14
Der Polizeichef strich sich mit dem rechten Zeigefinger über die Enden seines Schnurrbarts. »Sind Sie sicher?« fragte er zweifelnd.
Fusil warf Kywood auf der andern Seite des runden Tisches einen kurzen Blick zu. Kywood nickte. »Ob ich sicher bin, daß Rowan der Verräter ist?« sagte Fusil zögernd. »So sicher, wie man sein kann, wenn man nicht viele Beweise hat und nur so ein bestimmtes Gefühl, daß Rowan bei unserer Unterhaltung nicht ehrlich war. Auf jeden Fall bin ich dafür, daß eine offizielle Untersuchung eingeleitet wird.«
Der Polizeichef strich sich über die Nase.
»Wen beauftragen wir damit, Sir?« fragte ihn Kywood. »Beamte aus London oder von der Grafschaftspolizei?« Er war ein Mann, der unangenehme Dinge nach Möglichkeit übersah, doch diesmal versuchte er nicht, sich zu drücken.
»Auf keinen Fall London«, sagte der Polizeichef. »Die haben dort selten Verständnis für eine kleinere Stadt.«
Die Sache würde bald zum Himmel stinken, man mußte mit Takt und Vorsicht an sie herangehen – ohne natürlich etwas zu beschönigen –, damit der Gestank der Öffentlichkeit nicht zu sehr in die Nase stieg. Andererseits, so dachten alle, konnte die Grafschaftspolizei den Fall absichtlich rücksichtslos behandeln, denn in je schlechterem Licht die Stadtpolizei dastand, desto offensichtlicher würde es für gewisse Leute sein, daß sie ein demoralisierter Haufen war, der so schnell wie möglich in die Grafschaftspolizei eingegliedert werden mußte.
»Nun gut, Gentlemen«, erklärte der Polizeichef sachlich, »dann werde ich den Kollegen von der Grafschaftspolizei bitten, uns zu helfen.« Ungeduldig klopfte er mit den Fingern auf den Tisch. »Was machen wir inzwischen mit Constable Rowan?«
»Ich empfehle seine Suspendierung bei vollem Gehalt wegen einer gegen ihn eingeleiteten Untersuchung!« antwortete Kywood.
Fusil nickte.
Murphy strich sich über die Enden seines Schnurrbarts, eine Geste, die er mit dem Polizeichef gemeinsam hatte. »Willst du behaupten, daß kein Mensch weiß, wer der Informant ist?« fragte er.
»Kein Mensch, Ed! Ich habe meine Leute überall in der Stadt. Sie haben nichts erfahren.« Pete Faraday ahnte, wer es sein konnte, doch er behielt diese Ahnung für sich. Er hatte keine Lust einzugestehen, daß Steve Allen von einem seiner Leute zusammengeschlagen wurde, weil er es im Rausch befahl.
Murphy befingerte seinen Krawattenknoten. »Wir sind erst sicher, wenn wir ihn haben.«
»Glaubst du?« meinte Faraday arrogant. »Sonst hat er nichts verraten, also wußte er nicht viel.«
Gerade dieser Punkt beschäftigte Murphy besonders. Warum hatte der Typ der Polizei nur das Eintreffen der einen Lieferung verraten? Er gehörte zu den Männern, deren Pläne immer von der Möglichkeit der Durchführung bestimmt wurden, und er mißtraute Situationen, die er nicht verstand. »Hat der Polizist sich noch nicht gemeldet?«
»Nein. Er hat gesagt, er tut sein Möglichstes, aber bis jetzt hat er nicht das kleinste Gerücht gehört.«
»Mach ihm die Hölle heiß!«
»Das haben wir schon getan, Ed!«
Es klopfte an die Tür, und dann trat einer der Pakistani ein. »Zehn Uhr, Mr. Murphy«, sagte er. Kein englischer Butler der alten Schule hätte es besser machen können.
