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Um acht Uhr fünfundzwanzig parkte Rowan seinen Mini im Hof des CID, Abteilung Ost, und ging über die Hintertreppe ins Dienstzimmer. Yarrow war schon da. Er wünschte ihm kurz guten Morgen und stürzte sich in eine farbige Schilderung seiner letzten Eroberung, einer koketten Brünetten. Yarrow war unwiderstehlich, dachte Rowan. Jedenfalls behauptete Yarrow es.
Rowan setzte sich an seinen Schreibtisch und starrte auf das kleine Häufchen Post und die Notiz des Inspektors, daß er sofort einen von vier Zeugen verhören sollte. Die Sprechanlage summte. Fusils Stimme klang sehr prononciert. Ein zusammengeschlagener Mann war in einem Kornfeld bei der Awkstreet tot aufgefunden worden. Er forderte zwei Mann an. Sie würden sofort losfahren. Vorsichtigerweise gab Rowan nicht zu, daß nur er und Yarrow da waren und Kerr wie gewöhnlich zu spät kommen würde.
Fünf Minuten später fuhren sie los, Fusil saß hinter dem Steuer des CID-Hillman. Rowan hockte auf dem Rücksitz und lauschte Fusils knappen Erklärungen über den Mord, während er versuchte, nicht darauf zu achten, wie Fusil fuhr: das variierte von schlecht bis gefährlich. Als Fusil schwieg, wanderten Rowans Gedanken zurück zu Heather. Sie waren spät ins Bett gegangen, zu müde, weiter zu streiten. Trotzdem waren sie gleichzeitig aufgewacht, vielleicht hatte sie irgendein Geräusch von der Straße geweckt. Plötzlich hatte er sie geküßt, sie hatte ihn auch geküßt, und dann hatten sie sich geliebt, verloren und glücklich. Beim Frühstück hatte er sich wie auf rosa Wolken gefühlt. Da hatte sie gesagt, daß es spät werden könne. Am Nachmittag habe sie eine Verabredung mit einem Fotografen. Eine Freundin von Mrs. Pritchard würde am Abend auf Tracy aufpassen. Er hatte sie gebeten, die Verabredung rückgängig zu machen, doch sie hatte sich rundweg geweigert, und das ganze altbekannte Mißtrauen war wieder in ihm hochgestiegen, und er hatte sich eingebildet, zu wissen, warum sie sich ihm kurz zuvor so liebevoll hingegeben hatte. Wütend stritt er sich mit ihr. Tracy hatte ihn so traurig angesehen, daß er sich plötzlich haßte.
In den Hügeln auf der Nordseite des Waldes bremste Fusil hinter einem Polizeiwagen, dessen Fahrer auf sie zustürzte. »Die Leiche liegt auf der andern Seite vom Feld«, sagte er. »Der Bauer bittet, nicht durch das Feld zu laufen und nicht die Ähren kaputtzutreten.«
»Für wen hält er uns, verdammt noch mal! Sind der Polizeiarzt und der Erkennungsdienst verständigt worden?«
»Nein, Sir! Wir wollten auf Sie warten und …«
»Rufen Sie das Präsidium und veranlassen Sie das Notwendige! Wenn wir einen Pathologen brauchen, werden wir uns melden.«
»Ja, Sir!«
Fusil befahl Yarrow, den Koffer mit den notwendigen Utensilien aus dem Hillman zu holen, und ging am Constable vorbei zur Szene des Geschehens. Der Constable rümpfte die Nase, um Rowan zu zeigen, daß er über Fusils kurzangebundenes Verhalten verärgert war. Rowan zuckte mit den Achseln und folgte Fusil zum Kornfeld. Einen Wettbewerb um den beliebtesten Mann bei der Polizei würde Fusil nie im Leben gewinnen, trotzdem wurde er respektiert, weil er unleugbar einer der besten Beamten war. Sein Fehler war seine Schärfe, die Art, wie er die Aufklärung eines Verbrechens als direkten Wettkampf zwischen sich persönlich und dem Verbrecher ansah und nicht als Kampf zwischen dem Staat und dem Verbrecher, wobei er nur der verlängerte Arm des Staates, des Gesetzes war. Manchmal führte es dazu, daß er die Grenzen seines Amtes überschritt, nur um einem Verbrecher seine Tat nachzuweisen, was anders nicht möglich gewesen wäre.
