Bis er die drei Kinder in Weiß sah, hatte George Paxtons Leben einen nahezu tadellosen Verlauf genommen.

In der Mitte des zwanzigsten Jahrhunderts als Kind großzügiger, liebevoller Eltern geboren, Leuten so rein neuenglischer Abstammung, wie man sie nur im nordöstlichen Vermont antraf, erreichte er das Mannesalter am lauen Busen der Unitarischen Kirche. Sie hatte eine schlichte, typisch neuenglische Art von Glauben. Unitarier lehnten Wunder ab, hielten große Stücke auf die Vernunft, leugneten die Göttlichkeit Jesus Christus’ und hegten ernste Zweifel am Gottsein Gottes. George wuchs in der Überzeugung heran, das sei das einleuchtendste aller möglichen Weltbilder.

Im Alter von fünfunddreißig Jahren hatte das Schicksal ihn mit einer bewundernswerten Tochter gesegnet, einer Ehefrau, die immer aussah, als käme sie gerade von der Bewältigung einer gefahrvollen, sündhaften Herausforderung heim, sowie einem auf Pfählen an einem See erbauten, schnuckeligen Häuschen. Er befand sich bei guter Gesundheit und wußte, wie er durch eine Ernährungsweise, die auf karger Bemessung der Mahlzeiten beruhte, vielen lebensbedrohlichen Krankheiten vorbeugen konnte. George fand außergewöhnliches Vergnügen an einfachen Kleinigkeiten. Heißer Kaffee bereitete ihm Anwandlungen des Entzückens. Wenn das Fernsehen abends einen guten Film sendete, pfiff er tagsüber dauernd aus Vorfreude vor sich hin.

Selbst die Philosophen hatte er ausgetrickst. Eine grundlegende Entdeckung des zwanzigsten Jahrhunderts bestand in der Erkenntnis, daß ein Mensch ein an Vorzügen überreiches Leben führen und doch insgeheim unglücklich sein konnte. Die Philosophen nannten es Verzweiflung. Aber George Paxtons Lebenslauf trug den Stempel der Zufriedenheit; George litt nicht an Verzweiflung. So glückliche Individuen gab es in der Zeit selten. Man hätte George Paxton gegen Geld zur Besichtigung hinstellen können.

Allerdings muß eingeräumt werden, nicht jeder wäre in seiner Situation zufrieden gewesen. Nicht jeder hätte darin Erfüllung gefunden, Wörter auf Grabmäler zu setzen. Für George jedoch bedeutete das Anbringen von Inschriften auf Grabmälern keinen alltäglichen Gelderwerb, sondern eine Berufung. Er übte seine Berufstätigkeit im Friedhofsgewerbe aus. Er hatte einen Bildband mit Fotos der herrlichsten Gräber: des Sarkophags Alexanders, des Mausolus-Schreins in Halikarnassus, der Medici-Gruft in San Lorenzo und der Cheops-Pyramide. Deprimiert es Sie nicht, daß sie den ganzen Tag mit Grabsteinen zu tun haben? fragten ihn manche Leute. Nein, lautete seine Antwort. Grabsteine, so wußte er, verkörperten ein Bildungsmaterial, sie lehrten, daß das Dasein Schranken hatte: Man sollte keine zu hochgeschraubten Pläne verfolgen.

Dann und wann beschuldigte seine Frau ihn der Trägheit. »Ich wünschte, du würdest dich mal auf die Hinterbeine setzen und mehr Ehrgeiz entwickeln«, sagte Justine bei solchen Gelegenheiten. Aber Georges Verhältnisse – der Friede, die Schlichtheit, seine Muskeln, die er beim Granitheben erwarb – behagten ihm durch und durch.

Und da kreuzten plötzlich sie auf, die Kinder in Weiß, sie sprangen aus dem Heck von John Frostigs kleinem Lieferwagen und rannten zu den Ausstellungssteinen, die vor dem Firmengelände der Grabmalwerkstatt Crippen aufgereiht standen. Die Grabsteine hatten voneinander so geringe Abstände, als läge hier ein Friedhof für Liliputaner. »Schneeflittchens sieche Zwerge liegen bei uns Probe«, alberte Georges Chef ab und zu herum. »Möchtest du inzwischen mal mit ihr ’ne Sause machen?« spaßte sein Chef meistens im selben Atemzug.

