13

Obwohl sich Rowan immer wieder glauben machen wollte, daß sein schlechtes Gewissen es ihm bloß einredete und alles reine Einbildung sei, war die versteckte Feindseligkeit, die ihm viele Männer der uniformierten Abteilung plötzlich entgegenbrachten, nicht länger zu übersehen. Sie erschreckte ihn, denn er konnte sich keinen Grund vorstellen, warum sie es gerade auf ihn abgesehen hatten. Dann wurde er zu Fusil gerufen. Als er beim Eintreten die Gesichter von Fusil und Braddon sah, begriff er, daß die Katastrophe im Anrollen war.

»Setzen Sie sich!« Fusil deutete auf einen Stuhl vor seinem Schreibtisch.

Rowan gehorchte. Verzweifelt dachte er an Heather und Tracy.

»Sie wissen, warum ich Sie habe rufen lassen?« fragte Fusil kalt.

»Nein, Sir!« Rowan bemerkte, daß Braddon selbst mitschrieb. Fusil war sich also nicht hundertprozentig sicher, und deshalb sollten beim augenblicklichen Stand der Dinge offensichtlich nur die erfahrenen älteren Kollegen eingeweiht werden.

Fusil nahm die Pfeife vom Schreibtisch und spielte mit ihr. Zum erstenmal wußte er nicht recht, wie er einen Zeugen verhören sollte, vor allem, weil er sich noch immer weigerte, an Rowans Schuld zu glauben. »Sagt Ihnen der Name Longman irgend etwas?« fragte er schließlich.

Sie hatten also entdeckt, daß er sich an Interpol gewandt hatte. »Ja, Sir! Harry Longman. Ich fürchte, ich habe vergessen zu melden, daß ich entgegen den Vorschriften die Anfrage direkt beim Verbindungsbeamten in London gestellt habe.«

»Wieso interessierten Sie sich für ihn?«

»Einem Gerücht nach soll er mit dem neuen Mob in der Stadt etwas zu tun haben.«

»In welcher Beziehung?«

»Das habe ich nicht feststellen können. Deshalb dachte ich, es sei ganz nützlich, über seine Verhaftung Näheres zu erfahren. Danach war ich aber nicht viel klüger und habe die Sache fallengelassen.«

Erfolgreich zu lügen, war nicht so schwierig. Das wußte Fusil. Man brauchte nur seine offensichtlichen Fehler zuzugeben und unter Ausnützung aller bekannten Tatsachen vage bleiben. Schließlich hatte Rowan während seiner Arbeit als Kriminalbeamter eine Menge Krimineller verhört und kannte mittlerweile alle Regeln, wie man sich aus der Schlinge zog. »Warum wurde er verhaftet?« fragte Fusil.

»Er hat sich in einer kleinen Bar vollaufen lassen und zwei Polizisten tätlich angegriffen. Er war betrunken und hat randaliert, nichts weiter.«

Fusil steckte sich seine Pfeife an und paffte dicke beißende Rauchwolken zur Decke. »Wo war die Bar?«

»Weiß ich nicht mehr, Sir!«

»Wo hat er gewohnt?«

»Das habe ich nicht erfahren.«

»Wenn er wirklich mit den Gangstern Kontakt hatte, wäre es aber wichtig gewesen, seinen Aufenthaltsort festzustellen.«

»Ich finde, nicht.«

»Na, hören Sie, Sie sind doch nicht dumm! Wenn die Bar zum Beispiel von seinem Hotel weit entfernt war, warum ging er ausgerechnet dorthin? Oder lag die Bar etwa im Touristenviertel?«

»Ich weiß es nicht.«

»Und doch wollten Sie Genaueres über ihn feststellen?«

»Als ich wußte, daß es sich nur um Trunkenheit handelte, nicht mehr.«

»Schon eine oberflächliche Untersuchung hätte ergeben, daß die Calle Juan de Moyá nicht im Stadtzentrum von Palma liegt, sondern in einem schäbigen Arbeiterviertel. Kein Tourist hat auch nur den geringsten Anlaß, da hinzugehen.«

Rowan schwieg.