Rowan stolperte über einen alten Graben, den man vergessen hatte einzuebnen, suchte instinktiv nach einem Halt, erwischte einen Stacheldraht und ritzte sich den Handteller der linken Hand auf. Er fluchte.
Fusil blieb stehen und drehte sich um. »Man sieht doch gleich, daß Sie nicht auf dem Land aufgewachsen sind, was? Sich an einem Stacheldraht festzuhalten!«
Rowan saugte an der Wunde, die nicht sehr tief war.
»Daß Sie mir hier nicht überall Blut vertropfen!« rief Fusil.
»Damit bringen Sie die ganze Beweisaufnahme durcheinander!«
»Vielleicht sollte ich lieber zurückfahren und mir eine Tetanusspritze geben lassen.«
»Sie können sich auch ins Krankenhaus legen, wenn Sie Lust haben – in Ihrer Freizeit.«
Fusil drehte sich um und ging weiter. Rowan folgte ihm. Er war nicht zum erstenmal darüber erstaunt, wie Fusil den einen Augenblick gelassen und freundlich sein konnte und den andern wieder barsch und unzugänglich wie gewöhnlich.
Dann sahen sie die Leiche im Kornfeld liegen, um sie her waren die Halme niedergetreten. Das Gesicht des Toten lag auf der Seite, die Gesichtszüge waren kaum mehr zu erkennen. Daß es sich um Mord handelte, war eindeutig klar. Trotzdem würde man auf das Urteil des Polizeiarztes warten müssen.
Fusil trat auf die rechte Seite der Leiche und meinte: »Ein flotter Typ. Vielleicht ein wenig zu flott!«
Rowan nickte. Obwohl der Tote alles andere als schön anzusehen war, konnte man auf den ersten Blick erkennen, daß er sich in seinem Leben zu auffallend, beinahe geckenhaft, angezogen hatte. Das Karo des Anzugs war eine Spur zu farbenfreudig, Hemd und Krawatte waren zu grell, die Schuhe zu modisch.
Schwitzend stellte Yarrow den Koffer ab. Er starrte auf den Leichnam. »Der ist wohl jemand auf die Zehen getreten?« meinte er.
Fusil hatte seine erste oberflächliche Untersuchung des Schauplatzes und der Leiche beendet. »Okay, Rowan, ziehen Sie einen zehn Meter großen Sperrkreis um die Leiche. Yarrow, Sie kehren zum Wagen zurück und fordern sechs Constables an, die den Tatort absuchen sollen. Der Pathologe soll auch kommen.« Yarrow verschwand. »Sicherlich«, meinte Fusil zu Rowan, »ist er von dorther gekommen!« Er deutete auf eine zwei Meter breite Lücke zwischen einer verkrüppelten Eiche und einem Brombeergestrüpp. »Suchen wir zuerst den Weg ab.«
Langsam ging er auf den Wald zu. Rowan holte ein Meßband aus dem Koffer und begann, den Kreis auszulegen, wie Fusil es angeprdnet hatte. Dann folgte er Fusil und suchte die rechte Seite des Weges ab. Ob der Mann ein Matrose gewesen war, überlegte er. Matrosen und Streitereien gehörten zusammen wie Salz und Pfeffer, und am Hafen geschahen so viele Verbrechen, daß sie einem an die Nieren gehen konnten. Trotzdem – der Tote sah nicht aus wie ein Matrose, eher wie ein Steward. Stewards zogen sich oft zu auffallend an. Vielleicht war er auch nur irgendein Gangster. Der Erkennungsdienst würde die Fingerabdrücke überprüfen und das feststellen.
Die Sonne kam aus den Wolken hervor, und in einem großen Brennesselhaufen blitzte etwas auf. Rowan bückte sich. Es war eine Coca-Cola-Flasche. Die würde kaum etwas mit dem Verbrechen zu tun haben. Trotzdem mußte er sie mitnehmen und untersuchen lassen.
