PROLOG
Salon de Crau en Provence, Frankreich, 1554
Doktor Michel de Nostradamus, der die Zukunft zu schauen vermochte, saß in seinem Geheimkabinett und besah sich, wie die Welt ihr Ende nehmen sollte.
Das Ende der Welt lag über das Schreibpult des Propheten ausgebreitet – einhundert Bilder der Vernichtung, jedes Bild auf ein Stück Glas gemalt, nicht größer als eine Tarot-Karte. Mit äußerster Behutsamkeit verteilte er die zerbrechlichen Meisterwerke um, ordnete sie, als wollte er ihnen eine bühnengerechte Folge geben, zu dramatischen Aufreihungen. Was kam an erster Stelle? sann er. Die Eisenwale? Die Feuersäulen? Die gewaltigen Speere, die aus eigener Kraft flogen?
Gegen Spätnachmittag befanden die Malereien sich in der rechten Reihenfolge, und Nostradamus schickte sich an, zu ihrer Begleitung die einhundert Kommentare abzufassen. Er öffnete das Fenster, atmete durch die Nasenflügel köstliche Frischluft ein.
Tulpengärten. Vom Sonnenschein gleichsam mit Butter bestrichene Kleewiesen. Bröckelige weiße Landhäuschen. Inmitten der mit Nektar vollen Blüten eines Kirschbaums zirpte ein Fink. Schliche nunmehr nur eine Katze des Wegs, dachte der Prophet, dann könnte ich mich wohl an meine Aufgabe machen.
Er konsultierte des Finken Zukunft. Keine Katzen. Der Vogel durfte an Altersschwäche verscheiden.
Der Doktor zog einen Vorhang vors Fenster, entzündete sieben Kerzen, tauchte seine Krähen-Schreibfeder in einen mit Tinte gefüllten Totenschädel und begann zu schreiben. Die unerbittliche, schauerliche Düsternis der Kammer beflügelte seinen Geist. Worte strömten wie Blut aus einer zerschnittenen Ader aus Nostradamus’ Feder; die Federspitze kratzte übers Pergament. Kurz vor Mitternacht vollendete er den letzten Kommentar. Die dazugehörige Miniatur zeigte einen Bärtigen, der allein in einer grenzenlosen Ebene aus Eis stand. Und so trifft unser Held, schrieb der Prophet, der letzte aller Sterblichen, seine Anstalten, an den Busen unseres Herrn heimzukehren. Dies sind die wahrhaftigen Tatsachen der kommenden Historia.
Das dunkle Eichenholz des Schreibpults hatte die Glasmalerei in einen Spiegel verwandelt. Dem Eisfeld schienen des Propheten rabenschwarze Augen, seine Knollennase und das schwarze Dickicht seines Vollbarts eingraviert zu sein, die ein Antlitz ergaben, das sein Eheweib dennoch liebte. Anne wird mein Schreibgemach alsbald betreten, erkannte er. Sie wird mir etwas höchst Ärgerliches vermelden. Drunten wartet auf mich eine Schwangere. Das Weib leidet Wehen. Das Weib wünscht…
»Das Weibsbild wünscht meinen Beistand«, sagte Nostradamus, sobald seine Gemahlin, genau wie vorausgesehen, sich in seine Schreibkammer Einlaß verschafft hatte.
Anne Pons Gemmelle schenkte ihm ein unbestimmtes Lächeln. »Sarah Mirabeau ist die ganze Strecke von Tarascon hergereist.«
»Und ihr Gatte…?«
»Ihr ermangelt der Gatte.«
»Gib Sarah Mirabeau Kunde, daß ich eine leichte Geburt, einen kräftigen kleinen Bankert sowie für alle Beteiligten eine glückliche Zukunft schaue. Gib ihr des weiteren Bescheid, ich sehe für den Fall fernerer Belästigung durch ihre Person voraus, daß ich meine Geduld verliere« – der Prophet schwang seine Malakkastöckchen – »und sie auf die Straße werfe.«
»Und was siehst du in Wahrheit voraus?«
»Alles bleibt reichlich nebelhaft.«
»Sarah Mirabeau ist nicht um des Wahrsagens willen gekommen. Sie ist da, weil…«
»Weil ich Arzt bin? Bestelle ihr, bei einer Hebamme wäre sie klüger aufgehoben.«
Indem sie die Lider schloß und sich eine Widerrede verkniff, bewahrte Anne die Ruhe. »Die Tarasconer Hebammen mögen keiner Jüdin beistehen«, erklärte sie bedächtig.