George saß vorn im Büro in der Nähe des schmierigen, rußigen Fensters und sah die Kinder in Weiß über die Ausstellungssteine hüpfen. Ihre Anzüge – enge Einteiler, an der Taille eingeschnürt durch Koppel und oben durch runde Helme komplettiert – ließen ihnen volle Beweglichkeit. Jedes Kind hatte eine Pistole. Die Jungs wirkten, wie sie da über die Musterstücke hopsten, als wären sie bereit zum Abstieg in die Tiefe des Ozeans, den Schlund eines Vulkans, zur Durchquerung eines Sandsturms auf dem Mars oder eines Bienenschwarms, oder irgend etwas ähnlichem.

Den Aktenkoffer in der Hand, schwang John sich vom Fahrersitz. Ein aufgesprühter, weißer Anzug leuchtete auf der Seite des Lieferwagens, ergänzt um die Beschriftung ARES-ZIVILSCHUTZ-MONTUREN FA. JOHN FROSTIG WILDGROVE/MASSACHUSETTS TEL. 555-7043. Der Inhaber der Firma John Frostig/ARES-Zivilschutz-Monturen kam auf das Büro zu und verströmte dabei die Art von ruheloser Fahrigkeit und die Ausstrahlung unersättlichen Strebertums, die George das Gefühl einflößten, daß es im Leben Schlimmeres gab, als Zufriedenheit mit dem zu empfinden, was man hatte.

John trat ein, senkte das Gesäß auf einen Stuhl und stützte den Aktenkoffer auf seine Knie.

»Ist wer gestorben?« fragte George.

»Gestorben? Nee, tut mir leid, alter Spezi-Spezi, heute kannst du mir nichts andrehen.« Johns Freundschaft mit George ging vornehmlich auf Johns Drängen zurück. »Heute ist mit Grabsteinen nix drin!«

George kehrte sich vom Fenster ab. Ein Drehsessel, ein Rollpult, ein pikanter Kalender, eine Staubschicht, der Stuhl, auf dem John saß – daraus konstituierte sich die Gesamtheit von Arthur Crippens Büro. Arthur fehlte. Er fand sich nie vor der Mittagszeit ein, kaum jemals vor 14 Uhr. Jetzt war es 15 Uhr 30. Zweifellos hockte Arthur im Knüllen Grenadier, einer Bar, in der die Einzelhändler des Orts ihre erloschenen Hoffnungen und gescheiterten Träume in Alkohol ertränkten.

»Guck mal aus ’m Fenster, Spezi-Spezi. Was siehst du draußen?«

George drehte sich nochmals. Die Kinder hatten ein Science Fiction-Spiel angefangen, beschossen sich, indem sie die Mustergrabsteine als Deckung benutzten, mit ihren Pistolen, als wären es Laserwaffen. »Kinder in weißen Anzügen«, sagte George.

»Kinder in Sicherheit. Uns steht Krieg bevor, George, ein scheußlicher Krieg. Er ist unvermeidlich, weil beide Seiten so viele landgestützte Interkontinentalraketen für den Erstschlag angehäuft haben. Bald werden wir alle nur noch in ARES-Monturen rumlaufen. ARES steht für Autarkes Rettungs- und Einsatz-System. Seit fünf Wochen habe ich die Vertretung erst, aber schon zwei Dutzend Exemplare verkauft, ohne daß ich die Grenzen unseres reizenden Kaffs verlassen hätte. Der Produzent erlaubt uns zu firmieren, wie wir wollen, also bin ich jetzt die Firma John Frostig, ARES-Zivilschutz-Monturen. ARES-Zivilschutz-Monturen hab ich mir selber ausgedacht. Gefällt’s dir?«

»Ich wüßte nicht, weshalb die Russen Wildgrove bombardieren sollten«, entgegnete der Unitarier George. Das hatte seine Kirche aus ihm gemacht: einen naiven Skeptiker.