»Ja, danke. Ich muß in die Stadt, Pete. Du kümmerst dich also um ihn!«
»Natürlich!«
»Und schick mir was Nettes für heute abend.«
»Ich werde dran denken.«
Murphy ging. Faraday stand mitten im Zimmer und beobachtete durch ein Fenster, wie Murphy auf den Rover zuschritt und ein Pakistani – Faraday machte sich nie die Mühe, sie zu unterscheiden – ihm den Wagenschlag öffnete. Murphy stieg ein. Der Pakistani schob sich hinter das Steuer, und der große Wagen glitt lautlos davon. Er tut, als wäre er ein Generaldirektor, dachte Faraday. Dann fiel ihm ein, daß Murphy tatsächlich ein riesiges Unternehmen leitete, wenn man den Reingewinn mit dem anderer Firmen verglich. Die Organisation funktionierte wie am Schnürchen, die Mädchen waren friedlich, und der Überschuß an Heroin wurde in anderen Städten verkauft, wo es noch kein durchorganisiertes Verkaufsnetz gab. Die Höhe der eingehenden Gelder war atemberaubend. Faraday wußte nicht genau, wieviel es war – nur Murphy war genau informiert –, doch er konnte es ungefähr schätzen. Schon wurden manche Beträge in legale Unternehmen investiert. In fünf Jahren, vielleicht schon in drei, würden sie die ganze Stadt im Griff haben. Dann konnte ihnen niemand mehr was anhaben. Er berichtigte sich. Das war schon jetzt der Fall. Sie waren zu mächtig und reich geworden für die Polizei, die sich bei allem an die Gesetze halten mußte.
Die Tür ging auf, und ein Pakistani trat ein. »Sie gehen, Sir?«
War das eine Frage oder mehr ein Befehl? Eines Tages, überlegte Faraday wieder mal, werde ich den Kerlen noch anständige Manieren beibringen.
Als er im Wagen saß, fiel ihm ein, daß er Babs wegen heute abend Bescheid geben mußte. Murphy wollte sich amüsieren.
Fusil stand hinter seinem Schreibtisch, Kriminalsergeant Braddon rechts neben ihm. »Sie sind vom Dienst suspendiert«, sagte er zu Rowan, »weil eine Untersuchung gegen Sie läuft. Sie erhalten Ihre vollen Bezüge weiter. Im Interesse der Sache und in Ihrem eigenen Interesse werden Sie mit dem verantwortlichen Mann voll zusammenarbeiten.«
»Mit andern Worten«, antwortete Rowan erbittert, »ich soll den Kopf freiwillig in die Schlinge stecken, damit Sie sich nicht die Mühe machen müssen, sie mir umzulegen.«
Fusil sah noch wütender drein als vorher. Kein vernünftiger Mensch konnte behaupten, daß er für den Verlauf der Dinge verantwortlich war. Trotzdem fühlte er sich irgendwie schuldig.
Braddon, dessen Anzug noch schlimmer an ihm herunterhing als gewöhnlich, weil er in vorgebeugter Haltung dastand, war immer noch verblüfft. Seit dreiundzwanzig Jahren war er Polizist und hatte in dieser Zeit ein paarmal erlebt, daß ein Beamter bestochen worden war, doch warum Rowan auf die schiefe Bahn geraten war, begriff er einfach nicht. Im Gegensatz zu Fusil, dessen Urteilsvermögen durch Haß und Wut beeinträchtigt war, glaubte er, daß Rowan es nicht aus Geldgier getan hatte.
»Das wär’s«, sagte Fusil.
Rowan verließ das Büro und ging ins Dienstzimmer, entschlossen, die Sache mit seinen drei Kollegen auszufechten, obwohl er so eine Auseinandersetzung hätte vermeiden können.
Yarrow war einfach neugierig, in einer herablassenden Art, als erweise er Rowan eine Gnade. »Hallo, alter Knabe. Wie lief’s denn?«
»Wie ich’s erwartet habe«, antwortete Rowan. Er trat an seinen Schreibtisch, zog die oberste rechte Schublade heraus und begann, einige persönliche Habseligkeiten herauszunehmen, darunter ein kleines Lederalbum mit Fotografien von Heather und Tracy. »Ich bin suspendiert worden, weil man die Sache genauer untersuchen will.«
»Wer?« fragte Yarrow.
»Die Grafschaftspolizei.«
»Tatsächlich! Wen sie da wohl nehmen? Es könnte leicht sein, daß mein Onkel …«
»Warum hältst du nicht den Mund?« unterbrach ihn Kerr.
»Was soll das heißen?« protestierte Yarrow.
»Wenn du das nicht selbst weißt, dann bist du noch dümmer als ich dachte.«
»Halt deine Zunge im Zaum, mein Lieber, oder ich …« schrie Yarrow wütend.
»Nichts tust du, verdammt noch mal!« unterbrach ihn Welland.