Rowan war ein guter Kriminalbeamter, an seiner Arbeit interessiert, überdurchschnittlich intelligent. Doch seine häuslichen Probleme bedrückten ihn immer mehr, so daß er oft nicht in Hochform war. Er fühlte sich niedergeschlagen und war überzeugt, daß nichts mehr im Leben wirklich eine Rolle spielte. Natürlich war er nicht so dumm, nicht zu erkennen, was mit ihm los war, und immer wieder versuchte er, sich zusammenzureißen. Es gelang ihm nur selten, und auch dann nur für kurze Zeit. Rowan hätte nichts dringender gebraucht als einen Schuß von Kerrs fröhlicher Unbeschwertheit dem Leben gegenüber.
Yarrow kehrte zurück. »Das Präsidium schickt sechs Leute, der Arzt kommt auch«, meldete er.
»Sehr schön«, erklärte Fusil und richtete sich auf. »Kommen Sie zu mir rüber. Ich geh und warte auf den Arzt.« Er überzeugte sich, daß Yarrow an der richtigen Stelle mit der Suche weitermachte, und ließ die beiden Beamten allein.
Sobald Fusil verschwunden war, fing Yarrow zu reden an. »Hoffentlich dauert diese blöde Geschichte nicht zu lange. Ich habe eine Verabredung mit einem Klassemädchen. Haufen von Geld hat die Familie, ein paar schicke Wagen im Stall …« Hatte Yarrow sich je mal herabgelassen, mit einem Mädchen auszugehen, deren Eltern nicht so reich waren, daß sie das Wort »sparen« nur vom Hörensagen kannten? Rowan bezweifelte es.
Die Organisation hatte zwei voneinander unabhängige Betriebszweige, die, wenn es notwendig wurde, zusammenarbeiteten: Titch Jarrold leitete den Rauschgifthandel, Pete Faraday die »Damenriege«. Beide waren für das reibungslose Funktionieren ihrer Abteilungen verantwortlich. Sie gaben die Befehle oder holten Schläger von auswärts, wenn sie irgendwelche routinemäßigen Jobs erledigen mußten, deren Spuren nicht zur Organisation zurückverfolgt werden durften. Murphy war der Stratege, der Jarrold und Faraday führte, mit den Amerikanern Kontakt hielt, ihnen bewiesen hatte, daß er kreditwürdig war und den Schmuggel nach England organisieren konnte, und der mit den Chinesen in Hongkong über die Lieferungen von reinem Heroin verhandelt. In jedem Hafen der Welt blühte die Prostitution, doch Murphy hatte beschlossen, sie in Fortrow noch weiter auszubauen, indem er sie besser organisierte, die Zuhälter zur Mitarbeit zwang – wobei er ihnen soviel Einnahmen ließ, daß sie nicht unzufrieden wurden –, und die Mädchen veranlaßte, mit Rauschgift zu schieben und die Kunden auf eventuelle lohnende Erpressungsmöglichkeiten auszuspähen.
Faraday war fünfunddreißig, scharf, rücksichtslos, wenn es sein mußte, und sonst ein vernünftiger, zugänglicher Bursche, überzeugt, daß er über kurz oder lang seine eigene Organisation haben würde, doch intelligent genug einzusehen, daß er dazu nicht in Murphys Schuhe schlüpfen konnte. Er war ein unverwüstlicher Optimist und hatte noch nicht begriffen, daß das Leben gewöhnlich immer einen falschen Trumpf im Ärmel hatte.
