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Die Bodega in der Calle Juan de Moyá war unscheinbar, wenn auch nicht ohne Charme, ein Ort, wo kaum Fremde hinkamen, geschweige denn Touristen. Im Innern war die Kneipe viel größer, als ihr Äußeres vermuten ließ, und angenehm kühl. In die eine Wand hatte man vier Weinfässer eingemauert, mit mehr als zwei Meter Durchmesser. Das eine enthielt den offenen Rotwein. Auf einem Bord, das über zwei Wände lief, standen bunt bemalte Kürbisse, eine ausgestopfte Katze, fünf Strohpuppen, dazwischen lag ein ramponierter Strohhut. Das Regal hinter der Bartheke war gestopft voll mit Flaschen. Die geschmuggelten amerikanischen Zigaretten wurden in einer verschlossenen Schublade unter der Theke aufbewahrt. Der Fernseher lief, wann immer etwas zu sehen war. Allerdings war der Empfang schlecht, es »schneite« häufig.
Longman betrat das Lokal, warf einen Blick in die Runde und schlenderte zur Theke. Sein Kontaktmann war noch nicht da. »Gin und Tonic«, bestellte er. Der nicht mehr junge Besitzer, mit einem sonnverbrannten Gesicht voll tiefer Falten, schüttelte den Kopf und sagte etwas auf Spanisch oder Katalanisch, Longman wußte es nicht genau, und es interessierte ihn auch nicht. »Gin und Tonic!« rief er. »Verstehen Sie nicht mal soviel Englisch?« Seine Stimme klang wütend. Er hatte schon im Hotel ein paar Glas gekippt, außerdem glaubte er, daß ihn dieser dumme Fremde besser verstand, je lauter er sprach.
Am Ende seiner Geduld lief Longman um die Theke und deutete auf eine Ginflasche im Regal und einen Träger mit Tonicflaschen am Boden. Der Wirt grinste. Offenbar hatte er seinen Spaß an den Verständigungsschwierigkeiten.
Verdammter alter Trottel, dachte Longman, und schob ein Fünfundzwanzigpesetenstück über die Theke. Der Wirt gab drei Fünfpeseten- und zwei Einpesetastücke heraus. Als Longman entdeckte, daß sein Drink nur acht Peseten gekostet hatte, während man im Hotel dafür fünfundzwanzig verlangte, fluchte er. Die Einheimischen waren nichts weiter als ein Haufen Diebe. Er trank.
Zwei Männer kamen in die Kneipe, gefolgt von einem dritten, und alle tranken Kognak. Sie unterhielten sich laut und schnell, manchmal klang es, als stritten sie sich. Die Zeit verging wie im Flug, wie sie das so häufig auf einer zeitlosen Insel wie Mallorca tat. In den nächsten anderthalb Stunden trank Longman noch fünf Gin-Tonics und rauchte über ein halbes Päckchen Zigaretten. Seine Anweisungen waren klar gewesen: Sie warten zwei Stunden, ob Ihr Kontaktmann erscheint. Wenn nicht, gehen Sie am nächsten Tag in die Bodega in der Calle Santo Galdós. Warum war der Mann bis jetzt nicht erschienen? War etwas schiefgelaufen? Sie hatten ihm gesagt, daß nichts passieren konnte.
Auf der Mattscheibe erschien jetzt ein Zeichentrickfilm. Longman hatte ihn erst kurz vorher in England gesehen und war erstaunt, daß das spanische Fernsehen so auf dem laufenden war. Gerade als die Maus die Katze schlachtete, traten vier Männer durch den Perlenvorhang vor der Tür, gingen zur Theke, begrüßten den Wirt mit einem Wortschwall und verlangten etwas zu trinken. Wie ein Haufen schnatternder Affen, dachte Longman mürrisch.
Als er seinen letzten Drink bestellte, der solange reichen würde, bis die zwei Stunden um waren, kam ein einzelner Mann herein, der von den vieren an der Theke mit großem Hallo empfangen wurde. Der Neuankömmling grinste, sagte irgend etwas, worüber der Wirt vor Lachen beinahe erstickte, stellte sich in Pose und sang nicht unmusikalisch ein Lied, das offensichtlich unanständig war.
Der hält sich für sehr komisch, dachte Longman träge und merkte plötzlich, daß er mehr als nur ein wenig angeheitert war. Das machte ihn wütend, denn er konnte eine Menge vertragen. Es mußte an dem verdammten spanischen Gin liegen.