»Du verstehst echt keinen Deut von strategischem Denken, was? Hast du je von Gegenschlagskapazität gehört? Der Feind will Amerikas Kriegsführungspotential wegputzen. Na, und Wildgrove ist doch auch ein Teil des Kriegsführungspotentials. Wir haben Nahrungsmittel, Bekleidung, Sprit, Lastwagen, Menschen, vieles von militärischem Wert. Die sämtlichen Äpfel, die wir hier ernten, könnten in Kriegszeiten entscheidende Bedeutung erlangen.«

»Ach, ich glaube, wenn dann mal die Bomben geschmissen werden, sind wir tot, ehe wir’s merken.«

»Das ist ein ganz schön pessimistischer Standpunkt, mein alter Spezi-Spezi, und außerdem ist es unwahr. Zieh ’ne ARES-Montur an, und es ist dir unmöglich, nicht zu überleben.«

John klappte den Aktenkoffer auf und klaubte ein eng bedrucktes Formular heraus, in dessen Kopfzeilen ESCHATOLOGISCHES INSTITUT und Zivilschutz-Optimierung stand. George erkannte Kaufverträge auf den ersten Blick; ohne Kaufvertrag konnte man nicht einmal von der Grabmalwerkstatt Crippen einen Grabstein haben.

»›Eschatologisch‹ hört sich irgendwie japanisch an, wie?« meinte John. »Keine Sorge. Gegenwärtig kommen tatsächlich noch alle Monturen aus Osaka, aber schon nächsten Monat werden eine Fabrik in Detroit und eine in Palo Alto stehen. Mann, es kommt wirklich darauf an, zur rechten Zeit mit dem richtigen Erzeugnis am geeigneten Ort zu sein. Die größte Erfindung seit dem Gummi. Ein Haufen gerissener Gauner, diese Eschatologen, eine Bande schlauer…«

»Von so was halte ich eigentlich nichts.«

»Der Preis wird dich wahrhaftig nicht abschrecken.«

»Ich bedaure, John…«

»Man soll klein einsteigen, das ist es, was ich allen sage. Anfangs legt man sich ein, zwei Exemplare zu, den Rest später. Zunächst für die Kinder. Je kleiner die Montur, um so niedriger die Anschaffungskosten. Deine Tochter…«

»Holly ist erst vier.«

»Eine kluge Entscheidung, wirklich gescheit. Ich muß dir sagen, wenn ich an die Kleinen denke, hab ich gleich ’n Kloß im Hals. Also, wie ich die Sache sehe, kommen die Sprengköpfe nicht früher als in zwei Jahren angerauscht. Klar, ich weiß, wenn’s soweit ist, fahren wir alle im Honda zur Hölle, aber die Finanzwelt geht trotzdem von noch zwei Jahren aus. Folglich brauchst du was, das Holly paßt, wenn sie sechs ist, stimmt’s? Normalerweise reden wir über siebentausend George-Washington-Bildchen, aber für dich, meinen alten Spezi-Spezi, machen wir ’n Sonderpreis, ich denke da an sechstausendfünfhundertfünfundneunzig zuzüglich Steuer.«

»Das ist ja mehr, als ich… Ich weiß nicht genau, wahrscheinlich mehr, als ich in vier Monaten verdiene. Fünf. Da muß ich einfach nein sagen.«

Der ARES-Monturen-Händler trommelte mit gestrecktem Zeigefinger auf dem Vertragsformular herum. »Du glaubst doch nicht, wir sprechen hier über sofortige Barzahlung? Es geht um Ratenzahlung, um lächerliche, winzigkleine Raten.« Seine Finger huschten über einen Taschenrechner. »Bei einer fünfprozentigen Umsatzsteuer und einem jährlichen Zinssatz von achtzehn Prozent beziehungsweise eins Komma fünf Prozent pro Monat finanzieren wir die Montur durch eine feststehende Monatsrate in Höhe von dreihundertfünfundvierzig Dollar einundsiebzig Cent, und in zwei Jahren ist Hollys Montur euer Eigentum. Soviel gibst du wahrscheinlich für Bier aus.«

George nahm den Kaufvertrag zur Hand und versuchte ihn zu lesen, doch die Worte wollten sich für ihn zu keinen klaren Aussagen verdichten. Holly malte gerne. Jeden Tag fertigte sie im Durchschnitt vier Buntstiftzeichnungen an. Am Kühlschrank hing eine lebensechte Abbildung Georges, eine in der Tat völlig wirklichkeitsgetreue Wiedergabe.