»Wogegen ich es tu?«
»Ich habe der Frau beteuert, daß du seit langem kein Jude mehr bist.«
»Vorzüglich. Hast du ihr meine Taufurkunde vorgelegt? Nein halt, ich sehe vorher, du wirst mir antworten, daß du…«
»Daß ich es fürwahr getan habe, doch sie…«
»Sie ließ sich davon nicht überzeugen. Nun denn, so richte dieser Hudelmetz aus, daß ich mein Lebtag noch keine Mutter des Kinds entbunden habe. Bedeute ihr, daß seit jüngstem alle Medizinerei, die ich noch praktiziere, der Bestimmung gilt, die Angesichter gealterter Edeldamen der Falten zu entledigen.«
»Sie ist keine Hudelmetz. Ihr Ehegatte ist vor hundert Tagen an…«
»An der Pest verstorben«, sprach der Prophet den Satz zu Ende.
»Die Witfrau glaubt, du hättest ihn zu heilen vermocht. ›Allein der von Gott gesegnete Doktor Nostradamus kann mir heute das Leben erhalten‹, hat sie mich beschworen. ›Ausschließlich der Held von Aix und Lyon kann mir zu einem gesunden Kind verhelfen.‹ Ja, sie hat von deinen Triumphen über den Schwarzen Tod vernommen.«
»Aber von meinen Niederlagen nicht? Dieser Nostradamus, den sie so verehrt, ist weder ein rechter Katholik, noch ein wahrer Jud, noch ein wahrhaftiger Wundertäter. Bestell ihr das.«
»Wir müssen ihr christliche Nächstenliebe angedeihen lassen.«
»Meine Nächstenliebe müssen wir ihr erweisen, zu mehr wird’s nimmer langen. Nur für diese Nacht mag deine Witfrau sich in Madeleines Bett lagern. Madame Hozier ist, soweit ich Kenntnis habe, eine tüchtige Hebamme. Ich will ihr fünf Taler zahlen. Im Falle sie wider das Entgelt oder deiner Witfrau Heidentum Bedenken einwendet, sag ihr, daß ich ohne Verzug ihr Horoskop zu erstellen beabsichtige und es das denkbar schrecklichste Horoskop sein wird, ein Ausblick auf Verarmung und Gebresten.«
Anne Pons Gemmelle eilte hinaus, aber des Propheten Ungestörtheit blieb nicht von Dauer. Soviel sah er vorher: Ein Knabe sollte sich in sein Geheimkabinett verirren.
Ein Knabe schlenderte ins Geheimkabinett.
»Du willst mir deinen Namen nennen«, sagte der Prophet.
»Will ich’s?« Der Knabe zählte vierzehn Lenze, hatte einen kümmerlichen Wuchs und bräunliche Haut, unter seiner Stoffmütze hervor sproß schwarzes Kraushaar.
»Gewiß«, bekräftigte der Prophet. »Wer bist du?«
»Man ruft mich…«
»Jakob Mirabeau. Man hat deine Mutter in meiner Tochter Schlafkammer gebettet, wo sie der Niederkunft entgegenblickt. Sag an, Bursche, ist die Einladung, die deine Schritte in meine verschwiegenen Gemächer lenkte, auf mit Goldschnitt verziertes Velin oder bloß auf gemeines Papier geschrieben gewesen?«
»Was?«
»Das ist ironisch gesprochen. Die kommende Mode. Mirabile dictu, was für eine Schlappe wird Bonaparte erleiden, hat er erst Moskau erreicht!«
Der Knabe riß sich die Mütze vom Kopf. »Ich kenne Euch. Ihr seid der Mann, der im voraus erschaut, was geschehen wird. Meine Mutter sammelt Eure Almanache.«
»Erwirbt sie dieselben, oder liest sie solche lediglich auf, wo sie gerade welche findet?«
»Sie kauft sie.«
»Möchtest du eine Feige?« fragte Nostradamus erfreut.
»Merci. Meine Mutter hält gar viel auf Eure Weissagungen. Sie glaubt, Ihr seid durch Gott begnadet.«
»Man ist in bezug auf mich gespaltener Meinung. Der Pöbel zu Salon erachtet mich als Satanisten, oder etwas schlimmeres, einen Hugenotten. Oder, was ihn noch ärger anficht, einen Juden.«
»Ihr seid doch Jude.«
»Wir sind ein vortreffliches Paar, Bürschchen. Ich kann deine Zukunft sehen, und du kennst meine Vergangenheit.«
»Ich bin auch Jude.« Der Knabe mampfte die Feige.