»Kennen Sie den wahren Grund, warum er in dieser Bar erschien?«

»Ich weiß nicht mehr, als was ich Ihnen erzählt habe, Sir.«

»Er sollte dort einen Mann treffen, der ihm einen Aktenkoffer übergeben wollte. Mit dem Aktenkoffer sollte er nach England fliegen. Dafür hätte er eintausend Pfund gekriegt. Was schließen Sie daraus?«

Rowan mußte antworten. »Es ging um Rauschgift«, sagte er. »Heroin«, verbesserte ihn Fusil. »Ihre ursprüngliche Information, daß Longman mit dem Mob in Verbindung stand, stimmte also. Aber das war Ihnen lange, bevor sich Longman im Gefängnis verriet, schon bekannt. Woher?«

»Wie ich sagte, ich hörte ein Gerücht.«

»Von wem?«

»Sie wissen doch, daß wir die Namen unserer Spitzel nie verraten«, meinte Rowan, obgleich er ahnte, was nun kam.

»Gewöhnlich nicht. In diesem Fall ist es wichtig. Wer hat es Ihnen erzählt?«

Wenn er einen Namen nannte, würde man den Mann verhören und seine Lüge aufdecken. »An irgendeinem Vormittag erhielt ich einen Anruf. Wer der Anrufer war, weiß ich nicht.«

»Sie kennen doch die Stimmen Ihrer Spitzel!«

»Er gehörte nicht zu meinen Stammkunden.«

»Warum sollte ein Neuling in der Branche Sie anrufen und informieren?«

»Ich weiß es nicht. Aber so war es.«

»Wieviel haben Sie ihm bezahlt?«

»Nichts. Er wollte kein Geld. Ich habe auch nie wieder von ihm gehört.«

Wütend biß Fusil auf den Pfeifenstiel. Ein solcher Haß auf Rowan wallte in ihm auf, daß er sich kaum beherrschen konnte. Rowan war der Verräter. Wenn jemand sich zu Spitzeldiensten hergab, dann verlangte derjenige entweder Geld, womit er das schmutzige Geschäft zugab, oder er nannte einen Grund – zum Beispiel Eifersucht –, damit er nicht mit den üblichen Spitzeln in einen Topf geworfen wurde. Rowan war gerissen. Man würde ihm nur schwer – oder gar nicht – nachweisen können, daß seine Geschichte erfunden war. »Wieso kamen Sie zu dem Schluß, daß der Tip über Longman nicht weiter wichtig war? Obwohl Sie nichts Genaueres über ihn wußten?«

»Zu der Zeit hatten wir soviel zu tun, daß ich den Bericht über den Streit in der Bar für das nahm, was er zu sein schien.«

Fusils Augen verengten sich zu Schlitzen, ein Zeichen, daß er sehr wütend war. »Sie waren bei der Lagebesprechung?«

»Ja, Sir.«

»Was taten Sie danach?«

Rowan konnte noch nicht erkennen, aus welcher Richtung ihm neue Gefahr drohte. »Ich verließ das Büro, um ein paar Nachforschungen anzustellen.« »In welcher Sache?«

»Es handelte sich um den Überfall am East Bratby Cross.«

»Wohin gingen Sie?«

»Ich war überall. Ich hoffte, einen Hinweis aufzustöbern, aber es war nichts.«

»Waren Sie offiziell im Dienst?«

»Zu der Zeit nicht.«

»Deshalb trugen Sie es auch nicht im Dienstbuch ein?«

»Nein. Ich hatte nichts Neues erfahren.«

»Wie kamen Sie zum Bratby Cross?«

»Mit dem Bus.«

»Von der Haltestelle weiter unten an der Straße?«

»Ja.«

»Warum haben Sie dann von der Telefonzelle weiter oben telefoniert?«

Wenn Fusil gehofft hatte, Rowan durch die unerwartete Frage aus dem Konzept zu bringen, so gelang es ihm nicht. Rowan war oft bei Fusils Verhören dabeigewesen und kannte seinen Trick, die Wachsamkeit des Verdächtigen durch harmlose Fragen einzuschläfern, um ihm dann abrupt eine Frage an den Kopf zu werfen, auf die er nicht gefaßt war und die auf Informationen beruhte, die er bis dahin noch nicht erwähnt hatte. Daß man ihm eine Falle stellen wollte, hatte Rowan sehr schnell erkannt, auch daß der Zeitfaktor eine wichtige Rolle spielte. Deshalb hatte er jetzt seine Antwort bereit. »Ich habe meine Frau angerufen, Sir«, erklärte er, »daß es später werden würde. Es war einfach das nächste Telefon. Da wir nicht vom Büro aus privat telefonieren sollen …«

Fusil dachte an Passmore, der geahnt zu haben schien, was Rowan sagen würde. Er legte seine Pfeife auf die Schreibtischplatte, sah Rowan scharf an und sagte mit harter Stimme: »Sie lügen! Sie haben von dem Augenblick, als Sie mein Büro betraten, gelogen!«

»Nein«, antwortete Rowan. »Ich habe keinen Grund dazu.«

»O doch! Sie haben einen der Gangster angerufen und den Mob vor unserer Großaktion gewarnt.«

Rowan war entsetzt darüber, daß Fusil seinen Verdacht laut aussprach, obwohl er darauf gefaßt war. »Das ist lächerlich!« protestierte er.