Andererseits: Wenn ein Krieg der Art ausbrach, wie John sie voraussagte, spielte es keine Rolle mehr, wieviel der Besuch einer Kunstschule kostete.

»Hast du zufällig die Größe für ’n sechsjähriges Kind dabei? Ich meine… Ich frage mich bloß, wie die Dinger aussehen.«

Johns Lächeln fiel blasiert aus. »Wer ARES-Zivilschutz-Monturen vertreibt, George, muß auf alles gefaßt sein.«

Gemeinsam verließen sie das Büro und suchten sich einen Weg durch den kleinen Scheinfriedhof. Die Mehrzahl der ausgestellten Grabsteine spiegelten makabren Optimismus wider: Sie trugen keine Inschriften. Erst gingen sie durch die Ansammlung protestantischer Muster, dann die katholische Abteilung und zuletzt die Präsentation jüdischer Grabmalskunst. John öffnete das Heck seines Lieferwagens und klomm in den dunklen Laderaum, in dem mehrere Dutzend ARES-Monturen verschiedener Größen baumelten; sie sahen aus wie in einer U-Bahn zusammengedrängte Fahrgäste. George bemerkte eine für einen Hund und eine für einen Säugling zugeschnittene Montur.

Während des Rückwegs hätte ein zufälliger Zuschauer bei ihrem Anblick an eine Leichenräuberei des neunzehnten Jahrhunderts erinnert werden können: Zwei Männer schleppten eine schlaffe, bleiche Menschengestalt über einen Friedhof. Vornweg George, stämmig, muskulös und mit derben Gesichtszügen, die sich gegen das Gestrüpp seines Barts und den Urwald seiner Kopfbehaarung nur mühselig zu behaupten schienen; dahinter John, hochgewachsen, säuberlich rasiert, auf aggressive Weise von gutem Aussehen, betont verbindlich in seinem Gebaren. Zum Schluß folgten ihnen die Kinder in Weiß ins Büro. John und George hängten die kleine Montur über den Drehsessel. George versuchte, sich an die Namen der Jungs Johns zu entsinnen. Der Jüngste besuchte dieselbe Kindertagesstätte wie Holly und hatte dort eines Tages die Hamster abgemurkst. Ricki, hieß er so? Oder Nathan?

»Mister Paxton will sich über eure Monturen informieren«, verkündete John in wichtigtuerischem Tonfall, indem er seine Söhne vor sich hinstellte wie Rekruten beim Heer. »Gary, erklär ihm die Kopfschutz-Funktionen.«

Der Fünfzehnjährige hob sich den einem Dinosaurierei vergleichbaren Helm vom Kopf. Er hatte die beunruhigende Attraktivität seines Vaters geerbt. »Bei sensorischer Erfassung der Detonation werden die Ohrhörer abgeschaltet«, leierte Gary. »Dadurch wird das Platzen der Trommelfelle infolge der Druckwelle vermieden. Die Rundumbeschichtung aus Lexan-Filterfolie schützt gegen Erblinden und Netzhautversengung durch den Feuerball.«

»Dufte, Gary.«

»Danke, Vatter.«

John wandte sich an seinen zweiten Sohn. »Lance, Mister Paxton möchte auch über das Gewebe Bescheid wissen.«

