KAPITEL 18

Wie Afrika schwarz wurde

Die Geschichte Afrikas

Mag man sich auch noch so gründlich durch die Lektüre von Büchern auf Afrika vorbereitet ha­ben – die ersten Eindrücke sind trotzdem überwältigend. Auf den Straßen von Windhoek, der Hauptstadt des seit wenigen Jahren unabhängigen Namibia, erblickte ich schwarze Hereros, schwarze Ovambos, Weiße und Na­mas, die in keine der beiden Kategorien zu passen schie­nen. Das waren keine Fotos in einem Lehrbuch, son­dern Lebewesen aus Fleisch und Blut, die da vor meinen Augen wandelten. Vor den Toren von Windhoek führ­ten die letzten der einst zahlreichen Kalahari-Busch­männer ihren Kampf ums Überleben. Was mich in Na­mibia am meisten überraschte, war jedoch ein Straßen­schild: Eine der Hauptstraßen im Zentrum Windhoeks hieß, man höre und staune, Goering Street!

Es würde doch wohl kein Land so unter dem Einfluß verbohrter Altnazis stehen, sagte ich mir, daß es eine Straße nach dem berüchtigten »Reichsmarschall« und zweiten Mann im Dritten Reich, Hermann Göring, be­nennen würde! So war es denn auch nicht, wie sich her­ausstellte. Die Straße trug ihren Namen vielmehr zum Gedenken an Görings Vater Heinrich, der an der Grün­dung der ehemaligen Kolonie Deutsch-Südwestafrika als »Reichskommissar« entscheidend mitgewirkt hatte. Aber auch Heinrich Göring hatte wahrlich keine weiße Weste: Unter anderem war er verantwortlich für einen der bru­talsten Angriffe, die je von europäischen Kolonialmäch­ten gegen Afrikaner geführt wurden: den deutschen Ver­nichtungsfeldzug von 1904 gegen die aufständischen He­reros. Auch wenn heute das Geschehen im benachbarten Südafrika das Interesse der Weltöffentlichkeit stärker er­regt, so lastet doch auf Namibia ebenfalls ein schweres Erbe der kolonialen Vergangenheit, das dem Land beim Aufbau einer multikulturellen Gesellschaft große Proble­me bereitet. Für mich war Namibia ein Lehrstück dafür, wie untrennbar Gegenwart und Vergangenheit in Afri­ka miteinander verknüpft sind.

Für die meisten Amerikaner und viele Europäer ist ein »echter« Afrikaner schwarz. Afrikaner mit weißer Hautfarbe gelten als fremde Eindringlinge der jünge­ren Vergangenheit, und die Rassengeschichte Afrikas wird mit der Geschichte des europäischen Kolonialis­mus und Sklavenhandels gleichgesetzt. Für diese Sicht­weise gibt es verständliche Gründe: Schwarze sind die einzigen Afrikaner, die den meisten Amerikanern aus eigener Anschauung bekannt sind, wurden sie doch als Sklaven in großer Zahl in die USA verschleppt. Es könn­te jedoch sein, daß große Teile Afrikas bis vor wenigen Jahrtausenden von ganz verschiedenen Völkern bewohnt wurden, und auch unter den sogenannten Schwarzafri­kanern sind die Unterschiede groß. Schon vor der An­kunft weißer Kolonialisten lebten in Afrika nicht nur Schwarze, sondern es waren dort (wie wir sehen werden) fünf der sechs wichtigsten Formengruppen der mensch­lichen Spezies vertreten, von denen drei ausschließlich in Afrika ansässig waren. Ein Viertel aller Sprachen der Welt wird nur in Afrika gesprochen. Kein anderer Kon­tinent kommt Afrika auch nur nahe, was die Vielfalt der menschlichen Spezies betrifft.

Die Vielfalt der afrikanischen Völker war das Ergeb­nis von Afrikas vielfältiger Geographie und langer Vor­geschichte. Als einziger Kontinent erstreckt sich Afrika von der nördlichen bis zur südlichen gemäßigten Zone. Es umfaßt einige der trockensten Wüsten, der größten Regenwälder und der höchsten äquatorialen Berge un­seres Planeten. Die Anwesenheit des Menschen reicht in Afrika länger zurück als irgendwo sonst auf der Welt. Vor rund sieben Millionen Jahren stand hier die Wiege der Menschheit, und wahrscheinlich ist auch der anatomisch moderne Homo sapiens ein Geschöpf Afrikas. Die wech­selseitigen Einflüsse, die die zahlreichen afrikanischen Völker über lange Zeiträume aufeinander ausübten, wa­ren die Zutaten einer faszinierenden Vorgeschichte, in deren Verlauf sich unter anderem zwei der dramatisch­sten Bevölkerungsverschiebungen der letzten 5000 Jahre abspielten: die Bantu-Expansion und die Besiedlung Ma­dagaskars von Indonesien aus. Wer wo vor wem ankam, hat in Afrika noch heute weitreichende Konsequenzen.

Wie gelangten nun aber jene fünf Hauptgruppen der Menschheit dorthin, wo sie heute auf der afrikanischen Landkarte angesiedelt sind? Warum sind die Schwarzen heute am weitesten verbreitet, warum nicht die vier anderen Gruppen, die im Afrikabild der meisten Ame­rikaner und Europäer gar nicht vorkommen? Wie kön­nen wir je hoffen, Antworten auf diese Fragen zu fin­den, wo doch – anders als etwa beim Aufstieg Roms – keine schriftlichen Aufzeichnungen Licht auf die frühe afrikanische Vergangenheit werfen? Die Vorgeschichte Afrikas gibt unendlich viele Rätsel auf, von denen erst ein Teil gelöst ist. Bei näherer Betrachtung stößt man allerdings auf einige ebenso verblüffende wie unbeach­tete Parallelen zur amerikanischen Vorgeschichte, die Gegenstand des vorangegangenen Kapitels war.

Die fünf Hauptgruppen unserer Spezies, die schon vor dem Jahr 1000 n. Chr. in Afrika beheimatet waren, wer­den von Nichtwissenschaftlern gemeinhin als Schwarze, Weiße, afrikanische Pygmäen, Khoisan und Asiaten be­zeichnet. Die jeweiligen Verbreitungsgebiete sind in Ab­bildung 18.1 dargestellt, die Unterschiede in Hautfarbe, Haartyp und -farbe sowie in den Gesichtszügen vermit­teln die Porträts im Bildteil. Die Schwarzen lebten frü­her nur in Afrika, und die Verbreitung von Pygmäen und Khoisan ist noch heute auf Afrika beschränkt, während Weiße und Asiaten auf anderen Kontinenten weit­aus zahlreicher sind als in Afrika. Diese fünf Gruppen verkörpern sämtliche Hauptrassen der Menschheit mit Ausnahme der australischen Aborigines und ihrer Ver­wandten.

Völker Afrikas (um 1400 n. Chr.)

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Abbildung 18.1 Kritische Hinweise zur Verwendung dieser vertrauten, aber problematischen Kategorien zur Beschreibung der Bevölkerungsverteilung in Afrika finden sich im Text.

Ich höre schon den Aufschrei vieler Leser an dieser Stelle: Zwängen Sie doch die Menschheit nicht willkürlich in derartige Rassenstereotype! Ja, ich gebe zu, daß jede dieser »Hauptgruppen« oder »Hauptrassen« in sich sehr heterogen ist. Die gemeinsame Etikettierung von so unterschiedlichen Völkern wie Zulus, Somalis und Ibus als »Schwarze« ignoriert die Fülle von Unterschie­den, die zwischen ihnen bestehen. Nicht minder gro­ße Unterschiede bleiben außer acht, wenn wir Ägyp­ter, Berber und Schweden zusammen in einen Topf mit der Aufschrift »Weiße« werfen. Hinzu kommt, daß die Grenzen zwischen Schwarzen, Weißen und den ande­ren Hauptgruppen fließend sind: Jedes Volk der Erde hat mit jedem anderen Volk, dem es je begegnete, ge­meinsame Nachkommen hinterlassen. Wie wir sehen werden, sind die genannten Hauptgruppen für das Ver­ständnis der Geschichte aber dennoch von so großem Nutzen, daß ich nicht darauf verzichten möchte, sie zu verwenden. Ich tue das im vollen Bewußtsein ihrer Un­zulänglichkeit, ohne darauf allerdings in jedem Satz er­neut hinzuweisen.

Von den fünf afrikanischen Gruppen sind Vertreter etlicher schwarzer und weißer Populationen Amerika­nern und Europäern wohlbekannt, so daß sich eine Be­schreibung ihrer physischen Erscheinung an dieser Stel­le erübrigt. Schon vor 1400 n. Chr. war der größte Teil des Kontinents, genauer gesagt die Südsahara und der größte Teil Afrikas südlich der Sahara (siehe Abbildung 18.1), von Schwarzen besiedelt. Wenngleich die schwarze Bevölkerung der Neuen Welt hauptsächlich aus den Kü­stenregionen Westafrikas stammt, siedelten Völker, die ihnen vom Aussehen her ähnlich sind, traditionell auch in Ostafrika bis hinauf in den Sudan und im südlichen Afrika bis zur Südostküste von Südafrika. Weiße, von Ägyptern und Libyern bis hin zu Marokkanern, bewohn­ten die nordafrikanische Küstenzone und die nördliche Sahara. Man würde Nordafrikaner sicher nicht mit blon­den, blauäugigen Schweden verwechseln, aber dennoch würden sie die meisten Laien wegen ihrer helleren Haut und dem glatteren Haar im Vergleich zu den »schwar­zen« Völkern weiter südlich als »Weiße« bezeichnen. Die Mehrzahl der afrikanischen Schwarzen und Weißen lebte von Ackerbau oder Viehzucht oder beidem.