»Ihre Anfrage in Palma geschah ebenfalls, um die Organisation zu informieren. Deshalb gibt es keine Unterlagen darüber, und wenn mir die spanische Polizei nicht einen Brief geschrieben hätte, würde ich es nie erfahren haben.«

»Sie haben kein Recht …«

»Sie sind ein Verräter! Sie, ein Kriminalbeamter!« Fusil ließ seinem Haß und seiner Verachtung freien Lauf. »Sie haben Ihre Abteilung verraten! Sie haben uns alle verraten! Was waren Ihre dreißig Silberlinge? Eintausend Pfund? Oder waren Sie schon mit ein paar hundert zufrieden, wie ein billiger Ganove?«

»Sie haben keine Beweise!«

»Die finden wir noch, da können Sie Ihre kleine Krämerseele beruhigen …« Er brach ab, nahm seine Pfeife und zündete sie wieder an, um sich abzulenken. Er mußte bei diesem Verhör sachlich bleiben. »Ich werde dem Polizeichef darüber berichten. Er wird sicherlich einen Beamten von einer anderen Abteilung mit einer genauen Untersuchung beauftragen. Sie werden sich bereit halten, alle Fragen zu beantworten, die er oder irgend jemand sonst Ihnen stellt, und in jeder Beziehung behilflich sein. Ist das klar?«

Rowan schwieg weiter. Braddon hob den Kopf und sah ihn an. Sein trauriges Bluthundgesicht verriet Verachtung, zugleich aber auch einen gewissen Zweifel.

Tracy war zu Bett gegangen. Sie war fröhlich gewesen, zu hundert dummen Streichen aufgelegt. Es war eine Ironie des Schicksals, daß sie ihre Unbeschwertheit gerade dann wiedergefunden hatte, als ihre Eltern in eine so schwierige Lage kamen.

»Was werden sie tun, Fred?« fragte Heather bedrückt.

Er spielte mit dem Glas in seiner Hand. »Jeden Stein um und umdrehen und nach Beweisen suchen, die irgendwo ja sein müssen.«

»Was bedeutet das?«

»Man wird unseren Lebensstandard unter die Lupe nehmen, unser Bankkonto überprüfen, unsere Rechnungen und Belege, und nach dem Extrageld suchen, das ich von den Gangstern angeblich bekommen habe.«

»Wir haben einen Farbfernseher«, sagte sie mit Panik in der Stimme, »und eine luxuriöse Cocktailbar und teure Teppiche und Vorhänge. Und was ist mit unseren beiden Autos …«

»Wir können sehr leicht beweisen, daß wir diese Sachen mit deinem Verdienst gekauft haben.« Er war nicht mehr verbittert, wenn er von ihrer Arbeit als Fotomodell sprach, obwohl sie die Ursache aller Schwierigkeiten war.

»Dann werden sie nichts Wichtiges finden?« fragte Heather.

»Nicht sofort. Aber Fusil ist zu gerissen, um es dabei bewenden zu lassen. Wenn er kein heißes Geld findet, wird er annehmen, daß es um was anderes ging, und noch woanders suchen. Er wird sich an Raymond ranmachen und ihn geschickt ausfragen. Wie lange wird der hart bleiben?« Fragend starrte er sie an.

Am liebsten hätte Heather gelogen, doch sie konnte es nicht. Raymond würde nur solange leugnen, bis sie ihn unter Druck setzten. Dann würde er sofort zusammenbrechen.

Er nickte, als hätte sie ihren Gedanken laut ausgesprochen. »Ja«, meinte er, »Fusil wird die Wahrheit rauskriegen.«

»Aber … Wenn sie über die Erpressung Bescheid wissen, müssen sie doch einsehen, daß du nicht anders handeln konntest.«

»Ich habe dir schon gesagt, daß es in diesem Fall nichts zu bedeuten hat.«

»Aber dieses Argument muß doch zählen!« rief sie heftig.

Rowan stand auf und setzte sich neben sie auf die Couch.