Wer bei einer Prügelei zwischen Welland und Yarrow Sieger bleiben würde, wußten sie alle. Yarrow bemühte sich, amüsierte Verachtung für so ein rüpelhaftes Benehmen zu zeigen, und blätterte in den Akten auf seinem Schreibtisch herum.
Erstaunlicherweise war es Welland, der die richtigen Worte fand. »Wir werden dir deinen Platz warm halten, Fred«, sagte er.
»Ganz bestimmt«, pflichtete Kerr bei.
Rowan bedankte sich. In seiner Stimme schwang etwas von dem freundschaftlichen Gefühl mit, das er für sie empfand. Er wußte, daß er ein schwieriger Kollege war und sie allen Grund hatten, mit einem Achselzucken über sein Verschwinden hinwegzugehen. Und trotzdem hatten sie ihm, ganz gegen ihre Art, ihr Mitgefühl gezeigt und verraten, daß sie an seine Unschuld glaubten.
Er ging, eine braune Papiertüte unter dem Arm, in die er seine paar persönlichen Dinge gesteckt hatte. Da er mit dem Bus gekommen war, lief er die Vordertreppe hinunter und am diensthabenden Polizisten vorbei zur Vordertür hinaus. Der Mann starrte ihn verachtungsvoll an.
Es war ein schöner Tag. Rowan ging die Südseite der Tideworth Road entlang und ließ sich von der Sonne bescheinen.
In der vergangenen Nacht, als er schlaflos neben Heather gelegen hatte, hatte er beschlossen zu kämpfen, etwas Positives zu unternehmen. Doch im Tageslicht sah die ganze Sache nicht mehr so einfach aus: Kämpfen – ja, aber wie denn? Wer und wo? Wo sollte er anfangen? Wie sollte er die Gangster an der Spitze finden – wenn die Polizei einer ganzen Stadt versagt hatte?
Er bog nach rechts in eine Seitenstraße ein, dann noch einmal nach rechts und stand vor einer kleinen, mit einem Zaun umgebenen Grünanlage. Er schritt durch das kunstvolle schmiedeeiserne Tor und setzte sich auf eine Bank. Auf der Nachbarbank saß eine junge Frau, die ihrer kleinen Tochter beim Taubenfüttern zusah. Ein Pärchen schlenderte Arm in Arm vorbei.
Die Polizei hatte alles getan, um eine Spur zu finden. Sie hatten unzählige Männer und Frauen verhört, hohe Belohnungen ausgesetzt – es hatte nichts genützt. Diejenigen, die Bescheid wußten, hatten zuviel Angst, und was die Polizeibeamten auch taten oder sagten, sie hielten den Mund. Sie konnten nicht noch mehr Druck ausüben, als sie schon ausgeübt hatten. Auch der dümmste Zuhälter wußte, daß Polizeiaktionen durch Gesetze und Vorschriften eingeengt waren, die zum Schutz der Unschuldigen gemacht worden waren und jetzt die Schuldigen deckten. Kein Mensch würde reden, wenn man ihn nicht richtig unter Druck setzte – wenn man nicht mit illegalen Mitteln vorging. Hatte er sich nicht heute nacht schon ermahnt, nicht wie ein Polizist zu denken, sondern wie ein Gangster?
Wo konnte er am besten ansetzen? Sicher bei Steve Allen, dem Zuhälter, der so brutal zusammengeschlagen worden war. Alles sprach dafür, daß er es gewesen war, der die Ankunft der Heroinlieferung verraten hatte. Er hatte es von irgend jemand erfahren, vermutlich von seinem Mädchen. Es spielte keine Rolle, daß man sie schon verhört hatte – ohne Ergebnis selbstverständlich.
Sie hieß … dann erinnerte er sich: Sie hieß Margot. Wie konnte er sie zum Reden bringen? Gerade hatte er den Entschluß gefaßt, mögliche Zeugen härter anzufassen, als es erlaubt war, und ihm fiel ein, daß alle Straßenmädchen jetzt Heroin verkauften.
Er stand auf und verließ die Anlage. Mit eiligen Schritten lief er die Straße entlang bis zu einer Filiale seiner Bank, wo er mit seiner Scheckkarte einen Scheck über dreißig Pfund einlöste. Dann fuhr er mit einem Bus zum alten Hafen, wo in einem baufälligen Rückgebäude ein Mann namens Compton wohnte. Er hatte ihm einmal aus der Verlegenheit geholfen und obwohl Compton kein Spitzel war, hatte er noch eine Schuld zu begleichen.