Der Sänger, er war um die Dreißig, untersetzt, mit einem hübschen Gesicht, begann, in die Knie zu gehen, offenbar mimte er Erschöpfung, seine Zuschauer feuerten ihn an. Er taumelte, stolperte über Longmans ausgestreckte Beine, fiel auf Longman und glitt auf den Steinfußboden.
Das Gelächter schwoll noch mehr an. Der Sänger sagte etwas in klagendem Ton, sah Longman an und entschuldigte sich auf Spanisch, was er mit vielen beredten Gesten unterstrich.
»Sie verdammter blöder Dago!« schrie Longman. »Können Sie nicht aufpassen, wohin Sie treten?«
Das Gelächter versickerte abrupt, und der Sänger stand auf. Jemand fragte ihn hastig etwas, er gab kurz Antwort, und dann starrten alle Gäste Longman an. Wie konnte man als Fremder in einem Land so grob und unhöflich sein?
Der Sänger sagte in steifem Englisch: »Ich habe mich entschuldigt.«
Nüchtern hätte Longman soviel Verstand gehabt zu begreifen, daß es Unsinn war zu glauben, die Einheimischen verstünden kein Umgangsenglisch, und hätte die Leute besänftigt, die sich in ihrem Stolz so schnell getroffen fühlten. Er hätte sich für seine Grobheit entschuldigt und einen ausgegeben. Aber er war eben nicht nüchtern. »Und ich habe gesagt, Sie sollen aufpassen, wo Sie hintreten, Sie blöder Dago!«
Der Sänger ging zur Theke, und jetzt lag in allen seinen Bewegungen eine große Würde. Er nahm ein halbvolles Kognakglas, kehrte zu Longmans Tisch zurück und sagte: »Bitte, Señor, erlauben Sie einem Dago, Ihnen einen Drink zu spendieren.« Damit goß er Longman den Kognak ins Gesicht.
Der Alkohol biß Longman in die Augen wie Feuer. Fluchend rieb er sie, und nach einer Weile ließ das Brennen nach. Die Tränen liefen ihm über die Wangen. Der Sänger sagte etwas in die nach dem Kognakguß eingetretene Stille, und alle Gäste bogen sich vor Lachen. Blind vor Wut sprang Longman auf und ließ einen rechten Schwinger los. Der Sänger wich aus, der Schlag ging daneben, und Longman bewahrte nur mit Mühe die Balance. Jemand packte ihn an seiner rechten Schulter und wirbelte ihn um die eigene Achse, so daß er über seine Füße stolperte. Das Gelächter wurde noch lauter.
Longman zog sich auf die Füße, entschlossen, den Sänger zu erledigen. Er warf sich vor, verfehlte ihn und krachte schmerzhaft in einen Tisch. Noch mehr Gelächter. Anfeuernde Rufe erschollen. Offenbar war er der Stier, sein Gegner der Matador. Der Sänger streckte seinen Arm aus, als wedle er mit einem imaginären Cape.
Longman reagierte genau wie ein Stier. Er schoß vorwärts, verdammt von Anfang an, und fuhr um Haaresbreite an seinem Gegner vorbei in einen Stuhl, der umstürzte und zerbrach. Er packte ein loses Bein, während er auf die Füße taumelte, und holte aus. Der Sänger war so entsetzt über Longmans Bösartigkeit, daß er dem Schlag nur mit Mühe auswich. Da packte Longman eine leere Tonicflasche, die auf dem Nachbartisch stand, und warf. Sie verfehlte den Mann, sauste durch den Perlenvorhang und traf einen der beiden Männer von der Guardia Civil, die eben vorbeigingen.
Die Stadtpolizisten, alles Einheimische, wußten, was der Fremdenverkehr für ihre Insel bedeutete. Sie hätten den Vorfall sehr diskret bereinigt. Doch die beiden Leute von der Guardia Civil stammten vom Festland, hatten Heimweh und mochten Mallorca, seine Bewohner und die Fremden nicht. Sie stürzten in die Kneipe, um die Sache an Ort und Stelle sofort zu klären. Das erste, was sie sahen, war Longman, mit einer neuen Flasche in der erhobenen wurfbereiten Hand. Sie befahlen ihm, die Flasche herzugeben und mitzukommen. In dem verzweifelten Versuch, der Katastrophe zu entkommen, die er selbst verschuldet hatte, trat Longman dem einen Polizisten ans Schienbein und versuchte, dem andern einen Magenhaken zu verpassen.
Ein wütender, heimwehkranker, leicht angeschlagener Angehöriger der Guardia Civil ist ein hervorragender Ruhestifter. Innerhalb fünfzehn Sekunden lag Longman benommen am Boden und blutete aus einer Kopfwunde.
