18
Fusil setzte sich sofort an seinen Schreibtisch, Chefinspektor Weir nahm rechts von ihm Platz. Rowan blieb stehen.
»Begreifen Sie denn nicht?« sagte Weir mit ernstem Gesicht. »Ich habe persönlich ein paar Leute verhört, auch Mabel Harkness, die junge Person, mit der Ihre Frau auf der Southern Planet die Unterwäsche getauscht hat.«
»Meine Frau ist nie auf diesem Schiff gewesen«, erklärte Rowan.
Weir seufzte. »Longman wurde in Palma verhaftet, und die Organisation wußte nicht, ob das was zu bedeuten hatte oder nicht. Sie mußten Klarheit haben, und deshalb suchten sie sich einen Polizeibeamten, den sie bestechen konnten. Das waren Sie. Jemand hatte kompromittierende Fotos von Ihrer Frau gemacht, und mit diesen Bildern wurde sie dazu erpreßt, Heroin ins Land zu schmuggeln. Von dem Augenblick saßen Sie in der Falle.
Sie mußten herausbekommen, warum Longman im Gefängnis war, und fragten bei Interpol an. Als die Gangster wußten, daß Longmans Verhaftung nichts mit ihrem Rauschgiftschmuggel zu tun hatte, konnten sie weitermachen.
Doch Sie zappelten weiter am Haken. Als eine Lieferung Heroin verpfiffen wurde, haben Sie die Leute gewarnt …«
»Die ganze Geschichte ist ein Haufen Unsinn«, sagte Rowan. »Warum leugnen Sie, was auf der Hand liegt? Wir haben Raymonds Aussage über die Fotos, die er von Ihrer Frau machte …«
»Und meine Frau hat rundheraus erklärt, daß es nicht stimmt. Also, was für Beweise haben Sie? Wo ist die Aussage des Mannes, der angeblich mit meiner Frau zusammen posiert hat? Und wo sind überhaupt die Bilder selbst?«
Ohne auf seine Fragen einzugehen, fuhr Weir fort: »Ich habe Mabel Harkness gründlich verhört.«
»Wer ist das?«
»Eine Stewardess von der Southern Planet. Es wurde ihr befohlen, in einer bestimmten Toilette mit einer andern Frau die Unterwäsche zu tauschen.«
»Hat diese Stewardess die Frau gesehen?«
»Nein.«
»Dann kann sie sie auch nicht identifizieren.«
»Das stimmt.«
»Hat sie den Schmuggel gestanden?«
»Sie hat nur zugegeben, die Wäsche getauscht zu haben«, erklärte Weir zögernd.
»Dann hat sie, soweit sie oder irgend jemand anders weiß, kein Heroin geschmuggelt.«
»Aber in solchen Wäschestücken ist für nichts anderes Platz.«
»Haben Sie diese bestimmten Wäschestücke gesehen, weil Sie so sicher sind? Jedenfalls war meine Frau nie an Bord der Southern Planet.«
»Ein Matrose hat sie als die Frau identifiziert, die an jenem bewußten Tag auf das Schiff kam.«
»Wie hat er sie identifiziert. Auf Grund eines Fotos?«
»Ja.«
»Da taugt seine Aussage nicht viel. Das Bild meiner Frau erscheint in einem Haufen Illustrierten, in vielen Anzeigen. Schließlich ist sie Fotomodell. Da ist es nur natürlich, daß er ihr Gesicht wiedererkannte, als Sie ihm ein halbes Dutzend Fotos verschiedener Frauen zeigten. Außerdem – sie ist nie auf dem Schiff gewesen.«
Jetzt mischte sich Fusil ein. »Wieso waren Sie ausgerechnet in dem Augenblick vor Murphys Haus, als er umgebracht wurde?«
»Man hatte mir den Tip gegeben, daß er das Haupt der Organisation wäre. Ich wollte diese Information nachprüfen.«
»Aber Sie waren doch vom Dienst suspendiert.«
»Ich war immer noch Polizist.«
»Als ein vom Dienst suspendierter Polizeibeamter war es Ihre Pflicht, diesen Tip an mich weiterzugeben und mir die Untersuchung zu überlassen.«
»Mich hat es mehr interessiert zu beweisen, daß meine Suspendierung vollkommen ungerechtfertigt war, als mich darum zu kümmern, ob ich mich entsprechend den Vorschriften verhielt.«
»Von wem hatten Sie den Tip?«
»Ich habe meine Quellen. Mehr sage ich nicht.«
»War Faraday die Quelle?«
»Wer?«
»Ersparen Sie uns Ihre Heuchelei. Sie wissen genausogut wie ich, wer das ist.«
»Der Name klingt vertraut …«
Fusil wurde noch wütender, doch er sagte ausdruckslos: »Die Obduktion hat ergeben, daß er kurz vor seinem Tod gefoltert wurde. Die einzige logische Erklärung dafür ist, daß man den Namen des Drahtziehers aus ihm herausholen wollte. Sie haben Faraday so lange gequält, bis er den Namen verriet.«
»Unsinn!«
»Sagen Sie mal, riskieren Sie es, zuzugeben, daß Sie Violet Carter kennen?« fragte Fusil voll Ironie.