Wie Murphy ihm befohlen hatte, war er unterwegs, um einen bestochenen oder bestechlichen Polizisten aufzustöbern. Er machte das auf seine typische Art. Er besuchte June, ließ sich auf ihrem Bett nieder und schwang die Beine, ohne die Schuhe auszuziehen, auf die Decke. »Hör zu, Schätzchen«, sagte er, »ich brauche einen Tip über einen Polizisten von Fortrow, und zwar brauche ich ihn gleich.«
»Ja? Sonst hast du keinen Wunsch?« June war beträchtlich älter als sie zugab oder aussah. Sie war zäh und selbstsicher und hatte sich nie von einem Zuhälter ausnehmen lassen, doch sie war auch eine Realistin und hatte rasch begriffen, daß die Tage der Unabhängigkeit vorbei waren, als Faradays Mob in Fortrow auftauchte. Ohne zu streiten war sie einverstanden gewesen, für sie zu arbeiten. Faraday, der sie sehr genau eingeschätzt hatte, mochte sie und verwendete sie als eine Art Verbindungsoffizier zu den übrigen Mädchen.
Er prüfte seine Nägel, die makellos manikürt waren. Er war groß, hatte breite Schultern und sah auf eine rauhe Art gut aus, was auch durch die Narbe rechts an seinem Mund nicht beeinträchtigt wurde. Seit er für Murphy arbeitete, hatte er gelernt, auf sein Äußeres zu achten und sich gut anzuziehen. Er ließ seine Anzüge in London machen und strahlte Autorität aus, was man daran merkte, daß Portiers, Kellner und alle übrigen Leute, die einen Menschen nach seinem Äußeren beurteilten, sich ihm gegenüber sehr devot benahmen. Er ließ seine Hände sinken und sagte: »Eine von den Mädchen muß doch einen Polizisten als Kunden haben. Die sind zum Teil auch Menschen.«
»Weißt du nicht, daß Hunde nie vor die eigene Tür machen?«
»Klar. Aber Hunde sind klug. Bullen sind das nicht, sonst wären sie keine. Finde einen, der bei einem der Mädchen Kunde ist.«
»Und weiter?« fragte sie.
Er grinste sie an, wobei sich die Narbe am rechten Mundwinkel verzog. »Dann arrangieren wir eine hübsche kleine Überraschung.« Er wies mit dem Daumen zu dem Tablett auf der kleinen Anrichte. »Mach mir was zu trinken!«
June mochte es nicht, wenn man sie herumschickte. Doch sie war intelligent und zeigte ihren Ärger nicht. Das hätte Pete nur gefallen. Sie ging zur Anrichte, schenkte Whisky in ein Glas und reichte es ihm.
Pete trank. »Irgendwelche Polizisten müssen doch ein- oder zweimal im Monat zu einem Mädchen gehen«, meinte er.
»Ich habe nie von so was gehört, Pete.« Sie kehrte zu ihrem Sessel zurück.
»Im ganzen Land gibt es keine Polizeiabteilung, die da nicht mitspielt.«
»In Fortrow kennt jeder jeden, das macht einen Unterschied. Alle Polizisten scheinen ehrlich zu sein.«
»Dann hat man ihnen nicht genug Bestechungsgelder angeboten. Ich sage dir, ich brauche einen weichen Polizisten, und zwar sofort. Wenn’s ein paar Hunderter kostet, protestiere ich nicht.«
»Da ist doch was schiefgegangen, hm?« fragte sie schlau.
Er preßte den Mund zusammen. »Nichts ist schiefgegangen«, erklärte er verbissen. »Verstehst du? Überhaupt nichts.«
»Ich begreife.«
Er war beruhigt. »Du bist eine kluge Person, June!«
Manchmal verglich Heather sich und ihren Mann mit zwei Magneten, die sich anzogen, und dann plötzlich, wenn sie nahe beieinander waren, wechselte der eine die Pole und sie stießen sich mit der gleichen Macht ab, mit der sie sich angezogen hatten. Objektiv betrachtet war es unglaublich, daß sie sich immer noch liebten – woran sie nicht zweifelte – und trotzdem bis aufs Blut stritten und dabei haßten. Das Problem war Freds Eifersucht. Keine Frau konnte es auf die Dauer aushalten, ständig der Untreue verdächtigt zu werden. Aber warum hatte sie keine Lust mehr, ihn davon zu überzeugen, daß sie ihn nicht betrog, ganz gleich, was er dachte? Wollte sie ihn unbewußt verletzen, weil er sie mit seinen Zweifeln so quälte? Um halb fünf Uhr traf sie bei Raymond ein. Seine Wohnung war wie er selbst: großzügig, heiter, für den Durchschnittsgeschmack vielleicht etwas zu ätherisch, manche Fehler absichtlich betont und übertrieben. Die drei Fotostudios lagen im Erdgeschoß und im Keller, Raymond hatte in ihre Einrichtung enorme Summen gesteckt, deren Höhe in seinen Erzählungen je nach Laune variierte. Er war beinahe ein Genie. Es war seine Spezialität, allen Frauen, die er fotografierte, ganz gleich, ob sie bekleidet waren oder nicht, das besondere Etwas zu verleihen, das sie unvergeßlich machte. Seine Nacktfotos waren nach modernen Maßstäben etwas zu kühl, doch seine Modefotos waren sehr begehrt. Seine Mannequins versprachen viel, ohne auch nur einen Hauch zuviel Haut zu zeigen.