Anders die nächsten beiden Gruppen, Pygmäen und Khoisan, die als Jäger und Sammler weder Anbaupflan­zen noch Vieh besaßen. Wie Schwarze sind Pygmäen dunkelhäutig und kraushaarig. Sie unterscheiden sich von ihnen jedoch durch ihren sehr viel kleineren Wuchs, die etwas ins Rötliche gehende Hautfarbe, die stärkere Gesichts- und Körperbehaarung und die vorstehende Stirn. Die meisten Pygmäen leben als Jäger und Samm­ler verstreut in den zentralafrikanischen Regenwäldern und treiben Handel mit benachbarten schwarzen Bauern (oder verdingen sich bei diesen als Landarbeiter).

Von den genannten Gruppen sind Amerikanern oder Europäern die Khoisan am wenigsten bekannt, ja vermut­lich haben viele noch nie ihren Namen gehört. Einst im ganzen südlichen Afrika verbreitet, umfaßten die Khoi­san nicht nur kleinwüchsige Jäger und Sammler, die San, sondern auch Rinderhirtenstämme von größerer Statur, die Khoikhoin. (Diese Bezeichnungen werden heute den älteren Namen Hottentotten und Buschmänner vorge­zogen.) Sowohl Khoikhoin als auch San unterscheiden (beziehungsweise unterschieden) sich im Aussehen stark von den Schwarzen: Ihre Haut ist gelblich, ihr Haar sehr eng gelockt, und die Frauen haben einen starken Fett­ansatz am Gesäß (Fachausdruck: Steatopygie). In den letzten Jahrhunderten ist die Zahl der Khoikhoin stark geschrumpft: Europäische Kolonisten erschossen oder vertrieben sie oder infizierten sie mit Krankheiten; von den Überlebenden vermischten sich viele mit Europä­ern, woraus die Populationen hervorgingen, die in Süd­afrika als »Coloreds« oder »Basters« bekannt sind. Die San wurden ähnlich stark dezimiert, doch wenigstens eine kleine Zahl von ihnen konnte ihre Eigenständigkeit in namibischen Wüstengebieten, die für Landwirtschaft nicht taugen, bewahren. Ins Bewußtsein einer breiteren Öffentlichkeit drangen sie vor einigen Jahren durch den Kinofilm Die Götter müssen verrückt sein. Die weiße Po­pulation im Norden des Kontinents birgt keine großen Überraschungen, da Völker von ähnlichem Aussehen in benachbarten Regionen des Nahen Ostens und Europas beheimatet sind. Während der gesamten überlieferten Geschichte haben zwischen Europa, dem Nahen Osten und Nordafrika Völkerwanderungen in alle Richtungen stattgefunden. Ich werde deshalb in diesem Kapitel nicht ausführlich auf die weißen Afrikaner eingehen, da ihre Herkunft kein Geheimnis darstellt. Rätsel geben uns in­dessen Schwarze, Pygmäen und Khoisan auf, deren heu­tige Verbreitungsgebiete auf umfassende Wanderungen in der Vergangenheit schließen lassen. So deutet beispiels­weise das fragmentierte Verbreitungsgebiet der 200 000 Pygmäen, die verstreut unter 120 Millionen Schwarzen leben, darauf hin, daß dieses Jägervolk einst in den Re­genwäldern am Äquator weit verbreitet war, bis schwarze bäuerliche Völker einwanderten und die Pygmäen in iso­lierte Rückzugsgebiete vertrieben. Das Gebiet der Khoi­san im südlichen Afrika ist überraschend klein für ein Volk mit so ausgeprägter Anatomie und Sprache. Hatten möglicherweise auch die Khoisan einst ein viel größeres Verbreitungsgebiet, bis ihre nördlicheren Populationen auf irgendeine Weise eliminiert wurden?

Die größte Anomalie habe ich bis zum Schluß aufge­hoben. Sie betrifft Madagaskar, jene große Insel, die nur 400 Kilometer vor der afrikanischen Ostküste und damit sehr viel näher an Afrika als an irgendeinem anderen Kontinent liegt (zwischen Madagaskar und Asien bezie­hungsweise Australien erstreckt sich der Indische Ozean in seiner vollen Breite). Die Bevölkerung Madagaskars setzt sich aus zwei Elementen zusammen. Zum einen aus afrikanischen Schwarzen, was nicht weiter überrascht, zum anderen jedoch aus Menschen, die aufgrund ihres Aussehens sofort als Südostasiaten erkennbar sind. Die von allen Bewohnern Madagaskars – Asiaten, Schwarzen und Mischlingen – gesprochene Sprache gehört zur au­stronesischen Sprachfamilie und weist starke Ähnlich­keit mit der Maanyan-Sprache Borneos auf, einer Insel, die rund 6500 Kilometer entfernt auf der anderen Sei­te des Ozeans liegt. Kein anderes Volk, das den Maa­nyan oder anderen Bewohnern Borneos auch nur ent­fernt ähnelt, lebt im Umkreis von Tausenden von Kilo­metern um Madagaskar.

Diese madagassischen Austronesier mit ihrer austro­nesischen Sprache und abgewandelten austronesischen Kultur lebten bereits auf Madagaskar, als die ersten Euro­päer im Jahr 1500 die Insel betraten. Für mich gibt es in der gesamten menschlichen Siedlungsgeographie nichts Verblüffenderes. Man stelle sich vor, Kolumbus hätte bei seiner Ankunft in Kuba blonde, blauäugige Skandinavier mit einer dem Schwedischen ähnlichen Sprache vorge­funden, während das nordamerikanische Festland von indianischen Sprechern amerindischer Sprachen be­wohnt war. Wie um alles in der Welt konnten prähi­storische Bewohner Borneos, die vermutlich in Booten ohne Karten oder Kompaß reisten, bis nach Madagas­kar gelangen?

Das Beispiel Madagaskars zeigt, daß Sprachen ebenso wie die physische Erscheinung von Völkern wertvol­le Hinweise auf ihre Herkunft geben können. Ein blo­ßer Blick auf die Bewohner Madagaskars genügt, um zu wissen, daß ein Teil von ihnen aus Südostasien stammt. Woher genau, das könnten wir allerdings nicht sagen, und auf Borneo wären wir sicher nicht gekommen. Was können wir aber noch aus afrikanischen Sprachen ler­nen, das uns nicht schon afrikanische Gesichter verra­ten?

Klarheit in die schwindelerregende Komplexität der 1500 Sprachen Afrikas brachte der berühmte Linguist Joseph Greenberg von der Stanford University, der er­kannte, daß sämtliche dieser Sprachen insgesamt nur fünf Sprachfamilien zuzuordnen sind (Verbreitungsge­biete siehe Abbildung 18.2). Wer von Ihnen geglaubt hat, die Linguistik sei eine besonders langweilige, trockene Disziplin, wird sicher erstaunt sein zu erfahren, in welch faszinierender Weise Abbildung 18.2 zu unserem Ver­ständnis der afrikanischen Geschichte beiträgt.

Wenn wir zunächst Abbildung 18.2 mit Abbildung 18.1 vergleichen, so erkennen wir eine grobe Überein­stimmung zwischen Sprachfamilien und menschlicher Anatomie: Die Sprachen einer bestimmten Sprachfamilie werden in der Regel von Menschen gesprochen, die sich nach ihrem Aussehen einordnen lassen. So sind afro­asiatische Sprecher überwiegend Menschen, die wir als Weiße oder Schwarze klassifizieren würden, nilosahari­sche und Niger-Kongo-Sprecher sind Schwarze, Khoisan-Sprecher Khoisan und Austronesischsprecher Indonesier. Dies läßt vermuten, daß sich die Evolution der Sprachen parallel zur Evolution ihrer Sprecher vollzog.

Im oberen Teil von Abbildung 18.2 verbirgt sich die erste Überraschung, ein schwerer Schlag für Eurozentri­ker, die fest an die Überlegenheit der sogenannten westli­chen Zivilisation glauben. Man hat uns beigebracht, daß die westliche Zivilisation im Nahen Osten entstand, in Europa durch Griechen und Römer zur Blüte gelangte und daß sie drei der großen Religionen der Menschheit hervorbrachte: Christentum, Judentum und Islam. Diese Religionen entstanden im Schoße von Völkern mit drei eng miteinander verwandten, sogenannten semitischen Sprachen: Aramäisch (die Sprache Jesu Christi und der Apostel), Hebräisch und Arabisch. Mit semitischen Völ­kern assoziieren wir automatisch den Nahen Osten.

Greenberg fand jedoch heraus, daß die semitischen Sprachen in Wirklichkeit nur einen von sechs oder noch mehr Zweigen der sehr viel größeren Sprachfamilie der afroasiatischen Sprachen bilden, deren übrige Zweige (bestehend aus 222 überlebenden Sprachen) gänzlich auf Afrika beschränkt sind. Selbst die semitische Un­tergruppe ist in erster Linie afrikanisch – 12 von ihren 19 überlebenden Sprachen werden in Äthiopien gespro­chen. Dies läßt vermuten, daß die afroasiatischen Spra­chen ursprünglich aus Afrika stammen und daß nur ein Zweig in den Nahen Osten hinüberwuchs. Somit war möglicherweise Afrika die Geburtsstätte der Spra­chen, die von den Verfassern des Alten und des Neuen Testaments und des Korans, Stützpfeiler der westlichen Zivilisation, gesprochen wurden.

Die nächste Überraschung in Abbildung 18.2 ist eine scheinbare Kleinigkeit, die ich unerwähnt ließ, als ich gerade ausführte, daß zwischen Völkern mit physischen Unterschieden meist auch ausgeprägte sprachliche Un­terschiede bestehen. Von den fünf in Afrika vertretenen Gruppen – Schwarze, Weiße, Pygmäen, Khoisan und In­donesier – besitzen nur die Pygmäen keine eigenen Spra­chen: Jeder Pygmäenverband spricht die gleiche Spra­che wie die benachbarten schwarzen Bauern. Vergleicht man jedoch, wie eine bestimmte Sprache von Pygmäen und Schwarzen gesprochen wird, so stellt man fest, daß die Pygmäen-Version einige eigene Wörter und lautli­che Besonderheiten aufweist.