Compton war groß und dünn, und sein Gesicht so hager, daß man ihn hätte für magenkrank halten können. Seine Frau dagegen war sehr fett, ein riesiger Pudding von Frau. Das seltsame Paar war das Gespött der Nachbarn.
Compton öffnete zwei Flaschen Bier, ließ die Kapseln auf den Boden fallen und reichte Rowan die eine. Sie saßen in einem mit schweren Möbeln vollgestopften Vorderzimmer, in dem es leicht muffig roch, obwohl es makellos sauber war. Compton sah besorgt aus. Er hatte bei Rowans Erscheinen sofort geahnt, daß er etwas von ihm wollte.
»Prost«, sagte Rowan, »auf bessere Zeiten!«
Compton nickte. Er war kein Mann der vielen Worte.
Offenbar auf einen Wink von Compton – Rowan hatte nichts bemerkt – meinte seine fette Frau, daß sie kochen gehen müsse, und verließ das Zimmer. Rowan holte ein Päckchen Zigaretten aus der Jackentasche und bot es Compton an. Compton nahm eine Zigarette, zündete ein Streichholz an und gab Rowan und sich selbst Feuer.
Bei einem Mann wie ihm war es das beste, gleich zur Sache zu kommen. »Ich brauche Ihre Hilfe«, sagte Rowan deshalb rundheraus.
Compton packte seine Bierflasche und trank.
»Ich brauche ein bißchen Heroin.«
Compton war ganz offensichtlich entsetzt.
»Die meisten Pusher kennen mich«, fuhr Rowan fort, »und die mich nicht kennen, erraten sofort, wer ich bin. Da könnte ich ebensogut mit einem Eisberg durch die Hölle paddeln wollen. Aber Sie können mir was verschaffen.«
Compton räusperte sich. »Sie sind doch nicht süchtig, Mister?« Rowan schüttelte den Kopf.
»Was steckt dann dahinter?«
»Nichts, was Sie was angeht. Kein Mensch wird je auch nur den geringsten Grund haben, Sie nach Ihrer Quelle auszuhorchen.«
»Es gefällt mir nicht!«
»Ich bin in Schwierigkeiten«, drängte Rowan, »ich sitze wie auf Kohlen. Ich habe noch eine Chance, aus der Sache rauszukommen, und dazu brauche ich das Rauschgift.«
»Aber Heroin …« Compton trank. Sein vorstehender Adamsapfel hüpfte auf und nieder. »Sie wollen mich doch nicht reinlegen, Mister? Den Fixer festnehmen, weil er mir ein bißchen verkauft hat?«
»Ich habe Ihnen versprochen, daß niemand von unserem Geschäft erfährt. Ich warte hier bei Ihrer Frau, so wissen Sie, daß ich Ihnen nicht folgen werde.«
Compton trank die Flasche aus. Er strich sich über die zerfurchte Stirn, wischte sich über die hohen Backenknochen und nickte schließlich. Rowan gab ihm die dreißig Pfund. Compton zählt die Scheine nach und sah dann noch besorgter aus. »Sie wollen soviel?«
»Ja.«
Abwägend hielt er die Banknoten in der Hand, sah Rowan kurz an und steckte sie in die Hosentasche. Dann eilte er aus dem Zimmer, und Rowan hörte ihn nach seiner Frau rufen.
Die Haustür fiel ins Schloß, und Comptons Frau kam herein. Bisher hatte Rowan kaum ein paar Worte mit ihr gewechselt. Zu seinem Erstaunen entdeckte er, daß sie einen wachen Verstand hatte, und wenn sie auch nicht die übliche Schulbildung genossen hatte, so besaß sie doch ein ganz natürliches Gefühl für alles Schöne. Als Compton zurückkehrte, war Rowan etwas gereizt, weil er sich mit seiner Frau über so vieles unterhalten hatte, von dem er bejammernswert wenig Ahnung hatte.
Compton gab Rowan ein Medizinfläschchen mit einer Anzahl Kapseln darin. Sie waren gelb und mit feinem Pulver gefüllt. »Es ist guter Stoff«, sagte er, »nicht der chinesische Dreck. Hier sind zweieinhalb Pfund Rest.« Er reichte Rowan zwei Einpfundnoten und fünf Zehnpencestücke, die er genau abzählte.