Er verbrachte die Nacht in einer Gefängniszelle, die entgegen der allgemeinen Meinung sauber und aufgeräumt war. Am nächsten Morgen mußte er – trotz seinem riesigen Kater – die Zelle putzen. Er wünschte aus tiefstem Herzen, daß er niemals den Geschichten geglaubt hätte, wie leicht es sei, sich tausend Pfund zu verdienen und dabei noch kostenlos Urlaub zu machen.
Vincent Wraight betrachtete sich im Spiegel, nahm einen Kamm aus seiner Tasche und kämmte sich das natürlich gelockte Haar.
»Gehst du weg, Vince?« fragte Violet.
»Genau!« antwortete er kurz.
»Wann kommst du wieder, Liebling?«
»Kann ich nicht sagen.« Er wollte sich nicht festlegen. Gib einem Mädchen ’ne feste Zeit an, und du kriegst die Ohren voll, wenn du ein paar Minuten zu spät kommst!
Er wandte sich vom Spiegel ab. Violet saß mit untergezogenen Beinen auf dem Bett. Ihr Rock modellierte ihre Schenkel nach, allerdings sehr diskret. Sie besaß Klasse, und das war auch der Grund, warum er sich überhaupt mit ihr abgab.
»Wie wär’s, wenn wir morgen abend einen Bissen zusammen essen, Vince?« fragte sie bittend.
Er überlegte. »Arbeitest du nicht?«
»Ich wollte blaumachen. Du hast doch nichts dagegen?«
Er wirkte ärgerlich, als hätte sie nicht das Recht, etwas ohne seine ausdrückliche Erlaubnis zu tun.
Mit anmutigen Bewegungen glitt sie vom Bett. Sie war groß und aschblond, ihre Nase hatte den Anflug einer Stupsnase, ihre Zähne waren weiß und regelmäßig, und der Mund wölbte sich leicht vor, als lachte sie gern. Sie hatte eine volle Figur, die ohne üppig zu sein sehr sexy wirkte. Sie sah wie zwanzig aus und war fünfundzwanzig.
Sie schlang die Arme um seinen Hals und schmiegte sich an ihn. Nach einer Weile fing sie an zu kichern, denn sie wußte, daß er unruhig wurde.
»Hör auf, laß das!« sagte er, und versuchte, seine Stimme ärgerlich klingen zu lassen, was ihm nicht gelang.
»Du fühlst dich stark, was?« sagte sie und küßte ihn.
Er schob sie von sich, obwohl er es viel lieber nicht getan hätte. Wenn du nachgibst, überlegte er, und sie zu glauben anfängt, daß sie die stärkere ist, dann …
Er verließ die Wohnung und schlug mit lautem Knall die Wohnungstür zu. Er drückte auf den Liftknopf, trat zwei Schritte zurück und betrachtete sich in dem großen Spiegel neben der Lifttür. Der teure Anzug saß wie angegossen, der Knoten der Krawatte war modisch und fast so dick wie eine Kinderfaust, die Schultern waren breit, der Bauch war flach.
Der Lift kam, und die Türen glitten mit einem leisen Zischen auf. Das Apartmenthaus war neu und teuer, alles von größtem Luxus. Im Mietvertrag stand, daß alle Mieter sich ordentlich und unauffällig zu verhalten hatten. Gleich von Anfang an hatte er den Tag- und Nachtportiers je einen Zehner im Monat zugesteckt, damit sie dichthielten. Sie hatten das Geld angenommen und erst später gemerkt, was eigentlich los war. Da konnten sie Violet oder ihn nicht um höhere Summen erpressen.
Die Halle im Erdgeschoß war achteckig, mit einem achteckigen Blumenbeet in der Mitte, in dem schlapp aussehende Zimmerpflanzen wuchsen. In die eine Wand waren drei Aquarien mit tropischen Fischen eingelassen.
Der Nachtportier, der gerade seinen Dienst angetreten hatte, wünschte ihm einen guten Abend. Vincent Wraight wußte, daß er ihn nicht mochte und ihm sein Geld neidete. Außerdem hatte der Mann Angst vor ihm, denn er erriet, daß Wraight gefährlich werden konnte. Und es in der Vergangenheit auch schon geworden war.
Sein roter Mustang stand in der gewohnten Parkbucht. Es war ein großer, schneller Wagen, der nach Geld roch, vor allem in einem Land, in dem es viele kleine Autos gab. Wraight wollte gerade die Wagentür öffnen, als aus der Limousine hinter dem Mustang zwei Männer ausstiegen. Zuerst dachte er, es seien Polizisten, doch dann erkannte er, daß er sich täuschte.