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Abbildung 18.2 Sprachfamilien Afrikas

Gewiß waren Menschen von so unverwechselbarer Gestalt wie die Pygmäen, die noch dazu in einer so charakteristischen Umwelt lebten wie dem äquatorialafrika­nischen Regenwald, ursprünglich isoliert genug, um eine eigene Sprachfamilie zu entwickeln. Inzwischen sind die­se Sprachen aber verschwunden, und wie wir Abbildung 18.1 entnehmen konnten, ist das heutige Verbreitungs­gebiet der Pygmäen äußerst fragmentiert. Geographi­sche und linguistische Indizien leiten uns somit zu der Annahme, daß die Heimat der Pygmäen von schwarzen Bauern »überflutet« wurde, deren Sprachen die verblie­benen Pygmäen übernahmen, wobei nur Spuren ihrer eigenen Sprachen in Form einzelner Wörter und Laute erhalten blieben. Wie an anderer Stelle geschildert, gilt Ähnliches für die malaysischen Negritos (Semang) so­wie für die philippinischen Negritos, die austroasiatische beziehungsweise austronesische Sprachen von den Bau­ern, die in ihr Land eindrangen, übernahmen.

Ähnlich deutet die bruchstückhafte Verbreitung ni­losaharischer Sprachen in Abbildung 18.2 darauf hin, daß viele Sprecher dieser Sprachen von Sprechern von Niger-Kongo- oder afroasiatischen Sprachen überrollt wurden. Von noch dramatischeren Vorgängen zeugt die Verbreitung der Khoisan-Sprachen. Diese Sprachen sind berühmt und einzigartig wegen ihrer geschnalzten Kon­sonanten. (Falls Sie sich schon einmal über einen Namen wie !Kung Bushman gewundert haben: Das Ausrufezei­chen steht nicht für voreiliges Erstaunen, sondern dient Linguisten zur Darstellung von Schnalzlauten.) Alle heu­tigen Khoisan-Sprachen sind auf das südliche Afrika be­schränkt, mit zwei Ausnahmen, bei denen es sich um sehr typische, mit Schnalzlauten gespickte Khoisan-Sprachen mit der Bezeichnung Hadza und Sandawe handelt. Beide werden in Tansania gesprochen, fast 2000 Meilen vom nächstgelegenen Verbreitungsgebiet einer Khoisan-Spra­che im Süden Afrikas entfernt.

Auch Xhosa und einige andere Niger-Kongo-Spra­chen des südlichen Afrika sind voller Schnalzlaute. Noch unerwarteter begegnen uns Schnalzlaute und Khoisan-Wörter in zwei afroasiatischen Sprachen, die von Schwar­zen in Kenia gesprochen werden, also noch weiter vom heutigen Lebensraum der Khoisan-Völker entfernt als Hadza und Sandawe in Tansania. Dies alles deutet darauf hin, daß sich das Verbreitungsgebiet der Khoisan-Sprachen und -Völker vom südlichen Afrika einst viel weiter nach Norden erstreckte als heute, bis es, ähnlich wie die Heimat der Pygmäen, von schwarzen Völkern »überflutet« wurde, so daß nur sprachliche Relikte übrig­blieben. Diese Erkenntnis, abgeleitet aus linguistischen Indizien, ist von großer Bedeutung, und man hätte sie wohl kaum durch anatomische Untersuchungen an heu­tigen Völkern gewinnen können.

Den bemerkenswertesten Beitrag der Linguistik habe ich jedoch noch gar nicht erwähnt. Abbildung 18.2 ist zu entnehmen, daß die Niger-Kongo-Sprachfamilie in ganz Westafrika und im größten Teil Afrikas südlich des Äquators verbreitet ist, so daß auf den ersten Blick nicht zu erkennen ist, wo sie innerhalb dieses riesigen Gebiets ursprünglich beheimatet war. Greenberg erkann­te jedoch, daß sämtliche Niger-Kongo-Sprachen Afri­kas südlich des Äquators zu einer einzigen Untergrup­pe namens Bantu gehören. Sie umfaßt nahezu die Hälf­te der 1032 Niger-Kongo-Sprachen und über die Hälfte der Niger-Kongo-Sprecher (an die 200 Millionen Men­schen). Diese 500 Bantu-Sprachen ähneln einander je­doch so stark, daß man sie auch schon als 500 Dialekte einer einzigen Sprache beschrieben hat.

Zusammen bilden die Bantu-Sprachen nur einen untergeordneten Zweig der Niger-Kongo-Sprachfami­lie. Die meisten der 176 anderen Untergruppen drän­gen sich in Westafrika, also auf einem Bruchteil des ge­samten Verbreitungsgebiets der Niger-Kongo-Sprachen. Die typisch sten Bantu-Sprachen und jene anderen Ni­ger-Kongo-Sprachen, die mit den Bantu-Sprachen am engsten verwandt sind, konzentrieren sich auffällig in einem winzigen Gebiet in Kamerun und im angren­zenden Osten Nigerias. Offensichtlich entstand die Ni­ger-Kongo-Sprachfamilie in Westafrika und der Bantu-Zweig am östlichen Rand dieses Raumes, in Kamerun und Nigeria; von dort aus eroberten die Bantu-Sprachen den größten Teil Afrikas südlich des Äquators. Diese Expansion muß so weit zurückliegen, daß das Ur-Ban­tu genügend Zeit hatte, um 500 Ableger zu bilden; sie kann andererseits noch nicht allzu lange her sein, da sich die aus dem Ur-Bantu hervorgegangenen Sprachen immer noch recht stark ähneln. Da alle anderen Niger-Kongo-Sprecher schwarz sind wie die Bantu selbst, hät­ten wir aus Erkenntnissen der physischen Anthropolo­gie allein nicht darauf schließen können, wer in welche Richtung wanderte.

Ich will diese Art der linguistischen Argumentation einmal am Beispiel des geographischen Ursprungs der englischen Sprache verdeutlichen. Heute leben mit Ab­stand die meisten Menschen, deren Muttersprache Eng­lisch ist, in Nordamerika; andere finden wir über den Globus verstreut in Großbritannien, Australien und an­deren Ländern. In jedem dieser Länder werden eigene Dialekte des Englischen gesprochen. Besäßen wir keine weiteren Kenntnisse über die Geschichte und die Ver­breitungsgebiete von Sprachen, so hätten wir vielleicht darauf getippt, daß Englisch einst in Nordamerika ent­stand und später von Kolonisten nach Großbritannien und Australien gebracht wurde.

Nun ist es aber so, daß die vielen englischen Dialekte nur einen einzigen Zweig der germanischen Sprachfami­lie bilden. Alle anderen Untergruppen – die skandinavi­schen Sprachen, Deutsch und Niederländisch – drängen sich auf engem Raum im Nordwesten Europas. Insbe­sondere Friesisch, die mit dem Englischen am engsten verwandte germanische Sprache, wird nur in einem klei­nen Küstengebiet Hollands und Norddeutschlands ge­sprochen. Aus diesem Sachverhalt würde ein Linguist sofort den Schluß ziehen, daß die englische Sprache im Nordwesten Europas entstand und von dort den Weg in die weite Welt antrat. In der Tat wissen wir aus der Geschichtsschreibung, daß das Englische im 5. und 6. Jahrhundert n. Chr. von eben dort mit den Angelsach­sen nach England gelangte.

Die gleiche Logik sagt uns, daß die nahezu 200 Mil­lionen Bantu, die heute die afrikanische Landkarte do­minieren, ursprünglich aus Kamerun und Nigeria stam­men. Neben dem nordafrikanischen Ursprung der Se­miten und der Herkunft der madagassischen Asiaten ist dies eine weitere Erkenntnis, die ohne die Hilfe der Lin­guistik nicht möglich gewesen wäre.

Wir hatten bereits aus den Verbreitungsgebieten der Khoisan-Sprachen und dem Fehlen von Pygmäen-Spra­chen den Schluß gezogen, daß Pygmäen und Khoisan-Völker einst stärker verbreitet waren, bis sie von Schwar­zen »überflutet« wurden. (Ich verwende »überfluten« als neutralen, alles umfassenden Begriff, der offenläßt, ob es dabei zur Eroberung, Vertreibung, Vermischung, Tö­tung oder Infektion mit Krankheiten kam.) Von den Verbreitungsgebieten der Niger-Kongo-Sprachen wissen wir nun, daß die Schwarzen, die die »Überflutung« ver­körperten, Bantu waren. Die bisher erörterten anato­mischen und linguistischen Indizien führten uns zwar zu der Erkenntnis, daß jene prähistorischen Ausbrei­tungsbewegungen stattgefunden haben, doch ihre Ur­sachen sind damit noch nicht enträtselt. Erst die Indi­zien, die ich im folgenden präsentieren werde, können uns helfen, Antworten auf zwei weitere Fragen zu finden: Was versetzte die Bantu in die Lage, die Oberhand über Pygmäen und Khoisan zu gewinnen? Wann erreichten die Bantu die angestammten Gebiete der Pygmäen und Khoisan-Völker?

Wir wollen der Frage nach der Bantu-Überlegenheit nachgehen, indem wir die verbliebene Form von Indi­zien aus dem lebendigen Hier und Heute untersuchen: domestizierte Pflanzen und Tiere nebst den Erkennt­nissen, die aus ihnen ableitbar sind. Wie wir in früheren Kapiteln sahen, sind diese Erkenntnisse von großer Be­deutung, da die Landwirtschaft höhere Bevölkerungs­dichten, Krankheitserreger, technische Errungenschaf­ten, neue Formen politischer Organisation und sonsti­ge Ingredienzien der Macht hervorbrachte. Völker, die aufgrund des Zufalls ihrer geographischen Heimat die Landwirtschaft erbten oder entwickelten, waren so in der Lage, Völker mit einer weniger günstigen Geogra­phie zu verdrängen.

