Kapitel 2

»Na, versteckst du dich?«

Die Stimme meines Bruders lässt mich zusammenzucken. Ich will gerade protestieren, als ich Zeens wissendes Lächeln sehe, und die Worte ersterben auf meinen Lippen. Anstatt es abzustreiten, zucke ich nur mit den Achseln. »Das ist ein verrückter Tag heute. Ich brauche einfach einen Moment für mich.«

Gitarren, Trommeln und verschiedene Hörner spielen vor der Bäckerei auf, während Dutzende von Menschen zu ihren Klängen tanzen und in die Hände klatschen. Auf der anderen Seite des Marktplatzes wird ununterbrochen gebratenes Fleisch vom Spieß geschnitten und in Portionen zerlegt. Eine Mischung aus Fackelschein und elektrischem Licht lässt den Platz, wo die Gäste lachen und singen und Spiele spielen, erstrahlen. Doch die Helligkeit dringt nicht bis in die Schatten vor, in die ich mich zurückgezogen habe. In den letzten Stunden habe auch ich getanzt und gesungen, wie es von mir erwartet wurde. Ansonsten hätte mich meine Enttäuschung verraten, die als Zeichen für meine Arroganz gewertet worden wäre, welche mich hat glauben lassen, ich wäre klug genug, um für die Auslese ausgewählt zu werden.

»Hier.« Mit einem verständnisvollen Nicken reicht mir Zeen einen Becher. »Das brauchst du jetzt.«

Das Getränk ist süß, doch darunter schmecke ich deutlich eine schärfere, bitterere Note. Alkohol! Da die meisten Früchte und Getreidesorten, die sich in Alkohol umwandeln lassen, gebraucht werden, um die Bewohner der Five-Lakes-Kolonie satt zu bekommen, wird nur sehr wenig davon für die Herstellung von Alkohol verwendet. Nur eine winzige Menge wird jedes Jahr für ganz besondere Gelegenheiten zurückgehalten – für Gelegenheiten wie die Nacht der Abschlussfeier. Allerdings dürfen nur die Erwachsenen dieses Gebräu trinken, aber meine Brüder haben mich schon früher einen Schluck aus ihren Bechern nehmen lassen. Ich mag den Geschmack nicht, und so nippe ich nur und reiche Zeen das Getränk zurück.

»Na, fühlst du dich besser, Kleine?«

Ich senke den Blick, um ihm nicht in die Augen schauen zu müssen. »Eigentlich nicht.«

»Hmm.« Er lehnt sich gegen den Stamm der großen Eiche, in deren Schatten ich mich verkrochen habe, und leert seinen Becher. »Die Dinge laufen nicht immer so, wie wir uns das vorstellen. Du musst dich einfach wieder aufrappeln und dir eine neue Richtung suchen.«

Die Schärfe in seiner Stimme verwundert mich ein wenig. Ist das auch dein Plan?, frage ich mich im Stillen. In den letzten paar Jahren hatte Zeen sich spaßeshalber umgesehen, welche Möglichkeiten es für ihn außerhalb der Five-Lakes-Kolonie gab. Ich würde es unerträglich finden, wenn er jetzt einen neuen Arbeitsplatz bekäme. Natürlich wäre es immer traurig, wenn er unsere Kolonie verließe, aber wenn ich wüsste, dass er im Zorn fortginge, dann würde es mir das Herz brechen.

Seine Hand verkrampft sich um den Becher, aber seine Worte klingen nicht wütend, als er antwortet: »Ich werde jedenfalls keine Bewerbung nach Tosu-Stadt schicken, wenn du das meinst. Die Magistratin hat Dad darum gebeten, seine heutige Mitteilung zu ändern, also hat er das getan. Du kennst mich doch. Ich zeige mich ein paar Tage lang eingeschnappt, dann bin ich darüber hinweg.« Er zuckt mit den Schultern, und seine Blicke wandern zu den Feiernden auf dem Marktplatz. Es wird langsam spät. Einige werden noch bis zum nächsten Morgen tanzen und singen, doch viele machen sich bereits auf den Heimweg. Die Abschlussfeier neigt sich dem Ende zu.