»Vielleicht dauert es ihnen zu lange«, meinte sie. »Vielleicht entdecken sie niemals genug Beweise, selbst wenn sie genau wissen, was passiert ist. Du hast mir mal gesagt, daß so was möglich ist.«

»Schon. Aber nicht sehr häufig.«

»Vielleicht haben wir Glück!« sagte sie hastig. »Wir haben ein bißchen Glück verdient, weiß Gott!«

Obwohl er ihr lieber diese Hoffnung gelassen hätte, sagte er die Wahrheit, weil sie letzten Endes weniger weh tat. »Wir können nicht warten, Heather. Die Organisation hat mir befohlen, den Namen des Informanten herauszufinden. Wenn ich ihn ihnen nicht sage, bin ich erledigt.«

Ihr Mund begann zu zittern. Plötzlich erkannte sie, daß es keine Hoffnung mehr gab.

Er starrte in den Kamin, in dem eine Pyramide aus bemalten Tannenzapfen stand, und überlegte, was für eine Strafe er kriegen würde – fünf Jahre? Vielleicht kam er so glimpflich davon, weil man ihn erpreßt hatte – oder würden die Gangster behaupten, er hätte Geld genommen, weil es dann keine Gnade gab und sie sich über eine harte Bestrafung um so mehr freuten?

»Was immer passiert, Fred«, sagte Heather mit belegter Stimme, »ich kenne die Wahrheit und weiß, daß du es für Tracy und mich getan hast. Ich werde immer zu dir stehen. Denk daran, wenn … wenn es ganz schlimm wird!«

»Ich werde daran denken«, versprach er. Ob Heather auch nur die geringste Ahnung hatte, wie schlimm es werden konnte? In jedem Gefängnis waren Spitzel, Kinderverführer und korrupte Polizisten die bestgehaßten Männer.

 

Rowan wußte nicht, wie spät es war. Er lag auf dem Rücken und starrte an die Decke, zu faul, den Arm zu heben und auf das Leuchtzifferblatt seiner Uhr zu sehen. Ein Wagen fuhr vorbei, in einem zu niedrigen Gang, der Motor heulte auf. Doch das verriet auch nicht die genaue Zeit, denn Verkehr herrschte die ganze Nacht.

Er überlegte, ob er Verbrecher auch so hypnotisiert hatte wie Fusil jetzt ihn, ob sie auch sofort geglaubt hatten, daß sie bald verhaftet würden? Warum, zum Teufel, hatte er bisher nur an Aufgabe gedacht, an Niederlage, und nicht an Kampf? Fusil konnte ihn soviel verdächtigen, wie er wollte, doch es würde eine Weile dauern, bis er Beweise fand. Die Gangster würden ihn auch nicht so schnell über die Klinge springen lassen, weil er ihnen viel zu nützlich sein konnte, sie würden ihm erst einmal heftiger drohen, damit er sich noch mehr Mühe gab, den Informanten zu finden. Er hatte also Zeit, und so auch die Möglichkeit zu kämpfen und sich aus seiner hoffnungslosen Lage zu befreien, die nur deshalb hoffnungslos war, weil er sich passiv verhielt und nur versuchte, sich das Unglück vom Leib zu halten, statt einzusehen, daß er seine Haut retten konnte, wenn er die bewußten Fotos und das Päckchen mit der Unterwäsche fand. Er hatte wie ein Polizist gedacht statt wie ein Dieb!

Aber war es so einfach? Schon lange versuchte die Polizei, den Mann an der Spitze der Organisation zu finden. Es war ihr nicht gelungen, trotz der vielen erfahrenen Kriminalbeamten. Und falls er einen der großen Gangster erwischte, was weiter? Selbst stundenlange Verhöre durch die schärfsten und erfahrensten Beamten zwangen einen gerissenen Verbrecher nicht in die Knie, wenn eine Gangsterorganisation hinter ihm stand. Der Mob hatte Spitzenanwälte, die das Recht verdrehten, Geld für Bestechungen und Schläger zum Einschüchtern von Zeugen. Der Verbrecher brauchte nur seinen Mund zu halten, weil er wußte, daß es sich bezahlt machen würde …

Aber er dachte schon wieder wie ein Polizist. Es gab immer noch andere Mittel und Wege. Und wenn ein Mann in Gefahr war, seine Frau und sein Kind zu verlieren, brauchte er sich an keine Gesetze mehr zu halten.

Der Gedanke, daß er kämpfen konnte, erfüllte ihn mit solcher Hoffnung, daß plötzlich alles möglich schien.