»Posaun’s nicht hinaus. Jude zu sein ist nicht gerade der erquicklichste Lebensweg der Zukunft. Noch vermag die Inquisition nicht nach Gutdünken zu verfahren, aber schon sähe der Papst uns gern in Ghettos hausen. Laß dich taufen, das ist an dich mein Rat. Entsage deines Beharrens, ein Jude zu bleiben.«
»Könnt Ihr im Augenblick einiges der Zukunft sehen, Monsieur le Docteur, oder müßt Ihr zuvor nach den Sternbildern ausschauen?«
»Die Gestirne stehen in keinem Zusammenhang mit meinen Fähigkeiten, kleiner Jude.«
»Aber Ihr habt da ein Astrolabium.«
»Desgleichen eine Kupferschüssel, ein Dreibein und einen Lorbeerzweig. Meine Leser erwarten Brimborium zur Genüge.«
»Was seht Ihr just voraus?« fragte der Knabe, schob eine Feige zwischen Zähnen und Zunge umher.
»Du bleibst zu lang auf. Bist du dir dessen bewußt, daß ’s nahezu Mitternacht schlägt?«
»Was sonst seht Ihr vorher?«
»Mich. Wie ich ein dickes Buch schreibe.« Nostradamus schwang seine Krähen-Schreibfeder durch die Luft. »Einhundert Prophetien in ungeschlachtenen Worten und plumpen Reimen. Humbug bis zur letzten Zeile, aber der Pöbel wird dran seinen Gefallen finden. Von Tag an bis zum Ende der Welt werden Buchhändler durch wolkige und verlogene Auslegungen selbiger Strophen Vermögen einheimsen. Ich werde den Fluß Hister erwähnen, und meine Deuter werden die Behauptung wagen, ich meinte einen Mann des Namens Hitler.«
»Wer ist Hitler?«
»Du wirst von ihm nichts wissen mögen. Er beschert den Juden weitere arge Neuigkeiten.«
»Wenn Euer Buch Humbug enthalten wird, warum gedenkt Ihr’s dann zu schreiben?«
»Aus Vergnügen und um der Einkünfte willen.«
»Ich täte meinen…«
Furcht bewog den Knaben zum Schweigen. Eine garstige, schwarze Wespe hatte sich durch den Vorhang hereingetastet und schwirrte nun durch das Geheimkabinett. Sie summte gehörig. Der Knabe suchte Schutz hinter einer riesigen Weltkugel.
»Keine Bange, kleiner Jude. Sie wird dich nicht stechen.«
»Bei aller Hochachtung vor Euch, Monsieur…« Die Mütze erhoben, schlich Jakob vorwärts. »Da hab ich meine Zweifel.«
Er schlug die Wespe auf die Dielen und zertrat sie bis zur Unkenntlichkeit.
»Wieso seid Ihr Euch dessen sicher gewesen, daß sie mich nicht gestochen hätte?« fragte der Knabe im Anschluß.
»Ich vermochte vorauszusagen, daß du sie zuvor zermalmst.«
Jakob zog sich wieder die Mütze aufs Haupt, verlieh ihr festen Sitz, indem er seine Locken unters Schweißband stopfte. »Wird das Kind meine Mutter das Leben kosten?«
»Deine Mutter wird die siebzig erleben. Überdies wird Truman, entgegen allen Voranzeigen, über Dewey siegen.«
»Ihr seid wahrlich begnadet, Monsieur.«
Ein liebenswerter Bursche, dachte sich der Prophet. Er weiß meine Begabung zu würdigen, verheimlicht nicht seinen Glauben und kann hurtig mit der Mütze zuhauen. Falls meine Darbietung einen so pfiffigen Kerl in Erstaunen versetzt, wird sie mit Gewißheit das Gesindel erst recht in tiefste Ehrfurcht stürzen.
»Sag an, Meister Jakob«, fragte der Prophet, öffnete eine Truhe aus Walnußholz und holte eine Gerätschaft aus Metall und Glas heraus, »möchtest du gerne die Zukunft sehen?«
»Sehr gern.«
Nostradamus trug die Vorrichtung zu seinem Schreibpult. Dem Knaben bebten die Lippen. Er machte große Augen.