Als die Europäer im 15. Jahrhundert in Afrika südlich der Sahara eintrafen, bauten die Afrikaner fünf Gruppen von Kulturpflanzen an (siehe Abbildung 18.3), von de­nen jede mit Bedeutung für die afrikanische Geschichte befrachtet war. Die erste Gruppe war nur in Nordafri­ka bis hinauf ins Hochland von Äthiopien verbreitet. In Nordafrika herrscht ein mediterranes Klima, das sich dadurch auszeichnet, daß die Niederschläge vor allem in den Wintermonaten fallen. (Südkalifornien hat eben­falls ein mediterranes Klima, was erklärt, warum mein Keller und der von Millionen anderen Südkaliforniern im Winter oft überflutet wird, im Sommer aber garan­tiert knochentrocken ist.) Im Bereich des Fruchtbaren Halbmonds in Vorderasien, wo die Landwirtschaft ge­boren wurde, herrschen ähnliche klimatische Verhält­nisse mit erhöhtem Niederschlag während der Winter­monate.

Deshalb waren alle ursprünglichen Anbaupflanzen Nordafrikas in ihrem Keimungs- und Wachstumsver­halten an winterliche Regenfälle angepaßt. Von der Ar­chäologie wissen wir, daß diese Pflanzen erstmals vor etwa 10 000 Jahren in Vorderasien domestiziert wur­den. Von dort breiteten sie sich in benachbarte Regionen Nordafrikas mit ähnlichen Klimaverhältnissen aus und bildeten das Fundament des Aufstiegs der alten ägyp­tischen Zivilisation. Zu ihnen zählten so bekannte Ge­wächse wie Weizen, Gerste, Erbsen, Bohnen und Wein­beeren. Diese sind uns deshalb so vertraut, weil sie sich auch in klimatisch verwandte benachbarte Regionen Eu­ropas und von dort nach Amerika und Australien aus­breiteten und zu einigen der bedeutendsten Anbaupflan­zen der gemäßigten Breiten wurden.

Wenn man die Sahara von Norden her durchquert und in der südlich angrenzenden Sahelzone wieder auf Re­gen trifft, stellt man fest, daß die Niederschläge im Sa­hel nicht in den Wintermonaten, sondern im Sommer fallen. Selbst wenn die an winterliche Niederschläge an­gepaßten Anbaupflanzen aus Vorderasien irgendwie den Weg durch die Sahara gefunden hätten, wäre es schwie­rig gewesen, sie in der Sahelzone heimisch zu machen. Statt dessen finden wir dort zwei Gruppen afrikanischer Anbaupflanzen, deren wilde Vorfahren unmittelbar süd­lich der Sahara vorkommen und an sommerliche Nieder­schläge und geringere jahreszeitliche Schwankungen der Tageslänge angepaßt sind. Die eine Gruppe besteht aus Pflanzen, deren Vorfahren in der Sahelzone von Westen nach Osten weit verbreitet sind und die wahrscheinlich auch in diesem Raum domestiziert wurden. Hierzu zäh­len insbesondere Sorghum und Perlhirse, die in großen Teilen Afrikas südlich der Sahara eine wichtige Rolle in der Landwirtschaft spielen. Sorghum erwies sich als so nützliches Anbaugewächs, daß es mittlerweile auf allen Kontinenten in Regionen mit heißem, trockenem Klima angebaut wird, auch in den USA.

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Abbildung 18.3 Ursprungsgebiete traditionell in Afrika angebauter Kulturpflanzen (d.h. vor Ankunft der Kulturpflanzen europäischer Kolonisten), mit zwei Beispielen für jedes Gebiet.

Die andere Gruppe besteht aus Pflanzen, deren wilde Vorfahren in Äthiopien vorkommen und vermutlich im äthiopischen Hochland domestiziert wurden. Die meisten werden auch heute noch ausschließlich in Äthio­pien angebaut und sind Amerikanern und Europäern unbekannt – zu ihnen zählen unter anderem rauscher­zeugende Samenkörner, Gewächse mit bananenartigen Früchten (Ensete), die zum Bierbrauen verwendete Fin­gerhirse und Teff, eine Getreidesorte mit winzigen Sa­menkörnern, aus der in Äthiopien Brot gebacken wird. Jeder kaffeesüchtige Leser kann sich bei den alten Äthio­piern für die Domestikation des Kaffeestrauchs bedan­ken. Seine Verbreitung blieb auf Äthiopien beschränkt, bis er in Arabien Fuß faßte und schließlich seinen Sie­geszug um die Welt antrat; heute ist er in vielen Län­dern, von Brasilien bis Neuguinea, von überragender wirtschaftlicher Bedeutung.

Die vorletzte Gruppe afrikanischer Anbaupflanzen entwickelte sich im feuchtheißen Klima Westafrikas aus wildwachsenden Vorfahren. Einige, darunter afri­kanischer Reis, blieben praktisch auf diese Region be­schränkt. Andere, etwa die afrikanische Jamswurzel, konnten sich auch in anderen Gebieten Afrikas südlich der Sahara etablieren, und zwei weitere, Ölpalme und Kolanuß, schafften sogar den Sprung auf andere Konti­nente. Die koffeinhaltigen Samen der Kolanuß wurden in Westafrika als Rauschmittel gekaut, lange bevor die Coca-Cola-Company erst die Amerikaner und dann den Rest der Welt nach einem Erfrischungsgetränk verrückt machte, dem in seiner ursprünglichen Form Extrakte aus der Kolanuß beigemischt waren.

Die letzte Gruppe afrikanischer Anbaupflanzen ist ebenfalls an ein feuchtes Klima angepaßt, sorgt aber in Abbildung 18.3 für die größte Überraschung. Bananen, asiatische Jamswurzeln und Taro waren in Afrika süd­lich der Sahara schon im 15. Jahrhundert weit verbrei­tet, und an der Küste Ostafrikas wurde asiatischer Reis angebaut. Doch beheimatet waren diese Gewächse in Südostasien. Ihre Präsenz in Afrika würde uns in hel­les Erstaunen versetzen, hätte uns nicht schon die An­wesenheit von Indonesiern auf Madagaskar mit Afri­kas prähistorischer asiatischer »Connection« bekannt gemacht. Fuhren Austronesier von Borneo zur Küste Ostafrikas, überließen dankbaren afrikanischen Bau­ern ihre Kulturpflanzen, nahmen afrikanische Fischer an Bord und stachen im Abendrot wieder in See, um Madagaskar zu besiedeln, ohne weitere austronesische Spuren in Afrika zu hinterlassen?

Die verbliebene Überraschung besteht darin, daß der Ursprung sämtlicher heimischer Anbaupflanzen Afrikas – jener der Sahelzone, Äthiopiens und Westafrikas – nörd­lich des Äquators lag. Kein einziges afrikanisches Kultur­gewächs war südlich des Äquators beheimatet. Dies läßt schon ahnen, warum Sprecher von Niger-Kongo-Spra­chen, die aus Gebieten nördlich des Äquators stamm­ten, in der Lage waren, die äquatorialafrikanischen Pyg­mäen und die Khoisan-Völker südlich des Äquators aus ihrer angestammten Heimat zu verdrängen. Daß weder Khoisan noch Pygmäen eine eigene Landwirtschaft ent­wickelten, lag nicht an ihrer Unzulänglichkeit als Bau­ern, sondern einzig und allein daran, daß die meisten Wildpflanzen des südlichen Afrika für die Domestikation nicht in Frage kamen. Weder Bantu-Bauern noch weißen Farmern, den Erben einer jahrtausendealten landwirt­schaftlichen Tradition, gelang es später, aus heimischen Gewächsen des südlichen Afrika neue Nahrungspflan­zen zu züchten.

Viel schneller als Afrikas domestizierte Pflanzen sind seine wenigen Haustierarten aufgezählt. Das einzige Tier, von dem wir mit Sicherheit wissen, daß es in Afrika do­mestiziert wurde, da seine wildlebenden Vorfahren nir­gendwo anders anzutreffen sind, ist das Perlhuhn. Die wilden Vorfahren domestizierter Rinder, Esel, Schweine, Hunde und Hauskatzen waren in Nordafrika, aber auch in Südwestasien heimisch, so daß sich nicht genau sagen läßt, wo sie zuerst domestiziert wurden; die ältesten zur Zeit bekannten Daten für domestizierte Esel und Haus­katzen deuten allerdings auf Ägypten. Nach neueren Er­kenntnissen wurden Rinder möglicherweise sowohl in Nordafrika als auch in Südwestasien und Indien unab­hängig domestiziert und bildeten gemeinsam die Vor­fahren der heutigen afrikanischen Rinderrassen. Alle übrigen Haustiere Afrikas müssen an anderen Orten do­mestiziert und später nach Afrika gebracht worden sein, was daran zu erkennen ist, daß ihre wildlebenden Vor­fahren nur in Eurasien vorkommen. So wurden Afrikas Schafe und Ziegen in Südwestasien domestiziert, seine Hühner in Südostasien, seine Pferde im Süden Rußlands und seine Kamele vermutlich in Arabien.

Das Überraschendste an dieser Aufzählung afrika­nischer Haustiere ist wieder einmal das, was fehlt. Ver­treten ist keine einzige der großen wilden Säugetierar­ten, für die Afrika berühmt ist und die dort in so großer Zahl und Vielfalt beheimatet sind – Zebras und Gnus, Nashörner und Flußpferde, Giraffen und Büffel. Wie wir sehen werden, war diese Tatsache für den Lauf der afri­kanischen Geschichte nicht minder folgenschwer als der Mangel an einheimischen Kulturpflanzen in Afrika süd­lich des Äquators.