Nach einigen Augenblicken sagt Zeen: »Du weißt, dass du es tun könntest.«

»Dass ich was tun könnte?«

»Du könntest mit der Magistratin sprechen und dich in Tosu-Stadt bewerben.«

Allein der Gedanke ist gleichermaßen beängstigend wie verlockend. Jeder Koloniebewohner, der in Tosu-Stadt oder einer anderen Kolonie arbeiten möchte, kann ein Bewerbungsformular ausfüllen und im Büro der Magistratin abgeben. Die Regierung des Vereinigten Commonwealth wird sich dann mit dem Kandidaten in Verbindung setzen, falls eine geeignete Arbeitsstelle frei ist. In meinen sechzehn Jahren habe ich nur zwei Bewerber kennengelernt, die auch tatsächlich eine Position angeboten bekommen haben. Nach der heutigen Enttäuschung bin ich mir nicht sicher, ob ich in absehbarer Zeit bereit bin für die nächste Ernüchterung.

Meine Verunsicherung muss mir anzusehen sein, denn Zeen legt mir einen Arm um die Schultern und zieht mich kurz an sich. »Keine Sorge, meine Kleine. Du hast noch genug Zeit, dir zu überlegen, was du mit dem Rest deines Lebens anfangen willst.«

Leider sieht Mom das ganz anders.

Am nächsten Morgen schlafen wir alle lange, aber ich habe kaum Zeit, mich anzuziehen, als meine Mutter auch schon anfängt: »Wenn du immer noch entschlossen bist, nicht bei deinem Vater zu arbeiten, dann hat Kip Drysten noch Platz in seinem Team. Du solltest mit ihm reden, ehe einer der anderen Schulabgänger dir zuvorkommt.«

Kip Drystens Team repariert Maschinen für die Landwirtschaft. Ich arbeite zwar gerne mit mechanischen Geräten, aber die Vorstellung, mein ganzes restliches Leben lang kaputte Traktoren instand zu setzen, ist deprimierend. »Ich denke darüber nach«, antworte ich.

Das Stirnrunzeln auf dem Gesicht meiner Mutter spricht Bände, was der Grund dafür ist, dass ich auf mein Fahrrad steige und langsam in Richtung Stadt radele, um Mr. Drysten zu suchen.

Die Drystens wohnen in einem kleinen, hübschen Häuschen auf der anderen Seite der Kolonie. Mühsam schlucke ich ein paar Mal, ehe ich an die Tür klopfe. Mr. Drystens Frau sagt mir, dass ihr Mann schon frühmorgens zur Endress-Farm aufgebrochen sei, und ich kann nichts gegen das Gefühl der Erleichterung tun, das mich bei ihren Worten überfällt. Ich habe eine Gnadenfrist bekommen.

Am Tag nach der Abschlussfeier lassen alle es stets ruhig angehen. Die Familien bleiben in der Regel daheim, um im engeren Kreis weiterzufeiern. Auch meine Mutter plant für später am Tag ein üppiges Mahl, und sie hat sogar ein paar meiner Freunde dazu eingeladen, an unserem Fest teilzunehmen. Wahrscheinlich sollte ich nach Hause fahren und ihr bei den Vorbereitungen zur Hand gehen. Stattdessen steige ich jedoch von meinem Rad, als ich auf dem Marktplatz angekommen bin. Ich lehne es gegen einen Baum und setze mich an den Brunnen. Zwei Koloniebewohner winken mir zu, aber sie sind in Eile und bleiben nicht stehen, um sich zu unterhalten. Mir ist das sehr lieb so. Ich stütze meinen Kopf in beide Hände, sehe dem gluckernden Wasser des Brunnens zu und versuche, das hohle Gefühl zu ignorieren, das sich seit der gestrigen Zeremonie in mir breitgemacht hat. Ich bin jetzt eine Erwachsene. Von klein auf habe ich meine Eltern und die anderen Erwachsenen beobachtet und mich auf den Tag gefreut, an dem ich eine von ihnen sein würde – stark und selbstbewusst. Und nun merke ich, dass ich mich noch nie so unsicher gefühlt habe.

Die Uhr über dem Haus der Magistratin schlägt zur vollen Stunde. Drei Uhr. Zeit, nach Hause zurückzukehren, ehe meine Mutter anfängt, sich Sorgen zu machen.

Auf halber Strecke treffe ich auf meinen Bruder Hart, der mir auf dem unbefestigten Weg entgegengerannt kommt. Mist. Wenn Mom ihn losgeschickt hat, um mich zu suchen, dann sitze ich bereits in der Tinte.