»Mit Recht empfindest du Ehrfurcht, denn der Mann, der dies Gerät ersonnen hat, ist der wundersamste Mensch unseres Zeitalters. Rasch, sag mir, wer ist der wundersamste Mensch unseres Zeitalters?«
»Ihr, mein Herr.«
Nacheinander schmunzelte der Prophet und furchte die Stirn. »Der wundersamste Mensch unserer Zeit ist Leonardo da Vinci, der allein wußte, welche Miene jeder der Jünger zog, während sie mit Christus beim Abendmahl saßen.«
»Über Leonardo von Mailand hab ich reden hören.«
»Von Mailand, ja. Von Florenz, von Rom, von Vinci. Aber er endigte seinen Erdenweg in Frankreich, zu Amboise, dem Rittergut Close-Luce. Ich weilte an seinem Sterbebett. Mit seinem letzten Atemzug vererbte er mir diese Bilder-Kanone, wie er diesen Apparatus nannte. Monsieur Leonardo mochte Kanonen. Er schätzte alle Waffen. Zum Glück verschießt diese Kanone keine Kugeln.«
Jakob überwand seine Verwunderung und näherte sich dem Schreibpult. Die Maschine bestand aus einem Blechkasten mit einem Rauchabzug obenauf; an einer Seite ragte ein Rohr heraus, das einen Messingring hielt, in dem eine Kristallscheibe funkelte.
»Ich bin nicht älter als du gewesen, als dieser große Mann mich nach Amboise lud. Das geschah… anno 1518, in meinem ersten Schuljahr. Leonardo hatte Kunde von meiner Gabe vernommen. In Avignon rief man mich ›Kleiner Astrologe‹. Ich verspürte Zagen. War er doch der ruhmvolle Leonardo, Premier Peintre, Architecte et Mechanicien du Roi, und ich nur ein Lümmel von fünfzehn, der unter der Bürde besonderer Kräfte schmachtete. Wie es sich fügte, entbrannte er zu mir in Liebe, aber das ist eine gänzlich andere Geschichte. Er zeigte mir einige Entwürfe, Zeichnungen unserer Welt in ihren letzten Tagen, verwüstet durch Stürme und Fluten. ›Ist das die Weise, wie Gott Seine Schöpfung vertilgen wird?‹ frug er. Bruder Francesco übersetzte für uns. ›Nein‹, lautete meine Antwort. >Ich habe es mir auch nicht so gedacht<, gab er zu. Daraufhin beschrieb ich ihm, wie unsere Welt enden soll. ›Weder wird es ein Akt Gottes sein‹, verdeutlichte ich, ›noch der Natur, sondern es wird eine Feuersbrunst kommen, die Menschenwerk ist.‹ Er malte, was ich ihm schilderte: Wie aus den Rücken eherner Wale verschleuderte, große Speere Feuerbälle entfachen. Die Bildnisse gelangen aufs vollkommenste, geradeso als hätte er mir ins Haupt geblickt. Er hat sie auf Glas gemalt. Mag es auch seltsam klingen, dem Anschein nach reizten Leonardo allein vier der einhundert furchtbaren Ereignisse, die ich vortrug, zum Verdruß. Alle betrafen sie Geier. ›Bist du dir sicher, daß Geier an diesem Krieg teilhaben werden?‹ frug er mich wiederholte Male. ›Vollauf sicher‹, beschied ich ihn stets. ›Einmal ereilte mich die Heimsuchung durch einen Geier‹, offenbarte er mir. Ich konnte mir nicht ausdenken, was er damit meinte. Der Alte hatte ein großartiges öffentliches Spektakulum im Sinn. Als erstes wünschte er seine Malereien des Untergangs in Rom auszustellen. Danach wollte er das Land bereisen, endlich den ganzen Kontinent… Gleichsam die Hauptstädte im Sturm erobern, Pöbel und Reiche ohne Unterschied betören, sie vor der greuelreichen Zukunft warnen, unsere Taschen mit ihren Münzen füllen.«
Das Gemälde, unter dem Nostradamus stand, glänzte von der Anmut des Gemalten: Die Frau in dem vergoldeten Rahmen zeigte ein zartes Lächeln.
»Der Alte hat Frankreich nie mehr verlassen«, ergänzte Nostradamus versonnen seine Darlegungen. »Aber ich werde die Reise vollführen. Papst Julius in Person wird diese Meisterwerke bewundern, das schwöre ich.« Der Prophet klatschte in die Hände. »Wir brauchen eine weiße Wand, Bub. Häng das Bild da ab… Ebenfalls ein Geschenk Leonardos. In ein paar Jahrhunderten wird es eine unvorstellbar hohe Summe Gelds wert sein. Wenig frommt’s mir heute.«
Weshalb eine weiße Wand? sann Jakob. Wenn dieser Hexer etwas Magisches vollbringen will, wäre dann eine schwarze Wand nicht geeigneter?