Dieser kurze Überblick über die wichtigsten afrikani­schen Anbaupflanzen und Haustiere verdeutlicht, daß einige von ihnen eine weite Reise hinter sich haben, so­wohl innerhalb als auch außerhalb Afrikas. Wie auf an­deren Kontinenten hatten auch in Afrika einige Völker mehr »Glück« als andere hinsichtlich der Ausstattung mit domestizierbaren Wildpflanzen und -tieren, die sie in ihrer Umgebung vorfanden. Zieht man die Parallele zur Verdrängung australischer Aborigines, die als Jäger und Sammler lebten, durch britische Kolonisten, die sich von Weizen und Rindfleisch ernährten, drängt sich der Verdacht auf, daß einige der »glücklicheren« Afrikaner aus ihrem Vorteil Kapital schlugen, indem sie ihre afri­kanischen Nachbarn »überfluteten«. Wenden wir uns nun an die Archäologie, um herauszufinden, wer wann wen »überflutete«.

Welche Erkenntnisse kann uns die Archäologie über Zeitpunkte und Orte der Entstehung von Ackerbau und Viehzucht in Afrika vermitteln? Jedem von der Geschichte der westlichen Zivilisation durchdrunge­nen Leser sei verziehen, wenn er vielleicht meint, daß die afrikanische Landwirtschaft im Niltal Ägyptens ih­ren Ausgang nahm, im Land der Pharaonen und Pyra­miden. Schließlich war Ägypten um 3000 v. Chr. zwei­fellos die am weitesten entwickelte afrikanische Ge­sellschaft und eines der frühesten Zentren der Schrift. Die ältesten archäologischen Funde, die die Existenz der Landwirtschaft in Afrika belegen, stammen jedoch möglicherweise aus der Sahara.

Wie jeder weiß, ist die Sahara heute zum größten Teil so trocken, daß dort nicht einmal Gras wächst. Zwischen 9000 und 4000 v. Chr. herrschte jedoch ein feuchteres Klima. Damals gab es in der Sahara etliche Seen und zahlreiches Wild, und die Saharabewohner begannen, Vieh zu züchten und Töpferwaren herzustellen; später hielten sie auch Schafe und Ziegen, und möglicherwei­se begannen sie sogar mit der Domestikation von Sor­ghum und Hirse. Die saharische Weidewirtschaft ist äl­ter als der früheste belegte Zeitpunkt der Ankunft der Landwirtschaft in Ägypten (5200 v. Chr.) in Form eines kompletten Bündels aus Winterpflanzen und Haustie­ren vorderasiatischer Herkunft. Auch Westafrika und Äthiopien waren Keimstätten der Nahrungsproduktion; um 2500 v. Chr. hatten Viehzüchter bereits die heutige Grenze zwischen Äthiopien und Nordkenia nach Sü­den überschritten.

Während es sich hierbei um Folgerungen handelt, die auf archäologischen Indizien beruhen, gibt es noch eine weitere, unabhängige Methode zur Datierung der An­kunft domestizierter Pflanzen und Tiere, und zwar durch einen Vergleich der Bezeichnungen, die in modernen Sprachen für sie verwendet werden. Vergleicht man die Namen bestimmter Pflanzen in südnigerianischen Spra­chen, die zur Niger-Kongo-Familie gehören, ergibt sich eine Einteilung in drei Gruppen. Die erste umfaßt Fälle, bei denen die Bezeichnung für eine bestimmte Anbau­pflanze in allen südnigerianischen Sprachen sehr ähn­lich ist. Dies gilt beispielsweise für die westafrikanische Jamswurzel, die Ölpalme und die Kolanuß – Gewächse, von denen man schon aufgrund botanischer und anderer Indizien annahm, daß sie in Westafrika heimisch waren und dort erstmals domestiziert wurden. Da es sich bei ihnen um die ältesten westafrikanischen Kulturpflanzen handelt, finden wir die gleichen Bezeichnungen in allen modernen südnigerianischen Sprachen wieder.

Die nächste Gruppe bilden Anbaupflanzen, deren Na­men nur innerhalb einer kleinen Untergruppe der süd­nigerianischen Sprachen ähnlich sind. Hierbei haben wir es mit Pflanzen vermutlich indonesischer Herkunft zu tun, wie etwa Bananen und asiatischen Jamswurzeln. Offenbar trafen sie erst im südnigerianischen Raum ein, als der Prozeß der Differenzierung von Sprachen in Un­tergruppen schon begonnen hatte, so daß in jeder Unter­gruppe andere Namen für die neuen Pflanzen gefunden wurden und entsprechend auch in den modernen Spra­chen anzutreffen sind. Die letzte Gruppe bilden Namen ohne sprachgruppenbezogene Ähnlichkeit. Es handelt sich dabei um Kulturgewächse aus der Neuen Welt, wie Mais und Erdnüsse, von denen wir wissen, daß sie nach Beginn der transatlantischen Schiffahrt (1492 n. Chr.) in Afrika eingeführt wurden und sich seitdem entlang der Handelswege ausbreiteten, oft unter Beibehaltung ihrer portugiesischen oder anderer fremdländischer Namen.

Selbst wenn uns keinerlei botanische oder archäolo­gische Erkenntnisse vorlägen, könnten wir allein aus den linguistischen Indizien den Schluß ziehen, daß zu­erst heimische westafrikanische Pflanzen domestiziert wurden; als nächste kamen indonesische und zuletzt die von Europäern eingeführten Gewächse. Der Historiker Christopher Ehret von der University of California in Los Angeles hat mit Hilfe dieses sprachwissenschaftli­chen Erklärungsansatzes versucht, die Reihenfolge zu er­mitteln, in der die Sprecher der verschiedenen afrikani­schen Sprachfamilien mit der Nutzung von Haustieren und domestizierten Pflanzen begannen. Mit einem als Glottochronologie bezeichneten Verfahren, das auf Be­rechnungen der Veränderungsgeschwindigkeit von Wör­tern über längere Zeiträume basiert, ist die vergleichen­de Sprachwissenschaft sogar in der Lage, die ungefäh­ren Zeitpunkte von Domestikationen beziehungsweise der Ankunft von Kulturpflanzen zu nennen.

Wenn wir die direkten archäologischen und die eher indirekten linguistischen Erkenntnisse zusammen be­trachten, können wir folgern, daß die Sprachen jener Völker, die vor Jahrtausenden in der Sahara Sorghum und Hirse domestizierten, Vorgängersprachen der heu­tigen nilosaharischen Sprachen waren. Entsprechend handelte es sich bei den Sprachen jener bäuerlichen Be­wohner Westafrikas, die als erste für tropisch­feuchte Klimaverhältnisse geeignete Anbaupflanzen domesti­zierten, um Vorgängersprachen der modernen Niger-Kongo-Sprachen. Und schließlich waren es möglicher­weise Sprecher afroasiatischer Vorgängersprachen, die sich um die Domestikation heimischer Anbaupflanzen Äthiopiens verdient machten; auf jeden Fall aber waren sie es, die in Nordafrika Kulturpflanzen aus Vordera­sien einführten.

Die Pflanzenbezeichnungen in modernen afrikani­schen Sprachen gewähren uns so einen Blick auf die Existenz dreier afrikanischer Sprachen vor Tausenden von Jahren: die Vorgängersprachen der heutigen nilosa­harischen, Niger-Kongo- und afroasiatischen Sprachen. Aus anderen linguistischen Indizien konnten wir zu­dem auf die Existenz der Vorgängersprache des Khoisan schließen, nicht aber auf die Namen von Kulturpflan­zen (da die Ahnen der heutigen Khoisan keine Pflanzen domestizierten). Nun ist Afrika mit seinen 1500 Spra­chen der Gegenwart gewiß groß genug, um die Annah­me zu rechtfertigen, daß es dort vor Tausenden von Jah­ren mehr als nur vier Vorgängersprachen gab. Sie alle müssen jedoch verschwunden sein – entweder weil ihre Sprecher zwar überlebten, aber ihre ursprüngliche Spra­che verloren, wie die Pygmäen, oder weil die Sprecher selbst verschwanden.

Das Überleben der vier heutigen afrikanischen Sprach­familien (die erst in jüngerer Vergangenheit eingetroffe­ne austronesische Sprache Madagaskars bleibt hier außer acht) beruht sicher nicht auf einer ihnen innewohnen­den Überlegenheit als Mittel der Kommunikation. Es muß vielmehr einem Zufall der Geschichte zugeschrie­ben werden: Die Ahnen der Sprecher von nilosahari­schen, Niger-Kongo- und afroasiatischen Sprachen leb­ten zufällig zur rechten Zeit am rechten Ort, um in den Besitz von Haustieren und domestizierten Pflanzen zu gelangen, die es ihnen erlaubten, sich stärker zu vermeh­ren und anderen Völkern ihre Lebensräume abspenstig zu machen oder ihnen wenigstens ihre Sprache aufzu­zwingen. Die wenigen Khoisan-Sprecher, die bis in die Neuzeit überlebt haben, verdanken dies vor allem dem Umstand, daß sie abgelegene Gebiete im südlichen Afri­ka bewohnen, die für die Landwirtschaft der Bantu un­geeignet sind.

