen, jetzt war er von den Worten Sauls und Jakobs zu sehr aufgewühlt. Natürlich war ihm klar, dass die Palästinenser den jüdischen Siedlern voll Argwohn gegenüberstanden, das hatten auch Hamsa und sein Vater Raschid gesagt, doch wollte er nicht ihr Feind sein. Das Problem, hatten sie erklärt, liege darin, dass niemand etwas unternehme. Man müsse sich zusammensetzen und miteinander reden, um zu entscheiden, wie sie ihr gemeinsames Leben einrichten wollten. Warum nur machte sich niemand diese Mühe? Wenn man Hamsa und ihm diese Aufgabe überließe, würden sie mit Sicherheit ohne Schwierigkeiten zu einer Lösung kommen, auch wenn sie nicht in allem einer Meinung waren.
Vielleicht sollten sie in die Politik gehen, um dafür zu sorgen, dass auf beiden Seiten Vernunft einkehrte.