»Natürlich kenne ich sie. Ich traf sie im Lauf meiner Untersuchung über den Tod von Vince Wraight.«
»Sie besuchten sie in ihrer Wohnung, einen Tag vor Murphys Ermordung.«
»Tatsächlich?«
»Einer der Portiers kann es bezeugen. Warum sind Sie hingegangen?«
»Um sie zu fragen, ob sie irgend etwas gehört hatte, das das Gerücht, Murphy wäre der Boss, bestätigte.«
»Sie verrieten ihr Murphys Namen, denn Sie wußten, daß sie über die Ermordung ihres Zuhälters noch immer so außer sich war, daß sie Murphy aus Rache sofort töten würde, wenn sie die Gelegenheit dazu erhielt.«
»Wenn man die Einzelheiten nicht kennt, klingt Ihre Theorie ziemlich einleuchtend. Aber so ist sie lächerlich.«
»Violet Carter war die Frau, die Sie in Murphys Schlafzimmer entdeckten.«
»Ja, es war eine Frau in seinem Schlafzimmer, aber ich kannte sie nicht. Ich hatte sie noch nie gesehen und kann sie deshalb auch nicht identifizieren. Sie war nicht von hier.«
»Warum ließen Sie sie entwischen?«
»Es war ein großer Irrtum von mir. Sie wirkte so geschockt, daß ich annahm, sie wäre nicht in der Lage, wegzulaufen. Ich kümmerte mich deshalb nicht weiter um sie, sondern sah nach, ob Murphy noch lebte.«
»Laut gerichtsmedizinischer Untersuchung war er beinahe auf der Stelle tot. Das müssen Sie auch festgestellt haben.«
»Den Vorschriften nach sollen wir niemals annehmen, daß jemand tot ist, auch wenn der Augenschein dafür spricht. Das darf nur ein Arzt.«
Jetzt fragte Weir. »Angesichts solcher Verletzungen – was hätten Sie da noch tun können, falls er erstaunlicherweise tatsächlich noch am Leben gewesen wäre?«
»Ich fürchte, ich habe nicht weiter nachgedacht. Ich habe einfach menschlich reagiert.«
Fusil fluchte.
»Wer hat die Schublade im Schlafzimmer aufgebrochen?« fragte Weir.
»Ich habe keine Ahnung.«
»Ihre Fingerabdrücke waren auf dem Schürhaken, der als Werkzeug benutzt wurde.«
»Der Schürhaken lag dicht neben dem Toten. Ich habe ihn aus dem Weg geräumt.«
»Entgegen allen Vorschriften, am Ort der Tat nichts zu berühren oder zu verändern.«
»Die verletzte Person geht immer vor.«
»Was war in der Schublade? Vielleicht der Safeschlüssel?«
»Ich weiß es nicht. Haben Sie den Schlüssel nicht woanders gefunden?«
»Ja. Wo Sie ihn hinsteckten.«
»Mit den Fingerabdrücken des Toten daran?«
»Die Sie draufmachten.«
Rowan zuckte die Achseln. »Ich habe keinen Schlüssel gesehen.«
»Als die Frau davonrannte, warum haben Sie nicht sofort um Verstärkung gerufen?«
»Hören Sie, ich habe mein Möglichstes getan, aber es hat eben nicht gereicht. Ich dachte, ich würde sie erwischen und brauchte deshalb keine Hilfe. Aber ich bin gestürzt und hätte mir beinahe noch das Bein gebrochen. Und sie war weg.«
»Sie haben es zugelassen!«
»Nein.«
»Jene Frau war Violet Carter.«
»Sie behaupten das hartnäckig, aber wer kann sie zweifelsfrei identifizieren? Die Pakistani? Soviel ich gehört habe, verweigern sie die Aussage. Es gibt keine stichhaltigen Beweise gegen sie, nicht einmal dafür, ob sie wußten, wer Murphy war.«
»Sie sind an Murphys Ermordung genauso schuld wie Violet Carter.«