Bevor wir die Geschichte der Khoisan-Völker in die Zeit vor dem Einströmen der Bantu zurückverfolgen, wol­len wir zuerst einmal sehen, welche Erkenntnisse die Archäologie hinsichtlich der anderen großen prähisto­rischen Völkerverschiebung Afrikas – der Besiedlung Madagaskars durch Austronesier – für uns bereithält. Bei Forschungsarbeiten auf Madagaskar fanden Ar­chäologen heraus, daß austronesische Kolonisten spä­testens um 800 n. Chr., vielleicht aber schon um 300 n. Chr. auf der Insel eintrafen. Dort begegneten sie einer Welt fremdartiger Tiere (und begannen sofort mit ihrer Ausrottung), die so exotisch waren, als kämen sie von einem anderen Stern – das Ergebnis ihrer langen Evolu­tion in madagassischer Abgeschiedenheit. Unter ande­rem trafen sie auf riesige Elefantenvögel, primitive Pri­maten von der Größe von Gorillas, Lemuren genannt, und Zwergflußpferde. Bei Ausgrabungen an Stätten der ältesten menschlichen Siedlungen auf Madagaskar ka­men Überreste von Eisenwerkzeugen, Vieh und Anbau­pflanzen zum Vorschein, was davon kündet, daß es sich bei den Kolonisten nicht bloß um eine Kanuladung Fi­scher handelte, die vom Kurs abgekommen waren, son­dern um eine regelrechte Expedition. Wie kam es zu einem solchen prähistorischen Unternehmen über eine Entfernung von mehr als 6000 Kilometern?

Einen Hinweis liefert ein alter Reiseführer für die Seefahrt auf dem Indischen Ozean, der Periplus maris Ery­thraei, verfaßt von einem unbekannten Kaufmann, der um 100 n. Chr. in Ägypten lebte. Darin wird ein blü­hender Seehandel zwischen Indien, Ägypten und der Küste Ostafrikas geschildert. Mit der Ausbreitung des Islam ab etwa 800 n. Chr. beginnt eine Zeit, für die der transozeanische Handel durch Funde großer Mengen nahöstlicher (und zuweilen sogar chinesischer!) Erzeug­nisse wie Töpferwaren, Glas und Porzellan in Siedlun­gen entlang der ostafrikanischen Küste archäologisch gut dokumentiert ist. Die Händler warteten auf gün­stige Winde, die es ihnen ermöglichten, den Indischen Ozean zwischen Ostafrika und Indien direkt zu über­queren. Als der portugiesische Seefahrer Vasco da Gama als erster Europäer die Südspitze Afrikas umsegelte und im Jahr 1498 an der Küste Kenias eintraf, fand er dort Siedlungen von Swahili-Händlern vor. Er warb einen Lotsen an und ließ sich von ihm auf der direkten Rou­te nach Indien leiten.

Ein ebenso reger Seehandel herrschte indessen zwi­schen Indien und Indonesien im Osten. Mag sein, daß die austronesischen Besiedler Madagaskars auf jener öst­lichen Handelsroute nach Indien gelangten, dann auf die westliche Route einschwenkten und nach Ostafrika wei­terfuhren, um sich dort mit Afrikanern zu vereinen und Madagaskar zu entdecken. Jene Vereinigung von Austro­nesiern und Ostafrikanern lebt heute in Madagaskars austronesischer Sprache fort, die Lehnwörter aus Ban­tu-Sprachen von der Küste Kenias enthält. Umgekehrt finden sich jedoch keine austronesischen Lehnwörter in kenianischen Sprachen, und auch sonst sind die Spu­ren der Austronesier in Ostafrika sehr spärlich: Sie be­stehen hauptsächlich aus Musikinstrumenten von mög­licherweise indonesischem Ursprung (Xylophone und Zithern) und natürlich jenen austronesischen Kultur­gewächsen, die für die afrikanische Landwirtschaft so große Bedeutung erlangen sollten. Man fragt sich da­her, ob die Austronesier, anstatt die leichtere Route nach Madagaskar über Indien und Ostafrika einzuschlagen, vielleicht (auch wenn es unglaublich erscheinen mag) schnurstracks über den Indischen Ozean segelten, Ma­dagaskar entdeckten und erst später auch die ostafrika­nischen Handelswege befuhren. Ganz ist das Rätsel um die verblüffendste Tatsache der menschlichen Siedlungs­geographie also immer noch nicht gelöst.

Und was können wir von der Archäologie über die an­dere große Völkerverschiebung der jüngeren afrika­nischen Vorgeschichte erfahren – die Bantu-Expan­sion? Wie wir aus Erkenntnissen über heutige Völker und ihre Sprachen wissen, war Afrika südlich der Saha­ra nicht immer schwarz, wie es heute unserer Vorstel­lung entspricht. Vielmehr haben wir Anlaß zu der Ver­mutung, daß Pygmäen einst in den Regenwäldern Zentralafrikas und Khoisan-Völker in trockeneren Teilen Afrikas südlich der Sahara weit verbreitet waren. Kann die Archäologie diese Annahmen wohl bestätigen oder widerlegen?

Im Fall der Pygmäen lautet die Antwort »noch nicht«, da Archäologen erst noch alte menschliche Skelette in den zentralafrikanischen Regenwäldern entdecken müs­sen. Für die Khoisan kann die Frage dagegen mit »Ja« beantwortet werden. In Sambia, nördlich des neuzeit­lichen Khoisan-Verbreitungsgebiets, fanden Archäolo­gen Skelette von Menschen, die Ähnlichkeit mit mo­dernen Khoisan aufweisen, sowie Steinwerkzeuge, die denen vergleichbar sind, die Angehörige von Khoisan-Völkern im südlichen Afrika noch anfertigten, als die ersten Europäer eintrafen.

Wie kam es aber zur Verdrängung jener nördlichen Khoisan durch Bantu? Archäologische und linguistische Indizien deuten darauf hin, daß die Expansion bäuerli­cher Bantu-Sprecher aus den Savannengebieten Westafri­kas in die niederschlagsreicheren Waldgebiete an der westafrikanischen Küste möglicherweise schon um 3000 v. Chr. begann (Abbildung 18.4). Wörter, die noch heute in allen Bantu-Sprachen vorkommen, belegen, daß die Bantu schon damals Vieh hielten und an feuchte Klima­verhältnisse angepaßte Gewächse wie Jamswurzeln an­bauten, jedoch nicht über Metall verfügten und immer noch weitgehend vom Jagen und Sammeln sowie vom Fischfang lebten. In den Wäldern verloren sie ihr Vieh, das von Tsetsefliegen übertragenen Krankheiten zum Opfer fiel. Während sie in die äquatorialen Regenwälder des Kongobeckens vordrangen, dort Wald für Pflanzun­gen rodeten und sich weiter vermehrten, schrumpfte der Lebensraum der pygmäischen Jäger und Sammler, die immer weiter in die Wälder zurückgedrängt wurden.

Um etwa 1000 v. Chr. kamen die Bantu am Ostrand wieder aus den Wäldern hervor und begannen mit der Besiedlung der offeneren Landschaft im Bereich des Ostafrikanischen Grabens und der großen Seen. Dort stießen sie auf ein buntes Völkergemisch aus afroasia­tischen und nilosaharischen Ackerbauern und Hirten, die Hirse und Sorghum anbauten und in trockeneren Gebieten Vieh züchteten, sowie aus Khoisan, die vom Jagen und Sammeln lebten. Dank der an feuchte Kli­maverhältnisse angepaßten Kulturpflanzen, die sie aus ihrer westafrikanischen Heimat mitbrachten, konnten die Bantu in niederschlagsreichen Gebieten Ostafrikas, mit denen die ehemaligen Bewohner nicht viel anzufan­gen wußten, Landwirtschaft treiben. In den letzten Jahr­hunderten v. Chr. rückten sie bis an die Küste Ostafri­kas vor.

In Ostafrika gingen die Bantu langsam dazu über, auch Hirse und Sorghum anzubauen (die nilosaharischen Be­zeichnungen für diese Gewächse behielten sie bei). Von ihren nilosaharischen und afroasiatischen Nachbarn übernahmen sie außerdem die Viehzucht, die schon frü­her einmal zu ihrem landwirtschaftlichen Repertoire ge­hört hatte. Eine weitere Errungenschaft, in deren Besitz sie in Ostafrika gelangten, war die Eisenverhüttung, die in der Sahelzone gerade erst begonnen hatte. Der Ur­sprung der Eisenverarbeitung in Afrika südlich der Sa­hara in der Zeit bald nach 1000 v. Chr. ist noch unge­klärt. Der frühe Zeitpunkt – er fällt ziemlich genau mit der Ankunft nahöstlicher Eisenverarbeitungstechniken in Karthago an der afrikanischen Nordküste zusam­men – veranlaßt viele Historiker zu der Annahme, daß die Metallverarbeitung von Norden den Weg durch die Sahara in südlichere Regionen fand. Andererseits geht die Kupferverhüttung in der westafrikanischen Sahara und im Sahel mindestens auf die Zeit um 2000 v. Chr. zurück. Sie könnte Vorläufer und Wegbereiter einer ei­genständigen afrikanischen Entdeckung der Eisenverar­beitung gewesen sein. Für diese Hypothese spricht auch, daß sich die von Schmieden in Afrika südlich der Saha­ra angewandten Eisenverhüttungstechniken von denen des Mittelmeerraums stark unterschieden. So verstan­den sich afrikanische Dorfschmiede womöglich schon 2000 Jahre vor der Einführung von Bessemer-Schmelz­öfen in Europa und Amerika im 19. Jahrhundert darauf, in ihren Schmelzöfen so hohe Temperaturen zu erzeu­gen, daß sie darin Stahl herstellen konnten.

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Abbildung 18.4 Ungefährer Verlauf der Expansion von Spre­chern von Bantu-Sprachen, deren Heimat im Nordwesten des heutigen Bantu-Gebiets lag, im östlichen und südlichen Afrika zwischen 3000 v. Chr. und 500 n. Chr.