Heather war nicht überrascht, daß Raymond mit einem anderen Auftrag noch nicht fertig war, obwohl sie eine Viertelstunde zu spät kam. Raymond war ein Perfektionist. Sie setzte sich in die winzige Halle, die in lebhaften Farben eingerichtet war, zündete sich eine Zigarette an und entspannte sich. Ihre erste Begegnung mit Raymond fiel ihr ein. Er hatte sie auf der Straße angesprochen, sie hatte geglaubt, er wolle nur eine Eroberung machen, und ihn entsprechend behandelt. Er hatte ihre Feindseligkeit ignoriert und sie sehr bald davon überzeugt, daß er Fotograf war und sie nur fotografieren wollte. Er hatte Probeaufnahmen gemacht, an einem Dienstagnachmittag, und sie war erstaunt gewesen, wie attraktiv sie aussehen konnte. Er bot ihr an, als Fotomannequin zu arbeiten, gut bezahlt – damals hatte sie sogar gefunden, daß sie unglaublich gut bezahlt würde –, und sie hatte angenommen.
In den zwei Jahren, die seitdem verstrichen waren, hatte sie ihn zu schätzen gelernt. Er war kein Mann, sondern ein Neutrum, ein leidenschaftlicher Fotograf, der nur an seine Bilder dachte.
Sie hatte schon immer eine Schwäche gehabt für den Luxus im Leben, trotz oder vielleicht gerade weil ihre Eltern nicht viel Geld gehabt hatten und sie sich mit wenig begnügen mußte. Sie hatte früh geheiratet, ihre Ehe war wunderbar gewesen, nur hatten sie eben jeden Penny umdrehen müssen. Dann hatte sie begonnen zu verdienen. Anfangs war Fred dankbar gewesen, wenn auch ein wenig unsicher, denn er war überzeugt, daß Raymond mehr von ihr wollte als nur Fotos. Als sie mehr verdiente als er, hatte sich seine Freude und Dankbarkeit in Zorn verwandelt, sein Mißtrauen in Eifersucht, die auf nichts anderem beruhte als seiner eigenen Einbildung. Vielleicht hätten sie sich weiter vertragen, wenn sie nach ihrem ersten ernsthaften Streit ihre Arbeit aufgegeben hätte. Doch da konnte sie es schon nicht mehr. Sie genoß den Luxus zu sehr, den sie sich mit ihren Honoraren kaufen konnte. Außerdem war es verrückt, seiner absurden Eifersucht nachzugeben …
»Da bin ich, Liebling, fangen wir an! Entschuldige, daß ich dich warten ließ, aber ich stecke bis über die Ohren in Aufträgen.« Heather war so in Gedanken versunken, daß Raymonds Worte sie beinahe erschreckten. »Wir schweben wohl im siebten Himmel, was? Verloren für die Welt, versunken in Träumen vom Nirwana, oder handelt es sich um was Irdischeres? Los, zieh dich um! Jetzt geht’s an die Arbeit, Liebling!« Er kicherte.