»Tag, Vince!« sagte der erste. Er war groß, durchtrainiert, mit einem narbigen Gesicht und lockigem schwarzem Haar.
Wraight wollte von seinem Wagen zurücktreten, um einen größeren Aktionsradius zu haben, doch da stand der zweite Mann schon dicht hinter ihm.
»Der Boss will dich sprechen, Vince.«
»Haut ab!« sagte Wraight wütend.
»Sei doch nicht blöde!« Der erste Mann holte ein Klappmesser aus der Manteltasche und ließ es aufspringen.
Die sind nicht aus Fortrow, überlegte Wraight, und das bedeutet, daß man sie bloß für diesen Job von auswärts geholt hat. Es waren Professionelle. Er spürte ein gewisses Ziehen im Magen, es war keine Angst – er gehörte nicht zu den Leuten, die sich fürchten, ohne zu wissen, warum –, eher ein Alarmzeichen, daß er sein Temperament zügeln sollte. »Hört mal«, meinte er freundlich, »ich habe eine wichtige Verabredung. Sagt mir, wer mich sprechen will und wo ich ihn morgen treffen kann, und ich bin da.«
Der Mann mit dem lockigen schwarzen Haar drückte ihm die Spitze seines Messers in die Seite, genau unterhalb der letzten Rippe. Eine kurze, gezielte Bewegung, und er würde sterben, oder gleich tot sein. »Komm schon, Vince!« sagte er.
»Okay! Okay! Da hat’s aber einer eilig!« Langsam drehte Wraight sich um, auf eine Möglichkeit lauernd, auszubrechen. Doch Profis von solchem Kaliber machten keine Anfängerfehler. Sie zwangen ihn, sich in den Fond des Jaguar zu setzen, und die ganze Zeit über bohrte sich die Messerspitze in seine Seite.
»Hände auf die Knie, lehn dich zurück!« befahl der Schwarzhaarige.
Der Fahrer, dessen Gesicht Wraight nicht genau gesehen hatte, fuhr im Rückwärtsgang aus der Parkbucht.
»Wer ist denn so scharf drauf, mich kennenzulernen?« fragte Wraight und ließ seine Stimme nur schwach neugierig klingen.
Niemand nahm sich die Mühe, ihm zu antworten.
Wraight sah an dem Schwarzhaarigen vorbei und zum Wagenfenster hinaus. Sie fuhren gerade an den sorgfältig gepflegten Rosenbeeten vor dem Apartmenthaus vorbei und auf die Straße hinaus. Die Fußgänger schenkten dem Jaguar keinen Blick. Sauber gemacht, dachte Wraight. Er wußte, warum ihn die beiden abgeholt hatten. Ein großes Tier hatte in Fortrow Einzug gehalten und versuchte, das Geschäft mit der Prostitution an sich zu reißen. Als er um seine Mitarbeit gebeten worden war, hatte er dem Sendboten gesagt, er solle sich so schnell wie möglich zum Teufel scheren. Offenbar handelte es sich um eine viel bedeutendere Aktion, als er angenommen hatte, und daher würde er flexibel sein und mitmachen.
Sie kamen durch die Vororte von Fortrow und fuhren in die Hügel hinter der Stadt. Wraight stellte fest, daß der Fahrer sein Geschäft verstand, er schaltete rechtzeitig herunter, blieb auf der richtigen Fahrspur, immer bereit, Gas zu geben, obwohl es unwahrscheinlich war, daß die Polizei auf sie aufmerksam wurde oder ihnen gar folgte.
Sie hielten in einer Parkbucht in einem kleinen Mischwald. Der Schwarzhaarige sagte: »Der Boss wartet auf der andern Seite.«
Der eine Profi stieg aus, dann Wraight, dann der Schwarzhaarige. Der Fahrer blieb hinterm Steuer sitzen.
Ein schmaler Pfad führte in den Wald, sie liefen ihn im Gänsemarsch entlang, wobei sie viel Staub aufwirbelten, denn es hatte lange nicht mehr geregnet. Etwa hundert Meter weiter flatterte ein Schwarm Waldtauben auf und erschreckte sie.
Der Wald endete nach ein paar hundert Metern. Sie standen vor einem großen Weizenfeld. Suchend sah sich Wraight nach dem Mann um, der ihn sprechen wollte und mit dem er sich schon einigen würde. »Wo ist denn …?« begann er.
Da traf ihn der erste Hieb. Halb bewußtlos sank er in die Knie und versuchte, sich zur Seite zu werfen. Doch damit hatten sie gerechnet. Der zweite Schlag traf ihn im Nacken, und er sackte zusammen.