Als Lance den Helm abnahm, erkannte George den Zehnjährigen, den er einmal erwischt hatte, wie er auf einen von Toby Walters für seine verstorbene Mutter bestellten Grabstein Do licht Walters seine Alters sprayte. Lance machte den typischen Eindruck eines mittleren Kinds, wirkte lässig und anspruchslos. Er zupfte seinen Reißverschluß abwärts, so daß in der Montur ein V-förmiger Ausschnitt klaffte, enthüllte so ein mit dem Logo einer Rockgruppe, die sich Totes Sperma nannte, bedrucktes T-Shirt. »Das Gewebe besteht aus wechselweisen Lagen von Wincos Synthostrat Sieben, Cellophanit-ArktiProtekt- Polyester Marke Bastei und Absorptionskohle«, sagte er brav auf, schlug eine Hälfte des Montur-Vorderteils zurück, um das Futter vorzuzeigen. »In Relation zur Ionisierungsstrahlung und dem nachfolgenden Fallout beträgt der Schutzfaktor ein rundes Tausend und genügt gegen eine kumulative Dosis von bis zu zweihundert Rad. Die… Was die…« Der Junge zuckte und wurde rot.

»Thermische Strahlung, mein Sohn.«

»Thermische Strahlung kann von einer ARES-Montur bis zu zirka zweitausendfünfhundert Grad Celsius deflektiert werden. Man kann hundert Meter vom Hypozentrum entfernt sein und kriegt bloß einen Sonnenbrand ab.«

John zog nochmals seinen Ältesten zu Informationszwecken heran. »Gary, erzähl uns was über die Wirkung von Druckwellen auf den menschlichen Körper.«

»Das Material ist mit Stahlfasergeflecht durchwirkt und kann daher dynamischem Druck von bis zu fünfunddreißig Kilo pro Quadratzentimeter widerstehen, wie er vielleicht anderthalb Kilometer vom Detonationspunkt entfernt auftritt«, erläuterte Gary. »Umherfliegende Glasscherben, ein ernstes Risiko bei jedem nuklearen Schlagabtausch, können nicht durchdringen. Und bei Entstehen zyklonischer Winde durch Überdruck besteht zwar die Möglichkeit, daß Sie fast hundert Meter weit durch die Luft gewirbelt werden, aber die Polsterung Ihres Atomanzugs garantiert, daß Sie ohne blauen Fleck wieder aufstehen.«

»Das sind keine ›Atomanzüge‹, Junge«, berichtigte ihn voller Wohlwollen der ARES-Monturen-Händler. »Was sind sie?«

»Es sind ARES-Zivilschutz-Monturen, Vatter.«

»Wahrscheinlich denkst du, die Eschatologen hätten Mutter Natur vergessen«, sagte John, indem er George mit dem Zeigefinger auf die Schulter tippte. »Aber nein! Jede Montur verfügt über eine integrierte Toiletteninstallation, das Fäkalreservoir Leonardo.«

Nun kam der Jüngste an die Reihe. »Nicki, zeig Mister Paxton deine Ausrüstung.«

Nicki – ach ja, das war sein Name! – schnallte das Stretchkoppel auf und nahm gleichfalls den Helm ab. Er hatte ein dunkles, hartes Hamstermördergesicht. »Mal sehen… Hier hab ich ein indi… indianer…«

»Individual.«

»Ein Individual-Strahlungs… dos… ähm… Strahlungsdosenöffner.«

»Dosimeter, Nicki. Es heißt Dosimeter.«

»Strahlungsdosimeter. Außerdem hab ich ein Schweizer Offerziermessa, ein Feldflasch und« – Freude durchwogte das Kind – »mein automatische Pistol Marke Colt Vier, Kaliber Fümmenvierzig.«

»Zieh, Nick!«

Mit einem täppischen Versuch der Schwunghaftigkeit riß das Bürschchen die Waffe aus dem Halfter. George hob die Hände vors Gesicht, ihm entfuhr ein Ausruf der Bestürzung.

»Man beachte die Pachmayr-Griffschalen«, sagte der ARES-Monturen-Händler, »das King-Tappan-Standvisier und…«

»Ist sie echt?« fragte George.