Aber es stellt sich heraus, dass es gar nicht meine Mutter ist, die mich holen lässt. »Magistratin Owens hat Dad eine Nachricht über den Impuls-Transmitter zukommen lassen, kurz nachdem du das Haus verlassen hast. Du sollst dich um vier Uhr bei ihr einfinden, damit ihr über deine Pläne für die Zukunft sprechen könnt. Als du nicht gleich wieder nach Hause gekommen bist, hat Mom uns alle gebeten, nach dir Ausschau zu halten.« Hart wirft mir ein spöttisches Grinsen zu. »Du solltest dich lieber ranhalten, wenn du das noch schaffen willst.«

Er hat recht.

Als ich wieder auf dem Marktplatz ankomme, läuft mir der Schweiß übers Gesicht, mein Haar ist ein einziges Chaos, und in meinem Magen sitzt ein harter Knoten. Mein Vater und meine Brüder sind schon öfter zur Magistratin einbestellt worden, um verschiedene Projekte abzustimmen, aber für mich ist es das erste Mal. Meine Zukunftspläne? Unwillkürlich frage ich mich, ob meine besorgte Mutter für diesen Termin verantwortlich ist. Hat sie Kontakt zu Magistratin Owens aufgenommen und sie gebeten, mir zu helfen, oder ist es auch für andere offensichtlich gewesen, dass ich keine Ahnung habe, welchen Karriereweg ich einschlagen soll? Die Vorstellung, dass meine Enttäuschung auch außerhalb der Familie zu spüren gewesen ist, lässt mir die Schamesröte ins Gesicht steigen.

Ich bereite mich innerlich auf einen Vortrag vor, fahre mir mit den Händen durch die Haare und streiche meine weiße, kurzärmlige Tunika und die graue Hose glatt, ehe ich an die Vordertür der Magistratin klopfe.

»Oh, gut. Du hast es also noch geschafft.« Magistratin Owens schenkt mir ein Lächeln, das ihre Augen aber nicht erreicht. »Komm doch herein, Cia. Alle anderen sind schon da.«

Alle anderen?

Magistratin Owens führt mich in ein großes, mit Teppichen ausgelegtes Wohnzimmer, und vier Gesichter wenden sich mir zu, um mich zu mustern. Die drei jungen Leute, die dort sitzen, sind mir vertraut. Da ist der gut aussehende Tomas Endress mit den grauen Augen. Der schüchterne, aber süße Malachi Rourke. Die wunderhübsche, künstlerisch begabte Zandri Hicks. Sie alle haben mit mir gemeinsam die Abschlussklasse besucht. Es sind Menschen, die ich schon beinahe mein ganzes Leben lang kenne. Die vierte Person hingegen habe ich noch nie gesehen.

Tomas bedeutet mir mit einer Geste, neben ihm Platz zu nehmen, und wirft mir ein Lächeln zu, das Grübchen auf sein Gesicht zaubert. Es ist ein Ding der Unmöglichkeit, dieses Lächeln nicht zu erwidern. Magistratin Owens durchquert den Raum, stellt sich neben den Fremden und sagt: »Danke, dass ihr alle so kurzfristig kommen konntet. Ich möchte mich entschuldigen, dass ich euch aus den Feierlichkeiten in euren Familien herausreiße, aber das ließ sich leider nicht vermeiden.« Ihre Blicke wandern durch den Raum und ruhen einen Moment lang auf jedem Einzelnen von uns. »Dies ist Michal Gallen, Offizieller aus Tosu-Stadt. Er wollte eigentlich schon gestern zur Abschlussfeier anreisen, aber aufgrund eines technischen Problems hat er sich verspätet.«

Tosu-Stadt.

Mein Magen verkrampft sich, als Michal Gallen einen Schritt auf uns zu macht und ein zusammengefaltetes Blatt Papier aus seiner Tasche zieht. Er ist älter als wir, aber nicht viel. Er mag ungefähr Zeens Jahrgang sein, hat struppiges braunes Haar und wirkt unbeholfen schlaksig, was in seltsamem Widerspruch zu der Autorität steht, die er aus Tosu mitbringt.