Nachdem sich nun auch Eisenwerkzeuge an die Seite ihrer feuchtigkeitsliebenden Kulturpflanzen gesellt hat­ten, verfügten die Bantu über eine militärisch­industriel­le Ausstattung, mit der sie im damaligen Afrika südlich des Äquators nicht mehr aufzuhalten waren. In Ostafri­ka mußten sie sich noch gegen zahlreiche nilosaharische und afroasiatische Bauernvölker behaupten, die Eisen­werkzeuge besaßen wie sie. Doch nach Süden erstreck­te sich ein riesiges, dünnbesiedeltes Gebiet über eine Entfernung von mehr als 3000 Kilometern. Die dort le­benden Khoisan-Völker besaßen weder Eisenwerkzeu­ge noch Anbaupflanzen. Es dauerte nur wenige Jahr­hunderte, bis die Bantu-Bauern in einem der rasante­sten Kolonisierungszüge der neueren Vorgeschichte bis nach Natal an der Ostküste des heutigen Südafrika vor­gestoßen waren.

Man läuft leicht Gefahr, dieses Geschehen, bei dem es sich zweifellos um eine rasche Expansion mit dramati­schen Folgen handelte, in grober Vereinfachung so dar­zustellen, als seien alle Khoisan, die den Bantu im Wege standen, von ihren anstürmenden Horden niedergetram­pelt worden. Die Realität war sicher komplizierter. Die Khoisan-Völker des südlichen Afrika waren schon meh­rere Jahrhunderte vor dem Bantu-Vorstoß im Besitz von Schafen und Rindern. Die ersten Bantu-Pioniere, ver­mutlich wenige an der Zahl, suchten sich Gebiete mit Feuchtwäldern, die für ihre auf Jamswurzeln basierende Landwirtschaft geeignet waren. Dabei »übersprangen« sie trockenere Gebiete, in denen die von der Viehzucht und vom Jagen und Sammeln lebenden Khoisan unge­stört blieben. Zweifellos entstanden zwischen Khoisan und Bantu, die, ähnlich wie Pygmäen und Bantu noch heute in Äquatorialafrika, zwar Nachbarn waren, aber jeweils unterschiedliche ökologische Lebensräume be­wohnten, auch Handels- und Heiratsbeziehungen. Erst allmählich, als sich die Zahl der Bantu vervielfachte und sie begannen, Vieh zu züchten und an Trockenheit ge­wöhnte Getreidearten anzubauen, drangen sie auch in die Gebiete zwischen den niederschlagsreicheren Regio­nen vor. Das Ergebnis war letzten Endes das gleiche: Ban­tu-Bauern nahmen den größten Teil der angestammten Khoisan-Gebiete in Besitz, und die ehemaligen Bewoh­ner hinterließen nur Spuren in Form von Schnalzlau­ten in manchen Nicht-Khoisan-Sprachen, vergrabenen Skeletten und Knochenwerkzeugen, die der Entdeckung durch Archäologen harren, und der an Khoisan erin­nernden körperlichen Erscheinung einiger Bantu-Völ­ker im südlichen Afrika.

Was mit all jenen verschwundenen Khoisan-Popula­tionen genau geschah, wissen wir nicht. Mit Gewißheit können wir bloß sagen, daß Gebiete, in denen Khoisan-Völker lange gelebt hatten, vielleicht Zehntausende von Jahren, heute von Bantu bewohnt sind. Wir können nur versuchen zu erraten, was sich damals abspielte, indem wir anschauen, was in der jüngeren Vergangenheit in vergleichbaren Situationen passierte, wenn stahlgerüste­te weiße Bauern auf Jäger und Sammler stießen, die nur Steinwerkzeuge besaßen, beispielsweise australische Ab­origines oder kalifornische Indianer. Wir wissen, daß diese Zusammenstöße für die Jäger und Sammler inner­halb kurzer Zeit das Ende bedeuteten: Sie wurden von ihrem Land verjagt, die Männer wurden getötet oder zu Sklaven gemacht, die Frauen geraubt, und beide Ge­schlechter fielen Krankheiten zum Opfer, die die bäuer­lichen Eindringlinge einschleppten. Ein Beispiel für eine solche Krankheit ist in Afrika die Malaria; sie wird von Mücken übertragen, deren Brutstätten in der Nähe von Dörfern liegen. Die anrückenden Bantu hatten bereits erbliche Abwehrkräfte gegen die Malaria entwickelt, die Khoisan aber vermutlich noch nicht.

Abbildung 18.1, in der die Verteilung menschlicher Populationen in Afrika um 1400 n. Chr. dargestellt ist, zeigt jedoch, daß nicht alle Khoisan von Bantu über­rannt wurden, sondern daß einige von ihnen in Regio­nen Südafrikas, die für die Bantu-Landwirtschaft unge­eignet waren, überlebten. Die Xhosa, das südlichste Ban­tu-Volk, blieben am Fish River an Südafrikas Südküste stehen, rund 1300 Kilometer östlich von Kapstadt. Nun ist das Kap der Guten Hoffnung nicht etwa zu trocken, um dort Landwirtschaft zu treiben. Ganz im Gegenteil, es ist heute so etwas wie die Kornkammer Südafrikas. Der Grund liegt vielmehr darin, daß in der Kapregion ein mediterranes Klima mit winterlichen Niederschlä­gen herrscht, in dem die an Sommerregen gewöhnten Bantu-Gewächse nicht gedeihen. Als 1652 die Holländer in Kapstadt eintrafen, ihre an Winterregen angepaßten Pflanzen nahöstlicher Herkunft im Gepäck, hatten die Xhosa den Fish River immer noch nicht überschritten.

Dieses scheinbar unbedeutende Faktum der Pflanzen­geographie hatte schwerwiegende Folgen für die heutige Politik. Eine davon war, daß die südafrikanischen Wei­ßen, nachdem sie die Khoisan-Bevölkerung der Kapre­gion innerhalb kurzer Zeit umgebracht, mit Krankhei­ten infiziert oder vertrieben hatten, mit Recht behaupten konnten, daß sie länger als die Bantu in diesem Gebiet ansässig waren und somit ältere Rechte daran besaßen. Ernst muß man diesen Anspruch nicht nehmen, da die älteren Rechte der Kap-Khoisan die Weißen auch nicht davon abgehalten hatten, sie ihrer Heimat zu berauben. Folgenschwerer war indes, daß es die holländischen Sied­ler 1652 nur mit einer kleinen Population von Khoisan-Viehzüchtern aufnehmen mußten, nicht aber mit einer dichten bäuerlichen Bantu-Population mit Waffen und Werkzeugen aus Stahl. Als die Weißen schließlich nach Osten vordrangen und im Jahr 1702 am Fish River mit den Xhosa zusammenstießen, begann eine Zeit erbit­terter Kämpfe. Obwohl die Europäer ihre Soldaten zu dieser Zeit bereits von sicheren Stützpunkten am Kap mit Nachschub versorgen konnten, brauchten sie 175 Jahre und neun Kriege, bis ihre Armeen die Xhosa un­terworfen hatten. Das entsprach einem Vorrücken von durchschnittlich weniger als einer Meile pro Jahr. Wie hätten sich die Weißen je am Kap festsetzen können, wenn schon die ersten holländischen Schiffe auf derart massiven Widerstand gestoßen wären?

Die Probleme des heutigen Südafrika beruhen somit wenigstens zum Teil auf geographischem Zufall. In der Heimat der Kap-Khoisan gab es wenige Wildpflanzen, die sich zur Domestikation eigneten; die Bantu hatten dagegen von ihren Vorfahren (5000 Jahre früher) An­baupflanzen geerbt, die an sommerliche Niederschläge gewöhnt waren, während die Europäer von ihren Vor­fahren (10 000 Jahre früher) Anbaupflanzen geerbt hat­ten, die bei Winterregen gedeihen. Und wieder, wie schon durch das Straßenschild »Goering Street« in der Haupt­stadt des eben unabhängigen Namibia, wird man daran erinnert, wie sehr Afrikas Vergangenheit in seine Ge­genwart hineinwirkt.

Wir wissen also, warum die Bantu die Khoisan ver­drängen konnten und nicht umgekehrt. Wenden wir uns nun der noch offenen Frage in unserem afrikani­schen Puzzle zu: Warum gelang es Europäern, Afrika südlich der Sahara zu kolonisieren? Daß es nicht um­gekehrt kam, ist besonders überraschend, wo doch in Afrika über Millionen von Jahren die einzige Wiege der menschlichen Evolution stand und vielleicht auch der anatomisch moderne Homo sapiens geboren wurde. Zu dem gewaltigen zeitlichen Vorsprung gesellten sich noch Vorteile, die mit den mannigfaltigen klimatischen und lebensräumlichen Verhältnissen sowie der besonders großen menschlichen Vielfalt verbunden sind. Hätte ein Außerirdischer unseren Planeten vor 10000 Jahren besucht, so wäre er vermutlich zu dem Schluß gekom­men, Europa werde dereinst als Ansammlung von Va­sallenstaaten eines subsaharischen afrikanischen Großreichs enden.

Die unmittelbaren Gründe für den Ausgang der Kol­lision von Afrika und Europa liegen auf der Hand. Wie beim Zusammenprall mit den indianischen Bewohnern Amerikas genossen die Europäer, als sie Afrika betraten, drei wichtige Vorteile: Sie besaßen Schußwaffen und an­dere technische Errungenschaften, die Schrift und eine politische Organisation, die es ihnen ermöglichte, ein so aufwendiges Unterfangen wie die Erforschung und Eroberung eines fremden Kontinents zu betreiben. Die­se Vorteile offenbarten sich schon bald nach dem Be­ginn der Kollision: Knapp vier Jahre, nachdem Vasco da Gama 1498 zum erstenmal die ostafrikanische Kü­ste erreicht hatte, kehrte er mit einer von Kanonen star­renden Flotte zurück, um Kilwa, den wichtigsten Ha­fen Ostafrikas, über den der Handel mit Gold aus Sim­babwe abgewickelt wurde, zur Kapitulation zu zwingen. Was waren aber die Gründe dafür, daß Europäer früher als subsaharische Afrikaner in den Besitz der genann­ten drei Vorteile kamen?