Der Knabe entfernte die Lächelnde. Selbst im schwachen Kerzenschein leuchtete die entblößte Wand so grausig weiß wie das Leichentuch, in dem man seinen Vater begraben hatte. Vielleicht taugte sie doch für Hexereien.
Nostradamus hob eine Klappe an der Seite der Bilder-Kanone und enthüllte ein Öllämpchen, das er anzündete. Aus dem Abzug quoll Rauch. »Glaube mir, Meister Jakob, in diesem Gerät wohnt keine Zauberei, sondern ausschließlich der erleuchtete Verstand, mit dem Gott Leonardo im Überfluß erfüllte. Hast du je von der camera obscura vernommen? Leonardo ist es geraten, eine solche von innen nach außen zu kehren. Dieser Teil hier, er heißt Blende. Und das da sind einerseits ebene, andererseits auswärtsgekrümmte Linsen, geschliffen aus reinstem Beryll.« Der Prophet schob die erste Glasmalerei in die Maschine. »Das Verfahren erfordert des weiteren Dunkelheit.«
Jakob löschte eine um die andere die Kerzen, so daß die Nacht wie mit einer Folge von Hieben in das Geheimkabinett eindrang. Dann richtete der Knabe den Blick auf die Wand. Was er sah, flößte ihm Schwindel und Furcht ein.
»Gütiger Herrgott, das ist, was die Christen Teufelswerk nennen!« An der Wand war eine Abbildung von großer Fläche erschienen, vielmals größer als das Gemälde der Lächelnden. Woher kommt es? wunderte sich Jakob. Unwillkürlich drehte er sich der Bilder-Kanone zu. »Aber das Bild, das Ihr hineingesteckt habt, war doch so klein.«
Jakob betrachtete die Darstellung. Nicht weniger Eindruckskraft als deren schiere Ausmaße hatte das Wiedergegebene, ein wohl von Dämonen erzeugter, übermäßig dicker Speer, der wie von selbst durch die Lüfte flog und Qualm ausstieß. »Wird er fürwahr die Welt vernichten?« erkundigte sich Jakob.
»Nicht er allein. Es wird Tausende wie ihn geben, und in vielerlei Abarten.« Nostradamus’ Blick fiel auf seine Pergament-Handschrift. »Dieser satanische Speer ist eine russische SS-60-Rakete«, las er ab. »Landgestützt. Interkontinentale Reichweite. Mehrfachsprengköpfe. Verstehst du diese Worte?«
»Nein.«
Das Flämmchen im Innern der Bilder-Kanone flackerte. Schatten waberten längs des Rumpfs der Rakete.
Nostradamus warf eine Vergrößerung der zweiten Glasmalerei an die Wand. »Dieser eiserne Fisch ist ein Fernraketen-Unterseeboot der Flotte«, las er vor. »Die Rückenschuppen werden klaffen und die Speere aus eigenem, innerem Antrieb zu ihren Zielen fliegen.«
»Wie kann ein Fisch Speere in seinem Leib haben, ohne zu sterben?« räsonierte der Knabe.
Nostradamus vergrößerte das dritte Bildnis. »Aus dem Herzen der Hölle wird ein atomarer Feuerball…«
»Ist das Latein?«
»Ich verwirre dich, Jakob. Es wird am klügsten sein, erkenne ich jetzt, nicht mit den Waffen den Anfang zu machen. Diese Bilder brauchen zu ihrer Begleitung des Erzählens, habe ich recht?«
»Dann erzählt mir eine Geschichte«, sagte der Knabe.
Nostradamus kramte in den Glasmalereien, wählte ein Bild aus und warf eine Vergrößerung an die Wand. Ein Geier. Geduckt und zerzaust kauerte er da, aufgedunsen von Aas und fahlen Auges.
»Die Geschichte bringt dir Zeitung von einem Geier, einem Krieg und einem Mann mit Namen George Paxton. Einem in vieler Hinsicht gemeinen Menschen, aber vielleicht einem Helden, gefangen in Fortunas Rad und auserkoren zu einer Reihe furchterregender und unerhörter Abenteuer.«
Der Prophet wechselte erneut das Bild. Ein Bärtiger stand neben einem Grabstein.
»Bis er die drei Kinder in Weiß erblickte…«