Diesmal sollte sie nackt posieren. Sie ging in den kleinen Umkleideraum neben dem ersten Studio und zog sich aus. Dann trat sie vor die Kameras, ihre Nacktheit war einfach ein Kostümwechsel für sie.
»Heute machen wir sensationelle Aufnahmen, meine Liebe. Du wirst besser sein als die schöne Helena es je war. Die Fotos gehen nach Deutschland, und die sind anspruchsvoll.« Wieder kicherte er. »Schwierige Kunden.« Er machte alles allein, er wollte keinen Assistenten um sich haben, wenn es nicht unbedingt nötig war.
Für ihn zu posieren war nicht einfach. Immer wieder mußte sie eine neue Stellung einnehmen, wenn ihm etwas nicht paßte, konnte er sehr sarkastisch werden. Daß ihr die Anstrengung zuviel werden würde, interessierte ihn nicht.
»Komm schon, Kindchen!« schrie er. »Sei nicht so steif! Du bist das Mädchen unserer Träume! Versuch zu lächeln … lächle … nein, das ist kein Lächeln, meine Liebe, das ist eine verdammte mühsame Grimasse, als wenn man dir eben den Kopf abgeschlagen hätte! Lächle, lächle, als würde Pan dir auf der Flöte eine Weise spielen!« Plötzlich änderte er seinen Ton. »Verdammt noch mal, Heather, was ist heute mit dir los? Du bist schlecht wie noch nie!«
Sie entspannte sich und rieb sich die Stirn. »Ich habe schrecklich Kopfweh, Raymond.«
»Ja, ja!« Er glaubte ihr nicht.
»Hör, ich werde mich zusammennehmen.«
»Wir machen eine Pause. Möchtest du was essen?«
»Nein, danke. Vielleicht etwas trinken.«
Sie ging in die Umkleidekabine und warf sich ein Badetuch über. Als sie zurückkehrte, hatte er ihr einen Campari mit Martini und Soda eingegossen. Sie stießen an und Heather trank.
Raymond setzte sich rechts neben eine seiner Kameras, die alle auf schweren Stativen standen, und zündete sich eine parfümierte Zigarette an, ohne Heather eine anzubieten. Er wußte, daß sie sie nicht mochte. Über sein Glas hinweg betrachtete er sie prüfend. »Los, Mädchen, erzähl dem guten Onkel, was du für Sorgen hast und warum du nicht lächeln kannst, als wär’s Frühling und blühten die ersten Blumen?«
Seine Stimme konnte etwas Überzeugendes, fast Hypnotisches haben. Sie hatte keine Hemmungen, ihm die Wahrheit zu erzählen, obgleich sie nicht zu den Frauen gehörte, die sich über Probleme beklagten. »Es ist nichts von Bedeutung – nur wieder ein Familienstreit.«
»Wieder der vielgeliebte Ehemann? Was für ein Langweiler! Sag ihm, er soll getrocknete Pflaumen essen. Das ist gut gegen Verstopfung!«
Sie lächelte flüchtig bei dem Gedanken, wie Fred auf einen solchen Vorschlag reagieren würde.
»Er ist ein mißtrauischer Knabe, was? Muß eine verdammt schmutzige Phantasie haben. Glaubt er wirklich, daß ich dich stundenlang ins Bett lege? Wäre viel zu ermüdend für mich. Da höre ich mir lieber Mozart an, vor allem, wenn es heiß ist. Wirklich, kannst du deinen Mann nicht überreden herzukommen, damit er sich selbst überzeugt, was hier im Studio los ist? Außerdem könnte ich ein gut aussehendes männliches Modell mit viel Haar brauchen.«
Heather lachte. Fred als Dressman war einfach eine zu groteske Vorstellung.
Raymond redete weiter, stellte Fragen und beobachtete sie mit katzenhaft zusammengezogenen Augen.
Eine Viertelstunde später – sie hatten noch einen Campari getrunken – begannen sie, wieder zu arbeiten. Er war mit Heather zufrieden und machte eine Aufnahme nach der anderen. Am Schluß beglückwünschte er sie und meinte, dies seien die besten Aufnahmen, die er je von ihr geschossen habe.