Wie wir sahen, haben alle drei ihre Wurzeln in der Entstehung der Landwirtschaft. Diese hatte jedoch in Afrika südlich der Sahara (verglichen mit Eurasien) Ver­spätung, bedingt durch den Mangel an domestizierba­ren heimischen Tier- und Pflanzenarten, die wesentlich kleinere für landwirtschaftliche Zwecke geeignete Flä­che und die dominierende Nord-Süd-Achse mit ihrem Bremseffekt auf die Ausbreitung von Landwirtschaft und Erfindungen. Wir wollen untersuchen, wie diese Fakto­ren im einzelnen wirkten.

Beginnen wir mit den Haustieren. Wie schon erörtert, stammen jene, die wir heute in Afrika südlich der Sa­hara antreffen, aus Eurasien, ein paar Ausnahmen viel­leicht aus Nordafrika. Dies bedeutet, daß Haustiere erst Tausende von Jahren, nachdem eurasische Zivilisationen mit ihrer Nutzung begannen, nach Afrika südlich der Sahara gelangten. Das klingt zunächst verblüffend, da Afrika für uns der Kontinent der großen wilden Säuge­tiere ist. Wir sahen aber in Kapitel 8, daß ein wildleben­des Tier nur dann als Domestikationskandidat in Fra­ge kommt, wenn es eine Reihe bestimmter Eigenschaf­ten aufweist. So muß es einigermaßen sanftmütig und unterwürfig gegenüber Menschen sein. Es darf in sei­ner Ernährung nicht zu wählerisch sein und muß eine gewisse Immunität gegen Krankheiten besitzen. Ferner muß es schnell wachsen und sich auch unter den Be­dingungen der Gefangenschaft fortpflanzen. Eurasiens Kühe, Schafe, Ziegen, Pferde und Schweine zählten zu den wenigen großen Wildtierarten der Welt, die jedem dieser Kriterien genügten. Ihre afrikanischen Pendants – wie etwa Kaffernbüffel, Zebra, Buschschwein, Nashorn und Nilpferd – wurden dagegen niemals domestiziert, auch nicht in der Neuzeit.

Es stimmt natürlich, daß afrikanische Großtiere in der Geschichte wiederholt gezähmt wurden. So benutz­te Hannibal bei seinem erfolglosen Feldzug gegen Rom gezähmte Afrikanische Elefanten, und von den alten Ägyptern wird behauptet, daß sie Giraffen und ande­re Tiere zähmten. Doch keine dieser gezähmten Krea­turen wurde im eigentlichen Sinne domestiziert, sprich in Gefangenschaft durch Zuchtwahl genetisch modifi­ziert, um für den Menschen nützlicher zu sein. Wären afrikanische Nashörner und Nilpferde domestiziert und als Reittiere abgerichtet worden, hätten sie, statt nur als Futter für Armeen zu dienen, auch eine schlagkräftige Kavallerie abgegeben, gegen die europäische Reiter auf Pferden schlechte Chancen gehabt hätten. Bantu-Stoß­trupps auf Nashörnern hätten das römische Reich aus den Angeln heben können. Doch dazu kam es nie.

Ein zweiter Faktor ist ein ähnlicher, wenn auch nicht ganz so krasser Unterschied zwischen Afrika südlich der Sahara und Eurasien in der Ausstattung mit domestizier­baren Pflanzen. Im Sahel, in Äthiopien und Westafri­ka wurden zwar eine Reihe heimischer Gewächse do­mestiziert, doch ihre Zahl war sehr viel geringer als in Eurasien. Wegen dieser beschränkten Vielfalt des Aus­gangsmaterials begann möglicherweise selbst die frühe­ste Landwirtschaft in Afrika mit einigen Jahrtausenden Verspätung gegenüber Vorderasien.

Was die Domestikation von Pflanzen und Tieren betrifft, besaß somit Eurasien und nicht Afrika den zeitli­chen Vorsprung und auch die größere Vielfalt. Ein dritter Faktor ist die Fläche Afrikas, die nur etwa der Hälfte Eu­rasiens entspricht. Von ihr liegt nur etwa ein Drittel in­dem Raum zwischen Sahara und Äquator, der schon vor 1000 v. Chr. von Bauern und Viehzüchtern bewohnt war. Heute hat Afrika weniger als 700 Millionen Einwohner, Eurasien dagegen vier Milliarden. Bekanntlich führen eine größere Fläche und eine höhere Zahl von Bewoh­nern unter sonst gleichen Umständen zu einer größeren Zahl konkurrierender Gesellschaften und Erfindungen, mit der Folge einer beschleunigten Entwicklung.

Der letzte Faktor zur Erklärung der langsameren Ent­wicklung Afrikas nach dem Ende des Eiszeitalters, ver­glichen mit Eurasien, liegt in der unterschiedlichen Aus­richtung der Hauptachsen der beiden Kontinente. Afri­kas Hauptachse verläuft wie die des amerikanischen Doppelkontinents von Norden nach Süden, Eurasiens dagegen von Osten nach Westen (Abbildung 9.1). Be­wegt man sich entlang einer Nord-Süd-Achse vorwärts, durchquert man Zonen, in denen sehr unterschiedli­che Temperaturen und Niederschlagsmengen auftreten, in denen die Tageslängen variieren und unterschiedli­che Tier- und Pflanzenkrankheiten vorkommen. Es war deshalb sehr schwierig, die in einem Teil Afrikas do­mestizierten Pflanzen und Tiere in einen anderen Teil mitzunehmen und dort heimisch zu machen. Im Ver­gleich dazu war der Austausch von Kulturgewächsen und Haustieren in Eurasien ohne größere Probleme zwi­schen Gesellschaften möglich, die Tausende von Kilo­metern voneinander entfernt, jedoch auf gleicher geo­graphischer Breite lagen und ähnliche klimatische Ver­hältnisse und Tageslängen aufwiesen.

Die langsame (wenn überhaupt) Ausbreitung von An­baupflanzen und Vieh entlang der afrikanischen Nord-Süd-Achse hatte schwerwiegende Folgen. So verlang­ten die mediterranen Gewächse, die in Ägypten zu den wichtigsten Anbaupflanzen wurden, Niederschläge im Winter und Tageslängen, die im Rhythmus der Jahres­zeiten schwankten – oder sie keimten nicht. Sie konnten sich deshalb nicht weiter südlich als bis in den Sudan ausbreiten, wo eine Zone beginnt, in der es im Sommer regnet und die Tageslänge im Laufe des Jahres beinahe konstant ist. Weizen und Gerste aus Ägypten fanden den Weg zum Kap der Guten Hoffnung mit seinem mediter­ranen Klima erst, als sie von europäischen Kolonisten im Jahr 1652 per Schiff dorthin gebracht wurden, so daß aus den Khoisan nie Bauern werden konnten. Ähnlich gelangten die an Sommerregen und geringe oder gar kei­ne jahreszeitlichen Schwankungen der Tageslänge an­gepaßten Kulturpflanzen der Sahelzone zwar mit den Bantus ins südliche Afrika, konnten aber in der Kapre­gion selbst nicht gedeihen, was den Vorstoß der Bantu-Landwirtschaft zum Stehen brachte. Bananen und ande­re tropische Gewächse aus Asien, für die Afrikas Klima hervorragend geeignet ist und die heute zu den ertrag­reichsten Gewächsen der afrikanischen Tropen zählen, konnten Afrika auf dem Landweg nicht erreichen. Of­fenbar trafen sie erst im ersten Jahrtausend n. Chr. ein, also lange nach ihrer Domestikation in Asien, weil sie warten mußten, bis auf dem Indischen Ozean ein reger Handelsverkehr entstand.

Afrikas Nord-Süd-Achse stellte auch für die Ausbrei­tung von Haustieren ein ernstes Hindernis dar. Die in Äquatorialafrika von Tsetsefliegen übertragenen Try­panosomen, gegen die afrikanische Säugetiere resistent sind, hatten eine vernichtende Wirkung auf eingeführ­tes eurasisches und nordafrikanisches Vieh. Die Rin­der, die von Bantu aus der tsetsefreien Sahelzone mitge­bracht wurden, blieben bei der Bantu-Expansion durch die äquatorialen Regenwälder auf der Strecke. Das Pferd – es war schon um 1800 v. Chr. in Ägypten eingetroffen und hatte bald darauf eine Revolution der Kriegführung in Nordafrika ausgelöst – durchquerte die Sahara erst im ersten Jahrtausend n. Chr., um den Aufstieg westafrika­nischer Königreiche zu beflügeln. Durch die Tsetseflie­gen-Zone hindurch nach Süden breitete es sich jedoch nie aus. Rinder, Schafe und Ziegen waren schon im drit­ten Jahrtausend v. Chr. an den Nordrand der Serengeti vorgedrungen, doch es sollte noch über 2000 Jahre dau­ern, bis sie die Serengeti durchquerten und im südlichen Afrika Einzug hielten.

Auch technische Errungenschaften kamen entlang der afrikanischen Nord-Süd-Achse nur im Schneckentem­po voran. Die Töpferei, im Sudan und in der Sahara schon um 8000 v. Chr. bekannt, erreichte die Kapregion erst um die Zeitwende. Obwohl die Schrift in Ägypten schon um 3000 v. Chr. erfunden wurde und in Alpha­betform nach Nubien und Äthiopien (möglicherweise von Arabien aus) gelangte, wurde sie im übrigen Afri­ka nirgendwo unabhängig entwickelt, sondern erst von Arabern und Europäern eingeführt.

Fazit: Die Kolonisierung Afrikas durch Europäer hat­te nichts mit Unterschieden zwischen afrikanischen und europäischen Völkern zu tun, wie weiße Rassisten mei­nen. Vielmehr waren letztlich geographische und bio­geographische Zufälligkeiten – insbesondere die unter­schiedliche Größe, Achsenausrichtung und Ausstattung mit Pflanzen- und Tierarten beider Kontinente – ent­scheidend für den ungleichen Gang der Geschichte in Afrika und Europa.