Rowan bedankte sich. Die zehn Minuten bis zur Flinders Lane ging er zu Fuß. Die Häuser dort taugten nicht viel, aber sie waren besser erhalten als die in der Naples Road, wo er gerade gewesen war. Die meisten Bewohner waren zwielichtige Gestalten, im Gegensatz zu den Leuten in der Naples Road.
An der Tür von Nummer vierzehn hing ein Zettel, daß eine gewisse Margot »Französischunterricht« erteilte. Er läutete, und das Dienstmädchen ließ ihn ein. Auf seine Erklärung, daß er Margot sprechen wolle, wies sie nur schweigend mit dem Kopf in Richtung Treppe.
Vier Türen gingen von dem quadratischen Treppenabsatz im ersten Stock ab, an dreien stand ein Frauenname. Rowan klopfte an die Tür mit dem Schild »Margot«.
Sie öffnete und sagte ganz automatisch: »Hallo, mein Lieber, komm rein!« Dann musterte sie Rowan genauer und wurde sofort vorsichtig. »Ich glaube nicht …«
»CID«, antwortete er kurz. Er trat ein, ging zu dem einzigen Stuhl im Zimmer und setzte sich.
»Warum können Sie mich nicht in Ruhe lassen?« protestierte sie. »Ein Freund kommt mich gleich besuchen, und ich möchte nicht, daß er Sie hier trifft. Sie stören!«
»Sag ihm, er soll später wiederkommen«, meinte er. »Wenn er scharf auf dich ist, wird er schon warten!« Er beobachtete sie. Margot ließ sich auf die Bettkante sinken. Sie beschloß, sich über sein Benehmen nicht zu sehr zu beschweren, weil er sonst ihr Haus schärfer überwachen lassen würde. »Was wollen Sie?« fragte sie.
»Informationen«, antwortete er kurz.
»Von mir erfahren Sie nichts! Was ich weiß, hab’ ich den andern Polizisten schon erzählt. Ich weiß nichts, und wenn ich was wüßte, würde ich’s nicht verraten.«
»Du und Steve Allen habt zusammengearbeitet.«
Sie langte zum Nachttisch, wobei ihr der kurze Rock über die Schenkel zurückglitt, was sie aber nicht störte, und holte eine Zigarette aus dem Päckchen neben der Nachttischlampe. Sie zündete sie sich an.
»Sie haben Steve auseinandergenommen, nicht wahr? Sie haben ihn so zusammengeschlagen, daß er beinahe gestorben wäre. Warum?«
»Wie soll ich das wissen?«
»Was war es? Paßte es ihm nicht, daß der Mob sich in sein Geschäft einmischte?«
»Wenn Sie schon alle Antworten wissen«, spottete sie, »brauchen Sie ja nicht mehr zu fragen.«
»Sie haben ihn ganz schön erledigt. Für immer. In was für einer Verfassung war er – geistig, meine ich –, als er aus dem Krankenhaus entlassen wurde?«
»Keine Ahnung. Ich habe ihn nicht gesehen.«
»Unsinn. Er hat dich besucht.«
Margots Stimme wurde lauter. »Wer erzählt hier solche verdammten Lügen?«
»Er wollte ein paar Scheinchen, als Überbrückung sozusagen.« Sie zog heftig an ihrer Zigarette und starrte die Tür an.
»Und bei seinem Besuch hier hat er was erfahren, habe ich recht? Etwas, das du ihm erzählt hast!«
»Ich habe ihm nichts erzählt.«
»Du hast ihm das Ankunftsdatum der nächsten Heroinlieferung verraten!«
Jetzt hatte sie Angst. Sie machte sich in einem Schwall von Worten Luft: »Sie sind verrückt, Mister! Ich habe ihm nichts erzählt. Ich weiß von keinem Heroin. Er wollte ein bißchen Geld, da habe ich ihm einen Zehner gegeben, und das ist alles. Er ging, und seitdem habe ich ihn nicht mehr gesehen.«
»Wie hast du von dem Heroin erfahren?«
»Eben habe ich gesagt, daß …«
»Versuch’s noch einmal!«
Sie stand auf und drückte ihre Zigarette in einem Aschenbecher auf dem Nachttisch aus. »Gehen Sie!« sagte sie.