Seine dunklen Augen sind ernst, als er auf sein Papier blickt und liest: »Jedes Jahr begutachtet das Vereinigte Commonwealth die Ergebnisse der Abschlussklassen in allen achtzehn Kolonien. Die besten Schüler aus der Gruppe der Abgänger werden für die Auslese nach Tosu-Stadt gebracht, um zu prüfen, ob sie zur Universität zugelassen werden. Es ist eine Ehre, ausgewählt zu werden. Auf den Absolventen der Universität ruhen all unsere Hoffnungen; wir vertrauen auf ihre Hilfe dabei, den Erdboden wieder fruchtbar zu machen und unser aller Lebensqualität zu verbessern. Sie sind die zukünftigen Wissenschaftler, Ärzte, Lehrer und Verwaltungsbeamten der Regierung.« Er lässt das Papier wieder sinken und lächelt uns an. »Ihr vier seid ausgesucht worden, an der Auslese teilzunehmen.«

Eine Welle der Erleichterung rollt über mich hinweg. Ich schaue mich um, um mich zu vergewissern, dass ich alles richtig verstanden habe. Tomas’ Gesicht strahlt. Er war der Klügste in unserer Klasse gewesen, und so ist es wenig verwunderlich, dass er ausgewählt wurde. Und den Worten dieses Offiziellen aus Tosu-Stadt nach zu urteilen bin ich es auch. Gleich vier von uns sind dabei. Es ist wirklich wahr. Nun werde ich doch nicht mein Leben lang Traktoren reparieren müssen. Ich bin für die Auslese vorgesehen. Ich habe es geschafft!

»Morgen werdet ihr abreisen.«

Mein überschwängliches Glücksgefühl verebbt, als ich die Worte des Abgesandten richtig zu begreifen beginne. Morgen schon soll ich aufbrechen.

»Warum denn bereits morgen?«, fragt Magistratin Owens. »Wenn ich mich recht entsinne, lag doch immer weitaus mehr Zeit zwischen der Auswahl und der Auslese.«

»Die Dinge haben sich verändert, seitdem Ihre Kolonie das letzte Mal einen Prüfling gestellt hat«, antwortet Gallen. Seine Stimme ist tief, und es schwingt eine Spur Ungeduld mit. »Die Kandidaten werden noch in dieser Woche mit dem Prüfungsprozess beginnen. Ich denke, Sie werden mir zustimmen, dass Ihre Schüler größere Chancen haben zu bestehen, wenn sie gleichzeitig mit den anderen eintreffen.«

»Und was ist, wenn wir nicht wollen?«

Unsere Köpfe fliegen herum, und wir alle starren Zandri an. Ihr Gesicht hat beinahe die gleiche rote Farbe wie ihre Tunika. Zuerst denke ich, sie ist verlegen. Doch dann hebt sie ihr Kinn. Das Blitzen in ihren blauen Augen verrät deutlich, wie zornig sie ist. Die Tatsache, dass vier von uns für die Auslese ausgewählt worden sind, ist schon erstaunlich genug, aber dass Zandri dazugehört, ist noch weitaus verblüffender. Nicht dass Zandri nicht clever wäre. Das ist sie durchaus, auch wenn die meisten von uns sie eher als Künstlerin denn als Wissenschaftlerin sehen. Naturwissenschaften interessieren Zandri nur, wenn sie ihr dabei helfen, neue Farben zu kreieren. Niemals hat sie anklingen lassen, dass sie ihre Ausbildung gerne weiter fortsetzen würde. Trotzdem überrascht mich ihre Frage. Warum sollte sie auf die Ehre verzichten, die es bedeutet, für die Auslese ausgewählt zu werden?

Der junge Mann aus Tosu-Stadt lächelt, und ich erschauere. Da ist keinerlei Wärme in seinem Gesicht zu erkennen. »Ihr habt keine Wahl. Das Gesetz schreibt vor, dass jeder ausgewählte Bürger des Vereinigten Commonwealth zum vereinbarten Termin bei der Prüfung erscheinen muss. Ein Verstoß dagegen würde entsprechend geahndet werden.«

»Und wie sieht diese Ahndung aus?« Zandri schaut Magistratin Owens an, die ihrerseits den Blick auf den Sprecher aus Tosu-Stadt richtet.

Die beiden sehen sich einen Moment lang fest in die Augen, ehe Magistratin Owens antwortet: »Dem Gesetz entsprechend wird das Nichterscheinen bei der Prüfung wie Hochverrat behandelt.«

Und die übliche Strafe für Hochverrat ist der Tod.