»Ich habe mit seinem Tod nichts zu tun … doch wenn es stimmte, glauben Sie, ich würde auch nur eine schlaflose Nacht deswegen haben? Er war dabei, diese Stadt zu korrumpieren. Wie viele Einwohner von Fortrow sind wegen ihm rauschgiftsüchtig geworden? Wie viele Menschenleben sind zerstört worden? Und die Polizei konnte nichts tun als dasitzen und warten und hoffen, daß er schließlich mal einen Fehler beging. Vor seiner Ermordung wußte man nicht einmal, daß er der Boss war.«
»Ihre Aufgabe als Polizeibeamter«, erklärte Weir ruhig, »ob Sie nun suspendiert sind oder nicht, ist es, im Land für Recht und Ordnung zu sorgen. Es ging und geht Sie nichts an, wenn die Maschinerie des Gesetzes in manchen Fällen nicht so rasch funktioniert, daß ein Verbrechen verhindert werden kann.«
»Also darf der große Boss bestechen, erpressen, morden, eine ganze Stadt kaputtmachen, aber ich soll mich darüber nicht aufregen.«
Weir klopfte mit seinen langen knöchernen Fingern auf die Schreibtischplatte. Er starrte Rowan an und meinte: »Sie haben die Polizei verraten und die Hälfte aller Gesetze übertreten.«
»Beweisen Sie es!«
Weir stand auf. »Wenn wir genug Beweise haben, die wir dem Gericht vorlegen können, werden Sie der Verbrechen angeklagt, die Sie begangen haben.«
»Und inzwischen können Sie nichts machen, auf Grund der Bestimmungen über Beweismaterial, gegen die Sie nicht verstoßen dürfen.«
»Ihre Karriere …«
»Ich reiche um meine Entlassung ein«, unterbrach ihn Rowan. »Aus Protest gegen die Untersuchung, die keinen einzigen Beweis für die mir zur Last gelegten Verbrechen zu Tage gefördert hat.«
»Reichen Sie das Gesuch schriftlich ein«, erklärte Weir, stand auf und verließ das Zimmer.
»Wir kriegen Sie, Rowan«, sagte Fusil böse. »Sie mögen über uns lachen, weil wir keine Beweise haben für das, was wir wissen, doch irgendwann werden wir sie finden und Sie als Verräter festnageln.«
»Ich leugne …«
»Sparen Sie sich die Mühe. Jetzt sind nur mehr Sie und ich hier. Ich werde Ihnen sagen, was Sie sind: Ein Polizist, der Dienstgeheimnisse verraten hat, um seine Haut zu retten.«
Rowan fiel es schwer, Haltung zu bewahren. »Für Sie«, sagte er, »ist dies nichts als ein Fall, der aufgeklärt werden muß. Mit eiskalter Logik sagen Sie sich, daß ich Informationen weitergegeben haben muß, und deshalb bin ich in Ihren Augen ein gemeiner Verbrecher. Sie besitzen nicht genug Phantasie, um sich vorzustellen, wie es wirklich war: Mach mit, oder deine Familie wird erledigt! Brich in ein Haus ein, quäle einen Mann, plane die Ermordung eines andern – und du rettest Frau und Tochter! Ist es Ihnen noch nie in den Sinn gekommen, daß es Augenblicke gibt, wo Gesetze, Ehre, Anstand nicht mehr zählen? Angenommen, es wäre um Ihre Frau und um Ihren Sohn gegangen! Würden Sie tatenlos zusehen, wie man sie fertigmacht – mit dem tröstlichen Gedanken, daß Sie auf jeden Fall kein Gesetz übertreten?«
Fusil nahm seine Pfeife und stopfte sie langsam mit dem Tabak aus seinem abgenützten Tabaksbeutel. Wenn Josephines und Timothys Leben bedroht würde, würde er sich wehren, mit allen Mitteln, die ihm zur Verfügung standen. Doch noch während er sich das insgeheim eingestand, stieg erneut Haß gegen Rowan in ihm auf. Rowan war ein Verräter.
Rowan wartete auf seine Antwort. Als sie nicht kam, verließ er mit erhobenem Kopf das Büro.