»Sie ist nicht geladen. Sicherheit steht bei uns an erster Stelle.«

»Wir üben dem Schießen im Keller«, erklärte Nicki und fuchtelte dabei mit der Pistole in einer Weise herum, bei der George sich insgeheim einige Male Nicht geladen wiederholen mußte. »Wir erschießen Russkis aus Pappe.«

John stolzierte hinter die Reihe seiner Söhne, tatschte auf ihre schicken, schmalen Tornister. »Und nicht zuletzt haben wir da eure Überlebensausstattung. Der untere Teil ist ein Sauerstofftank. Die Sprengköpfe könnten den einen oder anderen Brand verursachen, und dabei entstehen Rauch und giftige Gase. Zudem sind ein Primuskocher, eine tragbare Trinkwasserfilteranlage und eine vakuumverpackte Büchse mit Gemüsesamen vorhanden, darunter Sojabohnen, Gerste und andere gegen ultraviolettes Licht resistente Arten. Im Arzneikasten findet man Penicillin-G-Tabletten, Tetanustoxoidimpfstoff, Hydrokortison und zur Anästhesie eine Flasche Lachgas. Und natürlich enthält jeder Tornister einen Artikel aus unserem Basissortiment an Selbstverteidigungswaffen. Gary führt ein zerlegtes leichtes Armalite-Sturmgewehr AR-Einhundertachtzig. Es verschießt… Erklär’s unserem Kunden, Gary.«

»Die Fünf-Komma- Sechsundfünfzig-Millimeter- Standardmunition des Militärs der Vereinigten Staaten. Die effektive Reichweite beträgt vierhundert Meter.«

»Ganz genau richtig. Und unser Lance hier hat alle Teile für ein Gewehr Remington Achthundertsiebzig Kaliber Zwölf dabei. Am nützlichsten von allem« – Johns Hand strich über Nickis Tornister – »ist das schwere Sturmgewehr Heckler & Koch HK Einundneunzig mit abklappbarem Kolben. Das ist die Waffe, die du mit Hollys Montur bekommst. Effektive Reichweite achthundert Meter.«

George mußte zugeben, daß ihm gelegentlich sorgenvolle Gedanken an einen nuklearen Schlagabtausch durch den Kopf gingen und er dann nicht wußte, was zu seiner Beruhigung beitragen könnte. Sich von dieser Furcht, die ihn in den unvermutetsten Momenten packte, einfach freizukaufen, wäre eine wunderbare Errungenschaft. Wenn es gelang, jeden Monat einhundert Dollar von Justines Gehalt abzuzweigen, sprach alles dafür, so eine Montur unter den Weihnachtsbaum zu legen.

»Kann ich ihn nach Hause mitnehmen, wenn ich heute die erste Rate zahle?«

Auf Johns Gesicht erschien ein einstudiertes Lächeln. »Freilich kannst du ihn mit heimnehmen. Mann, als nächstes wirst du eine Montur für deine Schöne bestellen, und danach eine für dich, und von da an wirst du erheblich besser schlafen. Denkt ihr an weitere Kinder?«

»Gesprochen haben wir darüber, ja.«

»Also halt dich ran.«

George zückte sein Scheckheft. John spielte mit dem Kaufvertrag.

»Es ist wie in der Fabel von der Grille und der Ameise«, sagte der ARES-Monturen-Händler. »Die Grille vergeudet den ganzen Sommer mit Singen und Spielen, sie macht sich ’ne tolle Zeit – etwa so ähnlich wie hier dein versoffener Chef –, während die Ameise sich den Arsch abrackert, um Nahrung zu sammeln. Und als der Winter anbricht, möchte die Grille von den Vorräten der Ameise was abhaben. Natürlich sagt die Ameise der Grille, sie soll sich ins Knie ficken. Tja, wenn du mich fragst, in Wirklichkeit hat der alte Äsop ’ne Fabel über Nuklearkonflikte geschrieben. Aber einen Fehler hat er begangen. Weißt du, wie er sie hätte nennen sollen?«

»Wie denn?«

»›Die Fabel von der Grille und der Küchenschabe.‹«

Und so wurde George Paxton zum glücklichen Besitzer einer Autarkes-Rettungs-und- Einsatz-System-Montur.