Irgendjemand, vielleicht Malachi, erhebt flüsternd Protest. Mir stockt der Atem, als hätte jemand seine Arme um meine Brust geschlungen und würde fest zudrücken. Meine Aufregung darüber, ausgewählt worden zu sein, ist verflogen. Stattdessen hat sich eisige Furcht breitgemacht. Dabei gibt es gar nichts zu fürchten, denn ich will ja an der Auslese teilnehmen. Man wird mich nicht bestrafen müssen. Und auch keinen der anderen Kandidaten. Das Wort Hochverrat hat Zandris Widerspruchslust versiegen lassen.

Magistratin Owens sieht, wie geschockt wir alle sind. Sie erklärt uns, dass das Gesetz, welches die Strafe für die Verweigerung der Teilnahme an der Prüfung regelt, noch aus den ersten Tagen des Vereinigten Commonwealth stammt. Damals gab es anarchische Splittergruppen, die die neue Regierung stürzen wollten und zu diesem Zweck versuchten, Prüfungskandidaten zur Rebellion anzustiften. Es gibt immer wieder Ansätze dazu, die Vorschriften zu ändern, aber solche Dinge brauchen Zeit.

Ich fühle mich ein bisschen besser, denn wir erfahren außerdem, dass das Gesetz seit Jahrzehnten nicht zur Anwendung gekommen ist. Auch wird meine erloschene Aufregung neu entfacht, als die Magistratin uns mitteilt, was wir für Tosu-Stadt einpacken sollen. Die Prüfungskandidaten dürfen zwei Garnituren Alltagskleidung mitnehmen. Zwei Sets Unterwäsche. Einmal Nachtzeug. Zwei Paar Schuhe. Zwei persönliche Gegenstände. Keine Bücher. Kein Papier. Nichts, das einem Prüfling einen Vorteil gegenüber den anderen verschaffen könnte. Alles muss in die Tasche passen, die wir am Ende dieses Treffens ausgehändigt bekommen werden. Am folgenden Tag haben wir uns im Morgengrauen auf dem Markt einzufinden und unser Gepäck mitzubringen. Der Offizielle aus Tosu-Stadt, Michal Gallen, wird uns dort erwarten und zum Prüfungszentrum bringen. Die Magistratin betont, wie stolz sie auf unsere Leistungen ist und dass sie sich sicher ist, dass wir bei unserer Prüfung gut abschneiden werden. Aber ich weiß, dass sie lügt. Meine Mutter hat das gleiche gezwungene, übertrieben fröhliche Lächeln, wenn ihr etwas auf der Seele liegt. Magistratin Owens glaubt keineswegs, dass wir alle bestehen werden. Macht sie sich Sorgen, dass es auf die Five-Lakes-Kolonie zurückfallen könnte, falls wir versagen?

Darüber grübele ich noch immer nach, während sie uns zum Vordereingang begleitet.

Strahlender Sonnenschein begrüßt uns, als die Tür geöffnet wird. Ich bin die Letzte von uns vieren, die eine dunkelbraune Tasche mit dem roten und pinkfarbenen Logo des Vereinigten Commonwealth von Magistratin Owens entgegennimmt. Als ich mir den dicken Trageriemen über die Schulter hänge, fällt mir mit einem Schlag ein, dass das sorgfältig geplante Abendessen meiner Mutter früh beendet werden muss. Ansonsten bleibt mir nicht genug Zeit, zu packen und mich auf das vorzubereiten, was am nächsten Tag auf mich wartet – was auch immer das sein mag.

Als ich nach draußen trete, ist Zandri bereits fort, aber Tomas und Malachi warten auf mich. Einen Moment lang starren wir drei uns an und wissen nicht, was wir sagen sollen. Es überrascht mich gar nicht, dass Tomas als Erster seine Stimme wiederfindet. Mit seinem breiten, atemberaubenden Grinsen schaut er mir in die Augen und sagt: »Ich schätze, wir sollten nach Hause gehen. Es liegt ein großer Tag vor uns.«

Und ich weiß, dass er recht hat. Wieder einmal.

Es ist Zeit, heimzukehren und meiner Familie zu eröffnen, dass ich morgen früh das Haus verlassen und nie mehr wiederkommen werde.