Susan hatte geduldig auf ihre Chance gewartet. Sie hatte gewusst, dass es nur eine Frage der Zeit war, bis der richtige Fall mit dem richtigen Beweismaterial bei einem Prozess im Gericht nebenan auftauchen würde. Es handelte sich um einen Raubüberfall in einem Minimarkt, der gründlich misslungen war. Es hatte den Verkäufer erwischt. Binnen weniger Minuten saßen zwei Verdächtige in Untersuchungshaft. Ihnen winkte lebenslänglich. Kein gutes Geschäft für dreihundertunddreiundzwanzig Dollar aus der Ladenkasse. In einer öffentlichen Sitzung bekannten sich beide schuldig. Susan saß in einer der vorderen Reihen und hörte hinter sich einige Angehörige – sowohl des Opfers als auch der Täter – schluchzen. Die Richterin erkannte auf schuldig und schloss mit einem Hammerschlag die Sitzung. Susan wartete, bis sich der Saal gelehrt hatte und sie mit der Gerichtsschreiberin zurückblieb, dann ging sie zu ihr hinüber.
»Hi, Ms. Terry«, begrüßte die Angestellte sie. In ihren Jahren bei Gericht hatte die Frau schon alles gesehen. »Was machen Sie denn hier? Bei so einem stinknormalen Prozess.«
Susan schüttelte den Kopf. »Das können Sie laut sagen. Wegen dieses Falles bin ich auch nicht hier. Ich wollte mir nur mal kurz die Asservaten anschauen. Ich hege nämlich den leisen Verdacht, dass die Burschen hinter ein paar anderen Raubüberfällen stecken, die ich zu beackern habe. Ob ich mal eben einen Blick drauf werfen kann?«
Sie deutete auf eine Schachtel auf dem Tisch der Gerichtsschreiberin.
Die Frau zuckte die Achseln. »Nur zu. Kommt sowieso alles in die Asservatenkammer.«
Während die Schreiberin sich wieder ihren Papieren zuwandte, kramte Susan in der Schachtel. Das, wonach sie suchte, lag in einer versiegelten, mit der Fallnummer versehenen Plastiktüte gleich obenauf. Ein Magnum-Revolver Kaliber .357 – genau dasselbe Modell, das ihr Moth ausgehändigt hatte. Das Einzige, worin sich die Waffen unterschieden, war die Seriennummer. Susan hatte Moths Waffe in einen ähnlichen Plastikbeutel mit identischer Fallnummer gesteckt. Kaum drehte ihr die Gerichtsschreiberin den Rücken, nahm Susan blitzschnell die Waffe aus der Schachtel und legte Moths Revolver hinein. Die andere ließ sie unbemerkt in ihrer Aktentasche verschwinden. Austausch abgeschlossen.
»Danke«, sagte sie zu der Gerichtsschreiberin, »ich habe, was ich brauche.«
Sie wusste, dass die Tatwaffe das einzige eindeutige Beweisstück war, das Moth mit dem Toten in der Angela Street in Verbindung bringen konnte. Man sollte nie unterschätzen, was die Ballistikexperten im Köcher hatten.
Die Magnum aus dem Raubüberfall würde sie etwa ein weiteres halbes Jahr behalten und bei der nächsten passenden Gelegenheit erneut in Umlauf bringen. Danach wäre Moth endgültig aus dem Schneider.
Susan schmunzelte. Lass die Knarre verschwinden. Weg mit dem letzten schlüssigen Beweisstück. In einer Apple-Filiale hatte sie längst sämtliche Daten von der Festplatte des Laptops löschen lassen und den Computer anschließend in einem Beutel mit stinkigen Abfällen auf der Bezirksmülldeponie entsorgt. Jetzt konnte Moth allenfalls noch DNA überführen, falls im Haus des Mörders welche gesichert worden war. Und Andy Candy. Wegen der DNA hatte Susan Moth gewarnt: Sieh zu, dass du niemals verhaftet wirst und in einer Datenbank landest. Um Andy Candy machte sie sich keine Sorgen. Die hielt dicht.
Wahrscheinlich würde sie Moth am Abend in der Redeemer One treffen, doch von ihren Manipulationen würde er nie erfahren. Sie war clean, mehr brauchte er nicht zu wissen. Hundertdreiundachtzig Tage bis jetzt, rief sich Susan stolz in Erinnerung. Für den Anfang nicht schlecht.