»Sofort. Wenn du’s mir erzählt hast.«
»Ich weiß nichts.«
»Warum machst du es dir nicht leichter?«
»Leichter machen?« schrie sie. »Das ist alles, was ihr Polizisten sagen könnt! Wie soll ich’s mir denn leichtermachen? Damit man mir die Kehle durchschneidet? Glauben Sie, ich bin lebensmüde? Mir gefällt’s auch nicht, aber so lebensmüde bin ich noch nicht! Also sage ich nichts! Weiß ich nichts! Überhaupt nichts! Und Sie können das Gegenteil nicht beweisen!« Sie tat ihm leid, weil sie solche Angst hatte, aber er mußte sie fertigmachen. »Hast du auch Heroin verschoben?«
»Nein.«
»Viele Mädchen tun es. Es wird jetzt schärfer gegen Drogenhändler vorgegangen. Ich habe gehört, daß ein Richter kürzlich einem Typ zehn Jahre gegeben hat.«
»Und?«
»Ich würde sagen, daß du mit etwas Glück mit drei Jahren davonkommst, es sei denn, der Richter hat gerade Verdauungsbeschwerden. Daß du eine Frau bist, würde auch nicht viel nützen, weil wir dem Gericht erzählen müßten, daß du eine Dirne bist, und da tut jeder sehr scheinheilig.«
Sie schrie ihn an zu verschwinden, in Worten, die direkt aus der Gosse kamen.
Langsam stand Rowan auf. »Ich werde dein Zimmer durchsuchen!«
»Einen Dreck werden Sie! Glauben Sie, ich bin von gestern? Wenn Sie keinen Durchsuchungsbefehl haben, werden Sie schön Ihre Finger davon lassen!«
Er stand auf und trat an den Schrank. Sie stellte sich neben die Alarmklingel. »Übertreib nicht«, sagte er gelassen. »Wenn du klingelst, sitzt du schön in der Tinte, und dann kann ich dir auch nicht mehr helfen.«
Sie zögerte, den Finger auf dem Alarmknopf, und überlegte, was sie von seiner Drohung halten sollte. Rowan öffnete die Schranktür, befühlte die Kleider und brachte nach einer Weile das Medizinfläschchen mit den gelben Kapseln zum Vorschein. Er reichte es ihr, und sie nahm es ohne lange zu überlegen in die Hand. Als sie erkannte, was sie getan hatte, ließ sie es fallen, doch Rowan war darauf gefaßt gewesen und fing es auf. Er hielt es am Plastikverschluß fest, um Margots Fingerabdrücke nicht zu verwischen. »Heutzutage wird Heroin in Kapseln verkauft«, sagte er.
»Sie … Sie haben es da hingelegt!« Die Polizei von Fortrow war schon so lange unbestechlich, daß sie ehrlich entsetzt war über seine Gemeinheit. »Sie sind Polizeibeamter, und trotzdem haben Sie es hingelegt!« Sie beschimpfte ihn in den gröbsten Worten, die ihr einfielen, doch ihre Stimme verriet Angst. Er wickelte die Medizinflasche in ein Taschentuch und ließ sie in seine Jackentasche gleiten.
»Ich erzähle dem Gericht, daß Sie es mir untergeschoben haben …«, begann sie wütend.
»Ich bin Polizist, meine Liebe. Das Gericht glaubt mir! Außerdem handeln alle Straßenmädchen von Fortrow mit Heroin. Wir finden jemand, der es von dir gekauft hat – oder wir versuchen, jemand zu überreden, der uns noch einen Gefallen schuldet, gegen dich auszusagen.«
Sie wurde nur noch verwirrter. Auf einen so offenen Gebrauch von gefälschten Beweisen war sie nicht gefaßt. So etwas hatte sie noch nicht erlebt. Im Geist sah sie den Richter vor sich, wie er sie zu einer langen Gefängnisstrafe verurteilt, und sie geriet in Panik.
»Erzähl mir, woher du die Information hast«, sagte Rowan mit einschmeichelnder Freundlichkeit, »und ich vergesse das Ganze. Ich lasse dir sogar das Heroin da.«
Margot befeuchtete ihre Lippen mit der Zunge. Wenn sie je herausfanden, überlegte sie, daß sie geplaudert hatte … Und wenn sie schwieg … Wie viele Leute, denen von zwei Seiten Gefahr drohte, wehrte sie sich gegen die nächstliegende, in der blinden Hoffnung, daß die andere von selbst verschwinden würde. »Pete Faraday«, flüsterte sie, weil sie Angst hatte, den Namen laut auszusprechen.